bisher, so werden bald die bürgerlichen Klassen in der Notwendigkeit sein, Gleichberechtigung mit den Arbeitern zu verlangen, von deren Massen sie mit dem allgemeinen Stimmrecht erwürgt werden, wahrend zugleich alle neuern sozialpolitischen Schöpfungen so geartet sind, daß sie sich nur als Werkzeuge der Sozialdemokratie in deren Dienste erweisen. Wir sind seit 1890 von den, einen Extrem in das andre geraten, von dem Aufhören des Sozialistengesetzes zu einer'weitgehenden Indulgenz. Nicht ohne Mitschuld darau ist die agrarische Bewegung mit ihren maßlosen Übertreibungen und mit dem Terrorismus, den auch sie ausgeübt hat. Sie hat der sozialdemokratischen Agitation unerschöpf¬ liches Material zugeführt und zugleich die Konservativen in Preußen in einen Gegensatz zur Krone gebracht, der diese veranlaßte, den Schwerpunkt weiter uach links zu legen. Nicht umsonst hat Bebel eben an die Dienste erinnert, die die Sozialdemokratie zu der Zeit der Caprivischen Handels¬ verträge geleistet hat. Heute neigt sie freilich einer entgegengesetzten Rolle ^u. Für die preußischen Konservativen liegt hierin ein deutlicher Fingerzeig. Sie sind durch Agraroppositiou und durch Kanalfroude in ein schiefes Verhältnis zur Krone gernteu. ein Umstand, der unsre ganze innerpolitische Lage unvorteil¬ haft beeinflußt, auch wohl die Regierungsaktion in mancher Hinsicht gelähmt hat. Hoffentlich bringen die neuen Legislaturperioden des Reichs und Preußens das Reichsschiff wie das preußische Staatsschiff in ein besseres Fahrwasser.
Durch das stürmische Vordrängen Bebels hat die erste Lesung des Etats und der damit verbundnen Fiucmzvorlage einen wesentlich andern Verlauf ge¬ nommen, als es sonst vielleicht der Fall gewesen wäre. Diese erste Lesung wird in der Regel allgemein als das geöffnete Ventil angesehen, durch das die Dämpfe, die sich in der parlamentlosen Zeit angesammelt haben, in das Freie gelassen werden. Bei einiger Aufmerksamkeit für das, was im Lande Jgeln, und an solcher fehlt es doch wohl nicht, ist es darum auch für die Regierung nicht schwer, sich auf diese erste Lesung vorzubereiten. Diesesmal hat sie allerdings den Charakter eines Redckampfes zwischen dem Reichskanzler und dem Wortführer der Sozialdemokraten angenommen, der den Wahlerfolg eskomptieren zu müssen glaubte. Hinter die Bedeutung dieses Kampfes sind alle Etats- und Finanzsorgen weit zurückgetreten. Als politisch kluger Partei¬ führer hat Bebel sich dabei nicht erwiesen. Er hat den Reichskanzler ge¬ zwungen, der Sozialdemokratie gegenüber in bestimmtester Weise Stellung zu nehmen und durch einen siegreichen Gegenstoß das Gefcchtsfeld in eine der Regierung erwünschtere Richtung zu verlegen. Die Rede des Grafen Bülow bon 10. dieses Monats hat weithin durch das Land geballt, sie hat den Charakter nicht nur eines "erlösenden Wortes." wie vielfach zu lesen und zu hören war, sondern den Charakter eines Ereignisses gewonnen. Von den verschiedensten Seiten war deshalb der Wunsch laut geworden, daß ihr die weiteste Verbreitung in Deutschland gegeben werden möchte. Sicherlich Ware das von großem Nutzen und würde manchem den Kompaß richtig stellen. Den Maueranschlag ministerieller Reden, wie er in Frankreich üblich ist. haben wir in Deutschland nicht. Der Mann aus dem Volke ist bei uns in der Regel auch viel zu fleißig und zu arbeitsam, als daß er. zumal in diesen kurzen un¬ freundlichen Wintertagen, sich eine halbe Stunde und länger vor das Ge-
bisher, so werden bald die bürgerlichen Klassen in der Notwendigkeit sein, Gleichberechtigung mit den Arbeitern zu verlangen, von deren Massen sie mit dem allgemeinen Stimmrecht erwürgt werden, wahrend zugleich alle neuern sozialpolitischen Schöpfungen so geartet sind, daß sie sich nur als Werkzeuge der Sozialdemokratie in deren Dienste erweisen. Wir sind seit 1890 von den, einen Extrem in das andre geraten, von dem Aufhören des Sozialistengesetzes zu einer'weitgehenden Indulgenz. Nicht ohne Mitschuld darau ist die agrarische Bewegung mit ihren maßlosen Übertreibungen und mit dem Terrorismus, den auch sie ausgeübt hat. Sie hat der sozialdemokratischen Agitation unerschöpf¬ liches Material zugeführt und zugleich die Konservativen in Preußen in einen Gegensatz zur Krone gebracht, der diese veranlaßte, den Schwerpunkt weiter uach links zu legen. Nicht umsonst hat Bebel eben an die Dienste erinnert, die die Sozialdemokratie zu der Zeit der Caprivischen Handels¬ verträge geleistet hat. Heute neigt sie freilich einer entgegengesetzten Rolle ^u. Für die preußischen Konservativen liegt hierin ein deutlicher Fingerzeig. Sie sind durch Agraroppositiou und durch Kanalfroude in ein schiefes Verhältnis zur Krone gernteu. ein Umstand, der unsre ganze innerpolitische Lage unvorteil¬ haft beeinflußt, auch wohl die Regierungsaktion in mancher Hinsicht gelähmt hat. Hoffentlich bringen die neuen Legislaturperioden des Reichs und Preußens das Reichsschiff wie das preußische Staatsschiff in ein besseres Fahrwasser.
Durch das stürmische Vordrängen Bebels hat die erste Lesung des Etats und der damit verbundnen Fiucmzvorlage einen wesentlich andern Verlauf ge¬ nommen, als es sonst vielleicht der Fall gewesen wäre. Diese erste Lesung wird in der Regel allgemein als das geöffnete Ventil angesehen, durch das die Dämpfe, die sich in der parlamentlosen Zeit angesammelt haben, in das Freie gelassen werden. Bei einiger Aufmerksamkeit für das, was im Lande Jgeln, und an solcher fehlt es doch wohl nicht, ist es darum auch für die Regierung nicht schwer, sich auf diese erste Lesung vorzubereiten. Diesesmal hat sie allerdings den Charakter eines Redckampfes zwischen dem Reichskanzler und dem Wortführer der Sozialdemokraten angenommen, der den Wahlerfolg eskomptieren zu müssen glaubte. Hinter die Bedeutung dieses Kampfes sind alle Etats- und Finanzsorgen weit zurückgetreten. Als politisch kluger Partei¬ führer hat Bebel sich dabei nicht erwiesen. Er hat den Reichskanzler ge¬ zwungen, der Sozialdemokratie gegenüber in bestimmtester Weise Stellung zu nehmen und durch einen siegreichen Gegenstoß das Gefcchtsfeld in eine der Regierung erwünschtere Richtung zu verlegen. Die Rede des Grafen Bülow bon 10. dieses Monats hat weithin durch das Land geballt, sie hat den Charakter nicht nur eines „erlösenden Wortes." wie vielfach zu lesen und zu hören war, sondern den Charakter eines Ereignisses gewonnen. Von den verschiedensten Seiten war deshalb der Wunsch laut geworden, daß ihr die weiteste Verbreitung in Deutschland gegeben werden möchte. Sicherlich Ware das von großem Nutzen und würde manchem den Kompaß richtig stellen. Den Maueranschlag ministerieller Reden, wie er in Frankreich üblich ist. haben wir in Deutschland nicht. Der Mann aus dem Volke ist bei uns in der Regel auch viel zu fleißig und zu arbeitsam, als daß er. zumal in diesen kurzen un¬ freundlichen Wintertagen, sich eine halbe Stunde und länger vor das Ge-
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bisher, so werden bald die bürgerlichen Klassen in der Notwendigkeit sein,
Gleichberechtigung mit den Arbeitern zu verlangen, von deren Massen sie mit
dem allgemeinen Stimmrecht erwürgt werden, wahrend zugleich alle neuern
sozialpolitischen Schöpfungen so geartet sind, daß sie sich nur als Werkzeuge
der Sozialdemokratie in deren Dienste erweisen. Wir sind seit 1890 von den,
einen Extrem in das andre geraten, von dem Aufhören des Sozialistengesetzes
zu einer'weitgehenden Indulgenz. Nicht ohne Mitschuld darau ist die agrarische
Bewegung mit ihren maßlosen Übertreibungen und mit dem Terrorismus, den
auch sie ausgeübt hat. Sie hat der sozialdemokratischen Agitation unerschöpf¬
liches Material zugeführt und zugleich die Konservativen in Preußen in
einen Gegensatz zur Krone gebracht, der diese veranlaßte, den Schwerpunkt
weiter uach links zu legen. Nicht umsonst hat Bebel eben an die Dienste
erinnert, die die Sozialdemokratie zu der Zeit der Caprivischen Handels¬
verträge geleistet hat. Heute neigt sie freilich einer entgegengesetzten Rolle ^u.
Für die preußischen Konservativen liegt hierin ein deutlicher Fingerzeig. Sie
sind durch Agraroppositiou und durch Kanalfroude in ein schiefes Verhältnis
zur Krone gernteu. ein Umstand, der unsre ganze innerpolitische Lage unvorteil¬
haft beeinflußt, auch wohl die Regierungsaktion in mancher Hinsicht gelähmt hat.
Hoffentlich bringen die neuen Legislaturperioden des Reichs und Preußens das
Reichsschiff wie das preußische Staatsschiff in ein besseres Fahrwasser.
Durch das stürmische Vordrängen Bebels hat die erste Lesung des Etats
und der damit verbundnen Fiucmzvorlage einen wesentlich andern Verlauf ge¬
nommen, als es sonst vielleicht der Fall gewesen wäre. Diese erste Lesung
wird in der Regel allgemein als das geöffnete Ventil angesehen, durch das
die Dämpfe, die sich in der parlamentlosen Zeit angesammelt haben, in das
Freie gelassen werden. Bei einiger Aufmerksamkeit für das, was im Lande
Jgeln, und an solcher fehlt es doch wohl nicht, ist es darum auch für die
Regierung nicht schwer, sich auf diese erste Lesung vorzubereiten. Diesesmal
hat sie allerdings den Charakter eines Redckampfes zwischen dem Reichskanzler
und dem Wortführer der Sozialdemokraten angenommen, der den Wahlerfolg
eskomptieren zu müssen glaubte. Hinter die Bedeutung dieses Kampfes sind
alle Etats- und Finanzsorgen weit zurückgetreten. Als politisch kluger Partei¬
führer hat Bebel sich dabei nicht erwiesen. Er hat den Reichskanzler ge¬
zwungen, der Sozialdemokratie gegenüber in bestimmtester Weise Stellung zu
nehmen und durch einen siegreichen Gegenstoß das Gefcchtsfeld in eine der
Regierung erwünschtere Richtung zu verlegen. Die Rede des Grafen Bülow
bon 10. dieses Monats hat weithin durch das Land geballt, sie hat den
Charakter nicht nur eines „erlösenden Wortes." wie vielfach zu lesen und zu
hören war, sondern den Charakter eines Ereignisses gewonnen. Von den
verschiedensten Seiten war deshalb der Wunsch laut geworden, daß ihr die
weiteste Verbreitung in Deutschland gegeben werden möchte. Sicherlich Ware
das von großem Nutzen und würde manchem den Kompaß richtig stellen. Den
Maueranschlag ministerieller Reden, wie er in Frankreich üblich ist. haben wir
in Deutschland nicht. Der Mann aus dem Volke ist bei uns in der Regel
auch viel zu fleißig und zu arbeitsam, als daß er. zumal in diesen kurzen un¬
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/835>, abgerufen am 22.07.2024.
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