Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Leipziger Dramaturgie

Ordnung; Musik und Schießen erinnern einen daran, daß man im Lager ist, ob¬
wohl auch darin am unrechten Ort zuviel geleistet werden kann, und man es lieber
sähe, wenn die Musikanten, statt sich hören zu lassen, wo es nicht nötig ist, ans
das Stichwort des Dragoners im siebenten Auftritt: "Ich sags noch einmal, das
leid ich nicht," Obacht geben wollten, damit der erste Jäger nicht, ohne daß man
Musik zu hören bekommen hat, mit seinem "Lustig, lustig! Da kommen die Prager!"
herauszuplatzen und ein paar Takte ohne Musik zu tanzen brauchte. Da die eigent¬
lichen Rollen des Lagers, auch die kleinern, in guten Händen sind, da der Wacht¬
meister nicht besser gegeben werden kann, als er gegeben wird, und da der Kapu¬
ziner seine Rede nur noch ein wenig willkürlicher hervorzusprudeln brauchte, damit
der Eindruck ausdrucksvoller Wiedergabe von etwas Memoriertem vermieden würde,
so fällt dem Zuschauer nur das Übermaß von Pack, Troß und sonstigem Gewimmel
lästig. Dem wäre leicht abgeholfen, und dann wäre nichts an dem schönen, lebens¬
frischen Bild auszusetzen, für das Schiller alle hauptsächlichen Züge mit feinem
Geschmack und erstaunlicher Erfindungsgabe geliefert hat. Was er in seinem
Prolog sagt: ^.^ ^ ^ ^ verführt,
Sein Lager nur erkläret sein Verbrechen,

ist recht eigentlich der Eindruck, den man von dieser kriegerischen Szene mit htnweg-
nimmt. Die Abgabe der achttausend Mann Reiterei an den vou Mailand nach
den Niederlanden ziehenden Kardinal-Infanten ist der Kern der Handlung im
Lager, und sie ist später auch für Wallensteins Entschlüsse das Bestimmende. Gegen¬
über dieser klaren Forderung des kaiserlichen Hofkriegsrath ist, das fühlt die Truppe
ebensogut wie deren Führer, kein Ausweichen, kein Temporisieren möglich. So führt
uns schon das Lager bis dicht an die Katastrophe heran, und der Gang der Hand¬
lung in den nun folgenden zehn Akten ist ein einzig dastehendes Meisterwerk drama¬
tischer und historischer Entwicklung. Manchem will allerdings die Art, wie das
Schicksal der beiden Liebenden mit der gewaltigen Haupthandlung verflochten
worden ist, nicht gefallen; aber wenn man erwägt, daß, wie das Publikum nun
einmal geartet ist. Trauerspiele ohne Liebesintrigue nie rechten Anklang finden, so
muß man doch sagen, daß die Art, wie beide Handlungen trotz der Verschiedenheit
der psychologischen Gebiete, denen sie angehören, durch tausend Fäden miteinander
verknüpft sind, von neuem für das erfinderische Genie des Dichters ein glänzendes
Zeugnis ablegt.

Dem wirklichen Wallenstein wird zwar niemand, der ihn aus seiner Korre¬
spondenz und den Urteilen seiner Zeitgenossen kennt, die ihm von dem Dichter bei¬
gemessene abergläubische Voreingenommenheit für die Welsche", Vater und Sohn
zutrauen, aber zu dem Schillerschen Wallenstein, der uns halb als herzloser
Egoist, halb als unentschlossener Fatalist geschildert wird, paßt diese ins Roman¬
tische schlagende Schwäche ganz gut. Recht klar wird mau sich freilich im Ver¬
laufe des Schillerschen Gedichts kaum über die Frage, ob der große Heerführer
Maxens liebender und bewundernder Verehrung wirklich wert ist, und ob er nicht
vielleicht auch mit ihm wie mit allen andern sein freventliches, weil durch Selbst¬
sucht und Intrigue bestimmtes Spiel spielt. Von Ehrgeiz und Hochmut frei, vou
wirklich lautern Gepräge ist bei ihm selten eine Regung; anch seine Gefühle für
die Herzogin und seine Tochter sind, wenn wir Schillers offenbar auf poetischer
Erfindung beruhender Darstellung folgen wollen, die eines auf äußern Glanz und
souveräne Macht mit rastlosem Ehrgeize bedachten Mannes. Um so erstaunlicher
ist die Znnbergewalt, von der wir uns zu leidenschaftlicher Teilnahme für das
Schicksal eines Mannes hingerissen fühlen, den wir als Verräter verurteile" und
als herzlosen Egoisten verachten sollten. Daß, das Schiller zuwege bringt, ohne
unser Urteil über den Wert des Mannes und die Verwerflichkeit seiner Handlungs¬
weise irreführen zu wollen, ist eine poetische Leistung ersten Ranges, die nur dadurch
möglich gemacht ist, daß uus der entgleiste und die feinangelegten Pläne seiner


Leipziger Dramaturgie

Ordnung; Musik und Schießen erinnern einen daran, daß man im Lager ist, ob¬
wohl auch darin am unrechten Ort zuviel geleistet werden kann, und man es lieber
sähe, wenn die Musikanten, statt sich hören zu lassen, wo es nicht nötig ist, ans
das Stichwort des Dragoners im siebenten Auftritt: „Ich sags noch einmal, das
leid ich nicht," Obacht geben wollten, damit der erste Jäger nicht, ohne daß man
Musik zu hören bekommen hat, mit seinem „Lustig, lustig! Da kommen die Prager!"
herauszuplatzen und ein paar Takte ohne Musik zu tanzen brauchte. Da die eigent¬
lichen Rollen des Lagers, auch die kleinern, in guten Händen sind, da der Wacht¬
meister nicht besser gegeben werden kann, als er gegeben wird, und da der Kapu¬
ziner seine Rede nur noch ein wenig willkürlicher hervorzusprudeln brauchte, damit
der Eindruck ausdrucksvoller Wiedergabe von etwas Memoriertem vermieden würde,
so fällt dem Zuschauer nur das Übermaß von Pack, Troß und sonstigem Gewimmel
lästig. Dem wäre leicht abgeholfen, und dann wäre nichts an dem schönen, lebens¬
frischen Bild auszusetzen, für das Schiller alle hauptsächlichen Züge mit feinem
Geschmack und erstaunlicher Erfindungsgabe geliefert hat. Was er in seinem
Prolog sagt: ^.^ ^ ^ ^ verführt,
Sein Lager nur erkläret sein Verbrechen,

ist recht eigentlich der Eindruck, den man von dieser kriegerischen Szene mit htnweg-
nimmt. Die Abgabe der achttausend Mann Reiterei an den vou Mailand nach
den Niederlanden ziehenden Kardinal-Infanten ist der Kern der Handlung im
Lager, und sie ist später auch für Wallensteins Entschlüsse das Bestimmende. Gegen¬
über dieser klaren Forderung des kaiserlichen Hofkriegsrath ist, das fühlt die Truppe
ebensogut wie deren Führer, kein Ausweichen, kein Temporisieren möglich. So führt
uns schon das Lager bis dicht an die Katastrophe heran, und der Gang der Hand¬
lung in den nun folgenden zehn Akten ist ein einzig dastehendes Meisterwerk drama¬
tischer und historischer Entwicklung. Manchem will allerdings die Art, wie das
Schicksal der beiden Liebenden mit der gewaltigen Haupthandlung verflochten
worden ist, nicht gefallen; aber wenn man erwägt, daß, wie das Publikum nun
einmal geartet ist. Trauerspiele ohne Liebesintrigue nie rechten Anklang finden, so
muß man doch sagen, daß die Art, wie beide Handlungen trotz der Verschiedenheit
der psychologischen Gebiete, denen sie angehören, durch tausend Fäden miteinander
verknüpft sind, von neuem für das erfinderische Genie des Dichters ein glänzendes
Zeugnis ablegt.

Dem wirklichen Wallenstein wird zwar niemand, der ihn aus seiner Korre¬
spondenz und den Urteilen seiner Zeitgenossen kennt, die ihm von dem Dichter bei¬
gemessene abergläubische Voreingenommenheit für die Welsche», Vater und Sohn
zutrauen, aber zu dem Schillerschen Wallenstein, der uns halb als herzloser
Egoist, halb als unentschlossener Fatalist geschildert wird, paßt diese ins Roman¬
tische schlagende Schwäche ganz gut. Recht klar wird mau sich freilich im Ver¬
laufe des Schillerschen Gedichts kaum über die Frage, ob der große Heerführer
Maxens liebender und bewundernder Verehrung wirklich wert ist, und ob er nicht
vielleicht auch mit ihm wie mit allen andern sein freventliches, weil durch Selbst¬
sucht und Intrigue bestimmtes Spiel spielt. Von Ehrgeiz und Hochmut frei, vou
wirklich lautern Gepräge ist bei ihm selten eine Regung; anch seine Gefühle für
die Herzogin und seine Tochter sind, wenn wir Schillers offenbar auf poetischer
Erfindung beruhender Darstellung folgen wollen, die eines auf äußern Glanz und
souveräne Macht mit rastlosem Ehrgeize bedachten Mannes. Um so erstaunlicher
ist die Znnbergewalt, von der wir uns zu leidenschaftlicher Teilnahme für das
Schicksal eines Mannes hingerissen fühlen, den wir als Verräter verurteile» und
als herzlosen Egoisten verachten sollten. Daß, das Schiller zuwege bringt, ohne
unser Urteil über den Wert des Mannes und die Verwerflichkeit seiner Handlungs¬
weise irreführen zu wollen, ist eine poetische Leistung ersten Ranges, die nur dadurch
möglich gemacht ist, daß uus der entgleiste und die feinangelegten Pläne seiner


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0052" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242120"/>
          <fw type="header" place="top"> Leipziger Dramaturgie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_137" prev="#ID_136" next="#ID_138"> Ordnung; Musik und Schießen erinnern einen daran, daß man im Lager ist, ob¬<lb/>
wohl auch darin am unrechten Ort zuviel geleistet werden kann, und man es lieber<lb/>
sähe, wenn die Musikanten, statt sich hören zu lassen, wo es nicht nötig ist, ans<lb/>
das Stichwort des Dragoners im siebenten Auftritt: &#x201E;Ich sags noch einmal, das<lb/>
leid ich nicht," Obacht geben wollten, damit der erste Jäger nicht, ohne daß man<lb/>
Musik zu hören bekommen hat, mit seinem &#x201E;Lustig, lustig! Da kommen die Prager!"<lb/>
herauszuplatzen und ein paar Takte ohne Musik zu tanzen brauchte. Da die eigent¬<lb/>
lichen Rollen des Lagers, auch die kleinern, in guten Händen sind, da der Wacht¬<lb/>
meister nicht besser gegeben werden kann, als er gegeben wird, und da der Kapu¬<lb/>
ziner seine Rede nur noch ein wenig willkürlicher hervorzusprudeln brauchte, damit<lb/>
der Eindruck ausdrucksvoller Wiedergabe von etwas Memoriertem vermieden würde,<lb/>
so fällt dem Zuschauer nur das Übermaß von Pack, Troß und sonstigem Gewimmel<lb/>
lästig. Dem wäre leicht abgeholfen, und dann wäre nichts an dem schönen, lebens¬<lb/>
frischen Bild auszusetzen, für das Schiller alle hauptsächlichen Züge mit feinem<lb/>
Geschmack und erstaunlicher Erfindungsgabe geliefert hat. Was er in seinem<lb/>
Prolog sagt: <quote> ^.^ ^ ^ ^ verführt,<lb/>
Sein Lager nur erkläret sein Verbrechen,</quote></p><lb/>
          <p xml:id="ID_138" prev="#ID_137"> ist recht eigentlich der Eindruck, den man von dieser kriegerischen Szene mit htnweg-<lb/>
nimmt. Die Abgabe der achttausend Mann Reiterei an den vou Mailand nach<lb/>
den Niederlanden ziehenden Kardinal-Infanten ist der Kern der Handlung im<lb/>
Lager, und sie ist später auch für Wallensteins Entschlüsse das Bestimmende. Gegen¬<lb/>
über dieser klaren Forderung des kaiserlichen Hofkriegsrath ist, das fühlt die Truppe<lb/>
ebensogut wie deren Führer, kein Ausweichen, kein Temporisieren möglich. So führt<lb/>
uns schon das Lager bis dicht an die Katastrophe heran, und der Gang der Hand¬<lb/>
lung in den nun folgenden zehn Akten ist ein einzig dastehendes Meisterwerk drama¬<lb/>
tischer und historischer Entwicklung. Manchem will allerdings die Art, wie das<lb/>
Schicksal der beiden Liebenden mit der gewaltigen Haupthandlung verflochten<lb/>
worden ist, nicht gefallen; aber wenn man erwägt, daß, wie das Publikum nun<lb/>
einmal geartet ist. Trauerspiele ohne Liebesintrigue nie rechten Anklang finden, so<lb/>
muß man doch sagen, daß die Art, wie beide Handlungen trotz der Verschiedenheit<lb/>
der psychologischen Gebiete, denen sie angehören, durch tausend Fäden miteinander<lb/>
verknüpft sind, von neuem für das erfinderische Genie des Dichters ein glänzendes<lb/>
Zeugnis ablegt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_139" next="#ID_140"> Dem wirklichen Wallenstein wird zwar niemand, der ihn aus seiner Korre¬<lb/>
spondenz und den Urteilen seiner Zeitgenossen kennt, die ihm von dem Dichter bei¬<lb/>
gemessene abergläubische Voreingenommenheit für die Welsche», Vater und Sohn<lb/>
zutrauen, aber zu dem Schillerschen Wallenstein, der uns halb als herzloser<lb/>
Egoist, halb als unentschlossener Fatalist geschildert wird, paßt diese ins Roman¬<lb/>
tische schlagende Schwäche ganz gut. Recht klar wird mau sich freilich im Ver¬<lb/>
laufe des Schillerschen Gedichts kaum über die Frage, ob der große Heerführer<lb/>
Maxens liebender und bewundernder Verehrung wirklich wert ist, und ob er nicht<lb/>
vielleicht auch mit ihm wie mit allen andern sein freventliches, weil durch Selbst¬<lb/>
sucht und Intrigue bestimmtes Spiel spielt. Von Ehrgeiz und Hochmut frei, vou<lb/>
wirklich lautern Gepräge ist bei ihm selten eine Regung; anch seine Gefühle für<lb/>
die Herzogin und seine Tochter sind, wenn wir Schillers offenbar auf poetischer<lb/>
Erfindung beruhender Darstellung folgen wollen, die eines auf äußern Glanz und<lb/>
souveräne Macht mit rastlosem Ehrgeize bedachten Mannes. Um so erstaunlicher<lb/>
ist die Znnbergewalt, von der wir uns zu leidenschaftlicher Teilnahme für das<lb/>
Schicksal eines Mannes hingerissen fühlen, den wir als Verräter verurteile» und<lb/>
als herzlosen Egoisten verachten sollten. Daß, das Schiller zuwege bringt, ohne<lb/>
unser Urteil über den Wert des Mannes und die Verwerflichkeit seiner Handlungs¬<lb/>
weise irreführen zu wollen, ist eine poetische Leistung ersten Ranges, die nur dadurch<lb/>
möglich gemacht ist, daß uus der entgleiste und die feinangelegten Pläne seiner</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0052] Leipziger Dramaturgie Ordnung; Musik und Schießen erinnern einen daran, daß man im Lager ist, ob¬ wohl auch darin am unrechten Ort zuviel geleistet werden kann, und man es lieber sähe, wenn die Musikanten, statt sich hören zu lassen, wo es nicht nötig ist, ans das Stichwort des Dragoners im siebenten Auftritt: „Ich sags noch einmal, das leid ich nicht," Obacht geben wollten, damit der erste Jäger nicht, ohne daß man Musik zu hören bekommen hat, mit seinem „Lustig, lustig! Da kommen die Prager!" herauszuplatzen und ein paar Takte ohne Musik zu tanzen brauchte. Da die eigent¬ lichen Rollen des Lagers, auch die kleinern, in guten Händen sind, da der Wacht¬ meister nicht besser gegeben werden kann, als er gegeben wird, und da der Kapu¬ ziner seine Rede nur noch ein wenig willkürlicher hervorzusprudeln brauchte, damit der Eindruck ausdrucksvoller Wiedergabe von etwas Memoriertem vermieden würde, so fällt dem Zuschauer nur das Übermaß von Pack, Troß und sonstigem Gewimmel lästig. Dem wäre leicht abgeholfen, und dann wäre nichts an dem schönen, lebens¬ frischen Bild auszusetzen, für das Schiller alle hauptsächlichen Züge mit feinem Geschmack und erstaunlicher Erfindungsgabe geliefert hat. Was er in seinem Prolog sagt: ^.^ ^ ^ ^ verführt, Sein Lager nur erkläret sein Verbrechen, ist recht eigentlich der Eindruck, den man von dieser kriegerischen Szene mit htnweg- nimmt. Die Abgabe der achttausend Mann Reiterei an den vou Mailand nach den Niederlanden ziehenden Kardinal-Infanten ist der Kern der Handlung im Lager, und sie ist später auch für Wallensteins Entschlüsse das Bestimmende. Gegen¬ über dieser klaren Forderung des kaiserlichen Hofkriegsrath ist, das fühlt die Truppe ebensogut wie deren Führer, kein Ausweichen, kein Temporisieren möglich. So führt uns schon das Lager bis dicht an die Katastrophe heran, und der Gang der Hand¬ lung in den nun folgenden zehn Akten ist ein einzig dastehendes Meisterwerk drama¬ tischer und historischer Entwicklung. Manchem will allerdings die Art, wie das Schicksal der beiden Liebenden mit der gewaltigen Haupthandlung verflochten worden ist, nicht gefallen; aber wenn man erwägt, daß, wie das Publikum nun einmal geartet ist. Trauerspiele ohne Liebesintrigue nie rechten Anklang finden, so muß man doch sagen, daß die Art, wie beide Handlungen trotz der Verschiedenheit der psychologischen Gebiete, denen sie angehören, durch tausend Fäden miteinander verknüpft sind, von neuem für das erfinderische Genie des Dichters ein glänzendes Zeugnis ablegt. Dem wirklichen Wallenstein wird zwar niemand, der ihn aus seiner Korre¬ spondenz und den Urteilen seiner Zeitgenossen kennt, die ihm von dem Dichter bei¬ gemessene abergläubische Voreingenommenheit für die Welsche», Vater und Sohn zutrauen, aber zu dem Schillerschen Wallenstein, der uns halb als herzloser Egoist, halb als unentschlossener Fatalist geschildert wird, paßt diese ins Roman¬ tische schlagende Schwäche ganz gut. Recht klar wird mau sich freilich im Ver¬ laufe des Schillerschen Gedichts kaum über die Frage, ob der große Heerführer Maxens liebender und bewundernder Verehrung wirklich wert ist, und ob er nicht vielleicht auch mit ihm wie mit allen andern sein freventliches, weil durch Selbst¬ sucht und Intrigue bestimmtes Spiel spielt. Von Ehrgeiz und Hochmut frei, vou wirklich lautern Gepräge ist bei ihm selten eine Regung; anch seine Gefühle für die Herzogin und seine Tochter sind, wenn wir Schillers offenbar auf poetischer Erfindung beruhender Darstellung folgen wollen, die eines auf äußern Glanz und souveräne Macht mit rastlosem Ehrgeize bedachten Mannes. Um so erstaunlicher ist die Znnbergewalt, von der wir uns zu leidenschaftlicher Teilnahme für das Schicksal eines Mannes hingerissen fühlen, den wir als Verräter verurteile» und als herzlosen Egoisten verachten sollten. Daß, das Schiller zuwege bringt, ohne unser Urteil über den Wert des Mannes und die Verwerflichkeit seiner Handlungs¬ weise irreführen zu wollen, ist eine poetische Leistung ersten Ranges, die nur dadurch möglich gemacht ist, daß uus der entgleiste und die feinangelegten Pläne seiner

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/52
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/52>, abgerufen am 24.08.2024.