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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Die ungarische Verfassungskrise

rechte nur auf verfassungsmäßigen Wege, das heißt unter Mitwirkung verant¬
wortlicher ungarischer Minister ausgeübt werden können. Dieser vielberufne
Paragraph 11 hat folgenden Wortlaut: "Infolge der verfassungsmüßigen
Herrscherrechte Seiner Majestät in betreff des Kriegswesens wird alles das¬
jenige, was auf die einheitliche Leitung, Führung und innere Organisation der
Armee und somit auch des ungarischen Heeres als eines ergänzenden Teils
der gesamten Armee Bezug hat, als der Verfügung Seiner Majestät zustehend
erkannt." -- Der Sinn dieser Bestimmung ist: über alles, was die ein¬
heitliche Leitung, Führung und innere Organisation der Armee betrifft, hat
der Monarch allein zu bestimmen. Dieser Sinn wird noch klarer dadurch,
daß in den folgenden Paragraphen im Gegensatz zu den in Paragraph 11
aufgezählten Majestätsrechten alle die Armeeangelegenheiten aufgezählt werden,
deren Ordnung dem Zusammenwirken der Parlamente und der Krone über¬
lassen bleibt.

Graf Apponyi will nun aus den in Betracht kommenden absoluten
Majestätsrechten verfassungsmäßige in dem Sinne machen, daß sie nur durch
Verantwortliche Minister ausgeübt werdeu dürfen, die nach magyarischer Auf¬
fassung wiederum nichts andres sein dürfen, als Beauftragte der jeweiligen
Parlamentsmehrheit. Der Verfassungskonflikt in Ungarn spitzte sich also in
einen Streit des Parlaments mit der Krone um die Oberhoheit über die
ungarischen Regimenter zu, zumal da ein großer Teil der Regierungspartei
der Auffassung Apponyis zuneigte. Herrn von Szells Plan, die Obstruktion
durch "passive Resistenz" zu brechen, war darum von vornherein aussichtslos.
Stand er wirklich, wie er behauptete, und wie man ihm glauben darf, aus der
Seite der Krone, dann konnte er nur dadurch ihr Recht und seine Anschauung
zur Geltung bringen, daß er die wirklich verfassungstreuen Elemente um sich
sammelte und sie gegen die Opposition führte. Wenigstens hätte das eine
klare Situation geschaffen und verhindert, daß die Krone in den Sommer¬
monaten Konzessionen auf Konzessionen in der Armeefrage machte, wofür sie
nur Niederlage auf Niederlage erleiden mußte. Embleme und Fahnen für
die ungarischen Regimenter, die Znrückversetzung der ungarischen Offiziere, eine
Vorzugsstellung der magyarischen Sprache in dem neuen Militärstrafprozeß,
die Vermehrung der Stiftplätze an den Militürbildungsanstalten und endlich
die Einführung der magyarischen Unterrichtssprache in einer Anzahl von Gegen¬
ständen an diesen Anstalten war zugestanden worden, ohne daß damit ein Er¬
folg erreicht worden wäre; im Gegenteil, die Opposition war dadurch nur er¬
mutigt worden, denn sie obstruierte nunmehr nicht nur die Erhöhung des
Nekrutenkontingents, sondern auch das alte Kontingent.

Da erschien plötzlich der Armeebefehl von Chlopy, worin der Kaiser er¬
klärte, daß er die Gemeinsamkeit und Einheitlichkeit der Armee aufrechterhalten
und von seineu durch die Verfassung verbrieften Rechten über die Armee nichts
opfern werde. In Pest war man konsterniert; seit 35 Jahren hatte man eine
solche feste Sprache vom Kaiser nicht vernommen, man zerbrach sich den Kopf
darüber, wer der "schlechte" Ratgeber des Kaisers bei diesem Akt gewesen sei,
aber man fühlte um so deutlicher den Ernst der Lage, als in den Schlußsätzen


Die ungarische Verfassungskrise

rechte nur auf verfassungsmäßigen Wege, das heißt unter Mitwirkung verant¬
wortlicher ungarischer Minister ausgeübt werden können. Dieser vielberufne
Paragraph 11 hat folgenden Wortlaut: „Infolge der verfassungsmüßigen
Herrscherrechte Seiner Majestät in betreff des Kriegswesens wird alles das¬
jenige, was auf die einheitliche Leitung, Führung und innere Organisation der
Armee und somit auch des ungarischen Heeres als eines ergänzenden Teils
der gesamten Armee Bezug hat, als der Verfügung Seiner Majestät zustehend
erkannt." — Der Sinn dieser Bestimmung ist: über alles, was die ein¬
heitliche Leitung, Führung und innere Organisation der Armee betrifft, hat
der Monarch allein zu bestimmen. Dieser Sinn wird noch klarer dadurch,
daß in den folgenden Paragraphen im Gegensatz zu den in Paragraph 11
aufgezählten Majestätsrechten alle die Armeeangelegenheiten aufgezählt werden,
deren Ordnung dem Zusammenwirken der Parlamente und der Krone über¬
lassen bleibt.

Graf Apponyi will nun aus den in Betracht kommenden absoluten
Majestätsrechten verfassungsmäßige in dem Sinne machen, daß sie nur durch
Verantwortliche Minister ausgeübt werdeu dürfen, die nach magyarischer Auf¬
fassung wiederum nichts andres sein dürfen, als Beauftragte der jeweiligen
Parlamentsmehrheit. Der Verfassungskonflikt in Ungarn spitzte sich also in
einen Streit des Parlaments mit der Krone um die Oberhoheit über die
ungarischen Regimenter zu, zumal da ein großer Teil der Regierungspartei
der Auffassung Apponyis zuneigte. Herrn von Szells Plan, die Obstruktion
durch „passive Resistenz" zu brechen, war darum von vornherein aussichtslos.
Stand er wirklich, wie er behauptete, und wie man ihm glauben darf, aus der
Seite der Krone, dann konnte er nur dadurch ihr Recht und seine Anschauung
zur Geltung bringen, daß er die wirklich verfassungstreuen Elemente um sich
sammelte und sie gegen die Opposition führte. Wenigstens hätte das eine
klare Situation geschaffen und verhindert, daß die Krone in den Sommer¬
monaten Konzessionen auf Konzessionen in der Armeefrage machte, wofür sie
nur Niederlage auf Niederlage erleiden mußte. Embleme und Fahnen für
die ungarischen Regimenter, die Znrückversetzung der ungarischen Offiziere, eine
Vorzugsstellung der magyarischen Sprache in dem neuen Militärstrafprozeß,
die Vermehrung der Stiftplätze an den Militürbildungsanstalten und endlich
die Einführung der magyarischen Unterrichtssprache in einer Anzahl von Gegen¬
ständen an diesen Anstalten war zugestanden worden, ohne daß damit ein Er¬
folg erreicht worden wäre; im Gegenteil, die Opposition war dadurch nur er¬
mutigt worden, denn sie obstruierte nunmehr nicht nur die Erhöhung des
Nekrutenkontingents, sondern auch das alte Kontingent.

Da erschien plötzlich der Armeebefehl von Chlopy, worin der Kaiser er¬
klärte, daß er die Gemeinsamkeit und Einheitlichkeit der Armee aufrechterhalten
und von seineu durch die Verfassung verbrieften Rechten über die Armee nichts
opfern werde. In Pest war man konsterniert; seit 35 Jahren hatte man eine
solche feste Sprache vom Kaiser nicht vernommen, man zerbrach sich den Kopf
darüber, wer der „schlechte" Ratgeber des Kaisers bei diesem Akt gewesen sei,
aber man fühlte um so deutlicher den Ernst der Lage, als in den Schlußsätzen


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[0295] Die ungarische Verfassungskrise rechte nur auf verfassungsmäßigen Wege, das heißt unter Mitwirkung verant¬ wortlicher ungarischer Minister ausgeübt werden können. Dieser vielberufne Paragraph 11 hat folgenden Wortlaut: „Infolge der verfassungsmüßigen Herrscherrechte Seiner Majestät in betreff des Kriegswesens wird alles das¬ jenige, was auf die einheitliche Leitung, Führung und innere Organisation der Armee und somit auch des ungarischen Heeres als eines ergänzenden Teils der gesamten Armee Bezug hat, als der Verfügung Seiner Majestät zustehend erkannt." — Der Sinn dieser Bestimmung ist: über alles, was die ein¬ heitliche Leitung, Führung und innere Organisation der Armee betrifft, hat der Monarch allein zu bestimmen. Dieser Sinn wird noch klarer dadurch, daß in den folgenden Paragraphen im Gegensatz zu den in Paragraph 11 aufgezählten Majestätsrechten alle die Armeeangelegenheiten aufgezählt werden, deren Ordnung dem Zusammenwirken der Parlamente und der Krone über¬ lassen bleibt. Graf Apponyi will nun aus den in Betracht kommenden absoluten Majestätsrechten verfassungsmäßige in dem Sinne machen, daß sie nur durch Verantwortliche Minister ausgeübt werdeu dürfen, die nach magyarischer Auf¬ fassung wiederum nichts andres sein dürfen, als Beauftragte der jeweiligen Parlamentsmehrheit. Der Verfassungskonflikt in Ungarn spitzte sich also in einen Streit des Parlaments mit der Krone um die Oberhoheit über die ungarischen Regimenter zu, zumal da ein großer Teil der Regierungspartei der Auffassung Apponyis zuneigte. Herrn von Szells Plan, die Obstruktion durch „passive Resistenz" zu brechen, war darum von vornherein aussichtslos. Stand er wirklich, wie er behauptete, und wie man ihm glauben darf, aus der Seite der Krone, dann konnte er nur dadurch ihr Recht und seine Anschauung zur Geltung bringen, daß er die wirklich verfassungstreuen Elemente um sich sammelte und sie gegen die Opposition führte. Wenigstens hätte das eine klare Situation geschaffen und verhindert, daß die Krone in den Sommer¬ monaten Konzessionen auf Konzessionen in der Armeefrage machte, wofür sie nur Niederlage auf Niederlage erleiden mußte. Embleme und Fahnen für die ungarischen Regimenter, die Znrückversetzung der ungarischen Offiziere, eine Vorzugsstellung der magyarischen Sprache in dem neuen Militärstrafprozeß, die Vermehrung der Stiftplätze an den Militürbildungsanstalten und endlich die Einführung der magyarischen Unterrichtssprache in einer Anzahl von Gegen¬ ständen an diesen Anstalten war zugestanden worden, ohne daß damit ein Er¬ folg erreicht worden wäre; im Gegenteil, die Opposition war dadurch nur er¬ mutigt worden, denn sie obstruierte nunmehr nicht nur die Erhöhung des Nekrutenkontingents, sondern auch das alte Kontingent. Da erschien plötzlich der Armeebefehl von Chlopy, worin der Kaiser er¬ klärte, daß er die Gemeinsamkeit und Einheitlichkeit der Armee aufrechterhalten und von seineu durch die Verfassung verbrieften Rechten über die Armee nichts opfern werde. In Pest war man konsterniert; seit 35 Jahren hatte man eine solche feste Sprache vom Kaiser nicht vernommen, man zerbrach sich den Kopf darüber, wer der „schlechte" Ratgeber des Kaisers bei diesem Akt gewesen sei, aber man fühlte um so deutlicher den Ernst der Lage, als in den Schlußsätzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/295>, abgerufen am 22.07.2024.