Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Galizische Wirtschaft

Österreichs eine Eingabe an den Justizminister richteten, er möge durch ent¬
sprechende Maßregeln den unverschämten Kreditschwindel in Galizien und der
Bukowina bekämpfen. Um die Wirkung dieses beschämenden Vorgangs nament¬
lich auf Galizien abzuschwächen, erfüllten die gcilizischen Schlauköpfe sofort die
Welt mit Berichten über den schrecklichen Boykott, den sie im Verein mit den
Geschäftsgenossen in Russisch-Polen wegen der Wreschener Schulvorgänge über
alle "preußischen" Waren verhängt hätten. Man ersieht daraus, welchen sinn¬
vollen Hintergrund zuweilen der polnische Patriotismus hat. Die deutschen
Exporteure haben sich bekanntlich aus dem ganzen Boykottgeschrei wenig ge¬
macht, denn sie wußten im voraus, daß die englischen und die französischen
Unternehmer sehr wenig erbaut sein würden, wenn sie die galizischen Kredit-
Verhältnisse zu kosten bekommen würden.

Am Schlüsse dieser Mitteilungen, die wie die "Märchen aus tausend und
einer Nacht" ohne zu ermüden eine beliebige Fortsetzung zulassen würden, darf
wohl die Bemerkung Raum finden, daß Galizien ein wirtschaftlich vollkommen
ruiuiertes Land ist, das vielleicht binnen kurzer Zeit der österreichischen Monarchie,
möglichenfalls dem gesamten Europa eine politische und eine Kulturaufgabe
stellen wird, ähnlich wie sie heute die Balkanhalbinsel bietet. Es rächt sich
schwer, daß man den Polen länger als ein Vierteljahrhundert ein mächtiges
Stück Land in eigne Hände gegeben hat, denn sie vermögen politisch nichts
ins Werk zu setzen als eine auf unerfüllbaren Träumen beruhende nationale
Agitation mit rücksichtsloser Unterdrückung aller Fremden; wirtschaftlich ver¬
sagen sie vollständig und fallen der Ausbeutung anheim. Das Polenreich der
Zukunft wird da keine materielle Stütze finden, denn das Land würde höchstens
Offiziere für den angekündigten Befreiungskampf liefern, die große Masse des
Landvolks aber daheim bleiben. Die einzige Kräftigung, die das Polentum
in Galizien erfahren hat, ist die Polouisierung deutscher Familien, die die
Grundlage für einen polnischen Mittelstand abgeben, wenn auch nicht in dem¬
selben Umfange, wie dies im "preußischen Anteil" der Fall gewesen ist. In
polnischen Kreisen weiß man das auch und setzt, in klarer Erkenntnis der Tat¬
sache, daß ihnen nur auf diese Weise frisches Blut zuwachsen kann, die Be¬
mühungen fort, die die letzten deutschen Reste in Westgalizien, namentlich in
den noch 1866 zum Deutschen Bunde gehörenden ehemaligen plastischen Herzog¬
tümern Auschwitz (Oswieeim) und sutor, mit Gewalt polnisch machen sollen.
Ebenso betreibt man eine Agitation, um den östlichen Teil von Österreichisch-
Schlcsien, das einst auch plastische Herzogtum Taschen, zu polonisieren. Es
wäre sicher kein kleiner Gewinn für das Polentum, wenn es ihm gelänge, was
dort deutsche Kultur seit Jahrhunderten geleistet hat, mit der polnischen Eti¬
k ette zu überkleben.




Galizische Wirtschaft

Österreichs eine Eingabe an den Justizminister richteten, er möge durch ent¬
sprechende Maßregeln den unverschämten Kreditschwindel in Galizien und der
Bukowina bekämpfen. Um die Wirkung dieses beschämenden Vorgangs nament¬
lich auf Galizien abzuschwächen, erfüllten die gcilizischen Schlauköpfe sofort die
Welt mit Berichten über den schrecklichen Boykott, den sie im Verein mit den
Geschäftsgenossen in Russisch-Polen wegen der Wreschener Schulvorgänge über
alle „preußischen" Waren verhängt hätten. Man ersieht daraus, welchen sinn¬
vollen Hintergrund zuweilen der polnische Patriotismus hat. Die deutschen
Exporteure haben sich bekanntlich aus dem ganzen Boykottgeschrei wenig ge¬
macht, denn sie wußten im voraus, daß die englischen und die französischen
Unternehmer sehr wenig erbaut sein würden, wenn sie die galizischen Kredit-
Verhältnisse zu kosten bekommen würden.

Am Schlüsse dieser Mitteilungen, die wie die „Märchen aus tausend und
einer Nacht" ohne zu ermüden eine beliebige Fortsetzung zulassen würden, darf
wohl die Bemerkung Raum finden, daß Galizien ein wirtschaftlich vollkommen
ruiuiertes Land ist, das vielleicht binnen kurzer Zeit der österreichischen Monarchie,
möglichenfalls dem gesamten Europa eine politische und eine Kulturaufgabe
stellen wird, ähnlich wie sie heute die Balkanhalbinsel bietet. Es rächt sich
schwer, daß man den Polen länger als ein Vierteljahrhundert ein mächtiges
Stück Land in eigne Hände gegeben hat, denn sie vermögen politisch nichts
ins Werk zu setzen als eine auf unerfüllbaren Träumen beruhende nationale
Agitation mit rücksichtsloser Unterdrückung aller Fremden; wirtschaftlich ver¬
sagen sie vollständig und fallen der Ausbeutung anheim. Das Polenreich der
Zukunft wird da keine materielle Stütze finden, denn das Land würde höchstens
Offiziere für den angekündigten Befreiungskampf liefern, die große Masse des
Landvolks aber daheim bleiben. Die einzige Kräftigung, die das Polentum
in Galizien erfahren hat, ist die Polouisierung deutscher Familien, die die
Grundlage für einen polnischen Mittelstand abgeben, wenn auch nicht in dem¬
selben Umfange, wie dies im „preußischen Anteil" der Fall gewesen ist. In
polnischen Kreisen weiß man das auch und setzt, in klarer Erkenntnis der Tat¬
sache, daß ihnen nur auf diese Weise frisches Blut zuwachsen kann, die Be¬
mühungen fort, die die letzten deutschen Reste in Westgalizien, namentlich in
den noch 1866 zum Deutschen Bunde gehörenden ehemaligen plastischen Herzog¬
tümern Auschwitz (Oswieeim) und sutor, mit Gewalt polnisch machen sollen.
Ebenso betreibt man eine Agitation, um den östlichen Teil von Österreichisch-
Schlcsien, das einst auch plastische Herzogtum Taschen, zu polonisieren. Es
wäre sicher kein kleiner Gewinn für das Polentum, wenn es ihm gelänge, was
dort deutsche Kultur seit Jahrhunderten geleistet hat, mit der polnischen Eti¬
k ette zu überkleben.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0509" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242579"/>
          <fw type="header" place="top"> Galizische Wirtschaft</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1784" prev="#ID_1783"> Österreichs eine Eingabe an den Justizminister richteten, er möge durch ent¬<lb/>
sprechende Maßregeln den unverschämten Kreditschwindel in Galizien und der<lb/>
Bukowina bekämpfen. Um die Wirkung dieses beschämenden Vorgangs nament¬<lb/>
lich auf Galizien abzuschwächen, erfüllten die gcilizischen Schlauköpfe sofort die<lb/>
Welt mit Berichten über den schrecklichen Boykott, den sie im Verein mit den<lb/>
Geschäftsgenossen in Russisch-Polen wegen der Wreschener Schulvorgänge über<lb/>
alle &#x201E;preußischen" Waren verhängt hätten. Man ersieht daraus, welchen sinn¬<lb/>
vollen Hintergrund zuweilen der polnische Patriotismus hat. Die deutschen<lb/>
Exporteure haben sich bekanntlich aus dem ganzen Boykottgeschrei wenig ge¬<lb/>
macht, denn sie wußten im voraus, daß die englischen und die französischen<lb/>
Unternehmer sehr wenig erbaut sein würden, wenn sie die galizischen Kredit-<lb/>
Verhältnisse zu kosten bekommen würden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1785"> Am Schlüsse dieser Mitteilungen, die wie die &#x201E;Märchen aus tausend und<lb/>
einer Nacht" ohne zu ermüden eine beliebige Fortsetzung zulassen würden, darf<lb/>
wohl die Bemerkung Raum finden, daß Galizien ein wirtschaftlich vollkommen<lb/>
ruiuiertes Land ist, das vielleicht binnen kurzer Zeit der österreichischen Monarchie,<lb/>
möglichenfalls dem gesamten Europa eine politische und eine Kulturaufgabe<lb/>
stellen wird, ähnlich wie sie heute die Balkanhalbinsel bietet. Es rächt sich<lb/>
schwer, daß man den Polen länger als ein Vierteljahrhundert ein mächtiges<lb/>
Stück Land in eigne Hände gegeben hat, denn sie vermögen politisch nichts<lb/>
ins Werk zu setzen als eine auf unerfüllbaren Träumen beruhende nationale<lb/>
Agitation mit rücksichtsloser Unterdrückung aller Fremden; wirtschaftlich ver¬<lb/>
sagen sie vollständig und fallen der Ausbeutung anheim.  Das Polenreich der<lb/>
Zukunft wird da keine materielle Stütze finden, denn das Land würde höchstens<lb/>
Offiziere für den angekündigten Befreiungskampf liefern, die große Masse des<lb/>
Landvolks aber daheim bleiben. Die einzige Kräftigung, die das Polentum<lb/>
in Galizien erfahren hat, ist die Polouisierung deutscher Familien, die die<lb/>
Grundlage für einen polnischen Mittelstand abgeben, wenn auch nicht in dem¬<lb/>
selben Umfange, wie dies im &#x201E;preußischen Anteil" der Fall gewesen ist. In<lb/>
polnischen Kreisen weiß man das auch und setzt, in klarer Erkenntnis der Tat¬<lb/>
sache, daß ihnen nur auf diese Weise frisches Blut zuwachsen kann, die Be¬<lb/>
mühungen fort, die die letzten deutschen Reste in Westgalizien, namentlich in<lb/>
den noch 1866 zum Deutschen Bunde gehörenden ehemaligen plastischen Herzog¬<lb/>
tümern Auschwitz (Oswieeim) und sutor, mit Gewalt polnisch machen sollen.<lb/>
Ebenso betreibt man eine Agitation, um den östlichen Teil von Österreichisch-<lb/>
Schlcsien, das einst auch plastische Herzogtum Taschen, zu polonisieren. Es<lb/>
wäre sicher kein kleiner Gewinn für das Polentum, wenn es ihm gelänge, was<lb/>
dort deutsche Kultur seit Jahrhunderten geleistet hat, mit der polnischen Eti¬<lb/>
k<note type="byline"/> ette zu überkleben.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0509] Galizische Wirtschaft Österreichs eine Eingabe an den Justizminister richteten, er möge durch ent¬ sprechende Maßregeln den unverschämten Kreditschwindel in Galizien und der Bukowina bekämpfen. Um die Wirkung dieses beschämenden Vorgangs nament¬ lich auf Galizien abzuschwächen, erfüllten die gcilizischen Schlauköpfe sofort die Welt mit Berichten über den schrecklichen Boykott, den sie im Verein mit den Geschäftsgenossen in Russisch-Polen wegen der Wreschener Schulvorgänge über alle „preußischen" Waren verhängt hätten. Man ersieht daraus, welchen sinn¬ vollen Hintergrund zuweilen der polnische Patriotismus hat. Die deutschen Exporteure haben sich bekanntlich aus dem ganzen Boykottgeschrei wenig ge¬ macht, denn sie wußten im voraus, daß die englischen und die französischen Unternehmer sehr wenig erbaut sein würden, wenn sie die galizischen Kredit- Verhältnisse zu kosten bekommen würden. Am Schlüsse dieser Mitteilungen, die wie die „Märchen aus tausend und einer Nacht" ohne zu ermüden eine beliebige Fortsetzung zulassen würden, darf wohl die Bemerkung Raum finden, daß Galizien ein wirtschaftlich vollkommen ruiuiertes Land ist, das vielleicht binnen kurzer Zeit der österreichischen Monarchie, möglichenfalls dem gesamten Europa eine politische und eine Kulturaufgabe stellen wird, ähnlich wie sie heute die Balkanhalbinsel bietet. Es rächt sich schwer, daß man den Polen länger als ein Vierteljahrhundert ein mächtiges Stück Land in eigne Hände gegeben hat, denn sie vermögen politisch nichts ins Werk zu setzen als eine auf unerfüllbaren Träumen beruhende nationale Agitation mit rücksichtsloser Unterdrückung aller Fremden; wirtschaftlich ver¬ sagen sie vollständig und fallen der Ausbeutung anheim. Das Polenreich der Zukunft wird da keine materielle Stütze finden, denn das Land würde höchstens Offiziere für den angekündigten Befreiungskampf liefern, die große Masse des Landvolks aber daheim bleiben. Die einzige Kräftigung, die das Polentum in Galizien erfahren hat, ist die Polouisierung deutscher Familien, die die Grundlage für einen polnischen Mittelstand abgeben, wenn auch nicht in dem¬ selben Umfange, wie dies im „preußischen Anteil" der Fall gewesen ist. In polnischen Kreisen weiß man das auch und setzt, in klarer Erkenntnis der Tat¬ sache, daß ihnen nur auf diese Weise frisches Blut zuwachsen kann, die Be¬ mühungen fort, die die letzten deutschen Reste in Westgalizien, namentlich in den noch 1866 zum Deutschen Bunde gehörenden ehemaligen plastischen Herzog¬ tümern Auschwitz (Oswieeim) und sutor, mit Gewalt polnisch machen sollen. Ebenso betreibt man eine Agitation, um den östlichen Teil von Österreichisch- Schlcsien, das einst auch plastische Herzogtum Taschen, zu polonisieren. Es wäre sicher kein kleiner Gewinn für das Polentum, wenn es ihm gelänge, was dort deutsche Kultur seit Jahrhunderten geleistet hat, mit der polnischen Eti¬ k ette zu überkleben.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/509
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/509>, abgerufen am 22.07.2024.