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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Die Ulabunkerstraße

Bret Hartes Erzählungen meist eine wenig beneidenswerte Rolle spielen. Im
übrigen ist der Vergleich mit den Werken des Sängers der modernen Argonauten
für das Athertonsche Buch nicht eben vorteilhaft. Von Bret Hartes feinem
Humor und seiner abgeklärten Weltanschauung ist in diesen spanischen Er¬
zählungen nichts zu spüren. Sie tragen den Stempel eines bedeutenden Talents,
besonders in der dramatischen Lebendigkeit, mit der die abenteuerlichen Schicksale
der Schönen von Monterey und ihrer Anbeter erzählt werden. Aber man be¬
dauert, daß die Verfasserin ihren reichen Stoff nicht durch eine gediegnere
Darstellung vertieft hat. Es ist ein Buch, das große Erwartungen für das
zukünftige Schaffen der Verfasserin rechtfertigt. Und wenn ihr Studium der
Persönlichkeit Hamiltons, das gegenwärtig ihr Interesse ausschließlich in Anspruch
nehmen soll, abgeschlossen sein wird, darf man gewiß auf ansgereiftere Werke
hoffen, als die vorliegende, in ihren Einzelheiten so fesselnde Sammlung.


B. Prilixp


Die Klabunkerstraße
R Lharlotte Niese oman von
(Fortsetzung)

UM)
M^KMW
ll angsam fuhr die kleine Klingelbahn durch das Gelände. Aller Viertel¬
stunden, wenn nicht öfters, hielt sie an; Landleute gingen und kamen,
hier wurde Käse aufgeladen, dort ein Wagen mit Kornsäcken an¬
gehängt. Es war ein gemütlicher Verkehr, und auf jeder Station
tranken die Schaffner ein Glas Bier.

Ob wir wohl einmal ankommen? fragte Melitta von Hagenau
und sah ihren Reisegefährten lachend an.

Gleichmütig zuckte er die Achseln.

Ganz gewiß, Fräulein. Langsam aber sicher. Das Kloster entgeht Ihnen
nicht, und auch nicht die Langweile.

Melitta Hagenau und Klaus Fuchsins hatten sich vor etwa einer Stunde
im Wagenabteil dritter Klasse kennen lernen und waren schon ganz befreundet ge¬
worden. Melitta gehörte zu den jungen Mädchen, die leicht Bekanntschaften machen,
und denen ihre Schönheit etwas sichres, Siegbewußtes verleiht. Klaus Fuchsins
dagegen war einer von den jungen Männern, die das weibliche Geschlecht als ein
minderwertiges Spielzeug ansehen und es, im Grunde genommen, verachten. Aber
nur so lange sie nicht vor einem schönen Mädchen sitzen und schelmisch von ein Paar
flimmernden Augen angesehen werden. Klaus hatte kein häßliches Gesicht und war
ein junger, wohlgebauter Mann. Nur sein Mund war weichlich und zuckte oft
sonderbar, und in seine dunkeln Augen trat gelegentlich ein harter und doch un¬
sichrer Ausdruck. Auf diese Dinge achtete Melitta nicht. Sie dachte viel an sich,
und wenn sie sich langweilte, dann freute sie sich, jemand zu haben, der ihr die
Langweile vertrieb, besonders wenn dieser Jemand ein junger Mann war.

Wie lange werden Sie in Wittekind bleiben? fragte sie jetzt.

Fuchsius betrachtete seine unschön geformten Hände.

Das weiß ich nicht, entgegnete er mürrisch. Die Äbtissin hat an meinen
Seminardirektor geschrieben, ob ich nicht zur Aushilfe an die Dorfschule kommen
könnte, und ihr Wunsch war natürlich Befehl, obgleich ein altes Weib von Schulen


Die Ulabunkerstraße

Bret Hartes Erzählungen meist eine wenig beneidenswerte Rolle spielen. Im
übrigen ist der Vergleich mit den Werken des Sängers der modernen Argonauten
für das Athertonsche Buch nicht eben vorteilhaft. Von Bret Hartes feinem
Humor und seiner abgeklärten Weltanschauung ist in diesen spanischen Er¬
zählungen nichts zu spüren. Sie tragen den Stempel eines bedeutenden Talents,
besonders in der dramatischen Lebendigkeit, mit der die abenteuerlichen Schicksale
der Schönen von Monterey und ihrer Anbeter erzählt werden. Aber man be¬
dauert, daß die Verfasserin ihren reichen Stoff nicht durch eine gediegnere
Darstellung vertieft hat. Es ist ein Buch, das große Erwartungen für das
zukünftige Schaffen der Verfasserin rechtfertigt. Und wenn ihr Studium der
Persönlichkeit Hamiltons, das gegenwärtig ihr Interesse ausschließlich in Anspruch
nehmen soll, abgeschlossen sein wird, darf man gewiß auf ansgereiftere Werke
hoffen, als die vorliegende, in ihren Einzelheiten so fesselnde Sammlung.


B. Prilixp


Die Klabunkerstraße
R Lharlotte Niese oman von
(Fortsetzung)

UM)
M^KMW
ll angsam fuhr die kleine Klingelbahn durch das Gelände. Aller Viertel¬
stunden, wenn nicht öfters, hielt sie an; Landleute gingen und kamen,
hier wurde Käse aufgeladen, dort ein Wagen mit Kornsäcken an¬
gehängt. Es war ein gemütlicher Verkehr, und auf jeder Station
tranken die Schaffner ein Glas Bier.

Ob wir wohl einmal ankommen? fragte Melitta von Hagenau
und sah ihren Reisegefährten lachend an.

Gleichmütig zuckte er die Achseln.

Ganz gewiß, Fräulein. Langsam aber sicher. Das Kloster entgeht Ihnen
nicht, und auch nicht die Langweile.

Melitta Hagenau und Klaus Fuchsins hatten sich vor etwa einer Stunde
im Wagenabteil dritter Klasse kennen lernen und waren schon ganz befreundet ge¬
worden. Melitta gehörte zu den jungen Mädchen, die leicht Bekanntschaften machen,
und denen ihre Schönheit etwas sichres, Siegbewußtes verleiht. Klaus Fuchsins
dagegen war einer von den jungen Männern, die das weibliche Geschlecht als ein
minderwertiges Spielzeug ansehen und es, im Grunde genommen, verachten. Aber
nur so lange sie nicht vor einem schönen Mädchen sitzen und schelmisch von ein Paar
flimmernden Augen angesehen werden. Klaus hatte kein häßliches Gesicht und war
ein junger, wohlgebauter Mann. Nur sein Mund war weichlich und zuckte oft
sonderbar, und in seine dunkeln Augen trat gelegentlich ein harter und doch un¬
sichrer Ausdruck. Auf diese Dinge achtete Melitta nicht. Sie dachte viel an sich,
und wenn sie sich langweilte, dann freute sie sich, jemand zu haben, der ihr die
Langweile vertrieb, besonders wenn dieser Jemand ein junger Mann war.

Wie lange werden Sie in Wittekind bleiben? fragte sie jetzt.

Fuchsius betrachtete seine unschön geformten Hände.

Das weiß ich nicht, entgegnete er mürrisch. Die Äbtissin hat an meinen
Seminardirektor geschrieben, ob ich nicht zur Aushilfe an die Dorfschule kommen
könnte, und ihr Wunsch war natürlich Befehl, obgleich ein altes Weib von Schulen


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[0174] Die Ulabunkerstraße Bret Hartes Erzählungen meist eine wenig beneidenswerte Rolle spielen. Im übrigen ist der Vergleich mit den Werken des Sängers der modernen Argonauten für das Athertonsche Buch nicht eben vorteilhaft. Von Bret Hartes feinem Humor und seiner abgeklärten Weltanschauung ist in diesen spanischen Er¬ zählungen nichts zu spüren. Sie tragen den Stempel eines bedeutenden Talents, besonders in der dramatischen Lebendigkeit, mit der die abenteuerlichen Schicksale der Schönen von Monterey und ihrer Anbeter erzählt werden. Aber man be¬ dauert, daß die Verfasserin ihren reichen Stoff nicht durch eine gediegnere Darstellung vertieft hat. Es ist ein Buch, das große Erwartungen für das zukünftige Schaffen der Verfasserin rechtfertigt. Und wenn ihr Studium der Persönlichkeit Hamiltons, das gegenwärtig ihr Interesse ausschließlich in Anspruch nehmen soll, abgeschlossen sein wird, darf man gewiß auf ansgereiftere Werke hoffen, als die vorliegende, in ihren Einzelheiten so fesselnde Sammlung. B. Prilixp Die Klabunkerstraße R Lharlotte Niese oman von (Fortsetzung) UM) M^KMW ll angsam fuhr die kleine Klingelbahn durch das Gelände. Aller Viertel¬ stunden, wenn nicht öfters, hielt sie an; Landleute gingen und kamen, hier wurde Käse aufgeladen, dort ein Wagen mit Kornsäcken an¬ gehängt. Es war ein gemütlicher Verkehr, und auf jeder Station tranken die Schaffner ein Glas Bier. Ob wir wohl einmal ankommen? fragte Melitta von Hagenau und sah ihren Reisegefährten lachend an. Gleichmütig zuckte er die Achseln. Ganz gewiß, Fräulein. Langsam aber sicher. Das Kloster entgeht Ihnen nicht, und auch nicht die Langweile. Melitta Hagenau und Klaus Fuchsins hatten sich vor etwa einer Stunde im Wagenabteil dritter Klasse kennen lernen und waren schon ganz befreundet ge¬ worden. Melitta gehörte zu den jungen Mädchen, die leicht Bekanntschaften machen, und denen ihre Schönheit etwas sichres, Siegbewußtes verleiht. Klaus Fuchsins dagegen war einer von den jungen Männern, die das weibliche Geschlecht als ein minderwertiges Spielzeug ansehen und es, im Grunde genommen, verachten. Aber nur so lange sie nicht vor einem schönen Mädchen sitzen und schelmisch von ein Paar flimmernden Augen angesehen werden. Klaus hatte kein häßliches Gesicht und war ein junger, wohlgebauter Mann. Nur sein Mund war weichlich und zuckte oft sonderbar, und in seine dunkeln Augen trat gelegentlich ein harter und doch un¬ sichrer Ausdruck. Auf diese Dinge achtete Melitta nicht. Sie dachte viel an sich, und wenn sie sich langweilte, dann freute sie sich, jemand zu haben, der ihr die Langweile vertrieb, besonders wenn dieser Jemand ein junger Mann war. Wie lange werden Sie in Wittekind bleiben? fragte sie jetzt. Fuchsius betrachtete seine unschön geformten Hände. Das weiß ich nicht, entgegnete er mürrisch. Die Äbtissin hat an meinen Seminardirektor geschrieben, ob ich nicht zur Aushilfe an die Dorfschule kommen könnte, und ihr Wunsch war natürlich Befehl, obgleich ein altes Weib von Schulen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/174>, abgerufen am 25.08.2024.