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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

ihn, nahm ihm die Papiere ab, die er dem Schneidergesellen geraubt hatte, dazu
much das dem Toten geraubte Geld, und stieß ihn über den Uferrand. Eine kurze
Zeit lag er noch da, dann ergriff ihn die Strömung und trug ihn davon. Eine
^hr schlug an, es war die zehnte Stunde.

Jetzt erst sah ich mich um, ob nicht jemand Zeuge gewesen wäre, und dachte:
Wie dumm, daß ich das uicht vorher getan habe! Es war niemand zu sehen, alles
M. Ich war allein, niemand mehr um mich. Heute und für alle Ewigkeit war
ich allein. Empfand ich Reue? Nein. War ich bedrückt und niedergeschlagen,
hefteten sich schon die Furien an meine Sohlen, rangen schon die dunkeln schweren
Gedanken miteinander? Nein. Es war vielmehr, als wäre eine schwarze Wand ge¬
borsten, eine große Freudigkeit und Klarheit schwebte über meiner Seele. Sie drang
nicht tief hinein, sie schwebte nur darüber, wie das kalte tote Mondlicht über der
kalteir toten Winterlandschaft.

Ich sah nun in die Schriften und las in dem unsichern Lichte, so gut es
ging, was für ein Mensch da um Strome stünde und der Stadt wieder zuginge.
Da erfuhr ich, daß er in einem sächsischen Dorfe geboren und etliche Jahre älter
war als der, der vor kurzem hier heraus gegangen war, daß er wegen eines
Brustleidens ans den Militärverhältnissen entlassen worden war und uicht mehr
Heinrich, sondern Reinhold hieß. Das Prägte ich mir genau ein, denn ich sagte
mir. daß ich nun mit der äußersten Klugheit und Vorsicht handeln und also jedes
Wort überlegen, mein Ange, mein Mienenspiel und überhaupt mein ganzes körper¬
liches Wesen unausgesetzt in der Gewalt haben müsse. Und daß ich jetzt an meme
Vergangenheit und an das. was ich uicht gewesen sei, auch nicht mehr mit einem
Humes, auch nicht mit einem Gedanken rühren dürfe. Ich war ein Mensch. der
erst einige Minute" alt war, und hatte keine Vergangenheit mehr. Darauf, daß
ich das alles muss genauste und ohne das geringste Schwanken ausführte, beruhe
ollein meine Rettung. Wenn dennoch mein Werk mißlänge, so müßte ich dafür
sorgen, daß mau mich uicht lebendig in die Hände bekäme.

Ich prüfte mein Äußeres. Es sah noch ziemlich ordentlich aus und brauchte
nicht aufzufallen, aber ich mußte dennoch sobald als möglich für eine neue Kleidung
sorgen, jedoch nicht auf einmal, sondern nur allmählich und an verschiednen Orten.
Jetzt strich ich mir das .haar und stäubte mich ub, ohne sehen zu können, ob ich
Wirklich Staub, Schmutz °und Spinneweben aus dem dunkeln Winkel, worin ich
mich verborgen' gehabt hatte, an mir trug. Es gibt Töne. die nie ausklingen.
Wie ich noch mit der Säuberung beschäftigt war, sprach etwas aus weiter Ferne:
Den schlimmsten Staub bekommst dn doch nicht weg! Wer war das gewesen. und
wem hatten diese Worte gegolten? Ja so, die Taute hatte einst zu ihrem Manne
so gesprochen, und der war auch so ein Lump gewesen. Ich hielt ein und atmete
schwer. Eine Wolke war über meine Seele gezogen, aber sie war schnell vorüber,
"ut schon wieder umgab mich das ruhige, klare Licht. Und so überlegte ich. schrieb
">ir mein zukünftiges'Verhalten bis in Einzelheiten, wie sie mir gerade eiufteleu,
vor und tat das alles mit einer Ruhe und Gelassenheit, die mich, denke ich daran
zurück, eiskalt anwehe. Wie Luft aus einem Grabgewölbe.

Ach, was war aus mir geworden! Ich hatte wieder eine Welt vor mir, eme
fremde, seltsame Welt, und ich konnte mich recken und strecke" und die Arme aus¬
breiten, wie ich wollte, ohne Rücksicht auf andre zu nehmen, die mich etwas angingen,
denn diese andern gab es ja nicht mehr, und ich konnte von vorn.ansaugen, va
keine Vergangenheit mich mehr beeinflußte, drängte nud bedrückte, ^es konnte uncl)
freuen, ohne daß sich jemand mit freute. und konnte leiden, ohne daß e.n andrer
mit mir klagte, und sterben, ohne daß ein andrer darum einen schwarzen Rock
"nzuziehn brauchte. Und was konnte ich nicht alles! Nur ich war uoch vorhanden,
viles andre, was mir sollst gelebt hatte, war tot.

Da lehnte ich deu Kopf gegen einen Baum und weinte. , . ^

Die Tränen wollten nicht aufhören, und die Erschütterung wollte sich acht


Zwei Seelen

ihn, nahm ihm die Papiere ab, die er dem Schneidergesellen geraubt hatte, dazu
much das dem Toten geraubte Geld, und stieß ihn über den Uferrand. Eine kurze
Zeit lag er noch da, dann ergriff ihn die Strömung und trug ihn davon. Eine
^hr schlug an, es war die zehnte Stunde.

Jetzt erst sah ich mich um, ob nicht jemand Zeuge gewesen wäre, und dachte:
Wie dumm, daß ich das uicht vorher getan habe! Es war niemand zu sehen, alles
M. Ich war allein, niemand mehr um mich. Heute und für alle Ewigkeit war
ich allein. Empfand ich Reue? Nein. War ich bedrückt und niedergeschlagen,
hefteten sich schon die Furien an meine Sohlen, rangen schon die dunkeln schweren
Gedanken miteinander? Nein. Es war vielmehr, als wäre eine schwarze Wand ge¬
borsten, eine große Freudigkeit und Klarheit schwebte über meiner Seele. Sie drang
nicht tief hinein, sie schwebte nur darüber, wie das kalte tote Mondlicht über der
kalteir toten Winterlandschaft.

Ich sah nun in die Schriften und las in dem unsichern Lichte, so gut es
ging, was für ein Mensch da um Strome stünde und der Stadt wieder zuginge.
Da erfuhr ich, daß er in einem sächsischen Dorfe geboren und etliche Jahre älter
war als der, der vor kurzem hier heraus gegangen war, daß er wegen eines
Brustleidens ans den Militärverhältnissen entlassen worden war und uicht mehr
Heinrich, sondern Reinhold hieß. Das Prägte ich mir genau ein, denn ich sagte
mir. daß ich nun mit der äußersten Klugheit und Vorsicht handeln und also jedes
Wort überlegen, mein Ange, mein Mienenspiel und überhaupt mein ganzes körper¬
liches Wesen unausgesetzt in der Gewalt haben müsse. Und daß ich jetzt an meme
Vergangenheit und an das. was ich uicht gewesen sei, auch nicht mehr mit einem
Humes, auch nicht mit einem Gedanken rühren dürfe. Ich war ein Mensch. der
erst einige Minute» alt war, und hatte keine Vergangenheit mehr. Darauf, daß
ich das alles muss genauste und ohne das geringste Schwanken ausführte, beruhe
ollein meine Rettung. Wenn dennoch mein Werk mißlänge, so müßte ich dafür
sorgen, daß mau mich uicht lebendig in die Hände bekäme.

Ich prüfte mein Äußeres. Es sah noch ziemlich ordentlich aus und brauchte
nicht aufzufallen, aber ich mußte dennoch sobald als möglich für eine neue Kleidung
sorgen, jedoch nicht auf einmal, sondern nur allmählich und an verschiednen Orten.
Jetzt strich ich mir das .haar und stäubte mich ub, ohne sehen zu können, ob ich
Wirklich Staub, Schmutz °und Spinneweben aus dem dunkeln Winkel, worin ich
mich verborgen' gehabt hatte, an mir trug. Es gibt Töne. die nie ausklingen.
Wie ich noch mit der Säuberung beschäftigt war, sprach etwas aus weiter Ferne:
Den schlimmsten Staub bekommst dn doch nicht weg! Wer war das gewesen. und
wem hatten diese Worte gegolten? Ja so, die Taute hatte einst zu ihrem Manne
so gesprochen, und der war auch so ein Lump gewesen. Ich hielt ein und atmete
schwer. Eine Wolke war über meine Seele gezogen, aber sie war schnell vorüber,
»ut schon wieder umgab mich das ruhige, klare Licht. Und so überlegte ich. schrieb
»>ir mein zukünftiges'Verhalten bis in Einzelheiten, wie sie mir gerade eiufteleu,
vor und tat das alles mit einer Ruhe und Gelassenheit, die mich, denke ich daran
zurück, eiskalt anwehe. Wie Luft aus einem Grabgewölbe.

Ach, was war aus mir geworden! Ich hatte wieder eine Welt vor mir, eme
fremde, seltsame Welt, und ich konnte mich recken und strecke» und die Arme aus¬
breiten, wie ich wollte, ohne Rücksicht auf andre zu nehmen, die mich etwas angingen,
denn diese andern gab es ja nicht mehr, und ich konnte von vorn.ansaugen, va
keine Vergangenheit mich mehr beeinflußte, drängte nud bedrückte, ^es konnte uncl)
freuen, ohne daß sich jemand mit freute. und konnte leiden, ohne daß e.n andrer
mit mir klagte, und sterben, ohne daß ein andrer darum einen schwarzen Rock
"nzuziehn brauchte. Und was konnte ich nicht alles! Nur ich war uoch vorhanden,
viles andre, was mir sollst gelebt hatte, war tot.

Da lehnte ich deu Kopf gegen einen Baum und weinte. , . ^

Die Tränen wollten nicht aufhören, und die Erschütterung wollte sich acht


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[0669] Zwei Seelen ihn, nahm ihm die Papiere ab, die er dem Schneidergesellen geraubt hatte, dazu much das dem Toten geraubte Geld, und stieß ihn über den Uferrand. Eine kurze Zeit lag er noch da, dann ergriff ihn die Strömung und trug ihn davon. Eine ^hr schlug an, es war die zehnte Stunde. Jetzt erst sah ich mich um, ob nicht jemand Zeuge gewesen wäre, und dachte: Wie dumm, daß ich das uicht vorher getan habe! Es war niemand zu sehen, alles M. Ich war allein, niemand mehr um mich. Heute und für alle Ewigkeit war ich allein. Empfand ich Reue? Nein. War ich bedrückt und niedergeschlagen, hefteten sich schon die Furien an meine Sohlen, rangen schon die dunkeln schweren Gedanken miteinander? Nein. Es war vielmehr, als wäre eine schwarze Wand ge¬ borsten, eine große Freudigkeit und Klarheit schwebte über meiner Seele. Sie drang nicht tief hinein, sie schwebte nur darüber, wie das kalte tote Mondlicht über der kalteir toten Winterlandschaft. Ich sah nun in die Schriften und las in dem unsichern Lichte, so gut es ging, was für ein Mensch da um Strome stünde und der Stadt wieder zuginge. Da erfuhr ich, daß er in einem sächsischen Dorfe geboren und etliche Jahre älter war als der, der vor kurzem hier heraus gegangen war, daß er wegen eines Brustleidens ans den Militärverhältnissen entlassen worden war und uicht mehr Heinrich, sondern Reinhold hieß. Das Prägte ich mir genau ein, denn ich sagte mir. daß ich nun mit der äußersten Klugheit und Vorsicht handeln und also jedes Wort überlegen, mein Ange, mein Mienenspiel und überhaupt mein ganzes körper¬ liches Wesen unausgesetzt in der Gewalt haben müsse. Und daß ich jetzt an meme Vergangenheit und an das. was ich uicht gewesen sei, auch nicht mehr mit einem Humes, auch nicht mit einem Gedanken rühren dürfe. Ich war ein Mensch. der erst einige Minute» alt war, und hatte keine Vergangenheit mehr. Darauf, daß ich das alles muss genauste und ohne das geringste Schwanken ausführte, beruhe ollein meine Rettung. Wenn dennoch mein Werk mißlänge, so müßte ich dafür sorgen, daß mau mich uicht lebendig in die Hände bekäme. Ich prüfte mein Äußeres. Es sah noch ziemlich ordentlich aus und brauchte nicht aufzufallen, aber ich mußte dennoch sobald als möglich für eine neue Kleidung sorgen, jedoch nicht auf einmal, sondern nur allmählich und an verschiednen Orten. Jetzt strich ich mir das .haar und stäubte mich ub, ohne sehen zu können, ob ich Wirklich Staub, Schmutz °und Spinneweben aus dem dunkeln Winkel, worin ich mich verborgen' gehabt hatte, an mir trug. Es gibt Töne. die nie ausklingen. Wie ich noch mit der Säuberung beschäftigt war, sprach etwas aus weiter Ferne: Den schlimmsten Staub bekommst dn doch nicht weg! Wer war das gewesen. und wem hatten diese Worte gegolten? Ja so, die Taute hatte einst zu ihrem Manne so gesprochen, und der war auch so ein Lump gewesen. Ich hielt ein und atmete schwer. Eine Wolke war über meine Seele gezogen, aber sie war schnell vorüber, »ut schon wieder umgab mich das ruhige, klare Licht. Und so überlegte ich. schrieb »>ir mein zukünftiges'Verhalten bis in Einzelheiten, wie sie mir gerade eiufteleu, vor und tat das alles mit einer Ruhe und Gelassenheit, die mich, denke ich daran zurück, eiskalt anwehe. Wie Luft aus einem Grabgewölbe. Ach, was war aus mir geworden! Ich hatte wieder eine Welt vor mir, eme fremde, seltsame Welt, und ich konnte mich recken und strecke» und die Arme aus¬ breiten, wie ich wollte, ohne Rücksicht auf andre zu nehmen, die mich etwas angingen, denn diese andern gab es ja nicht mehr, und ich konnte von vorn.ansaugen, va keine Vergangenheit mich mehr beeinflußte, drängte nud bedrückte, ^es konnte uncl) freuen, ohne daß sich jemand mit freute. und konnte leiden, ohne daß e.n andrer mit mir klagte, und sterben, ohne daß ein andrer darum einen schwarzen Rock "nzuziehn brauchte. Und was konnte ich nicht alles! Nur ich war uoch vorhanden, viles andre, was mir sollst gelebt hatte, war tot. Da lehnte ich deu Kopf gegen einen Baum und weinte. , . ^ Die Tränen wollten nicht aufhören, und die Erschütterung wollte sich acht

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/669>, abgerufen am 22.07.2024.