Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.(Line Inselreihe durch das griechische Meer Friedrich Seiler von q.. Kreta und Melos (Schluß) ur den nächsten Tag lautete das Programm: Fahrt an der Nord¬ Ein Land kennt man erst dann, wenn man seine Hauptstadt kennt; um Auf seine Anregung wurde noch ein schwacher Versuch gemacht, Dörpfeld Ich hatte nach dem Abendbrot auf Deck an einer vor Wind und Regen Der nächste Tag also war von vornherein für die meisten von uns zum (Line Inselreihe durch das griechische Meer Friedrich Seiler von q.. Kreta und Melos (Schluß) ur den nächsten Tag lautete das Programm: Fahrt an der Nord¬ Ein Land kennt man erst dann, wenn man seine Hauptstadt kennt; um Auf seine Anregung wurde noch ein schwacher Versuch gemacht, Dörpfeld Ich hatte nach dem Abendbrot auf Deck an einer vor Wind und Regen Der nächste Tag also war von vornherein für die meisten von uns zum <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0856" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242928"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341877_242067/figures/grenzboten_341877_242067_242928_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> (Line Inselreihe durch das griechische Meer<lb/><note type="byline"> Friedrich Seiler</note> von<lb/> q.. Kreta und Melos<lb/> (Schluß) </head><lb/> <p xml:id="ID_3148"> ur den nächsten Tag lautete das Programm: Fahrt an der Nord¬<lb/> küste der Insel entlang bis Kameel. Aber Dörpfeld erklärte, hier<lb/> in Kandia könne man soviel sehen und studieren, daß wir noch<lb/> den ganzen nächsten Tag hier zubringen würden. Ihm selbst<lb/> konnte man diese Änderung nicht verdenken. Denn er hatte die<lb/> neusten kretischen Ausgrabungen früher auch noch nicht gesehen<lb/> und wollte sie nun natürlich möglichst genau kennen lernen. Herr Evans<lb/> aber hatte ihn und Herrn Bruckner für den nächsten Tag zu einer noch¬<lb/> maligen Besichtigung und einen, darauf folgenden Frühstück eingeladen. Uns<lb/> dagegen traf diese plötzliche Programmünderung wie ein Blitz aus heiterm<lb/> Himmel. Das allgemein Interessante hatten wir zur Genüge betrachtet, was<lb/> sollten wir nun den ganzen langen Tag in Kandia anfangen? Schließlich<lb/> bekommt man sogar die Tänze antiker Freskodamen satt. Mich persönlich<lb/> und die andern drei Herren, die von Sizilien nach Athen gefahren waren,<lb/> traf dieser Schlag noch am wenigsten, denn wir hatten ja Kcmea wenigstens<lb/> vom Meere aus betrachtet und sogar photographiert. Von den übrigen aber<lb/> waren viele sehr ärgerlich. Professor Sieglin, der gern die Haarfarbe auch<lb/> der Westkreter festgestellt Hütte, sagte entrüstet:</p><lb/> <p xml:id="ID_3149"> Ein Land kennt man erst dann, wenn man seine Hauptstadt kennt; um<lb/> diese werden wir nun gebracht. Ein Programm sollte überhaupt nie ohne<lb/> zwingenden Grund geändert werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_3150"> Auf seine Anregung wurde noch ein schwacher Versuch gemacht, Dörpfeld<lb/> zur Wiederherstellung des ursprünglichen Programms zu bewegen. Der schei¬<lb/> terte aber gleich in seinen Anfängen. So mußten wir uns in unser Schick¬<lb/> sal fügen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3151"> Ich hatte nach dem Abendbrot auf Deck an einer vor Wind und Regen<lb/> geschützten Stelle noch ein langes Gespräch mit der jungen österreichischen<lb/> Dame, die aus dem parischen Marmorblock ihren Amor herausmeißeln wollte,<lb/> und staunte über die Kraft ihres Gedächtnisses und die Stärke ihres archäo¬<lb/> logischen Interesses. Ich examinierte sie förmlich über die Bauwerke und<lb/> Trümmerfelder, die wir bis dahin gesehen hatten. Sie verwechselte nichts,<lb/> und das will etwas sagen, wenn tagelang eine solche Fülle der Gesichte an<lb/> den leiblichen und geistigen Augen des Menschen vorübergezogen ist, ja sie<lb/> hatte noch mehr Einzelheiten im Kopfe behalten als ihr gestrenger Examinator.<lb/> Glückliche Jugend, wo die Tontafeln des Gedächtnisses noch' nicht zu einer<lb/> starren Masse erhärtet sind, in die nur «och der spitze Griffel starker see¬<lb/> lischer Erregungen Buchstaben cinzuritzeu vermag!</p><lb/> <p xml:id="ID_3152"> Der nächste Tag also war von vornherein für die meisten von uns zum<lb/> Totgeschlagenwerden verurteilt. Dörpfeld und Bruckner verschwanden am<lb/> Morgen und wurden erst am Abend wiedergesehen, wo sie hochbefriedigt vom<lb/> Ausgrabungsfelde zurückkehrten, wir andern dagegen irrten ohne Weisel einzeln<lb/> und in Gruppen in der Stadt umher und suchten uns zu beschäftigen uno<lb/> zu unterhalten, so gut es ging.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0856]
[Abbildung]
(Line Inselreihe durch das griechische Meer
Friedrich Seiler von
q.. Kreta und Melos
(Schluß)
ur den nächsten Tag lautete das Programm: Fahrt an der Nord¬
küste der Insel entlang bis Kameel. Aber Dörpfeld erklärte, hier
in Kandia könne man soviel sehen und studieren, daß wir noch
den ganzen nächsten Tag hier zubringen würden. Ihm selbst
konnte man diese Änderung nicht verdenken. Denn er hatte die
neusten kretischen Ausgrabungen früher auch noch nicht gesehen
und wollte sie nun natürlich möglichst genau kennen lernen. Herr Evans
aber hatte ihn und Herrn Bruckner für den nächsten Tag zu einer noch¬
maligen Besichtigung und einen, darauf folgenden Frühstück eingeladen. Uns
dagegen traf diese plötzliche Programmünderung wie ein Blitz aus heiterm
Himmel. Das allgemein Interessante hatten wir zur Genüge betrachtet, was
sollten wir nun den ganzen langen Tag in Kandia anfangen? Schließlich
bekommt man sogar die Tänze antiker Freskodamen satt. Mich persönlich
und die andern drei Herren, die von Sizilien nach Athen gefahren waren,
traf dieser Schlag noch am wenigsten, denn wir hatten ja Kcmea wenigstens
vom Meere aus betrachtet und sogar photographiert. Von den übrigen aber
waren viele sehr ärgerlich. Professor Sieglin, der gern die Haarfarbe auch
der Westkreter festgestellt Hütte, sagte entrüstet:
Ein Land kennt man erst dann, wenn man seine Hauptstadt kennt; um
diese werden wir nun gebracht. Ein Programm sollte überhaupt nie ohne
zwingenden Grund geändert werden.
Auf seine Anregung wurde noch ein schwacher Versuch gemacht, Dörpfeld
zur Wiederherstellung des ursprünglichen Programms zu bewegen. Der schei¬
terte aber gleich in seinen Anfängen. So mußten wir uns in unser Schick¬
sal fügen.
Ich hatte nach dem Abendbrot auf Deck an einer vor Wind und Regen
geschützten Stelle noch ein langes Gespräch mit der jungen österreichischen
Dame, die aus dem parischen Marmorblock ihren Amor herausmeißeln wollte,
und staunte über die Kraft ihres Gedächtnisses und die Stärke ihres archäo¬
logischen Interesses. Ich examinierte sie förmlich über die Bauwerke und
Trümmerfelder, die wir bis dahin gesehen hatten. Sie verwechselte nichts,
und das will etwas sagen, wenn tagelang eine solche Fülle der Gesichte an
den leiblichen und geistigen Augen des Menschen vorübergezogen ist, ja sie
hatte noch mehr Einzelheiten im Kopfe behalten als ihr gestrenger Examinator.
Glückliche Jugend, wo die Tontafeln des Gedächtnisses noch' nicht zu einer
starren Masse erhärtet sind, in die nur «och der spitze Griffel starker see¬
lischer Erregungen Buchstaben cinzuritzeu vermag!
Der nächste Tag also war von vornherein für die meisten von uns zum
Totgeschlagenwerden verurteilt. Dörpfeld und Bruckner verschwanden am
Morgen und wurden erst am Abend wiedergesehen, wo sie hochbefriedigt vom
Ausgrabungsfelde zurückkehrten, wir andern dagegen irrten ohne Weisel einzeln
und in Gruppen in der Stadt umher und suchten uns zu beschäftigen uno
zu unterhalten, so gut es ging.
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