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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Ans der Jugendzeit

er damit aus, gut; kommt er nicht aus, bleibt er hier. Wir waren natürlich
obenauf. Ich meldete zuhause stolz, daß die beiden andern Jungen angehn dürften.
Zwei Tage später, früh sechs Uhr, sollte die Reise losgehen, und zwar zunächst
sogar mit unserm Wagen. An jenein Tage fuhr das Geschirr meines Vaters mit
demi Leiterwagen nach Aschersleben, um von der dortigen Douglasschcn Grube
Braunkohlen für unsern Dampfkessel in der Brennerei zu holen. Vor der Stadt
sollte er uns erwarten. Von Aschersleben bis Bernburg und je nach Umständen
auch von Bernburg bis Köthen sollten wir marschieren, von Köthen bis Halle aber
mit der eben eröffneten Eisenbahn fahren.

An dem verabredeten Tage standen die beiden Jungen Morgens um sechs
Uhr vor unsrer Tür. Auch ich war reisefertig. Wir hatten jeder unsern Schul¬
tornister mit einigen paar Strümpfen, Hemden und Waschzeug auf dem Rücken,
jeder einen Kinderstock als Wanderstab in der Hand, und so wurden wir denn mit
den bis in die kleinsten Einzelheiten gehenden Ermahnungen meiner Eltern ent¬
lassen. Höchst vergnügt wanderten wir den Steinweg entlang dem Öhringer Tor
zu, wo unsre Kohlenequipage, mit einigen Bünden Stroh garniert, uns erwartete.
Auf dein Steinwege kamen wir an dem Wirtshause "Zur Souue" vorbei, dem
Ausspanne für die wohlhabenden Landleute aus den umliegenden Dörfern. Dort
stand ein Bauer mit seinem etwa zwölfjährigen Sohne vor der Tür. Als er uns
drei Jungen mit unsern Stöcken und Ränzeln sah, bot er uns fröhlich einen guten
Morgen und sagte: Jungens, wo willn jn denn San früh schon hen? Wir er¬
widerten lachend: Nach Halle! -- Sähst de, sagte er zu seinem Jungen, de
gahn schon op de Stndenteriee. Das imponierte uns gewaltig, und stolz schritten
mir fürbaß, bestiegen draußen unsern Kohlenwagen und wurden von ihm in Aschers¬
leben am Tore abgesetzt. Etwas zaghaft fragten wir nach der Wohnung von Otto
Friedrichs Taute. Sie hielt in einem kleinen, saubern Hause mitten in der Stadt
ein Posameutierwareugeschäft. Otto Friedrich trat zunächst in de" Laden und wurde
dort vou seiner Tante mit größter Herzlichkeit aufgenommen. Wir andern beiden
wurden bald genug nachgeholt. Man führte uns in ein sauberes Fremdenzimmer
im obersten Stockwerk. Dort standen drei frisch überzogne Betten, und hier sollten
wir es uns bequem machen. Das geschah. Nach Tisch gingen wir aus. um uns
die Stadt und namentlich die Altenburg, ein auf einem Hügel in hübschen An¬
lagen liegendes Kaffee-Etablissement, zu besehen. Hier stellten wir unsre Neisemittel
fest. Ich hatte fünf, Otto Friedrich etwas über vier, Rudolf Meißner einen Taler.
Wir waren aber einig, daß wir uns gegenseitig aushelfen wollten. Schlimm war
nur, daß Rudolf Meißner, der ebenso wie wir niemals soviel Geld sein eigen
genannt hatte, die Kaufkraft seines Talers mit einem unverwüstlichen Leichtsinn
überschätzte. Schon auf dem Rückwege zur Stadt entdeckte er bei einer Hökerin
schöne Früchte, Äpfel, Pflaumen und Weintrauben. Er kaufte davon noch einmal
soviel wie wir. Wir schliefen aber sorglos und glücklich, bedankten uns bei unsrer
guten Wirtin vielmals und traten die Wanderung über Güster nach Bernburg an.
Die Entfernung betrug vier Stunden, wir gebrauchten aber fast sechs. Wir hatten
uns nämlich in Güster jeder eine Dreierzigarre gekauft; unser erster Nauchversuch
aber war uns mordsschlecht bekommen. Das war jedoch bei der Ankunft in Bern-
burg überwunden. Auch hier wurden wir freundlich aufgenommen. Otto Friedrichs
Onkel hatte einen Jungen in unserm Alter und einen herrlichen Garten mit Apfel-
bäumen, auf denen gerade die Äpfel reif wurden. Wir blieben dort zwei volle
Tage, aber auch hier hatte Rudolf Meißner einen Hofkonditvr entdeckt, dessen ge¬
brannte Mandeln ihn reizten, mehr Von seinem Gelde zu vernaschen, als er ver¬
antworten konnte. Wir beiden andern waren darin wenigstens vorsichtiger als er.
Ganz widerstanden auch wir der Versuchung nicht. Vor der Stadt führte eine
Fähre über die Saale. Die Überfahrt kostete zwei Pfennige. Unser Hnuptver-
gnügen war, dort wenigstens zwanzigmal hintereinander uns übersetzen zu lassen.
Denn eine Fähre gab es bei uns zuhause nicht. Am vierten Tage nach unsrer


Ans der Jugendzeit

er damit aus, gut; kommt er nicht aus, bleibt er hier. Wir waren natürlich
obenauf. Ich meldete zuhause stolz, daß die beiden andern Jungen angehn dürften.
Zwei Tage später, früh sechs Uhr, sollte die Reise losgehen, und zwar zunächst
sogar mit unserm Wagen. An jenein Tage fuhr das Geschirr meines Vaters mit
demi Leiterwagen nach Aschersleben, um von der dortigen Douglasschcn Grube
Braunkohlen für unsern Dampfkessel in der Brennerei zu holen. Vor der Stadt
sollte er uns erwarten. Von Aschersleben bis Bernburg und je nach Umständen
auch von Bernburg bis Köthen sollten wir marschieren, von Köthen bis Halle aber
mit der eben eröffneten Eisenbahn fahren.

An dem verabredeten Tage standen die beiden Jungen Morgens um sechs
Uhr vor unsrer Tür. Auch ich war reisefertig. Wir hatten jeder unsern Schul¬
tornister mit einigen paar Strümpfen, Hemden und Waschzeug auf dem Rücken,
jeder einen Kinderstock als Wanderstab in der Hand, und so wurden wir denn mit
den bis in die kleinsten Einzelheiten gehenden Ermahnungen meiner Eltern ent¬
lassen. Höchst vergnügt wanderten wir den Steinweg entlang dem Öhringer Tor
zu, wo unsre Kohlenequipage, mit einigen Bünden Stroh garniert, uns erwartete.
Auf dein Steinwege kamen wir an dem Wirtshause „Zur Souue" vorbei, dem
Ausspanne für die wohlhabenden Landleute aus den umliegenden Dörfern. Dort
stand ein Bauer mit seinem etwa zwölfjährigen Sohne vor der Tür. Als er uns
drei Jungen mit unsern Stöcken und Ränzeln sah, bot er uns fröhlich einen guten
Morgen und sagte: Jungens, wo willn jn denn San früh schon hen? Wir er¬
widerten lachend: Nach Halle! — Sähst de, sagte er zu seinem Jungen, de
gahn schon op de Stndenteriee. Das imponierte uns gewaltig, und stolz schritten
mir fürbaß, bestiegen draußen unsern Kohlenwagen und wurden von ihm in Aschers¬
leben am Tore abgesetzt. Etwas zaghaft fragten wir nach der Wohnung von Otto
Friedrichs Taute. Sie hielt in einem kleinen, saubern Hause mitten in der Stadt
ein Posameutierwareugeschäft. Otto Friedrich trat zunächst in de» Laden und wurde
dort vou seiner Tante mit größter Herzlichkeit aufgenommen. Wir andern beiden
wurden bald genug nachgeholt. Man führte uns in ein sauberes Fremdenzimmer
im obersten Stockwerk. Dort standen drei frisch überzogne Betten, und hier sollten
wir es uns bequem machen. Das geschah. Nach Tisch gingen wir aus. um uns
die Stadt und namentlich die Altenburg, ein auf einem Hügel in hübschen An¬
lagen liegendes Kaffee-Etablissement, zu besehen. Hier stellten wir unsre Neisemittel
fest. Ich hatte fünf, Otto Friedrich etwas über vier, Rudolf Meißner einen Taler.
Wir waren aber einig, daß wir uns gegenseitig aushelfen wollten. Schlimm war
nur, daß Rudolf Meißner, der ebenso wie wir niemals soviel Geld sein eigen
genannt hatte, die Kaufkraft seines Talers mit einem unverwüstlichen Leichtsinn
überschätzte. Schon auf dem Rückwege zur Stadt entdeckte er bei einer Hökerin
schöne Früchte, Äpfel, Pflaumen und Weintrauben. Er kaufte davon noch einmal
soviel wie wir. Wir schliefen aber sorglos und glücklich, bedankten uns bei unsrer
guten Wirtin vielmals und traten die Wanderung über Güster nach Bernburg an.
Die Entfernung betrug vier Stunden, wir gebrauchten aber fast sechs. Wir hatten
uns nämlich in Güster jeder eine Dreierzigarre gekauft; unser erster Nauchversuch
aber war uns mordsschlecht bekommen. Das war jedoch bei der Ankunft in Bern-
burg überwunden. Auch hier wurden wir freundlich aufgenommen. Otto Friedrichs
Onkel hatte einen Jungen in unserm Alter und einen herrlichen Garten mit Apfel-
bäumen, auf denen gerade die Äpfel reif wurden. Wir blieben dort zwei volle
Tage, aber auch hier hatte Rudolf Meißner einen Hofkonditvr entdeckt, dessen ge¬
brannte Mandeln ihn reizten, mehr Von seinem Gelde zu vernaschen, als er ver¬
antworten konnte. Wir beiden andern waren darin wenigstens vorsichtiger als er.
Ganz widerstanden auch wir der Versuchung nicht. Vor der Stadt führte eine
Fähre über die Saale. Die Überfahrt kostete zwei Pfennige. Unser Hnuptver-
gnügen war, dort wenigstens zwanzigmal hintereinander uns übersetzen zu lassen.
Denn eine Fähre gab es bei uns zuhause nicht. Am vierten Tage nach unsrer


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[0254] Ans der Jugendzeit er damit aus, gut; kommt er nicht aus, bleibt er hier. Wir waren natürlich obenauf. Ich meldete zuhause stolz, daß die beiden andern Jungen angehn dürften. Zwei Tage später, früh sechs Uhr, sollte die Reise losgehen, und zwar zunächst sogar mit unserm Wagen. An jenein Tage fuhr das Geschirr meines Vaters mit demi Leiterwagen nach Aschersleben, um von der dortigen Douglasschcn Grube Braunkohlen für unsern Dampfkessel in der Brennerei zu holen. Vor der Stadt sollte er uns erwarten. Von Aschersleben bis Bernburg und je nach Umständen auch von Bernburg bis Köthen sollten wir marschieren, von Köthen bis Halle aber mit der eben eröffneten Eisenbahn fahren. An dem verabredeten Tage standen die beiden Jungen Morgens um sechs Uhr vor unsrer Tür. Auch ich war reisefertig. Wir hatten jeder unsern Schul¬ tornister mit einigen paar Strümpfen, Hemden und Waschzeug auf dem Rücken, jeder einen Kinderstock als Wanderstab in der Hand, und so wurden wir denn mit den bis in die kleinsten Einzelheiten gehenden Ermahnungen meiner Eltern ent¬ lassen. Höchst vergnügt wanderten wir den Steinweg entlang dem Öhringer Tor zu, wo unsre Kohlenequipage, mit einigen Bünden Stroh garniert, uns erwartete. Auf dein Steinwege kamen wir an dem Wirtshause „Zur Souue" vorbei, dem Ausspanne für die wohlhabenden Landleute aus den umliegenden Dörfern. Dort stand ein Bauer mit seinem etwa zwölfjährigen Sohne vor der Tür. Als er uns drei Jungen mit unsern Stöcken und Ränzeln sah, bot er uns fröhlich einen guten Morgen und sagte: Jungens, wo willn jn denn San früh schon hen? Wir er¬ widerten lachend: Nach Halle! — Sähst de, sagte er zu seinem Jungen, de gahn schon op de Stndenteriee. Das imponierte uns gewaltig, und stolz schritten mir fürbaß, bestiegen draußen unsern Kohlenwagen und wurden von ihm in Aschers¬ leben am Tore abgesetzt. Etwas zaghaft fragten wir nach der Wohnung von Otto Friedrichs Taute. Sie hielt in einem kleinen, saubern Hause mitten in der Stadt ein Posameutierwareugeschäft. Otto Friedrich trat zunächst in de» Laden und wurde dort vou seiner Tante mit größter Herzlichkeit aufgenommen. Wir andern beiden wurden bald genug nachgeholt. Man führte uns in ein sauberes Fremdenzimmer im obersten Stockwerk. Dort standen drei frisch überzogne Betten, und hier sollten wir es uns bequem machen. Das geschah. Nach Tisch gingen wir aus. um uns die Stadt und namentlich die Altenburg, ein auf einem Hügel in hübschen An¬ lagen liegendes Kaffee-Etablissement, zu besehen. Hier stellten wir unsre Neisemittel fest. Ich hatte fünf, Otto Friedrich etwas über vier, Rudolf Meißner einen Taler. Wir waren aber einig, daß wir uns gegenseitig aushelfen wollten. Schlimm war nur, daß Rudolf Meißner, der ebenso wie wir niemals soviel Geld sein eigen genannt hatte, die Kaufkraft seines Talers mit einem unverwüstlichen Leichtsinn überschätzte. Schon auf dem Rückwege zur Stadt entdeckte er bei einer Hökerin schöne Früchte, Äpfel, Pflaumen und Weintrauben. Er kaufte davon noch einmal soviel wie wir. Wir schliefen aber sorglos und glücklich, bedankten uns bei unsrer guten Wirtin vielmals und traten die Wanderung über Güster nach Bernburg an. Die Entfernung betrug vier Stunden, wir gebrauchten aber fast sechs. Wir hatten uns nämlich in Güster jeder eine Dreierzigarre gekauft; unser erster Nauchversuch aber war uns mordsschlecht bekommen. Das war jedoch bei der Ankunft in Bern- burg überwunden. Auch hier wurden wir freundlich aufgenommen. Otto Friedrichs Onkel hatte einen Jungen in unserm Alter und einen herrlichen Garten mit Apfel- bäumen, auf denen gerade die Äpfel reif wurden. Wir blieben dort zwei volle Tage, aber auch hier hatte Rudolf Meißner einen Hofkonditvr entdeckt, dessen ge¬ brannte Mandeln ihn reizten, mehr Von seinem Gelde zu vernaschen, als er ver¬ antworten konnte. Wir beiden andern waren darin wenigstens vorsichtiger als er. Ganz widerstanden auch wir der Versuchung nicht. Vor der Stadt führte eine Fähre über die Saale. Die Überfahrt kostete zwei Pfennige. Unser Hnuptver- gnügen war, dort wenigstens zwanzigmal hintereinander uns übersetzen zu lassen. Denn eine Fähre gab es bei uns zuhause nicht. Am vierten Tage nach unsrer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/254>, abgerufen am 24.08.2024.