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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Aus der Jugendzeit

Drei von uns schliefen in einem großen Bette, worin fast noch einmal für
ebensoviele Plcitz war. Wohl ausgeruht, bedankten wir uns am andern Tage zu
Mittag bei unsern Wirten für die gute Aufnahme, dann ging der Marsch weiter
über die Landgemeinde, eine meilenweit ausgedehnte Anger-, Weide- und Wald-
flcichc, um der mehrere Dorfgemeinden beteiligt waren. Die Landgemeinde war
damals noch ungeteilt, und die dazu gehörenden Dörfer und Bauern waren auf
diesen Gemeinbesitz sehr stolz. Über das Roßlaische Jagdhaus Schwiederschwende
kamen wir gegen Abend oberhalb des Gntshofs Agnesdorf an den südlichen Rand
des Harzes und Waldes und sahen hier unter und vor uns die Goldne Ane
und gegenüber das Kyffhäusergebirge im Abendsvnuenscheine daliegen, ein Land¬
schaftsbild von bezaubernder Schönheit. So oft ich auch schon im Harz gewesen
war, an jenem Spätnachmittage über Agnesdvrf ist es mir zum erstenmal zum
Bewußtsein gekommen, daß eine Landschaft schön sein, und daß man daran eine be¬
sondre Freude haben, ja sich kumm satt sehen könne. Ich habe die Verwunderung,
die damals das sounenbeglänzte, reiche Tal mit seinen von der Helme durchströmten
Wiesen und lachenden Dörfern und die magisch beleuchteten Höhe" des Kyffhciusers
mit seinem alten Burgtnrm und der seitwärts davon mitten im Walde liegenden
Rotenburg in mir hervorriefen, und den poetischen Zauber, mit dem ich mich dort
zum erstenmal umfangen sah, nie wieder vergessen. Ich habe später jahrelang in
dieser Gegend gelebt und oft die Stelle aufgesucht, von der aus ich sie als zehn¬
jähriger Knabe zum erstenmal gesehen habe. Niemals aber ist sie mir wieder in
so leuchtender, ergreifender Schönheit erschienen, wie damals. Über Agnesdorf
und durch das schöne Qnestenberger Tal marschierten wir an jenem Tage bis
Bennuugen. Im dortigen Wirtshause bekamen wir treffliches Quartier. Am andern
Tage ging unser Marsch zunächst nach dem Kyffhäuser. Dort wurden uus die
Kyffhäusersageu vom Kaiser Friedrich, seinem Zwerge, den Tilledaer Musikanten,
die ihm einmal hatten aufspielen müssen, und der blauen, geheimnisvollen Wunder-
blume von Herrn Scharfe noch einmal auf das anmutigste erzählt. Dann durften
wir in der dunkeln Wirtsstube hinter einem Vorhange durch ein Fenster, wie es
schien, tief in das Innere des Berges hineinschauen. Da sahen wir den steinnlten
Kaiser Friedrich sitzen. Der rote Bart war schneeweiß geworden und durch den
Marmortisch hindurchgewachsen; der Zwerg des Kaisers stand vor ihm und be¬
richtete ihm, daß die Rüben noch immer um den Berg flögen. Die Illusion war
bei uns Jungen damals vollkommen, der Eindruck unauslöschlich, und die patriotischen
Töne des Herzens, in die Herr Scharfe seine geschichtlichen Erzählungen zu kleiden
wußte, haben sicher das meiste dazu getan, daß wir so tief und nachhaltig von der
ehemaligen Herrlichkeit und der uoch immer andauernden Schwäche und Unzu¬
länglichkeit des Deutschen Reichs ergriffen wurden. Dann ging unser Marsch zur
Rotenburg und von dort über Kelbra, Berga und Uftrungen nach Nottleberode, wo
wiederum Quartier gemacht wurde. Tags darauf wanderten wir durch das schöne
Stolberger Tal über Stolberg nach der Joscphshöhe, der Silberhütte, Alexisbad
und der Viktorshöhe. Von dort ging es auf einem herrlichen Waldwege über die
Sahlllippen nach Suderode und nach Hanse. Gekostet hatte die ganze viertägige
Reise für jeden Jungen noch nicht einen Taler. Aber für unsre leibliche und
geistige Gesundheit war sie ein Gewinn, der sich in Geld weder schätzen noch mit
Gelde bezahle" ließ.

Die gute und strenge Zucht der Volksschule kam uns auch auf dem Gym¬
nasium zu statten. Im Lateinischen waren uns die Deklinationen und die regel¬
mäßigen Konjugationen, sowie die beiden Hilfszeitwörter fest eingeprägt. Dadurch
wurde uns der Anfang in Sexta erleichtert. Denn unser Klassenlehrer, der
Kollaborator Goßrau, war nicht nur streng, sondern mich unerbittlich in seinen An¬
forderungen. Er war ein ausgezeichneter Lehrer, von den Jungen zugleich ge¬
fürchtet und geliebt. Ich habe ihm von allen Lehrern des Gymnasiums das meiste
zu verdanken, namentlich seinem Unterricht in den obern Klassen. Er war in Schul-


Aus der Jugendzeit

Drei von uns schliefen in einem großen Bette, worin fast noch einmal für
ebensoviele Plcitz war. Wohl ausgeruht, bedankten wir uns am andern Tage zu
Mittag bei unsern Wirten für die gute Aufnahme, dann ging der Marsch weiter
über die Landgemeinde, eine meilenweit ausgedehnte Anger-, Weide- und Wald-
flcichc, um der mehrere Dorfgemeinden beteiligt waren. Die Landgemeinde war
damals noch ungeteilt, und die dazu gehörenden Dörfer und Bauern waren auf
diesen Gemeinbesitz sehr stolz. Über das Roßlaische Jagdhaus Schwiederschwende
kamen wir gegen Abend oberhalb des Gntshofs Agnesdorf an den südlichen Rand
des Harzes und Waldes und sahen hier unter und vor uns die Goldne Ane
und gegenüber das Kyffhäusergebirge im Abendsvnuenscheine daliegen, ein Land¬
schaftsbild von bezaubernder Schönheit. So oft ich auch schon im Harz gewesen
war, an jenem Spätnachmittage über Agnesdvrf ist es mir zum erstenmal zum
Bewußtsein gekommen, daß eine Landschaft schön sein, und daß man daran eine be¬
sondre Freude haben, ja sich kumm satt sehen könne. Ich habe die Verwunderung,
die damals das sounenbeglänzte, reiche Tal mit seinen von der Helme durchströmten
Wiesen und lachenden Dörfern und die magisch beleuchteten Höhe» des Kyffhciusers
mit seinem alten Burgtnrm und der seitwärts davon mitten im Walde liegenden
Rotenburg in mir hervorriefen, und den poetischen Zauber, mit dem ich mich dort
zum erstenmal umfangen sah, nie wieder vergessen. Ich habe später jahrelang in
dieser Gegend gelebt und oft die Stelle aufgesucht, von der aus ich sie als zehn¬
jähriger Knabe zum erstenmal gesehen habe. Niemals aber ist sie mir wieder in
so leuchtender, ergreifender Schönheit erschienen, wie damals. Über Agnesdorf
und durch das schöne Qnestenberger Tal marschierten wir an jenem Tage bis
Bennuugen. Im dortigen Wirtshause bekamen wir treffliches Quartier. Am andern
Tage ging unser Marsch zunächst nach dem Kyffhäuser. Dort wurden uus die
Kyffhäusersageu vom Kaiser Friedrich, seinem Zwerge, den Tilledaer Musikanten,
die ihm einmal hatten aufspielen müssen, und der blauen, geheimnisvollen Wunder-
blume von Herrn Scharfe noch einmal auf das anmutigste erzählt. Dann durften
wir in der dunkeln Wirtsstube hinter einem Vorhange durch ein Fenster, wie es
schien, tief in das Innere des Berges hineinschauen. Da sahen wir den steinnlten
Kaiser Friedrich sitzen. Der rote Bart war schneeweiß geworden und durch den
Marmortisch hindurchgewachsen; der Zwerg des Kaisers stand vor ihm und be¬
richtete ihm, daß die Rüben noch immer um den Berg flögen. Die Illusion war
bei uns Jungen damals vollkommen, der Eindruck unauslöschlich, und die patriotischen
Töne des Herzens, in die Herr Scharfe seine geschichtlichen Erzählungen zu kleiden
wußte, haben sicher das meiste dazu getan, daß wir so tief und nachhaltig von der
ehemaligen Herrlichkeit und der uoch immer andauernden Schwäche und Unzu¬
länglichkeit des Deutschen Reichs ergriffen wurden. Dann ging unser Marsch zur
Rotenburg und von dort über Kelbra, Berga und Uftrungen nach Nottleberode, wo
wiederum Quartier gemacht wurde. Tags darauf wanderten wir durch das schöne
Stolberger Tal über Stolberg nach der Joscphshöhe, der Silberhütte, Alexisbad
und der Viktorshöhe. Von dort ging es auf einem herrlichen Waldwege über die
Sahlllippen nach Suderode und nach Hanse. Gekostet hatte die ganze viertägige
Reise für jeden Jungen noch nicht einen Taler. Aber für unsre leibliche und
geistige Gesundheit war sie ein Gewinn, der sich in Geld weder schätzen noch mit
Gelde bezahle» ließ.

Die gute und strenge Zucht der Volksschule kam uns auch auf dem Gym¬
nasium zu statten. Im Lateinischen waren uns die Deklinationen und die regel¬
mäßigen Konjugationen, sowie die beiden Hilfszeitwörter fest eingeprägt. Dadurch
wurde uns der Anfang in Sexta erleichtert. Denn unser Klassenlehrer, der
Kollaborator Goßrau, war nicht nur streng, sondern mich unerbittlich in seinen An¬
forderungen. Er war ein ausgezeichneter Lehrer, von den Jungen zugleich ge¬
fürchtet und geliebt. Ich habe ihm von allen Lehrern des Gymnasiums das meiste
zu verdanken, namentlich seinem Unterricht in den obern Klassen. Er war in Schul-


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[0252] Aus der Jugendzeit Drei von uns schliefen in einem großen Bette, worin fast noch einmal für ebensoviele Plcitz war. Wohl ausgeruht, bedankten wir uns am andern Tage zu Mittag bei unsern Wirten für die gute Aufnahme, dann ging der Marsch weiter über die Landgemeinde, eine meilenweit ausgedehnte Anger-, Weide- und Wald- flcichc, um der mehrere Dorfgemeinden beteiligt waren. Die Landgemeinde war damals noch ungeteilt, und die dazu gehörenden Dörfer und Bauern waren auf diesen Gemeinbesitz sehr stolz. Über das Roßlaische Jagdhaus Schwiederschwende kamen wir gegen Abend oberhalb des Gntshofs Agnesdorf an den südlichen Rand des Harzes und Waldes und sahen hier unter und vor uns die Goldne Ane und gegenüber das Kyffhäusergebirge im Abendsvnuenscheine daliegen, ein Land¬ schaftsbild von bezaubernder Schönheit. So oft ich auch schon im Harz gewesen war, an jenem Spätnachmittage über Agnesdvrf ist es mir zum erstenmal zum Bewußtsein gekommen, daß eine Landschaft schön sein, und daß man daran eine be¬ sondre Freude haben, ja sich kumm satt sehen könne. Ich habe die Verwunderung, die damals das sounenbeglänzte, reiche Tal mit seinen von der Helme durchströmten Wiesen und lachenden Dörfern und die magisch beleuchteten Höhe» des Kyffhciusers mit seinem alten Burgtnrm und der seitwärts davon mitten im Walde liegenden Rotenburg in mir hervorriefen, und den poetischen Zauber, mit dem ich mich dort zum erstenmal umfangen sah, nie wieder vergessen. Ich habe später jahrelang in dieser Gegend gelebt und oft die Stelle aufgesucht, von der aus ich sie als zehn¬ jähriger Knabe zum erstenmal gesehen habe. Niemals aber ist sie mir wieder in so leuchtender, ergreifender Schönheit erschienen, wie damals. Über Agnesdorf und durch das schöne Qnestenberger Tal marschierten wir an jenem Tage bis Bennuugen. Im dortigen Wirtshause bekamen wir treffliches Quartier. Am andern Tage ging unser Marsch zunächst nach dem Kyffhäuser. Dort wurden uus die Kyffhäusersageu vom Kaiser Friedrich, seinem Zwerge, den Tilledaer Musikanten, die ihm einmal hatten aufspielen müssen, und der blauen, geheimnisvollen Wunder- blume von Herrn Scharfe noch einmal auf das anmutigste erzählt. Dann durften wir in der dunkeln Wirtsstube hinter einem Vorhange durch ein Fenster, wie es schien, tief in das Innere des Berges hineinschauen. Da sahen wir den steinnlten Kaiser Friedrich sitzen. Der rote Bart war schneeweiß geworden und durch den Marmortisch hindurchgewachsen; der Zwerg des Kaisers stand vor ihm und be¬ richtete ihm, daß die Rüben noch immer um den Berg flögen. Die Illusion war bei uns Jungen damals vollkommen, der Eindruck unauslöschlich, und die patriotischen Töne des Herzens, in die Herr Scharfe seine geschichtlichen Erzählungen zu kleiden wußte, haben sicher das meiste dazu getan, daß wir so tief und nachhaltig von der ehemaligen Herrlichkeit und der uoch immer andauernden Schwäche und Unzu¬ länglichkeit des Deutschen Reichs ergriffen wurden. Dann ging unser Marsch zur Rotenburg und von dort über Kelbra, Berga und Uftrungen nach Nottleberode, wo wiederum Quartier gemacht wurde. Tags darauf wanderten wir durch das schöne Stolberger Tal über Stolberg nach der Joscphshöhe, der Silberhütte, Alexisbad und der Viktorshöhe. Von dort ging es auf einem herrlichen Waldwege über die Sahlllippen nach Suderode und nach Hanse. Gekostet hatte die ganze viertägige Reise für jeden Jungen noch nicht einen Taler. Aber für unsre leibliche und geistige Gesundheit war sie ein Gewinn, der sich in Geld weder schätzen noch mit Gelde bezahle» ließ. Die gute und strenge Zucht der Volksschule kam uns auch auf dem Gym¬ nasium zu statten. Im Lateinischen waren uns die Deklinationen und die regel¬ mäßigen Konjugationen, sowie die beiden Hilfszeitwörter fest eingeprägt. Dadurch wurde uns der Anfang in Sexta erleichtert. Denn unser Klassenlehrer, der Kollaborator Goßrau, war nicht nur streng, sondern mich unerbittlich in seinen An¬ forderungen. Er war ein ausgezeichneter Lehrer, von den Jungen zugleich ge¬ fürchtet und geliebt. Ich habe ihm von allen Lehrern des Gymnasiums das meiste zu verdanken, namentlich seinem Unterricht in den obern Klassen. Er war in Schul-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/252>, abgerufen am 22.07.2024.