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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Louise von Sachsen-Weimar
Julius R. ^aarhaus von(Schluß)

eit dem Frühjahr 1783 war, anfangs fast unmerklich, eine leise
Entfremdung zwischen Louise und dem Herderschen Paar einge¬
treten. Die Empfindlichkeit Herders, der bei jeder Gelegenheit
eine Zurücksetzung witterte, stellte an die Geduld der Herzogin
die höchsten Ansprüche. Dazu kam die leidige Gewohnheit Karo-
linens, sich hinter dem Rücken ihrer Gönnerin über diese zu beklagen und die
pekuniäre Not, aus der die Familie niemals herauskam, zur Grundlage ver¬
steckter und offner Angriffe auf die fürstlichen Herrschaften zu machen. Louise,
die wie kein andrer Mensch Herders Wert für Weimar zu würdigen wußte,
unterstützte seine Gesuche um Gehaltverbessernngcn und Extrazuschüsse, ja sie
ließ .Herder, als er in einer besonders drückenden Lage war, anonym die an¬
sehnliche Summe von 2000 rheinischen Gulden zugehn, die sie ohne Wissen
eines dritten von ihrem Bruder Christian geliehen hatte. Mit welcher innern
Freude wird sie der Predigt Herders gelauscht haben, worin dieser vor seiner
Reise nach Italien Abschied von seiner Gemeinde nahm und "nicht ahnend,
daß seine Worte in das Herz der Geberin fielen," dem Unbekannten für die
reiche Gabe dankte!

Wir wissen, wie wenig innern Gewinn Herder aus Italien heimbrachte.
Aber einen Vorteil bot ihm der Aufenthalt im Lande der Sonne doch: er
lernte in der klarern Luft klarer sehen. "Mir ist dabei nicht anders im Gemüt
geworden als einem, dem sich ein schönes herrliches Bild entwölkt, das er für
Rauch und Nebel lange nicht sehen konnte, und der sich selbst mit Freuden für
einen Toren achtet, daß er den Nebel dem Bilde selbst zuschrieb," so lautet
sein eignes Bekenntnis. Der Nebelschleier hatte sich freilich nur für einen kurzen
Augenblick vor seinem Auge gelüftet; wie alles in Herders Leben so kam auch
die Erkenntnis seines Unrechts zu spät, als daß sie von Dauer hätte sein
können. Es war, als sei mit den Briefen aus Weimar el" Hauch der "ein¬
geengten Atmosphäre hinter der Stadtkirche" über die Alpen gezogen: er, der
sich in Italien nicht wohl fühlte, der die kleinste Unbequemlichkeit der Reise als
eine schwere Last empfand, dachte mit Schrecken an seine Heimkehr und die
Mühen des gewohnten Lebens. Ein Ruf nach Göttingen erreichte ihn noch in
Rom und erschien ihm "wie ein Wink des Schicksals, die Weimarische Fessel
abzustreifen." Aus Karolinens Berichten konnte er entnehmen, wie wenig man
in Weimar geneigt war, ihn ziehn zu lassen. Besonders Goethe verwandte sich
mit rührendem Eifer für ihn und wirkte ihm vom Herzog für den Fall seines
Bleibens die glänzendsten Bedingungen aus. Aber mißtrauisch, wie Herder nun




Louise von Sachsen-Weimar
Julius R. ^aarhaus von(Schluß)

eit dem Frühjahr 1783 war, anfangs fast unmerklich, eine leise
Entfremdung zwischen Louise und dem Herderschen Paar einge¬
treten. Die Empfindlichkeit Herders, der bei jeder Gelegenheit
eine Zurücksetzung witterte, stellte an die Geduld der Herzogin
die höchsten Ansprüche. Dazu kam die leidige Gewohnheit Karo-
linens, sich hinter dem Rücken ihrer Gönnerin über diese zu beklagen und die
pekuniäre Not, aus der die Familie niemals herauskam, zur Grundlage ver¬
steckter und offner Angriffe auf die fürstlichen Herrschaften zu machen. Louise,
die wie kein andrer Mensch Herders Wert für Weimar zu würdigen wußte,
unterstützte seine Gesuche um Gehaltverbessernngcn und Extrazuschüsse, ja sie
ließ .Herder, als er in einer besonders drückenden Lage war, anonym die an¬
sehnliche Summe von 2000 rheinischen Gulden zugehn, die sie ohne Wissen
eines dritten von ihrem Bruder Christian geliehen hatte. Mit welcher innern
Freude wird sie der Predigt Herders gelauscht haben, worin dieser vor seiner
Reise nach Italien Abschied von seiner Gemeinde nahm und „nicht ahnend,
daß seine Worte in das Herz der Geberin fielen," dem Unbekannten für die
reiche Gabe dankte!

Wir wissen, wie wenig innern Gewinn Herder aus Italien heimbrachte.
Aber einen Vorteil bot ihm der Aufenthalt im Lande der Sonne doch: er
lernte in der klarern Luft klarer sehen. „Mir ist dabei nicht anders im Gemüt
geworden als einem, dem sich ein schönes herrliches Bild entwölkt, das er für
Rauch und Nebel lange nicht sehen konnte, und der sich selbst mit Freuden für
einen Toren achtet, daß er den Nebel dem Bilde selbst zuschrieb," so lautet
sein eignes Bekenntnis. Der Nebelschleier hatte sich freilich nur für einen kurzen
Augenblick vor seinem Auge gelüftet; wie alles in Herders Leben so kam auch
die Erkenntnis seines Unrechts zu spät, als daß sie von Dauer hätte sein
können. Es war, als sei mit den Briefen aus Weimar el» Hauch der „ein¬
geengten Atmosphäre hinter der Stadtkirche" über die Alpen gezogen: er, der
sich in Italien nicht wohl fühlte, der die kleinste Unbequemlichkeit der Reise als
eine schwere Last empfand, dachte mit Schrecken an seine Heimkehr und die
Mühen des gewohnten Lebens. Ein Ruf nach Göttingen erreichte ihn noch in
Rom und erschien ihm „wie ein Wink des Schicksals, die Weimarische Fessel
abzustreifen." Aus Karolinens Berichten konnte er entnehmen, wie wenig man
in Weimar geneigt war, ihn ziehn zu lassen. Besonders Goethe verwandte sich
mit rührendem Eifer für ihn und wirkte ihm vom Herzog für den Fall seines
Bleibens die glänzendsten Bedingungen aus. Aber mißtrauisch, wie Herder nun


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/510>, abgerufen am 22.07.2024.