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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

ihr Geld zusammenhalten. Der Meister hatte währenddessen still in seinen Kissen
gelegen und sich scheinbar nicht um die Sache bekümmert. Dennoch hatte er sein
Auge darauf gehabt und bemerkt, wie seine Eva ein seidnes Tüchlein begehrlich in
die Hand genommen, es sanft, als täte ihm das Wohl, gestreichelt, darauf es zurück¬
gelegt und es nachher wieder aufgenommen, endlich aber, indem sie es unter andern
Dingen vergrub, vor sich selber in Sicherheit gebracht hatte. Jetzt wo sich der Handel
zerschlagen hatte, rief er die Krämerin mit ihrem Kasten an sein Bett, suchte das
Tuch wieder hervor und legte es seinem Weibe mit einem stillen Lächeln um den Hals.
Darauf handelte er auch für jedes der Kiuder eine Kleinigkeit ein, vielleicht um die
Aufmerksamkeit von dem, was sich zwischen ihm und seinem Weibe abgespielt hatte,
abzulenken. Unter dem Jubel, der nun das Zimmer erfüllte, ging die Meisterin
hinaus und verblieb da, bis ihre Augen wieder hell geworden Ware".

Ruhig floß nun mein Leben hin. Ich lebte uuter nrmeu Leuten, die keine
Zeit für große Dinge hatten, sondern froh waren, wenn sie ihr tägliches Brot
von einem Tag zum andern gewannen. Ich teilte Freude und Leid mit ihnen
und ging dennoch als eine fremde Gestalt zwischen ihnen her. Ich kleidete mich wie
sie und war im Äußern bald nicht mehr von ihnen zu unterscheiden, und dennoch lag
etwas zwischen uns, was es mir unmöglich machte, unter ihnen nufzugehn und mich
unter ihnen zu verlieren. Nicht einmal über den Unterschied der Sprache konnte ich
wegkommen. Ich verstand sie ja bald recht gut, war aber nicht imstande, in ihrer Art
zu reden. Anfänglich hatte ich das wohl versucht und ihnen also die eine oder die andre
Wendung abgelauscht. Als ich aber das Fremde in meine Redeweise hineinflicken
wollte, glaubte ich zu sehen, daß man über mich lächelte, und so ließ ich es fortan
sein. Die Zeit war vorüber, wo ich Freude daran hatte, mich mit unechtem Flimmer
zu behängen. Manches Falsche mußte ich notgedrungen mit mir herumschleppen,
ja meine Person, das, was ich vorgab zu sein, war eine grobe Fälschung. Daran
läßt sich nichts ändern, aber es sollte auch daran genug sein, und unnötigerweise
wollte ich nichts Falsches mehr hinzutun. Es lag mir überhaupt nicht daran, ein
unechter Alpler zu werden, wie deren in jedem Sommer viele in den Bergen herum-
liefen, sondern unter der Larve, mit der ich notwendigerweise mein wahres Wesen
bedecken mußte, wollte ich mich zu einem Menschen aufwachsen und ein Mann
werden. So blieb ich ihnen also im innersten Wesen fremd, weil ich sie nicht noch
mehr, als es ohnehin geschehn mußte, belügen wollte. Sehnsüchtig habe ich dennoch
nach ihnen die Hände ausgestreckt, und ach, was hätte ich darum gegeben, hätte
ich zu ihnen aus freiem Herzen heraus sprechen dürfen. Aber ich war einsam ge¬
worden, und einsam mußte ich bleiben, auch wenn ich uuter ihnen lebte. So hatte
ich es gewollt, und so wollte ich es noch immer.

Unser Häuschen lag auf eiuer erhöhten Wiesenplatte, und man mußte, um zu
ihm zu gelangen, in das Bett des Baches hinabsteigen, dann über ein hölzernes
Brückchen, das fast in jedem Jahre zerstört wurde, hingehn und an einem Hügel
steil hinaufsteigen. Stand man dann vor dem Hanse, so hatte man das ganze Tal
vor sich, man sah hinüber auf eine dunkle Bergwand und nach der andern Seite
auf sanft gewellte Hügel, auf die blaue Linie entlegner Höhenzüge und auf den
leuchtenden Schneeberg. Die Straße, auf der sich der Verkehr bewegte und der
Zusammenhang mit der übrigen Welt bewahrt wurde, lief auf der andern Seite
des Tals, und mau hörte nichts davon, sah vielmehr die Menschen und die Wagen
wie Schatten still und leise vorüberziehn. Man hörte selten eine Stimme herüber¬
tönen, aber sanftes Herdengeläute zog an jedem Morgen und Abend an unserm
Hanse vorüber. Ein Schwnlbenpärchen nistete auch an unserm Dache; und ein
Rotschwänzchen saß zuweilen vor meinem Fenster, während ich dahintersaß und
das Sonnenlicht von einem Berg zum andern wandern sah. Oft, wenn ich
über meine Arbeit gebeugt auf meinem Platze saß, mußte ich mich fragen: Bin
ich es, der so friedlich im Sonnenschein sitzt, oder ists ein andrer? Dann
trat wohl die Meisterin zu mir herein und fragte, wie es mit der Arbeit
stünde. Und sie sagte denn wohl auch: Die Leute haben mir grausam zugesetzt.


Zwei Seelen

ihr Geld zusammenhalten. Der Meister hatte währenddessen still in seinen Kissen
gelegen und sich scheinbar nicht um die Sache bekümmert. Dennoch hatte er sein
Auge darauf gehabt und bemerkt, wie seine Eva ein seidnes Tüchlein begehrlich in
die Hand genommen, es sanft, als täte ihm das Wohl, gestreichelt, darauf es zurück¬
gelegt und es nachher wieder aufgenommen, endlich aber, indem sie es unter andern
Dingen vergrub, vor sich selber in Sicherheit gebracht hatte. Jetzt wo sich der Handel
zerschlagen hatte, rief er die Krämerin mit ihrem Kasten an sein Bett, suchte das
Tuch wieder hervor und legte es seinem Weibe mit einem stillen Lächeln um den Hals.
Darauf handelte er auch für jedes der Kiuder eine Kleinigkeit ein, vielleicht um die
Aufmerksamkeit von dem, was sich zwischen ihm und seinem Weibe abgespielt hatte,
abzulenken. Unter dem Jubel, der nun das Zimmer erfüllte, ging die Meisterin
hinaus und verblieb da, bis ihre Augen wieder hell geworden Ware».

Ruhig floß nun mein Leben hin. Ich lebte uuter nrmeu Leuten, die keine
Zeit für große Dinge hatten, sondern froh waren, wenn sie ihr tägliches Brot
von einem Tag zum andern gewannen. Ich teilte Freude und Leid mit ihnen
und ging dennoch als eine fremde Gestalt zwischen ihnen her. Ich kleidete mich wie
sie und war im Äußern bald nicht mehr von ihnen zu unterscheiden, und dennoch lag
etwas zwischen uns, was es mir unmöglich machte, unter ihnen nufzugehn und mich
unter ihnen zu verlieren. Nicht einmal über den Unterschied der Sprache konnte ich
wegkommen. Ich verstand sie ja bald recht gut, war aber nicht imstande, in ihrer Art
zu reden. Anfänglich hatte ich das wohl versucht und ihnen also die eine oder die andre
Wendung abgelauscht. Als ich aber das Fremde in meine Redeweise hineinflicken
wollte, glaubte ich zu sehen, daß man über mich lächelte, und so ließ ich es fortan
sein. Die Zeit war vorüber, wo ich Freude daran hatte, mich mit unechtem Flimmer
zu behängen. Manches Falsche mußte ich notgedrungen mit mir herumschleppen,
ja meine Person, das, was ich vorgab zu sein, war eine grobe Fälschung. Daran
läßt sich nichts ändern, aber es sollte auch daran genug sein, und unnötigerweise
wollte ich nichts Falsches mehr hinzutun. Es lag mir überhaupt nicht daran, ein
unechter Alpler zu werden, wie deren in jedem Sommer viele in den Bergen herum-
liefen, sondern unter der Larve, mit der ich notwendigerweise mein wahres Wesen
bedecken mußte, wollte ich mich zu einem Menschen aufwachsen und ein Mann
werden. So blieb ich ihnen also im innersten Wesen fremd, weil ich sie nicht noch
mehr, als es ohnehin geschehn mußte, belügen wollte. Sehnsüchtig habe ich dennoch
nach ihnen die Hände ausgestreckt, und ach, was hätte ich darum gegeben, hätte
ich zu ihnen aus freiem Herzen heraus sprechen dürfen. Aber ich war einsam ge¬
worden, und einsam mußte ich bleiben, auch wenn ich uuter ihnen lebte. So hatte
ich es gewollt, und so wollte ich es noch immer.

Unser Häuschen lag auf eiuer erhöhten Wiesenplatte, und man mußte, um zu
ihm zu gelangen, in das Bett des Baches hinabsteigen, dann über ein hölzernes
Brückchen, das fast in jedem Jahre zerstört wurde, hingehn und an einem Hügel
steil hinaufsteigen. Stand man dann vor dem Hanse, so hatte man das ganze Tal
vor sich, man sah hinüber auf eine dunkle Bergwand und nach der andern Seite
auf sanft gewellte Hügel, auf die blaue Linie entlegner Höhenzüge und auf den
leuchtenden Schneeberg. Die Straße, auf der sich der Verkehr bewegte und der
Zusammenhang mit der übrigen Welt bewahrt wurde, lief auf der andern Seite
des Tals, und mau hörte nichts davon, sah vielmehr die Menschen und die Wagen
wie Schatten still und leise vorüberziehn. Man hörte selten eine Stimme herüber¬
tönen, aber sanftes Herdengeläute zog an jedem Morgen und Abend an unserm
Hanse vorüber. Ein Schwnlbenpärchen nistete auch an unserm Dache; und ein
Rotschwänzchen saß zuweilen vor meinem Fenster, während ich dahintersaß und
das Sonnenlicht von einem Berg zum andern wandern sah. Oft, wenn ich
über meine Arbeit gebeugt auf meinem Platze saß, mußte ich mich fragen: Bin
ich es, der so friedlich im Sonnenschein sitzt, oder ists ein andrer? Dann
trat wohl die Meisterin zu mir herein und fragte, wie es mit der Arbeit
stünde. Und sie sagte denn wohl auch: Die Leute haben mir grausam zugesetzt.


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[0738] Zwei Seelen ihr Geld zusammenhalten. Der Meister hatte währenddessen still in seinen Kissen gelegen und sich scheinbar nicht um die Sache bekümmert. Dennoch hatte er sein Auge darauf gehabt und bemerkt, wie seine Eva ein seidnes Tüchlein begehrlich in die Hand genommen, es sanft, als täte ihm das Wohl, gestreichelt, darauf es zurück¬ gelegt und es nachher wieder aufgenommen, endlich aber, indem sie es unter andern Dingen vergrub, vor sich selber in Sicherheit gebracht hatte. Jetzt wo sich der Handel zerschlagen hatte, rief er die Krämerin mit ihrem Kasten an sein Bett, suchte das Tuch wieder hervor und legte es seinem Weibe mit einem stillen Lächeln um den Hals. Darauf handelte er auch für jedes der Kiuder eine Kleinigkeit ein, vielleicht um die Aufmerksamkeit von dem, was sich zwischen ihm und seinem Weibe abgespielt hatte, abzulenken. Unter dem Jubel, der nun das Zimmer erfüllte, ging die Meisterin hinaus und verblieb da, bis ihre Augen wieder hell geworden Ware». Ruhig floß nun mein Leben hin. Ich lebte uuter nrmeu Leuten, die keine Zeit für große Dinge hatten, sondern froh waren, wenn sie ihr tägliches Brot von einem Tag zum andern gewannen. Ich teilte Freude und Leid mit ihnen und ging dennoch als eine fremde Gestalt zwischen ihnen her. Ich kleidete mich wie sie und war im Äußern bald nicht mehr von ihnen zu unterscheiden, und dennoch lag etwas zwischen uns, was es mir unmöglich machte, unter ihnen nufzugehn und mich unter ihnen zu verlieren. Nicht einmal über den Unterschied der Sprache konnte ich wegkommen. Ich verstand sie ja bald recht gut, war aber nicht imstande, in ihrer Art zu reden. Anfänglich hatte ich das wohl versucht und ihnen also die eine oder die andre Wendung abgelauscht. Als ich aber das Fremde in meine Redeweise hineinflicken wollte, glaubte ich zu sehen, daß man über mich lächelte, und so ließ ich es fortan sein. Die Zeit war vorüber, wo ich Freude daran hatte, mich mit unechtem Flimmer zu behängen. Manches Falsche mußte ich notgedrungen mit mir herumschleppen, ja meine Person, das, was ich vorgab zu sein, war eine grobe Fälschung. Daran läßt sich nichts ändern, aber es sollte auch daran genug sein, und unnötigerweise wollte ich nichts Falsches mehr hinzutun. Es lag mir überhaupt nicht daran, ein unechter Alpler zu werden, wie deren in jedem Sommer viele in den Bergen herum- liefen, sondern unter der Larve, mit der ich notwendigerweise mein wahres Wesen bedecken mußte, wollte ich mich zu einem Menschen aufwachsen und ein Mann werden. So blieb ich ihnen also im innersten Wesen fremd, weil ich sie nicht noch mehr, als es ohnehin geschehn mußte, belügen wollte. Sehnsüchtig habe ich dennoch nach ihnen die Hände ausgestreckt, und ach, was hätte ich darum gegeben, hätte ich zu ihnen aus freiem Herzen heraus sprechen dürfen. Aber ich war einsam ge¬ worden, und einsam mußte ich bleiben, auch wenn ich uuter ihnen lebte. So hatte ich es gewollt, und so wollte ich es noch immer. Unser Häuschen lag auf eiuer erhöhten Wiesenplatte, und man mußte, um zu ihm zu gelangen, in das Bett des Baches hinabsteigen, dann über ein hölzernes Brückchen, das fast in jedem Jahre zerstört wurde, hingehn und an einem Hügel steil hinaufsteigen. Stand man dann vor dem Hanse, so hatte man das ganze Tal vor sich, man sah hinüber auf eine dunkle Bergwand und nach der andern Seite auf sanft gewellte Hügel, auf die blaue Linie entlegner Höhenzüge und auf den leuchtenden Schneeberg. Die Straße, auf der sich der Verkehr bewegte und der Zusammenhang mit der übrigen Welt bewahrt wurde, lief auf der andern Seite des Tals, und mau hörte nichts davon, sah vielmehr die Menschen und die Wagen wie Schatten still und leise vorüberziehn. Man hörte selten eine Stimme herüber¬ tönen, aber sanftes Herdengeläute zog an jedem Morgen und Abend an unserm Hanse vorüber. Ein Schwnlbenpärchen nistete auch an unserm Dache; und ein Rotschwänzchen saß zuweilen vor meinem Fenster, während ich dahintersaß und das Sonnenlicht von einem Berg zum andern wandern sah. Oft, wenn ich über meine Arbeit gebeugt auf meinem Platze saß, mußte ich mich fragen: Bin ich es, der so friedlich im Sonnenschein sitzt, oder ists ein andrer? Dann trat wohl die Meisterin zu mir herein und fragte, wie es mit der Arbeit stünde. Und sie sagte denn wohl auch: Die Leute haben mir grausam zugesetzt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/738>, abgerufen am 24.08.2024.