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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

floß, wogegen Horst aus engen Verhältnissen stammte und auch wahrend seines
Schulmeisterlebens genötigt gewesen war, kurze Schritte zu machen. Zwar hatte
er hinreichend Gelegenheit gehabt, sich an den verwickeltsten und wagehalsigsten
Rechenexempeln zu versuchen und sie auch mit der größte" Gemütsruhe zu lösen
verstanden. Wie er es aber jetzt nicht mehr mit friedlichen Beispielen zu tun hatte,
sondern mit wirklichem Geld, wurde er ängstlich und zaghaft, ließ sich manches
gute Geschäft aus Vorsicht entgehn und machte sich mich der einen und andern
Dummheit schuldig. Da nahm ihm seine Frau das Zepter sachte ans der Hand
und hielt es hinfort in ihrer eignen kleinen, aber festen Faust, und bald war sie
die Seele und der Vorstand des Geschäfts, während Horst immer mehr aufs
Trockne geriet und gewissermaßen als ein überzähliges Rad in seinem Mühlen¬
wesen zu figurieren hatte.

So verging ein Jahr und noch eins, und mit der Zeit glitten Sommer und
Winter an mir vorüber. Ich trieb bald dieses bald jenes, um mich aufzuheitern.
Am liebsten lief ich in den Wäldern herum und konnte auf einem sonnigen Hügel
stundenlang liegen, ohne etwas zu denken, horchend auf den Wachtelschlag in den
Feldern, auf den Kuckucksruf, auf das Zirpen der Grillen und irgend welche ferne
Tone. So ließ ich mir das Leben zwischen den Händen hingleiten und verlor
einen schonen Tag nach dem andern. Dennoch habe ich von jenen flattrigen Stunden
manches in mich hineingenvmmen, was mir jetzt zugute kommt. Wenn ich jetzt
in meinen kahlen Wänden eine stille Stunde habe und deu Kopf in beide Hände
gestützt vor mich hinbrüte, dann fliegt so ein Tag vor mir auf, wogende Felder,
spielende Sonnenlichter im Waldesschntten, eine goldne Abendröte über dunkeln
Wipfeln. Wie die gefrornen Töne in jenem Posthorn ruhen diese Stimmungen
in meiner Seele, alle die kleinen bunten Bilder, die ich, ohne es zu merken, in
mir aufgespeichert habe, und dieses Betrachten tröstet mich nun und hilft mir über
vieles hinweg.

Nach und nach geriet ich jedoch auch auf einen gefährlicheren Zeitvertreib.
Ich fing an, bald da bald dort in einem Wirtshaus einzusitzen und mich hinter
die Flasche zu machen. Namentlich war es ein Wirtshaus in einem entlegnen Dorf,
worin ich gern verweilte. Es kamen wenig Leute dahin, und man konnte sich mit
der Frnn oder ihrer Tochter, die beide von sehr aufgeräumter Art waren, nach
Herzenslust und ohne alle Zimperlichkeit unterhalten. 'Ich hatte jedoch dazu keine
Neigung, und so gaben die beiden Frauenspersonen, nachdem sie eine Zeit lang
verzweifelte Versuche gemacht hatten, mich lebendig zu kriegen, das Spiel endlich
auf und wären nun wohl das Klümpchen Unglück, das ihnen die Ofenbank absaß,
gern losgeworden. Ich hatte mich aber nun einmal festgerannt und klebte an
meinem Platze, und als ich erst merkte, daß ich ihnen zuwider war, gefiel mir mein
Sitz noch besser als vorher- So versaß ich also manchen Sommerabend und manchen
langen Winternachmittag. Schließlich wurde der hölzerne Mann der guten Frau
Jo unheimlich, daß sie sich wohl selbst einen Gast ins Hans lud, irgend ein armes
"lies Männlein aus der Nachbarschaft, das nicht viel° verzehren durfte und mir
darum so verdrießlich gegenüber saß, als müßte es mir zum Spiegel dienen, mein
krauses Antlitz darin wiederzufinden.

^ Wenn ich jetzt auf diese Zeit zurückschalle, so sehe ich in ein Bild ohne feste
^ornam, es verfließt alles in einem Dämmer und schwimmt durcheinander, ein
Nebelbild an einem Nvvembertag, ein stilles ödes Gewässer, und darüber eine
weite graue wolkige Fläche, in die die Phantasie so gern die kühnen und kräftigen
^-"nen eines aufsteigenden Gebirges einzeichnen möchte. Aber es gab damals noch
kein Aufsteigen. Wolken und Nebel wallen niederwärts, und wenn sie sich zu Wasser
Erdichtet haben, stürzen sie über die Felsen und durchsägen den Grund, der sie
West. Es rang in mir nach einem Entschlüsse, aber die von Tranmluft eingehüllte
"cele konnte sich nicht von der Stelle regen, zitterte nnr wie das in einen
"Pmnenfaden verwickelte Insekt leise hin und her.



Am Ende dieses Jahres nahm sich einer unserer Nachbarn plötzlich das Leben.
Zwei Seelen

floß, wogegen Horst aus engen Verhältnissen stammte und auch wahrend seines
Schulmeisterlebens genötigt gewesen war, kurze Schritte zu machen. Zwar hatte
er hinreichend Gelegenheit gehabt, sich an den verwickeltsten und wagehalsigsten
Rechenexempeln zu versuchen und sie auch mit der größte» Gemütsruhe zu lösen
verstanden. Wie er es aber jetzt nicht mehr mit friedlichen Beispielen zu tun hatte,
sondern mit wirklichem Geld, wurde er ängstlich und zaghaft, ließ sich manches
gute Geschäft aus Vorsicht entgehn und machte sich mich der einen und andern
Dummheit schuldig. Da nahm ihm seine Frau das Zepter sachte ans der Hand
und hielt es hinfort in ihrer eignen kleinen, aber festen Faust, und bald war sie
die Seele und der Vorstand des Geschäfts, während Horst immer mehr aufs
Trockne geriet und gewissermaßen als ein überzähliges Rad in seinem Mühlen¬
wesen zu figurieren hatte.

So verging ein Jahr und noch eins, und mit der Zeit glitten Sommer und
Winter an mir vorüber. Ich trieb bald dieses bald jenes, um mich aufzuheitern.
Am liebsten lief ich in den Wäldern herum und konnte auf einem sonnigen Hügel
stundenlang liegen, ohne etwas zu denken, horchend auf den Wachtelschlag in den
Feldern, auf den Kuckucksruf, auf das Zirpen der Grillen und irgend welche ferne
Tone. So ließ ich mir das Leben zwischen den Händen hingleiten und verlor
einen schonen Tag nach dem andern. Dennoch habe ich von jenen flattrigen Stunden
manches in mich hineingenvmmen, was mir jetzt zugute kommt. Wenn ich jetzt
in meinen kahlen Wänden eine stille Stunde habe und deu Kopf in beide Hände
gestützt vor mich hinbrüte, dann fliegt so ein Tag vor mir auf, wogende Felder,
spielende Sonnenlichter im Waldesschntten, eine goldne Abendröte über dunkeln
Wipfeln. Wie die gefrornen Töne in jenem Posthorn ruhen diese Stimmungen
in meiner Seele, alle die kleinen bunten Bilder, die ich, ohne es zu merken, in
mir aufgespeichert habe, und dieses Betrachten tröstet mich nun und hilft mir über
vieles hinweg.

Nach und nach geriet ich jedoch auch auf einen gefährlicheren Zeitvertreib.
Ich fing an, bald da bald dort in einem Wirtshaus einzusitzen und mich hinter
die Flasche zu machen. Namentlich war es ein Wirtshaus in einem entlegnen Dorf,
worin ich gern verweilte. Es kamen wenig Leute dahin, und man konnte sich mit
der Frnn oder ihrer Tochter, die beide von sehr aufgeräumter Art waren, nach
Herzenslust und ohne alle Zimperlichkeit unterhalten. 'Ich hatte jedoch dazu keine
Neigung, und so gaben die beiden Frauenspersonen, nachdem sie eine Zeit lang
verzweifelte Versuche gemacht hatten, mich lebendig zu kriegen, das Spiel endlich
auf und wären nun wohl das Klümpchen Unglück, das ihnen die Ofenbank absaß,
gern losgeworden. Ich hatte mich aber nun einmal festgerannt und klebte an
meinem Platze, und als ich erst merkte, daß ich ihnen zuwider war, gefiel mir mein
Sitz noch besser als vorher- So versaß ich also manchen Sommerabend und manchen
langen Winternachmittag. Schließlich wurde der hölzerne Mann der guten Frau
Jo unheimlich, daß sie sich wohl selbst einen Gast ins Hans lud, irgend ein armes
"lies Männlein aus der Nachbarschaft, das nicht viel° verzehren durfte und mir
darum so verdrießlich gegenüber saß, als müßte es mir zum Spiegel dienen, mein
krauses Antlitz darin wiederzufinden.

^ Wenn ich jetzt auf diese Zeit zurückschalle, so sehe ich in ein Bild ohne feste
^ornam, es verfließt alles in einem Dämmer und schwimmt durcheinander, ein
Nebelbild an einem Nvvembertag, ein stilles ödes Gewässer, und darüber eine
weite graue wolkige Fläche, in die die Phantasie so gern die kühnen und kräftigen
^-"nen eines aufsteigenden Gebirges einzeichnen möchte. Aber es gab damals noch
kein Aufsteigen. Wolken und Nebel wallen niederwärts, und wenn sie sich zu Wasser
Erdichtet haben, stürzen sie über die Felsen und durchsägen den Grund, der sie
West. Es rang in mir nach einem Entschlüsse, aber die von Tranmluft eingehüllte
«cele konnte sich nicht von der Stelle regen, zitterte nnr wie das in einen
«Pmnenfaden verwickelte Insekt leise hin und her.



Am Ende dieses Jahres nahm sich einer unserer Nachbarn plötzlich das Leben.
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[0339] Zwei Seelen floß, wogegen Horst aus engen Verhältnissen stammte und auch wahrend seines Schulmeisterlebens genötigt gewesen war, kurze Schritte zu machen. Zwar hatte er hinreichend Gelegenheit gehabt, sich an den verwickeltsten und wagehalsigsten Rechenexempeln zu versuchen und sie auch mit der größte» Gemütsruhe zu lösen verstanden. Wie er es aber jetzt nicht mehr mit friedlichen Beispielen zu tun hatte, sondern mit wirklichem Geld, wurde er ängstlich und zaghaft, ließ sich manches gute Geschäft aus Vorsicht entgehn und machte sich mich der einen und andern Dummheit schuldig. Da nahm ihm seine Frau das Zepter sachte ans der Hand und hielt es hinfort in ihrer eignen kleinen, aber festen Faust, und bald war sie die Seele und der Vorstand des Geschäfts, während Horst immer mehr aufs Trockne geriet und gewissermaßen als ein überzähliges Rad in seinem Mühlen¬ wesen zu figurieren hatte. So verging ein Jahr und noch eins, und mit der Zeit glitten Sommer und Winter an mir vorüber. Ich trieb bald dieses bald jenes, um mich aufzuheitern. Am liebsten lief ich in den Wäldern herum und konnte auf einem sonnigen Hügel stundenlang liegen, ohne etwas zu denken, horchend auf den Wachtelschlag in den Feldern, auf den Kuckucksruf, auf das Zirpen der Grillen und irgend welche ferne Tone. So ließ ich mir das Leben zwischen den Händen hingleiten und verlor einen schonen Tag nach dem andern. Dennoch habe ich von jenen flattrigen Stunden manches in mich hineingenvmmen, was mir jetzt zugute kommt. Wenn ich jetzt in meinen kahlen Wänden eine stille Stunde habe und deu Kopf in beide Hände gestützt vor mich hinbrüte, dann fliegt so ein Tag vor mir auf, wogende Felder, spielende Sonnenlichter im Waldesschntten, eine goldne Abendröte über dunkeln Wipfeln. Wie die gefrornen Töne in jenem Posthorn ruhen diese Stimmungen in meiner Seele, alle die kleinen bunten Bilder, die ich, ohne es zu merken, in mir aufgespeichert habe, und dieses Betrachten tröstet mich nun und hilft mir über vieles hinweg. Nach und nach geriet ich jedoch auch auf einen gefährlicheren Zeitvertreib. Ich fing an, bald da bald dort in einem Wirtshaus einzusitzen und mich hinter die Flasche zu machen. Namentlich war es ein Wirtshaus in einem entlegnen Dorf, worin ich gern verweilte. Es kamen wenig Leute dahin, und man konnte sich mit der Frnn oder ihrer Tochter, die beide von sehr aufgeräumter Art waren, nach Herzenslust und ohne alle Zimperlichkeit unterhalten. 'Ich hatte jedoch dazu keine Neigung, und so gaben die beiden Frauenspersonen, nachdem sie eine Zeit lang verzweifelte Versuche gemacht hatten, mich lebendig zu kriegen, das Spiel endlich auf und wären nun wohl das Klümpchen Unglück, das ihnen die Ofenbank absaß, gern losgeworden. Ich hatte mich aber nun einmal festgerannt und klebte an meinem Platze, und als ich erst merkte, daß ich ihnen zuwider war, gefiel mir mein Sitz noch besser als vorher- So versaß ich also manchen Sommerabend und manchen langen Winternachmittag. Schließlich wurde der hölzerne Mann der guten Frau Jo unheimlich, daß sie sich wohl selbst einen Gast ins Hans lud, irgend ein armes "lies Männlein aus der Nachbarschaft, das nicht viel° verzehren durfte und mir darum so verdrießlich gegenüber saß, als müßte es mir zum Spiegel dienen, mein krauses Antlitz darin wiederzufinden. ^ Wenn ich jetzt auf diese Zeit zurückschalle, so sehe ich in ein Bild ohne feste ^ornam, es verfließt alles in einem Dämmer und schwimmt durcheinander, ein Nebelbild an einem Nvvembertag, ein stilles ödes Gewässer, und darüber eine weite graue wolkige Fläche, in die die Phantasie so gern die kühnen und kräftigen ^-"nen eines aufsteigenden Gebirges einzeichnen möchte. Aber es gab damals noch kein Aufsteigen. Wolken und Nebel wallen niederwärts, und wenn sie sich zu Wasser Erdichtet haben, stürzen sie über die Felsen und durchsägen den Grund, der sie West. Es rang in mir nach einem Entschlüsse, aber die von Tranmluft eingehüllte «cele konnte sich nicht von der Stelle regen, zitterte nnr wie das in einen «Pmnenfaden verwickelte Insekt leise hin und her. Am Ende dieses Jahres nahm sich einer unserer Nachbarn plötzlich das Leben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/339>, abgerufen am 22.07.2024.