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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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dabei in Bier und Schnaps ein großes Geschäft zu machen. Später mußte sich
dieser gnomenhafte Rummel als nicht lenksam genug erwiese" haben. Denn auch in
den politischen Versammlungen war seine Rolle bald ausgespielt. Nur in der freien
Gemeinde galt er noch als Führer. Er geriet in Vermögeusverfall und verschwand
bald von der Bildfläche.

Die Bürgerwehr wählte ihre Offiziere natürlich selbst. Sie hatte sich auch
selbst uniformiert, d. h. die Bürgerwehrmänner trugen schwarze Mühen mit blauem
Rande. Die Offiziere trugen sämtlich einen schwarzen einreihigen Rock mit einem
blauen Stehkragen. Dazu die Bürgerwehrmütze und eine Art Schärpe von weißer
Leinwand. Wenn die Leute, was freilich zuweilen vorkam, nicht gerade ihre bunten
oder schmutzig gewordnen Svmmerhosen zu dieser Uniform anzogen, so sah das
Kostüm wenigstens anständig und solid aus. Aus den Primanern und Sekundanern
des Gymnasiums wurde eine besondre Bürgerwehrlvmpagnie gebildet. Sie hieß
die Blnsenkompagnie. Wir trugen statt der Uniform eine blane Leinwandbluse,
wie sie von den Fuhrleuten und Bauern der Umgegend getragen zu werden
pflegte. Dazu legten wir als Halstuch ein rotseidnes Tüchelchen an und trugen
unsre Schülermütze". Gewehre hatten sich die meisten von uns selbst beschafft. Ich
exerzierte mit einer einläufigen Schrotflinte, die mein Schwager Oberförster mir
gepumpt hatte. Zum Leutnant hatten Nur uns einen Gärtnergehilfen Tegtmeyer,
der gedient und die Qualifikation zum Landwehroffizier erworben hatte, gewählt.
Er war auch als Führer der Bluseukompagnie bestätigt worden und hatte als
solcher eine höchst bedenkliche Gewalt über uns. Bedenklich namentlich vom Stand¬
punkte der Schule aus. Denn deren Ordnung und Disziplin drohte in der Tat
aus allen Fugen zu gehn. Sämtliche Mitglieder des Lehrerkollegiums gehörten
gleich uns der Bürgerwehr an. In der ersten Zeit nach den Märztagen ver¬
sammelten sich die eifrigem Bürgerwehrmänner -- als die eifrigsten natürlich wir
Schüler der Blusenkompagnie -- jeden Abend auf der Bürgerwehrhauptwache.
Diese war in dem Saale einer Bierstube. Die Anwesenden wurden dann zum
Patrouillendienst in drei Haufen geteilt. Diese Patrouillen sollten angeblich die
Sicherheit der Stadt gewährleisten. Sie waren aber in Wirklichkeit nichts weiter
als amüsante Spaziergänge, deren Teilnehmer entweder eine ungeladne Flinte oder
einen Säbel trugen. In diesen Patrouillen gingen wir also neben unsern Lehrern,
von deuen einige, zum Beispiel Professor Schumann, als Bürgerwehrmänner höchst
abenteuerlich aussahen. Schon das war nicht unbedenklich. Denn bei dem Pa¬
trouillieren ging es meistens recht lustig her. Noch schlimmer aber war das Kcnnerad-
schaftsverhältnis zwischen den auf der Hauptwache zurückbleibenden Lehrern und
Schülern. Dort gab es allabendlich eine große Kneiptafel, an der die nicht gerade
im Patrouillendienst tätigen Bürgerwehrmänner bunt durcheinander saßen, Lehrer,
Schüler, Richter, Referendare, Subnlternbeamte, Geschäftsleute. Unter den: Vor¬
sitze eines Baumeisters und eiues Referendars, die am 18. und 19. März mit in
Berlin gewesen waren und angeblich vor den Barrikaden bis an die Knöchel in
Blut gewatet hatten, wurde dort gekneipt, geraucht und politisiert, und man kann,
so harmlos im allgemeinen auch alles verlief, doch nicht behaupten, daß jedes der
dort gesprochn"" Worte gerade für Schülerohren berechnet und geeignet gewesen
wäre. Auf den Patrouilleugängen kamen die wunderlichsten Szenen vor. So hieß
es eines Abends plötzlich auf dem Markte: "Patrouille halt!" Wir standen still,
und jeder fragte, was denn los sei. Da erklärte der Führer der wohl vierzig bis
sechzig Mann starken Patrouille, ein Kolvuialwareuhäudler: "Der Bürgerwehrmann,
Herr Gerichtsrat Klein, hat seine Säbelscheide verloren." Unter Gelächter machte
die Hälfte der Patrouille kehrt, um die Verlorne Säbelscheide des alten Gerichts¬
rath Klein zu suchen. Sie wurde auch herbeigebracht, und dann erst marschierte
die Patrouille weiter. Immerhin war das tägliche Kneipen der Bürgerwehrmänner'
deren Frauen und Müttern bald ein Dorn im Ange. Allerdings machten die
meisten Männer damals den Eindruck, uicht ganz normal zu sein. Es war, als


dabei in Bier und Schnaps ein großes Geschäft zu machen. Später mußte sich
dieser gnomenhafte Rummel als nicht lenksam genug erwiese» haben. Denn auch in
den politischen Versammlungen war seine Rolle bald ausgespielt. Nur in der freien
Gemeinde galt er noch als Führer. Er geriet in Vermögeusverfall und verschwand
bald von der Bildfläche.

Die Bürgerwehr wählte ihre Offiziere natürlich selbst. Sie hatte sich auch
selbst uniformiert, d. h. die Bürgerwehrmänner trugen schwarze Mühen mit blauem
Rande. Die Offiziere trugen sämtlich einen schwarzen einreihigen Rock mit einem
blauen Stehkragen. Dazu die Bürgerwehrmütze und eine Art Schärpe von weißer
Leinwand. Wenn die Leute, was freilich zuweilen vorkam, nicht gerade ihre bunten
oder schmutzig gewordnen Svmmerhosen zu dieser Uniform anzogen, so sah das
Kostüm wenigstens anständig und solid aus. Aus den Primanern und Sekundanern
des Gymnasiums wurde eine besondre Bürgerwehrlvmpagnie gebildet. Sie hieß
die Blnsenkompagnie. Wir trugen statt der Uniform eine blane Leinwandbluse,
wie sie von den Fuhrleuten und Bauern der Umgegend getragen zu werden
pflegte. Dazu legten wir als Halstuch ein rotseidnes Tüchelchen an und trugen
unsre Schülermütze«. Gewehre hatten sich die meisten von uns selbst beschafft. Ich
exerzierte mit einer einläufigen Schrotflinte, die mein Schwager Oberförster mir
gepumpt hatte. Zum Leutnant hatten Nur uns einen Gärtnergehilfen Tegtmeyer,
der gedient und die Qualifikation zum Landwehroffizier erworben hatte, gewählt.
Er war auch als Führer der Bluseukompagnie bestätigt worden und hatte als
solcher eine höchst bedenkliche Gewalt über uns. Bedenklich namentlich vom Stand¬
punkte der Schule aus. Denn deren Ordnung und Disziplin drohte in der Tat
aus allen Fugen zu gehn. Sämtliche Mitglieder des Lehrerkollegiums gehörten
gleich uns der Bürgerwehr an. In der ersten Zeit nach den Märztagen ver¬
sammelten sich die eifrigem Bürgerwehrmänner — als die eifrigsten natürlich wir
Schüler der Blusenkompagnie — jeden Abend auf der Bürgerwehrhauptwache.
Diese war in dem Saale einer Bierstube. Die Anwesenden wurden dann zum
Patrouillendienst in drei Haufen geteilt. Diese Patrouillen sollten angeblich die
Sicherheit der Stadt gewährleisten. Sie waren aber in Wirklichkeit nichts weiter
als amüsante Spaziergänge, deren Teilnehmer entweder eine ungeladne Flinte oder
einen Säbel trugen. In diesen Patrouillen gingen wir also neben unsern Lehrern,
von deuen einige, zum Beispiel Professor Schumann, als Bürgerwehrmänner höchst
abenteuerlich aussahen. Schon das war nicht unbedenklich. Denn bei dem Pa¬
trouillieren ging es meistens recht lustig her. Noch schlimmer aber war das Kcnnerad-
schaftsverhältnis zwischen den auf der Hauptwache zurückbleibenden Lehrern und
Schülern. Dort gab es allabendlich eine große Kneiptafel, an der die nicht gerade
im Patrouillendienst tätigen Bürgerwehrmänner bunt durcheinander saßen, Lehrer,
Schüler, Richter, Referendare, Subnlternbeamte, Geschäftsleute. Unter den: Vor¬
sitze eines Baumeisters und eiues Referendars, die am 18. und 19. März mit in
Berlin gewesen waren und angeblich vor den Barrikaden bis an die Knöchel in
Blut gewatet hatten, wurde dort gekneipt, geraucht und politisiert, und man kann,
so harmlos im allgemeinen auch alles verlief, doch nicht behaupten, daß jedes der
dort gesprochn«» Worte gerade für Schülerohren berechnet und geeignet gewesen
wäre. Auf den Patrouilleugängen kamen die wunderlichsten Szenen vor. So hieß
es eines Abends plötzlich auf dem Markte: „Patrouille halt!" Wir standen still,
und jeder fragte, was denn los sei. Da erklärte der Führer der wohl vierzig bis
sechzig Mann starken Patrouille, ein Kolvuialwareuhäudler: „Der Bürgerwehrmann,
Herr Gerichtsrat Klein, hat seine Säbelscheide verloren." Unter Gelächter machte
die Hälfte der Patrouille kehrt, um die Verlorne Säbelscheide des alten Gerichts¬
rath Klein zu suchen. Sie wurde auch herbeigebracht, und dann erst marschierte
die Patrouille weiter. Immerhin war das tägliche Kneipen der Bürgerwehrmänner'
deren Frauen und Müttern bald ein Dorn im Ange. Allerdings machten die
meisten Männer damals den Eindruck, uicht ganz normal zu sein. Es war, als


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[0724] dabei in Bier und Schnaps ein großes Geschäft zu machen. Später mußte sich dieser gnomenhafte Rummel als nicht lenksam genug erwiese» haben. Denn auch in den politischen Versammlungen war seine Rolle bald ausgespielt. Nur in der freien Gemeinde galt er noch als Führer. Er geriet in Vermögeusverfall und verschwand bald von der Bildfläche. Die Bürgerwehr wählte ihre Offiziere natürlich selbst. Sie hatte sich auch selbst uniformiert, d. h. die Bürgerwehrmänner trugen schwarze Mühen mit blauem Rande. Die Offiziere trugen sämtlich einen schwarzen einreihigen Rock mit einem blauen Stehkragen. Dazu die Bürgerwehrmütze und eine Art Schärpe von weißer Leinwand. Wenn die Leute, was freilich zuweilen vorkam, nicht gerade ihre bunten oder schmutzig gewordnen Svmmerhosen zu dieser Uniform anzogen, so sah das Kostüm wenigstens anständig und solid aus. Aus den Primanern und Sekundanern des Gymnasiums wurde eine besondre Bürgerwehrlvmpagnie gebildet. Sie hieß die Blnsenkompagnie. Wir trugen statt der Uniform eine blane Leinwandbluse, wie sie von den Fuhrleuten und Bauern der Umgegend getragen zu werden pflegte. Dazu legten wir als Halstuch ein rotseidnes Tüchelchen an und trugen unsre Schülermütze«. Gewehre hatten sich die meisten von uns selbst beschafft. Ich exerzierte mit einer einläufigen Schrotflinte, die mein Schwager Oberförster mir gepumpt hatte. Zum Leutnant hatten Nur uns einen Gärtnergehilfen Tegtmeyer, der gedient und die Qualifikation zum Landwehroffizier erworben hatte, gewählt. Er war auch als Führer der Bluseukompagnie bestätigt worden und hatte als solcher eine höchst bedenkliche Gewalt über uns. Bedenklich namentlich vom Stand¬ punkte der Schule aus. Denn deren Ordnung und Disziplin drohte in der Tat aus allen Fugen zu gehn. Sämtliche Mitglieder des Lehrerkollegiums gehörten gleich uns der Bürgerwehr an. In der ersten Zeit nach den Märztagen ver¬ sammelten sich die eifrigem Bürgerwehrmänner — als die eifrigsten natürlich wir Schüler der Blusenkompagnie — jeden Abend auf der Bürgerwehrhauptwache. Diese war in dem Saale einer Bierstube. Die Anwesenden wurden dann zum Patrouillendienst in drei Haufen geteilt. Diese Patrouillen sollten angeblich die Sicherheit der Stadt gewährleisten. Sie waren aber in Wirklichkeit nichts weiter als amüsante Spaziergänge, deren Teilnehmer entweder eine ungeladne Flinte oder einen Säbel trugen. In diesen Patrouillen gingen wir also neben unsern Lehrern, von deuen einige, zum Beispiel Professor Schumann, als Bürgerwehrmänner höchst abenteuerlich aussahen. Schon das war nicht unbedenklich. Denn bei dem Pa¬ trouillieren ging es meistens recht lustig her. Noch schlimmer aber war das Kcnnerad- schaftsverhältnis zwischen den auf der Hauptwache zurückbleibenden Lehrern und Schülern. Dort gab es allabendlich eine große Kneiptafel, an der die nicht gerade im Patrouillendienst tätigen Bürgerwehrmänner bunt durcheinander saßen, Lehrer, Schüler, Richter, Referendare, Subnlternbeamte, Geschäftsleute. Unter den: Vor¬ sitze eines Baumeisters und eiues Referendars, die am 18. und 19. März mit in Berlin gewesen waren und angeblich vor den Barrikaden bis an die Knöchel in Blut gewatet hatten, wurde dort gekneipt, geraucht und politisiert, und man kann, so harmlos im allgemeinen auch alles verlief, doch nicht behaupten, daß jedes der dort gesprochn«» Worte gerade für Schülerohren berechnet und geeignet gewesen wäre. Auf den Patrouilleugängen kamen die wunderlichsten Szenen vor. So hieß es eines Abends plötzlich auf dem Markte: „Patrouille halt!" Wir standen still, und jeder fragte, was denn los sei. Da erklärte der Führer der wohl vierzig bis sechzig Mann starken Patrouille, ein Kolvuialwareuhäudler: „Der Bürgerwehrmann, Herr Gerichtsrat Klein, hat seine Säbelscheide verloren." Unter Gelächter machte die Hälfte der Patrouille kehrt, um die Verlorne Säbelscheide des alten Gerichts¬ rath Klein zu suchen. Sie wurde auch herbeigebracht, und dann erst marschierte die Patrouille weiter. Immerhin war das tägliche Kneipen der Bürgerwehrmänner' deren Frauen und Müttern bald ein Dorn im Ange. Allerdings machten die meisten Männer damals den Eindruck, uicht ganz normal zu sein. Es war, als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/724>, abgerufen am 22.07.2024.