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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

der Grund, warum er es getan hatte, stand mit seiner Lehre in Widerspruch.
Ich hätte mein Kreuz auf mich nehmen und es geduldig tragen sollen, statt dessen
hatte er mir geraten, ihm auszuweichen. Er nahm mich ans der Stelle wieder
an. Das Geschäft ging zwar in der letzten Zeit nicht besonders, und man hätte
kaum einen Gesellen nötig gehabt, aber vielleicht machte es sich much wieder, "ut
die Leute, die uns untreu geworden waren, kehrten reumütig zurück.

Darin hatte er sich auch nicht getäuscht. Wer einen alten Rock im Hause
hatte, der brachte ihn uns in den nächsten Tagen. Und sie setzten sich zu uns,
schwatzten und fragten und blieben noch auf der Schwelle stehn, um sich deu Un¬
glücksmenschen nur recht genan anzusehen. Der Meister hätte dem Gesindel gern
heimgeleuchtet, aber er mußte stillhalten, und ich selber reckte mich und hielt mich
anfrecht, so gut es ging: Das mußt du tragen, sei ein Mann! Sie werden dir
nichts von deiner Herrlichkeit heruntergucken. Wenn sie sich satt gesehen haben,
so hast du für immer Ruhe! Die bekam ich denn auch, vor ihnen, aber nicht vor
mir selbst. Ich versuchte mich in der Arbeit zu vergessen, aber ich fand mich darin
nur deutlich wieder. Die Arbeit des Schneiders verlockt zum Sinnen und Grübeln.
Man zieht deu Faden hin und her, währenddessen gehn andre Fäden gleichfalls uns
und nieder und wehen durch die Lust. Es läßt sich viel träumen und phantasieren,
derweil man still auf einem Fleck hockt und Stich an Stich setzt. Die Uhr geht
leise an der Wand und pendelt hin und her, und mit ihr gehen und schwingen
die Gedanken. Schon ists, so zu sitzen und zu träumen, wenn die Gedanken auf¬
wärts ziehn und die Seele mit hinauf nehmen in ein fernes goldnes Land, aber
wenn Träume zu Schmerzen werden, so ist das für den armen Schneider eine harte
Zeit, er kann nicht wie der Schmied mit schwerem Hammer auf das glühende
Eisen schlagen, still muß er halten und schweigend Stich an Stich setzen. Das sah
ich ein, ein andrer saß jetzt auf dem Platze, auf dem ich einst gesessen hatte. Der
frühere Mensch hatte Pläne und Hoffnung, er lief dem Wind entgegen und rang
mit dem Leben. Eine Feder trug er am Hute und eine Blume im Knopfloch und
war ein dummer leichtsinniger Junge, aber die Rauchwölkchen, mit denen er seine
Welt verqualmte, zeigte" doch wenigstens an, daß Feuer in ihm brannte. Dem,
der jetzt an seiner Stelle saß, war das Feuer ausgebrannt, und nun saß er da und
fror. Und aus dem Herrlein mit dem Fedcrhui war ein trübseliger Knecht ge¬
worden, der nichts mehr zu erwarten hatte, als unter der Hand mit verbraucht
zu werden.

Im Frühjahr schmückte sich die Mühle zum Hochzeitsfest. Die Braut ging in
einem schönen weißen Kleide zur Kirche und zertrat mit festem Fuße die Blumen,
die mau ihr in deu Weg streute. Auch der Bräutigam sah gut aus, ich selber
hatte ihm das Hochzeitskleid gearbeitet und allen Fleiß daran gewandt, dein schönen
Ärmchen nichts an ihrem Erkorenen zu verderben. Wie angegossen saß ihm das
festliche Gewand und wurde ihm deshalb bald zu enge, da er mit den behäbigen
Verhältnissen, in die er um hineinwuchs, schnell in die Breite ging. Dies würde
ihn früher schwer gekränkt haben, jetzt aber konnte er sich seiner zunehmenden Fülle
ohne quälende Nebengedanken ruhig erfreuen und sich, so oft es ihn immer ge¬
lüstete, nach dem augenblicklichen Status neu bekleiden lassen. Auch seinen Schnlmeister-
rock, der ihn längst ans allen Seiten gedrückt und eingezwängt hatte, zog er nach
einem kurzen Zandern endgiltig ans und vertauschte ihn gegen das bequemere Ge¬
wand eines Mühlenbesitzcrs, worauf Änncheus Vater, nachdem er den Schwieger¬
sohn in aller Eile eingeführt hatte, mit seiner kranken Tochter auf Reise" ging
und dem jungen Paare das weitere Sorgen überließ. Horst stürzte sich denn
auch mit Eifer in seine neue Beschäftigung. Seine Bücher wurden mit seinen
und seiner Frau Sammlungen auf deu Boden unter das überflüssig gewordne
Gerak geschafft, und an deren Stelle Handelsbücher und Getreideprobeu in seinem
Zimmer aufgestellt. Nach und nach kam es jedoch heraus, daß Nunchcn der tingere
Teil der jungen Familie war, wenigstens der geschttftsgewandtere, was ja auch nicht
zu verwundern war, da in ihren Adern das Blut einer alten Handelsfamilic


Zwei Seelen

der Grund, warum er es getan hatte, stand mit seiner Lehre in Widerspruch.
Ich hätte mein Kreuz auf mich nehmen und es geduldig tragen sollen, statt dessen
hatte er mir geraten, ihm auszuweichen. Er nahm mich ans der Stelle wieder
an. Das Geschäft ging zwar in der letzten Zeit nicht besonders, und man hätte
kaum einen Gesellen nötig gehabt, aber vielleicht machte es sich much wieder, »ut
die Leute, die uns untreu geworden waren, kehrten reumütig zurück.

Darin hatte er sich auch nicht getäuscht. Wer einen alten Rock im Hause
hatte, der brachte ihn uns in den nächsten Tagen. Und sie setzten sich zu uns,
schwatzten und fragten und blieben noch auf der Schwelle stehn, um sich deu Un¬
glücksmenschen nur recht genan anzusehen. Der Meister hätte dem Gesindel gern
heimgeleuchtet, aber er mußte stillhalten, und ich selber reckte mich und hielt mich
anfrecht, so gut es ging: Das mußt du tragen, sei ein Mann! Sie werden dir
nichts von deiner Herrlichkeit heruntergucken. Wenn sie sich satt gesehen haben,
so hast du für immer Ruhe! Die bekam ich denn auch, vor ihnen, aber nicht vor
mir selbst. Ich versuchte mich in der Arbeit zu vergessen, aber ich fand mich darin
nur deutlich wieder. Die Arbeit des Schneiders verlockt zum Sinnen und Grübeln.
Man zieht deu Faden hin und her, währenddessen gehn andre Fäden gleichfalls uns
und nieder und wehen durch die Lust. Es läßt sich viel träumen und phantasieren,
derweil man still auf einem Fleck hockt und Stich an Stich setzt. Die Uhr geht
leise an der Wand und pendelt hin und her, und mit ihr gehen und schwingen
die Gedanken. Schon ists, so zu sitzen und zu träumen, wenn die Gedanken auf¬
wärts ziehn und die Seele mit hinauf nehmen in ein fernes goldnes Land, aber
wenn Träume zu Schmerzen werden, so ist das für den armen Schneider eine harte
Zeit, er kann nicht wie der Schmied mit schwerem Hammer auf das glühende
Eisen schlagen, still muß er halten und schweigend Stich an Stich setzen. Das sah
ich ein, ein andrer saß jetzt auf dem Platze, auf dem ich einst gesessen hatte. Der
frühere Mensch hatte Pläne und Hoffnung, er lief dem Wind entgegen und rang
mit dem Leben. Eine Feder trug er am Hute und eine Blume im Knopfloch und
war ein dummer leichtsinniger Junge, aber die Rauchwölkchen, mit denen er seine
Welt verqualmte, zeigte» doch wenigstens an, daß Feuer in ihm brannte. Dem,
der jetzt an seiner Stelle saß, war das Feuer ausgebrannt, und nun saß er da und
fror. Und aus dem Herrlein mit dem Fedcrhui war ein trübseliger Knecht ge¬
worden, der nichts mehr zu erwarten hatte, als unter der Hand mit verbraucht
zu werden.

Im Frühjahr schmückte sich die Mühle zum Hochzeitsfest. Die Braut ging in
einem schönen weißen Kleide zur Kirche und zertrat mit festem Fuße die Blumen,
die mau ihr in deu Weg streute. Auch der Bräutigam sah gut aus, ich selber
hatte ihm das Hochzeitskleid gearbeitet und allen Fleiß daran gewandt, dein schönen
Ärmchen nichts an ihrem Erkorenen zu verderben. Wie angegossen saß ihm das
festliche Gewand und wurde ihm deshalb bald zu enge, da er mit den behäbigen
Verhältnissen, in die er um hineinwuchs, schnell in die Breite ging. Dies würde
ihn früher schwer gekränkt haben, jetzt aber konnte er sich seiner zunehmenden Fülle
ohne quälende Nebengedanken ruhig erfreuen und sich, so oft es ihn immer ge¬
lüstete, nach dem augenblicklichen Status neu bekleiden lassen. Auch seinen Schnlmeister-
rock, der ihn längst ans allen Seiten gedrückt und eingezwängt hatte, zog er nach
einem kurzen Zandern endgiltig ans und vertauschte ihn gegen das bequemere Ge¬
wand eines Mühlenbesitzcrs, worauf Änncheus Vater, nachdem er den Schwieger¬
sohn in aller Eile eingeführt hatte, mit seiner kranken Tochter auf Reise» ging
und dem jungen Paare das weitere Sorgen überließ. Horst stürzte sich denn
auch mit Eifer in seine neue Beschäftigung. Seine Bücher wurden mit seinen
und seiner Frau Sammlungen auf deu Boden unter das überflüssig gewordne
Gerak geschafft, und an deren Stelle Handelsbücher und Getreideprobeu in seinem
Zimmer aufgestellt. Nach und nach kam es jedoch heraus, daß Nunchcn der tingere
Teil der jungen Familie war, wenigstens der geschttftsgewandtere, was ja auch nicht
zu verwundern war, da in ihren Adern das Blut einer alten Handelsfamilic


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[0338] Zwei Seelen der Grund, warum er es getan hatte, stand mit seiner Lehre in Widerspruch. Ich hätte mein Kreuz auf mich nehmen und es geduldig tragen sollen, statt dessen hatte er mir geraten, ihm auszuweichen. Er nahm mich ans der Stelle wieder an. Das Geschäft ging zwar in der letzten Zeit nicht besonders, und man hätte kaum einen Gesellen nötig gehabt, aber vielleicht machte es sich much wieder, »ut die Leute, die uns untreu geworden waren, kehrten reumütig zurück. Darin hatte er sich auch nicht getäuscht. Wer einen alten Rock im Hause hatte, der brachte ihn uns in den nächsten Tagen. Und sie setzten sich zu uns, schwatzten und fragten und blieben noch auf der Schwelle stehn, um sich deu Un¬ glücksmenschen nur recht genan anzusehen. Der Meister hätte dem Gesindel gern heimgeleuchtet, aber er mußte stillhalten, und ich selber reckte mich und hielt mich anfrecht, so gut es ging: Das mußt du tragen, sei ein Mann! Sie werden dir nichts von deiner Herrlichkeit heruntergucken. Wenn sie sich satt gesehen haben, so hast du für immer Ruhe! Die bekam ich denn auch, vor ihnen, aber nicht vor mir selbst. Ich versuchte mich in der Arbeit zu vergessen, aber ich fand mich darin nur deutlich wieder. Die Arbeit des Schneiders verlockt zum Sinnen und Grübeln. Man zieht deu Faden hin und her, währenddessen gehn andre Fäden gleichfalls uns und nieder und wehen durch die Lust. Es läßt sich viel träumen und phantasieren, derweil man still auf einem Fleck hockt und Stich an Stich setzt. Die Uhr geht leise an der Wand und pendelt hin und her, und mit ihr gehen und schwingen die Gedanken. Schon ists, so zu sitzen und zu träumen, wenn die Gedanken auf¬ wärts ziehn und die Seele mit hinauf nehmen in ein fernes goldnes Land, aber wenn Träume zu Schmerzen werden, so ist das für den armen Schneider eine harte Zeit, er kann nicht wie der Schmied mit schwerem Hammer auf das glühende Eisen schlagen, still muß er halten und schweigend Stich an Stich setzen. Das sah ich ein, ein andrer saß jetzt auf dem Platze, auf dem ich einst gesessen hatte. Der frühere Mensch hatte Pläne und Hoffnung, er lief dem Wind entgegen und rang mit dem Leben. Eine Feder trug er am Hute und eine Blume im Knopfloch und war ein dummer leichtsinniger Junge, aber die Rauchwölkchen, mit denen er seine Welt verqualmte, zeigte» doch wenigstens an, daß Feuer in ihm brannte. Dem, der jetzt an seiner Stelle saß, war das Feuer ausgebrannt, und nun saß er da und fror. Und aus dem Herrlein mit dem Fedcrhui war ein trübseliger Knecht ge¬ worden, der nichts mehr zu erwarten hatte, als unter der Hand mit verbraucht zu werden. Im Frühjahr schmückte sich die Mühle zum Hochzeitsfest. Die Braut ging in einem schönen weißen Kleide zur Kirche und zertrat mit festem Fuße die Blumen, die mau ihr in deu Weg streute. Auch der Bräutigam sah gut aus, ich selber hatte ihm das Hochzeitskleid gearbeitet und allen Fleiß daran gewandt, dein schönen Ärmchen nichts an ihrem Erkorenen zu verderben. Wie angegossen saß ihm das festliche Gewand und wurde ihm deshalb bald zu enge, da er mit den behäbigen Verhältnissen, in die er um hineinwuchs, schnell in die Breite ging. Dies würde ihn früher schwer gekränkt haben, jetzt aber konnte er sich seiner zunehmenden Fülle ohne quälende Nebengedanken ruhig erfreuen und sich, so oft es ihn immer ge¬ lüstete, nach dem augenblicklichen Status neu bekleiden lassen. Auch seinen Schnlmeister- rock, der ihn längst ans allen Seiten gedrückt und eingezwängt hatte, zog er nach einem kurzen Zandern endgiltig ans und vertauschte ihn gegen das bequemere Ge¬ wand eines Mühlenbesitzcrs, worauf Änncheus Vater, nachdem er den Schwieger¬ sohn in aller Eile eingeführt hatte, mit seiner kranken Tochter auf Reise» ging und dem jungen Paare das weitere Sorgen überließ. Horst stürzte sich denn auch mit Eifer in seine neue Beschäftigung. Seine Bücher wurden mit seinen und seiner Frau Sammlungen auf deu Boden unter das überflüssig gewordne Gerak geschafft, und an deren Stelle Handelsbücher und Getreideprobeu in seinem Zimmer aufgestellt. Nach und nach kam es jedoch heraus, daß Nunchcn der tingere Teil der jungen Familie war, wenigstens der geschttftsgewandtere, was ja auch nicht zu verwundern war, da in ihren Adern das Blut einer alten Handelsfamilic

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/338>, abgerufen am 22.07.2024.