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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

das zutreffen. Wenn aber Rußland zum Rachekrieg gegen Deutschland einstweilen
nicht zu haben ist, so besteht für Frankreich kein rechter Grund mehr, sich um Ru߬
lands willen mit England zu überwerfen oder mit diesem dauernd in unfreundlichen
Beziehungen zu leben, während zugleich England doch auch nicht auf Japan allein
angewiesen bleiben will. Frankreich hat sein Bestreben längst dadurch bekundet, daß
es bei jeder englisch-deutschen Spannung sofort bereit war, auf die englische Seite
zu treten, man darf vielleicht sogar annehmen, daß in der Gereiztheit eines großen
Teils der englischen Presse gegen Deutschland Is, Kranes sse pour quoique clwss.
Wenigstens zieht es den Nutzen davon. Italien vom Dreibund abzuwenden, ist ein
langjähriges Bestreben der französischen Politik. Im Gegensatz zu seinem Vater
Umberto, der bereit war, aus dem Bündnis die äußersten militärischen Konsequenzen
zu zieh", steht Viktor Emanuel der Zweite auf dem Standpunkte, "daß Italien ein
zu armes Land sei, einen Krieg außerhalb seiner Grenzen zu führen." Damit ist
deutlich genug ausgesprochen, einerseits, daß Frankreich eine italienische Offensive
nicht zu befürchten hat, andrerseits, daß Italien Frankreich gegenüber auf eine
Garantie seines Territvrialbestands heute weniger Wert legt als ehedem.

Zu den "unliebsamen Erinnerungen," mit deren Wegräumung man sich ita-
lieuischerseits beeilt hat, gehört Crispis Besuch in Friedrichsruh zu Anfang
Oktober 1887 und die Mißdeutung, die er seinerzeit unberechtigterweise in Frank¬
reich gefunden hat. "Unberechtigterweise" insofern, als Crispi dort keineswegs für
eine Offensivpolitik gegen Frankreich plädiert hat, für einen solchen Antrag im
letzten Lebensjahre Kaiser Wilhelms auch wohl kaum Gehör gefunden hätte. Wohl
aber hat Crispi die Ergänzung des Bündnisvertrags durch militärische Abmachungen
über die im gegebnen Falle zu treffenden und demnach im Frieden vorzubereitenden
Maßnahmen beantragt, und Deutschland ist darauf ebenso eingegangen wie Österreich-
Ungarn. Wenn also der Neffe und ehemalige Sekretär Crispis, Herr Palcuuenghi-
Crispi, eine von ihm im Pariser Wochenblatt 1,'LuropSön gegebne Darstellung der
Friedrichsruher Reise als "Widerlegung der Legende von der Gallophobie Crispis"
bezeichnet, so ist das im Prinzip allerdings richtig, andrerseits ist den Franzosen
damals nicht unbekannt geblieben -- und für den Frieden war es nützlich, daß
sie es erfuhren --, daß infolge dieser Reise militärische Verabredungen getroffen
wurden, die durch die Boulaugerperiode ebensosehr beschleunigt wie legitimiert
worden find. Nimmt mau dazu, daß die Reise bis zum letzten Augenblick geheim
gehalten worden war und somit höchst überraschend wirkte, so wird man sich ohne
weiteres klar darüber sein, wie die Franzosen sie empfanden, die ohnehin kein reines
Gewissen hatten. Die Bedeutung der Reise Crispis und der Friedrichsruher Unter¬
redung bestand darin, daß er die Konsequenzen des acht Monate zuvor erneuerten
Bündnisvertrages zog, Lücken darin ausfüllte, das Verhältnis zu Österreich klar¬
stellte und damit Italien politisch wie militärisch aktionsbereiter machte. Bismarck
selbst äußerte darüber zu dem italienischen Botschafter in Friedrichsruh: schon allein
die Tatsache des Besuchs Crispis beweise, daß dieser Staatsmann sich nicht nur
mit Worten begnüge, sondern zu handeln gedenke (viss aux t'-nes).

In die deutsche Presse ist aus dem Duroxeon meist nur ein unvollständiger
Auszug gelangt, andrerseits scheint Herr Palameughi in seinen Daten nicht ganz
genau zu sein. Crispi hatte dem Fürsten Bismarck zu dessen fünfundzwanzig¬
jährigen Ministerjubiläum am 23. September 1887 gratuliere. Da "ach Palameughi
die Initiative zu der Begegnung von Crispi ausgegangen war, so liegt die An¬
nahme nahe, daß das Glückwunschschreiben eine darauf bezügliche Anregung enthielt.
Bismarcks briefliche Antwort datiert vom 25. September und schließt mit der Ein¬
ladung nach Friedrichsruh. Der Brief ist seinerzeit bruchstückweise veröffentlicht
worden; in die 1901 erschienene Briefsnmmlnng ist er leider nicht mit aufgenommen
worden. Der vom 25. September datierte Brief kaun nach damaligen Eisenbahn-
Verhältnissen frühestens im Laufe des 27. in Crispis Hände gelangt sein, es ist
somit nicht wahrscheinlich, daß die Abreise von Rom, wie Palameughi berichtet,
schon am 27. September acht Uhr fünfzig Minuten Abends angetreten wurde,


Maßgebliches und Unmaßgebliches

das zutreffen. Wenn aber Rußland zum Rachekrieg gegen Deutschland einstweilen
nicht zu haben ist, so besteht für Frankreich kein rechter Grund mehr, sich um Ru߬
lands willen mit England zu überwerfen oder mit diesem dauernd in unfreundlichen
Beziehungen zu leben, während zugleich England doch auch nicht auf Japan allein
angewiesen bleiben will. Frankreich hat sein Bestreben längst dadurch bekundet, daß
es bei jeder englisch-deutschen Spannung sofort bereit war, auf die englische Seite
zu treten, man darf vielleicht sogar annehmen, daß in der Gereiztheit eines großen
Teils der englischen Presse gegen Deutschland Is, Kranes sse pour quoique clwss.
Wenigstens zieht es den Nutzen davon. Italien vom Dreibund abzuwenden, ist ein
langjähriges Bestreben der französischen Politik. Im Gegensatz zu seinem Vater
Umberto, der bereit war, aus dem Bündnis die äußersten militärischen Konsequenzen
zu zieh», steht Viktor Emanuel der Zweite auf dem Standpunkte, „daß Italien ein
zu armes Land sei, einen Krieg außerhalb seiner Grenzen zu führen." Damit ist
deutlich genug ausgesprochen, einerseits, daß Frankreich eine italienische Offensive
nicht zu befürchten hat, andrerseits, daß Italien Frankreich gegenüber auf eine
Garantie seines Territvrialbestands heute weniger Wert legt als ehedem.

Zu den „unliebsamen Erinnerungen," mit deren Wegräumung man sich ita-
lieuischerseits beeilt hat, gehört Crispis Besuch in Friedrichsruh zu Anfang
Oktober 1887 und die Mißdeutung, die er seinerzeit unberechtigterweise in Frank¬
reich gefunden hat. „Unberechtigterweise" insofern, als Crispi dort keineswegs für
eine Offensivpolitik gegen Frankreich plädiert hat, für einen solchen Antrag im
letzten Lebensjahre Kaiser Wilhelms auch wohl kaum Gehör gefunden hätte. Wohl
aber hat Crispi die Ergänzung des Bündnisvertrags durch militärische Abmachungen
über die im gegebnen Falle zu treffenden und demnach im Frieden vorzubereitenden
Maßnahmen beantragt, und Deutschland ist darauf ebenso eingegangen wie Österreich-
Ungarn. Wenn also der Neffe und ehemalige Sekretär Crispis, Herr Palcuuenghi-
Crispi, eine von ihm im Pariser Wochenblatt 1,'LuropSön gegebne Darstellung der
Friedrichsruher Reise als „Widerlegung der Legende von der Gallophobie Crispis"
bezeichnet, so ist das im Prinzip allerdings richtig, andrerseits ist den Franzosen
damals nicht unbekannt geblieben — und für den Frieden war es nützlich, daß
sie es erfuhren —, daß infolge dieser Reise militärische Verabredungen getroffen
wurden, die durch die Boulaugerperiode ebensosehr beschleunigt wie legitimiert
worden find. Nimmt mau dazu, daß die Reise bis zum letzten Augenblick geheim
gehalten worden war und somit höchst überraschend wirkte, so wird man sich ohne
weiteres klar darüber sein, wie die Franzosen sie empfanden, die ohnehin kein reines
Gewissen hatten. Die Bedeutung der Reise Crispis und der Friedrichsruher Unter¬
redung bestand darin, daß er die Konsequenzen des acht Monate zuvor erneuerten
Bündnisvertrages zog, Lücken darin ausfüllte, das Verhältnis zu Österreich klar¬
stellte und damit Italien politisch wie militärisch aktionsbereiter machte. Bismarck
selbst äußerte darüber zu dem italienischen Botschafter in Friedrichsruh: schon allein
die Tatsache des Besuchs Crispis beweise, daß dieser Staatsmann sich nicht nur
mit Worten begnüge, sondern zu handeln gedenke (viss aux t'-nes).

In die deutsche Presse ist aus dem Duroxeon meist nur ein unvollständiger
Auszug gelangt, andrerseits scheint Herr Palameughi in seinen Daten nicht ganz
genau zu sein. Crispi hatte dem Fürsten Bismarck zu dessen fünfundzwanzig¬
jährigen Ministerjubiläum am 23. September 1887 gratuliere. Da »ach Palameughi
die Initiative zu der Begegnung von Crispi ausgegangen war, so liegt die An¬
nahme nahe, daß das Glückwunschschreiben eine darauf bezügliche Anregung enthielt.
Bismarcks briefliche Antwort datiert vom 25. September und schließt mit der Ein¬
ladung nach Friedrichsruh. Der Brief ist seinerzeit bruchstückweise veröffentlicht
worden; in die 1901 erschienene Briefsnmmlnng ist er leider nicht mit aufgenommen
worden. Der vom 25. September datierte Brief kaun nach damaligen Eisenbahn-
Verhältnissen frühestens im Laufe des 27. in Crispis Hände gelangt sein, es ist
somit nicht wahrscheinlich, daß die Abreise von Rom, wie Palameughi berichtet,
schon am 27. September acht Uhr fünfzig Minuten Abends angetreten wurde,


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[0269] Maßgebliches und Unmaßgebliches das zutreffen. Wenn aber Rußland zum Rachekrieg gegen Deutschland einstweilen nicht zu haben ist, so besteht für Frankreich kein rechter Grund mehr, sich um Ru߬ lands willen mit England zu überwerfen oder mit diesem dauernd in unfreundlichen Beziehungen zu leben, während zugleich England doch auch nicht auf Japan allein angewiesen bleiben will. Frankreich hat sein Bestreben längst dadurch bekundet, daß es bei jeder englisch-deutschen Spannung sofort bereit war, auf die englische Seite zu treten, man darf vielleicht sogar annehmen, daß in der Gereiztheit eines großen Teils der englischen Presse gegen Deutschland Is, Kranes sse pour quoique clwss. Wenigstens zieht es den Nutzen davon. Italien vom Dreibund abzuwenden, ist ein langjähriges Bestreben der französischen Politik. Im Gegensatz zu seinem Vater Umberto, der bereit war, aus dem Bündnis die äußersten militärischen Konsequenzen zu zieh», steht Viktor Emanuel der Zweite auf dem Standpunkte, „daß Italien ein zu armes Land sei, einen Krieg außerhalb seiner Grenzen zu führen." Damit ist deutlich genug ausgesprochen, einerseits, daß Frankreich eine italienische Offensive nicht zu befürchten hat, andrerseits, daß Italien Frankreich gegenüber auf eine Garantie seines Territvrialbestands heute weniger Wert legt als ehedem. Zu den „unliebsamen Erinnerungen," mit deren Wegräumung man sich ita- lieuischerseits beeilt hat, gehört Crispis Besuch in Friedrichsruh zu Anfang Oktober 1887 und die Mißdeutung, die er seinerzeit unberechtigterweise in Frank¬ reich gefunden hat. „Unberechtigterweise" insofern, als Crispi dort keineswegs für eine Offensivpolitik gegen Frankreich plädiert hat, für einen solchen Antrag im letzten Lebensjahre Kaiser Wilhelms auch wohl kaum Gehör gefunden hätte. Wohl aber hat Crispi die Ergänzung des Bündnisvertrags durch militärische Abmachungen über die im gegebnen Falle zu treffenden und demnach im Frieden vorzubereitenden Maßnahmen beantragt, und Deutschland ist darauf ebenso eingegangen wie Österreich- Ungarn. Wenn also der Neffe und ehemalige Sekretär Crispis, Herr Palcuuenghi- Crispi, eine von ihm im Pariser Wochenblatt 1,'LuropSön gegebne Darstellung der Friedrichsruher Reise als „Widerlegung der Legende von der Gallophobie Crispis" bezeichnet, so ist das im Prinzip allerdings richtig, andrerseits ist den Franzosen damals nicht unbekannt geblieben — und für den Frieden war es nützlich, daß sie es erfuhren —, daß infolge dieser Reise militärische Verabredungen getroffen wurden, die durch die Boulaugerperiode ebensosehr beschleunigt wie legitimiert worden find. Nimmt mau dazu, daß die Reise bis zum letzten Augenblick geheim gehalten worden war und somit höchst überraschend wirkte, so wird man sich ohne weiteres klar darüber sein, wie die Franzosen sie empfanden, die ohnehin kein reines Gewissen hatten. Die Bedeutung der Reise Crispis und der Friedrichsruher Unter¬ redung bestand darin, daß er die Konsequenzen des acht Monate zuvor erneuerten Bündnisvertrages zog, Lücken darin ausfüllte, das Verhältnis zu Österreich klar¬ stellte und damit Italien politisch wie militärisch aktionsbereiter machte. Bismarck selbst äußerte darüber zu dem italienischen Botschafter in Friedrichsruh: schon allein die Tatsache des Besuchs Crispis beweise, daß dieser Staatsmann sich nicht nur mit Worten begnüge, sondern zu handeln gedenke (viss aux t'-nes). In die deutsche Presse ist aus dem Duroxeon meist nur ein unvollständiger Auszug gelangt, andrerseits scheint Herr Palameughi in seinen Daten nicht ganz genau zu sein. Crispi hatte dem Fürsten Bismarck zu dessen fünfundzwanzig¬ jährigen Ministerjubiläum am 23. September 1887 gratuliere. Da »ach Palameughi die Initiative zu der Begegnung von Crispi ausgegangen war, so liegt die An¬ nahme nahe, daß das Glückwunschschreiben eine darauf bezügliche Anregung enthielt. Bismarcks briefliche Antwort datiert vom 25. September und schließt mit der Ein¬ ladung nach Friedrichsruh. Der Brief ist seinerzeit bruchstückweise veröffentlicht worden; in die 1901 erschienene Briefsnmmlnng ist er leider nicht mit aufgenommen worden. Der vom 25. September datierte Brief kaun nach damaligen Eisenbahn- Verhältnissen frühestens im Laufe des 27. in Crispis Hände gelangt sein, es ist somit nicht wahrscheinlich, daß die Abreise von Rom, wie Palameughi berichtet, schon am 27. September acht Uhr fünfzig Minuten Abends angetreten wurde,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/269>, abgerufen am 22.07.2024.