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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Die Gräfin von Genlis

eine der bekanntesten Schriftstellerinnen in Europa geworden war. Wenn auch
Sainte-Beuve von ihr sagte, daß sie wohl gut. aber niemals besser schreiben könne,
so stand sie dennoch in Stil und Sprache weit über dem Durchschnitt der schreibenden
Frauen. und war ihre Unterhaltung anch oft boshaft, ihr Salon schmutzig und
unordentlich, so umgab sie doch immer der Schein des Ungewöhnlichen.

Im Jahre 1825 gab sie ihre Memoiren heraus. In diesen beschrieb sie ihre
Erlebnisse und wunderlichen Schicksale und rächte sich vor allem an ihren Lands¬
leuten, die ihre Feindschaft erworben hatten, mochten sie schon lange tot oder noch
am Leben sein. Noch einmal ließ sie den alten Hof und seine Hauptpersönlich¬
keiten aufersteh"; Marie Auwinette wurde eben so scharf beurteilt wie die unglück¬
liche Prinzeß Lamballe, aber wie sie die Toten schmähte, so rechnete sie auch und
den lebenden Schriftstellern ab, von denen mancher sie in Romanen und Gedichten
eine schlechte Rolle hatte spielen lassen. Es gab wohl keinen unter ihnen, von
Frau von Statt an, dem sie nicht vorwarf, ein Dummkopf oder ein Plagiator zu
sein, während sie sich selbst die bedeutendste Schriftstellerin Frankreichs nannte.

Ihre Memoiren wurden viel besprochen, und sie fanden reichliche Entgegnung.
Es regnete Pamphlete und Broschüren über sie, von denen N-ichrimz als Oculis W
mmmturo am bekanntesten geworden ist. War sie boshaft, so waren ihre Gegner
noch boshafter, es erschien damals selten ein Menioircnbcmd aus französischer Feder,
der ihren Namen nicht mit irgend einem häßlichen Zusatz genannt hätte.

Sie war nicht unglücklich darüber; ihr Leben war ein Kampf gewesen, es
sollte so bleiben. Allerdings wurde es einsam um sie. Ihre Angehörigen waren
we, ihr Einfluß war geschwunden. Wohl kam noch hin und wieder ein Fremder
M ihr, um die merkwürdige Frau zu sehen, die noch wie ein Wahrzeichen ver¬
gangner Zeiten in ihrem bescheidnen Zimmerchen von der Vergangenheit zehrte.
Aber auch diese Besuche wurden seltner, und als Frau von Genlis am 31. De¬
zember 1830, vierundachtzig Jahre alt, starb, da gehörte sie schou sür viele Menschen
zu den Antiquitäten. Sie hatte noch erlebt, daß ihr ehemaliger Zögling Louis
Philipp von Orleans den Thron Frankreichs bestieg; aber sie war zu alt und zu
>""de, jetzt das alte Spiel der verkannte" Tugend nochmals zu beginnen. Übrigens
hat sie als Erzieherin der Kinder Orleans große Verdienste gehabt; sie ist es
z> B. gewesen, die die jungen Prinzen zu kräftigenden körperlichen Übungen an¬
hielt, sie in jeder Beziehung abzuhärten versuchte und ihnen in ihren jungen Zähren
beibrachte, sich selbst zu helfen und sich nicht bedienen zu lassen. Gerade diese Er¬
ziehung war für die verbannten Fürstenkinder von großem Nutzen, und wenn Loins
Philipp auch vermieden hatte, in Hamburg mit Frau von Genlis zusammenzutreffen,
wo auch er sich eine Zeit lang als Emigrant aufhielt, so hat doch er später eben-
'Mveuig ein hartes Wort über sie gesagt, wie seiue Mutter, die Herzogin, die sich
in Stillschweigen über die Fran hüllte, der sie im eignen Hause viele bittre Stunde"
verdankte, und die sie in der Zeit der Gefahr verraten hatte.

Gräfin Genlis hat gegen hundert Bände geschrieben, Lustspiele, Gedichte,
Romane und Abhandlungen jeder Art. Ihre Romane haben meist einen geschicht¬
liche" Hintergrund, den sie dann ans irgend eine Weise mit der Gegenwart in
Verbindung zu bringen wußte. Ihr Französisch ist leicht und flüssig, noch hente
naht man einige ihrer Beschreibuuge" mit Vergnüge", während ihre aufdringliche
Moral langweilt. ^ , ..

^ Frau von Stael rechnete sie unter die besten Schriftstellerinnen. A"l me
Bemerkung eines Freundes, daß Frau von Genlis überaus hämisch über die Ver¬
fasserin der "Corinna" geurteilt habe, zuckte diese die Achseln: "Sie hat muh an¬
gegriffen, ich habe sie gelobt; damit waren unsre Beziehungen zu Ende."

^ Heute ist Frau von Genlis vergessen; und daß sie einst ladre arg in Nord¬
deutschland gelebt hat. weiß kein Mensch mehr. Aber ans den Bucherbrettern unsrer
Großmütter haben Les MiK öimAl-of und 1.eL veillösL s>" eKÄe^n gestanden, und
den Spuren der merkwürdigen Frau kann man noch heute in Altona und Hamburg


Die Gräfin von Genlis

eine der bekanntesten Schriftstellerinnen in Europa geworden war. Wenn auch
Sainte-Beuve von ihr sagte, daß sie wohl gut. aber niemals besser schreiben könne,
so stand sie dennoch in Stil und Sprache weit über dem Durchschnitt der schreibenden
Frauen. und war ihre Unterhaltung anch oft boshaft, ihr Salon schmutzig und
unordentlich, so umgab sie doch immer der Schein des Ungewöhnlichen.

Im Jahre 1825 gab sie ihre Memoiren heraus. In diesen beschrieb sie ihre
Erlebnisse und wunderlichen Schicksale und rächte sich vor allem an ihren Lands¬
leuten, die ihre Feindschaft erworben hatten, mochten sie schon lange tot oder noch
am Leben sein. Noch einmal ließ sie den alten Hof und seine Hauptpersönlich¬
keiten aufersteh»; Marie Auwinette wurde eben so scharf beurteilt wie die unglück¬
liche Prinzeß Lamballe, aber wie sie die Toten schmähte, so rechnete sie auch und
den lebenden Schriftstellern ab, von denen mancher sie in Romanen und Gedichten
eine schlechte Rolle hatte spielen lassen. Es gab wohl keinen unter ihnen, von
Frau von Statt an, dem sie nicht vorwarf, ein Dummkopf oder ein Plagiator zu
sein, während sie sich selbst die bedeutendste Schriftstellerin Frankreichs nannte.

Ihre Memoiren wurden viel besprochen, und sie fanden reichliche Entgegnung.
Es regnete Pamphlete und Broschüren über sie, von denen N-ichrimz als Oculis W
mmmturo am bekanntesten geworden ist. War sie boshaft, so waren ihre Gegner
noch boshafter, es erschien damals selten ein Menioircnbcmd aus französischer Feder,
der ihren Namen nicht mit irgend einem häßlichen Zusatz genannt hätte.

Sie war nicht unglücklich darüber; ihr Leben war ein Kampf gewesen, es
sollte so bleiben. Allerdings wurde es einsam um sie. Ihre Angehörigen waren
we, ihr Einfluß war geschwunden. Wohl kam noch hin und wieder ein Fremder
M ihr, um die merkwürdige Frau zu sehen, die noch wie ein Wahrzeichen ver¬
gangner Zeiten in ihrem bescheidnen Zimmerchen von der Vergangenheit zehrte.
Aber auch diese Besuche wurden seltner, und als Frau von Genlis am 31. De¬
zember 1830, vierundachtzig Jahre alt, starb, da gehörte sie schou sür viele Menschen
zu den Antiquitäten. Sie hatte noch erlebt, daß ihr ehemaliger Zögling Louis
Philipp von Orleans den Thron Frankreichs bestieg; aber sie war zu alt und zu
>""de, jetzt das alte Spiel der verkannte» Tugend nochmals zu beginnen. Übrigens
hat sie als Erzieherin der Kinder Orleans große Verdienste gehabt; sie ist es
z> B. gewesen, die die jungen Prinzen zu kräftigenden körperlichen Übungen an¬
hielt, sie in jeder Beziehung abzuhärten versuchte und ihnen in ihren jungen Zähren
beibrachte, sich selbst zu helfen und sich nicht bedienen zu lassen. Gerade diese Er¬
ziehung war für die verbannten Fürstenkinder von großem Nutzen, und wenn Loins
Philipp auch vermieden hatte, in Hamburg mit Frau von Genlis zusammenzutreffen,
wo auch er sich eine Zeit lang als Emigrant aufhielt, so hat doch er später eben-
'Mveuig ein hartes Wort über sie gesagt, wie seiue Mutter, die Herzogin, die sich
in Stillschweigen über die Fran hüllte, der sie im eignen Hause viele bittre Stunde»
verdankte, und die sie in der Zeit der Gefahr verraten hatte.

Gräfin Genlis hat gegen hundert Bände geschrieben, Lustspiele, Gedichte,
Romane und Abhandlungen jeder Art. Ihre Romane haben meist einen geschicht¬
liche» Hintergrund, den sie dann ans irgend eine Weise mit der Gegenwart in
Verbindung zu bringen wußte. Ihr Französisch ist leicht und flüssig, noch hente
naht man einige ihrer Beschreibuuge» mit Vergnüge», während ihre aufdringliche
Moral langweilt. ^ , ..

^ Frau von Stael rechnete sie unter die besten Schriftstellerinnen. A"l me
Bemerkung eines Freundes, daß Frau von Genlis überaus hämisch über die Ver¬
fasserin der „Corinna" geurteilt habe, zuckte diese die Achseln: „Sie hat muh an¬
gegriffen, ich habe sie gelobt; damit waren unsre Beziehungen zu Ende."

^ Heute ist Frau von Genlis vergessen; und daß sie einst ladre arg in Nord¬
deutschland gelebt hat. weiß kein Mensch mehr. Aber ans den Bucherbrettern unsrer
Großmütter haben Les MiK öimAl-of und 1.eL veillösL s>» eKÄe^n gestanden, und
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[0659] Die Gräfin von Genlis eine der bekanntesten Schriftstellerinnen in Europa geworden war. Wenn auch Sainte-Beuve von ihr sagte, daß sie wohl gut. aber niemals besser schreiben könne, so stand sie dennoch in Stil und Sprache weit über dem Durchschnitt der schreibenden Frauen. und war ihre Unterhaltung anch oft boshaft, ihr Salon schmutzig und unordentlich, so umgab sie doch immer der Schein des Ungewöhnlichen. Im Jahre 1825 gab sie ihre Memoiren heraus. In diesen beschrieb sie ihre Erlebnisse und wunderlichen Schicksale und rächte sich vor allem an ihren Lands¬ leuten, die ihre Feindschaft erworben hatten, mochten sie schon lange tot oder noch am Leben sein. Noch einmal ließ sie den alten Hof und seine Hauptpersönlich¬ keiten aufersteh»; Marie Auwinette wurde eben so scharf beurteilt wie die unglück¬ liche Prinzeß Lamballe, aber wie sie die Toten schmähte, so rechnete sie auch und den lebenden Schriftstellern ab, von denen mancher sie in Romanen und Gedichten eine schlechte Rolle hatte spielen lassen. Es gab wohl keinen unter ihnen, von Frau von Statt an, dem sie nicht vorwarf, ein Dummkopf oder ein Plagiator zu sein, während sie sich selbst die bedeutendste Schriftstellerin Frankreichs nannte. Ihre Memoiren wurden viel besprochen, und sie fanden reichliche Entgegnung. Es regnete Pamphlete und Broschüren über sie, von denen N-ichrimz als Oculis W mmmturo am bekanntesten geworden ist. War sie boshaft, so waren ihre Gegner noch boshafter, es erschien damals selten ein Menioircnbcmd aus französischer Feder, der ihren Namen nicht mit irgend einem häßlichen Zusatz genannt hätte. Sie war nicht unglücklich darüber; ihr Leben war ein Kampf gewesen, es sollte so bleiben. Allerdings wurde es einsam um sie. Ihre Angehörigen waren we, ihr Einfluß war geschwunden. Wohl kam noch hin und wieder ein Fremder M ihr, um die merkwürdige Frau zu sehen, die noch wie ein Wahrzeichen ver¬ gangner Zeiten in ihrem bescheidnen Zimmerchen von der Vergangenheit zehrte. Aber auch diese Besuche wurden seltner, und als Frau von Genlis am 31. De¬ zember 1830, vierundachtzig Jahre alt, starb, da gehörte sie schou sür viele Menschen zu den Antiquitäten. Sie hatte noch erlebt, daß ihr ehemaliger Zögling Louis Philipp von Orleans den Thron Frankreichs bestieg; aber sie war zu alt und zu >""de, jetzt das alte Spiel der verkannte» Tugend nochmals zu beginnen. Übrigens hat sie als Erzieherin der Kinder Orleans große Verdienste gehabt; sie ist es z> B. gewesen, die die jungen Prinzen zu kräftigenden körperlichen Übungen an¬ hielt, sie in jeder Beziehung abzuhärten versuchte und ihnen in ihren jungen Zähren beibrachte, sich selbst zu helfen und sich nicht bedienen zu lassen. Gerade diese Er¬ ziehung war für die verbannten Fürstenkinder von großem Nutzen, und wenn Loins Philipp auch vermieden hatte, in Hamburg mit Frau von Genlis zusammenzutreffen, wo auch er sich eine Zeit lang als Emigrant aufhielt, so hat doch er später eben- 'Mveuig ein hartes Wort über sie gesagt, wie seiue Mutter, die Herzogin, die sich in Stillschweigen über die Fran hüllte, der sie im eignen Hause viele bittre Stunde» verdankte, und die sie in der Zeit der Gefahr verraten hatte. Gräfin Genlis hat gegen hundert Bände geschrieben, Lustspiele, Gedichte, Romane und Abhandlungen jeder Art. Ihre Romane haben meist einen geschicht¬ liche» Hintergrund, den sie dann ans irgend eine Weise mit der Gegenwart in Verbindung zu bringen wußte. Ihr Französisch ist leicht und flüssig, noch hente naht man einige ihrer Beschreibuuge» mit Vergnüge», während ihre aufdringliche Moral langweilt. ^ , .. ^ Frau von Stael rechnete sie unter die besten Schriftstellerinnen. A"l me Bemerkung eines Freundes, daß Frau von Genlis überaus hämisch über die Ver¬ fasserin der „Corinna" geurteilt habe, zuckte diese die Achseln: „Sie hat muh an¬ gegriffen, ich habe sie gelobt; damit waren unsre Beziehungen zu Ende." ^ Heute ist Frau von Genlis vergessen; und daß sie einst ladre arg in Nord¬ deutschland gelebt hat. weiß kein Mensch mehr. Aber ans den Bucherbrettern unsrer Großmütter haben Les MiK öimAl-of und 1.eL veillösL s>» eKÄe^n gestanden, und den Spuren der merkwürdigen Frau kann man noch heute in Altona und Hamburg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/659>, abgerufen am 22.07.2024.