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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Luther vor dem luynisitor Ksorvtloas xmvitutis

liehen Gebiete, bei den Romane", jetzt eben den moralischen und den intellektuellen
Bankerott erlebt? Italien und Frankreich haben atheistische Volksvertretungen
und Regierungen. was in Frankreich um so mehr zu bedeuten hat, als Ne¬
gierung und Kammer Produkte des allgemeinen Wahlrechts sind, und der
Antiklerikalismus in demselben Maße gewachsen ist wie die Zahl der Mönche
und der Nonnen! Und sind denn die politischen, volkswirtschaftlichen und sitt¬
lichen Zustände der katholischen Länder, z, B. Galiziens, so gar einladend?
Welche Unklugheit es war, bei der gegenwärtigen Lage der katholischen Kirche
in der Heimat der Reformation, wo die Katholiken in der Minderheit sind,
jenen Ruf zu erheben, die katholische Kirche als die alleinseligmachende zu
proklamieren und den protestantischen Religionsgemeinschaften die Würde von
Kirchen abzusprechen, das werden wohl die deutschen Katholikenführer dem
römischen Pater schon gesagt haben; den Rezensionen des Buches in der
Kölnischen Volkszeitung und in der Germania sieht man die Verlegenheit
deutlich an, in die sie der fanatische Dominikaner versetzt hat.

Zu den Hindernissen, die einer Verständigung der Konfessionen im Wege
stehn, gehört die Pietät. Das Volk ist gegen nichts empfindlicher als gegen
eine kritische Beleuchtung seiner Helden und seiner Heiligen, und auf beiden
Seiten wird man in diesem Punkte vorsichtig sein und Nachsicht üben müssen.
Aber die wissenschaftlich Gebildeten dürfen nicht empfindlich sein wollen. Die
katholischen müssen anerkennen, daß die meisten ihrer sogenannten Heiligen nicht
viel, eine große Anzahl ihrer Hierarchen und Klosterleute gar nichts wert, und
viele ihrer Päpste, Kirchenfürsten und Mönche nichtswürdig gewesen sind. Die
Protestanten aber dürfen wenigstens den wissenschaftlich Gebildeten nicht mehr
mit einem schön frisierten und geschminkten Luther kommen. Ein verkommener
Mensch, wie ihn Denifle nennt, ist er natürlich nicht gewesen; daß ein solcher
nicht so Großes Hütte leisten können, sieht der des Wirklichkeitssinns bare
Stubeugelehrte nicht ein. Verehrungswürdig bleibt er auf alle Fülle, und
seine Gemütstiefe und Gemütlichkeit lassen ihn mitunter liebenswürdig erscheinen.
Aber für das heutige Familienzimmer, für den Salon und für die Kirche
etwa als Altarschinuck -- läßt er sich nun einmal nicht zurechtstutzen. Er ist
dämonischer Mensch und ein ungeschlachter Riese -- ein Gelehrter, em
sanftmütiger Heiliger, ein korrekter und respektabler Gentleman hätte das seit
einem Jahrtausend Deutschland umwnchernde Schlinggewächs nicht zerreißen
und den Augiasstall nicht ausräumen können.

Die scharfe .Kritik zu prüfen, der Deuifle die angesehensten protestantischen
Theologe.,, besonders darnach unterwirft, bin ich als Nichtfachmann Nicht be¬
rufe n. I. n,




Luther vor dem luynisitor Ksorvtloas xmvitutis

liehen Gebiete, bei den Romane», jetzt eben den moralischen und den intellektuellen
Bankerott erlebt? Italien und Frankreich haben atheistische Volksvertretungen
und Regierungen. was in Frankreich um so mehr zu bedeuten hat, als Ne¬
gierung und Kammer Produkte des allgemeinen Wahlrechts sind, und der
Antiklerikalismus in demselben Maße gewachsen ist wie die Zahl der Mönche
und der Nonnen! Und sind denn die politischen, volkswirtschaftlichen und sitt¬
lichen Zustände der katholischen Länder, z, B. Galiziens, so gar einladend?
Welche Unklugheit es war, bei der gegenwärtigen Lage der katholischen Kirche
in der Heimat der Reformation, wo die Katholiken in der Minderheit sind,
jenen Ruf zu erheben, die katholische Kirche als die alleinseligmachende zu
proklamieren und den protestantischen Religionsgemeinschaften die Würde von
Kirchen abzusprechen, das werden wohl die deutschen Katholikenführer dem
römischen Pater schon gesagt haben; den Rezensionen des Buches in der
Kölnischen Volkszeitung und in der Germania sieht man die Verlegenheit
deutlich an, in die sie der fanatische Dominikaner versetzt hat.

Zu den Hindernissen, die einer Verständigung der Konfessionen im Wege
stehn, gehört die Pietät. Das Volk ist gegen nichts empfindlicher als gegen
eine kritische Beleuchtung seiner Helden und seiner Heiligen, und auf beiden
Seiten wird man in diesem Punkte vorsichtig sein und Nachsicht üben müssen.
Aber die wissenschaftlich Gebildeten dürfen nicht empfindlich sein wollen. Die
katholischen müssen anerkennen, daß die meisten ihrer sogenannten Heiligen nicht
viel, eine große Anzahl ihrer Hierarchen und Klosterleute gar nichts wert, und
viele ihrer Päpste, Kirchenfürsten und Mönche nichtswürdig gewesen sind. Die
Protestanten aber dürfen wenigstens den wissenschaftlich Gebildeten nicht mehr
mit einem schön frisierten und geschminkten Luther kommen. Ein verkommener
Mensch, wie ihn Denifle nennt, ist er natürlich nicht gewesen; daß ein solcher
nicht so Großes Hütte leisten können, sieht der des Wirklichkeitssinns bare
Stubeugelehrte nicht ein. Verehrungswürdig bleibt er auf alle Fülle, und
seine Gemütstiefe und Gemütlichkeit lassen ihn mitunter liebenswürdig erscheinen.
Aber für das heutige Familienzimmer, für den Salon und für die Kirche
etwa als Altarschinuck — läßt er sich nun einmal nicht zurechtstutzen. Er ist
dämonischer Mensch und ein ungeschlachter Riese — ein Gelehrter, em
sanftmütiger Heiliger, ein korrekter und respektabler Gentleman hätte das seit
einem Jahrtausend Deutschland umwnchernde Schlinggewächs nicht zerreißen
und den Augiasstall nicht ausräumen können.

Die scharfe .Kritik zu prüfen, der Deuifle die angesehensten protestantischen
Theologe.,, besonders darnach unterwirft, bin ich als Nichtfachmann Nicht be¬
rufe n. I. n,




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/779>, abgerufen am 22.07.2024.