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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Biologische Ethik und Politik

Störungen und Zusammenstöße kommen vor, desto mehr ist die Gefahr der
Auflösung des einen oder des andern ausgeschlossen, desto dauerhafter sind
sie also, und wie Ostwald, der Begründer des Energismus. weise bemerkt:
"von den Formen der Organismen dauern die am längsten, die am dauer¬
haftesten sind." Matzat überträgt nämlich das Hcrtzische Gesetz der Mechanik
auf die Biologie und erklärt aus ihm alle Erscheinungen des organischen und
des sozialen Lebens. Er zeigt, wie durch die Einwirkung der nach Anpassung
strebenden Systeme aufeinander chemische Verbindungen und Zersetzungen,
Organe und lebendige Organismen entsteh". Das heißt, er glaubt es gezeigt
ZU haben, es wird aber wohl den meisten denkenden Lesern so gehn wie uns:
wir vermögen das nicht zu sehen, was er gezeigt zu haben glaubt. Wer den
streng wissenschaftlichen Beweis dafür haben will, daß die Entstehung der
Organismen auf rein mechanischem Wege undenkbar ist. der lese die Abhand¬
lung: Mechanismus und Vitalismus in der modernen Biologie, die Eduard
von .Hartmann soeben im zweiten und dritten Heft des nennten Bandes des
v°n Dilthey und Zeller herausgegebnen Archivs für systematische Philosophie
veröffentlicht hat^dem Philosophen brauchte man ja nicht zu glauben, aber
den Botanikern, Zoologen und Biologen der letzten zwanzig Jahre, die er
^r Reihe nach vorführt, wird man schon glauben müssen. Sie winden sich
alle, einer nach dem andern, aus dem Netze heraus, in das sie die darwimschc
Lehre eingesponnen hatte, und bekennen, daß ohne eine über die mechanischen
Kräfte hinausreichende, planmäßig wirkende Kraft nicht auszukommen ist.
Mutzat, der sich mit Händen und Füßen gegen die Teleologie sträubt, der
gegen Me Teleologen polemisiert, der glaubt, die Teleologie führe unver¬
meidlich zur Sozialdemokratie. und jedes Ideal verlocke zu unpraktischer
Schwärmerei, dieser Schwärmer für reine Mechanik ist zwanzig Jahre hinter
der Zeit zurück.

Wie wunderlich, daß ein so scharfsinniger Mann eine so ungereimte
Philosophie aushecken kann! Daß Anpassung zu den Erscheinungsformen ge¬
hört, die wie Polarität. Anziehung und Abstoßung. Bewegung, Bindung und
Lösung durch das ganze körperliche und geistige Universum hindurch gehn, hat
"wu seit alten Zeiten erkannt; aber eine dieser Erscheinungsformen zum Gott
Schöpfer machen zu wollen, der alles bewirkt, das ist ein kindliches Unter¬
nehmen. Für die reine Mechanik gilt das Hertzische Gesetz ohne Zweifel, und
Mir sehen ein: wenn die Stoffmassen einerseits einander anziehn. andrerseits
das Streben haben, in der einmal angenommnen Richtung geradlinig fort¬
zufliegen, so konnte nichts andres herauskommen, als eben die Sonnensysteme
mit den elliptischen Bewegungen ihrer Planeten, und jedes solche System muß
so lange dauern, als es nicht von einem einbrechenden Systeme oder durch
ein Übergewicht der einen der beiden vorläufig im Gleichgewicht stehenden
Kräfte über die andre zerstört wird. Wir sehen zwar nicht ein, was es diesen
großen Kugeln für ein Vergnügen machen kann, wie wahnsinnig umeinander
herum zu rennen (müssen sie es tun. weil es Gott so eingerichtet hat. daß
auf einigen von ihnen Geschöpfe leben können, ists was andres), aber wenn
sie nun einmal so sind, dann hat es mit der Anpassung und der Bewegungs-


Biologische Ethik und Politik

Störungen und Zusammenstöße kommen vor, desto mehr ist die Gefahr der
Auflösung des einen oder des andern ausgeschlossen, desto dauerhafter sind
sie also, und wie Ostwald, der Begründer des Energismus. weise bemerkt:
«von den Formen der Organismen dauern die am längsten, die am dauer¬
haftesten sind." Matzat überträgt nämlich das Hcrtzische Gesetz der Mechanik
auf die Biologie und erklärt aus ihm alle Erscheinungen des organischen und
des sozialen Lebens. Er zeigt, wie durch die Einwirkung der nach Anpassung
strebenden Systeme aufeinander chemische Verbindungen und Zersetzungen,
Organe und lebendige Organismen entsteh«. Das heißt, er glaubt es gezeigt
ZU haben, es wird aber wohl den meisten denkenden Lesern so gehn wie uns:
wir vermögen das nicht zu sehen, was er gezeigt zu haben glaubt. Wer den
streng wissenschaftlichen Beweis dafür haben will, daß die Entstehung der
Organismen auf rein mechanischem Wege undenkbar ist. der lese die Abhand¬
lung: Mechanismus und Vitalismus in der modernen Biologie, die Eduard
von .Hartmann soeben im zweiten und dritten Heft des nennten Bandes des
v°n Dilthey und Zeller herausgegebnen Archivs für systematische Philosophie
veröffentlicht hat^dem Philosophen brauchte man ja nicht zu glauben, aber
den Botanikern, Zoologen und Biologen der letzten zwanzig Jahre, die er
^r Reihe nach vorführt, wird man schon glauben müssen. Sie winden sich
alle, einer nach dem andern, aus dem Netze heraus, in das sie die darwimschc
Lehre eingesponnen hatte, und bekennen, daß ohne eine über die mechanischen
Kräfte hinausreichende, planmäßig wirkende Kraft nicht auszukommen ist.
Mutzat, der sich mit Händen und Füßen gegen die Teleologie sträubt, der
gegen Me Teleologen polemisiert, der glaubt, die Teleologie führe unver¬
meidlich zur Sozialdemokratie. und jedes Ideal verlocke zu unpraktischer
Schwärmerei, dieser Schwärmer für reine Mechanik ist zwanzig Jahre hinter
der Zeit zurück.

Wie wunderlich, daß ein so scharfsinniger Mann eine so ungereimte
Philosophie aushecken kann! Daß Anpassung zu den Erscheinungsformen ge¬
hört, die wie Polarität. Anziehung und Abstoßung. Bewegung, Bindung und
Lösung durch das ganze körperliche und geistige Universum hindurch gehn, hat
"wu seit alten Zeiten erkannt; aber eine dieser Erscheinungsformen zum Gott
Schöpfer machen zu wollen, der alles bewirkt, das ist ein kindliches Unter¬
nehmen. Für die reine Mechanik gilt das Hertzische Gesetz ohne Zweifel, und
Mir sehen ein: wenn die Stoffmassen einerseits einander anziehn. andrerseits
das Streben haben, in der einmal angenommnen Richtung geradlinig fort¬
zufliegen, so konnte nichts andres herauskommen, als eben die Sonnensysteme
mit den elliptischen Bewegungen ihrer Planeten, und jedes solche System muß
so lange dauern, als es nicht von einem einbrechenden Systeme oder durch
ein Übergewicht der einen der beiden vorläufig im Gleichgewicht stehenden
Kräfte über die andre zerstört wird. Wir sehen zwar nicht ein, was es diesen
großen Kugeln für ein Vergnügen machen kann, wie wahnsinnig umeinander
herum zu rennen (müssen sie es tun. weil es Gott so eingerichtet hat. daß
auf einigen von ihnen Geschöpfe leben können, ists was andres), aber wenn
sie nun einmal so sind, dann hat es mit der Anpassung und der Bewegungs-


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[0843] Biologische Ethik und Politik Störungen und Zusammenstöße kommen vor, desto mehr ist die Gefahr der Auflösung des einen oder des andern ausgeschlossen, desto dauerhafter sind sie also, und wie Ostwald, der Begründer des Energismus. weise bemerkt: «von den Formen der Organismen dauern die am längsten, die am dauer¬ haftesten sind." Matzat überträgt nämlich das Hcrtzische Gesetz der Mechanik auf die Biologie und erklärt aus ihm alle Erscheinungen des organischen und des sozialen Lebens. Er zeigt, wie durch die Einwirkung der nach Anpassung strebenden Systeme aufeinander chemische Verbindungen und Zersetzungen, Organe und lebendige Organismen entsteh«. Das heißt, er glaubt es gezeigt ZU haben, es wird aber wohl den meisten denkenden Lesern so gehn wie uns: wir vermögen das nicht zu sehen, was er gezeigt zu haben glaubt. Wer den streng wissenschaftlichen Beweis dafür haben will, daß die Entstehung der Organismen auf rein mechanischem Wege undenkbar ist. der lese die Abhand¬ lung: Mechanismus und Vitalismus in der modernen Biologie, die Eduard von .Hartmann soeben im zweiten und dritten Heft des nennten Bandes des v°n Dilthey und Zeller herausgegebnen Archivs für systematische Philosophie veröffentlicht hat^dem Philosophen brauchte man ja nicht zu glauben, aber den Botanikern, Zoologen und Biologen der letzten zwanzig Jahre, die er ^r Reihe nach vorführt, wird man schon glauben müssen. Sie winden sich alle, einer nach dem andern, aus dem Netze heraus, in das sie die darwimschc Lehre eingesponnen hatte, und bekennen, daß ohne eine über die mechanischen Kräfte hinausreichende, planmäßig wirkende Kraft nicht auszukommen ist. Mutzat, der sich mit Händen und Füßen gegen die Teleologie sträubt, der gegen Me Teleologen polemisiert, der glaubt, die Teleologie führe unver¬ meidlich zur Sozialdemokratie. und jedes Ideal verlocke zu unpraktischer Schwärmerei, dieser Schwärmer für reine Mechanik ist zwanzig Jahre hinter der Zeit zurück. Wie wunderlich, daß ein so scharfsinniger Mann eine so ungereimte Philosophie aushecken kann! Daß Anpassung zu den Erscheinungsformen ge¬ hört, die wie Polarität. Anziehung und Abstoßung. Bewegung, Bindung und Lösung durch das ganze körperliche und geistige Universum hindurch gehn, hat "wu seit alten Zeiten erkannt; aber eine dieser Erscheinungsformen zum Gott Schöpfer machen zu wollen, der alles bewirkt, das ist ein kindliches Unter¬ nehmen. Für die reine Mechanik gilt das Hertzische Gesetz ohne Zweifel, und Mir sehen ein: wenn die Stoffmassen einerseits einander anziehn. andrerseits das Streben haben, in der einmal angenommnen Richtung geradlinig fort¬ zufliegen, so konnte nichts andres herauskommen, als eben die Sonnensysteme mit den elliptischen Bewegungen ihrer Planeten, und jedes solche System muß so lange dauern, als es nicht von einem einbrechenden Systeme oder durch ein Übergewicht der einen der beiden vorläufig im Gleichgewicht stehenden Kräfte über die andre zerstört wird. Wir sehen zwar nicht ein, was es diesen großen Kugeln für ein Vergnügen machen kann, wie wahnsinnig umeinander herum zu rennen (müssen sie es tun. weil es Gott so eingerichtet hat. daß auf einigen von ihnen Geschöpfe leben können, ists was andres), aber wenn sie nun einmal so sind, dann hat es mit der Anpassung und der Bewegungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/843>, abgerufen am 22.07.2024.