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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Leipziger Dramaturgie

wieder zu Wallensteins Schwester zu macheu, wie es ursprünglich in des Dichters
Absicht gelegen hatte. Der Familicnehrgciz, der ihr Denken und Handeln bestimmt,
erscheint bei einem Mitgliede der Wallensteinschen Familie begreiflicher als bei einer
Schwägerin, die sich schon wegen ihrer Abkunft von einer so alten und angesehenen
Familie wie der der Harrachs für die ehrgeizigen Pläne eines ihr verschwägerten
Emporkömmlings kaum begeistern konnte. Schiller hat der Gräfin eine doppelte
Natur gegeben, und es ist für die richtige Wirkung der Rolle wünschenswert,
daß die etwas widerliche Unredlichkeit, deren sie sich Max und ihrer Nichte gegen¬
über schuldig macht, möglichst in den Hintergrund gedrängt und dagegen ihr un¬
eigennütziges Aufgehn in die Pläne des Herzogs, der Anteil, den sie an seiner
Zukunft und seinen politischen Erfolgen nimmt, möglichst betont werden.

Von den vielen Gräfinnen Terzkh, die ich gesehen habe, haben mir die am
meisten im Sinne des Dichters zu handeln geschienen, die einem die Hinterlist und
das Behagen an der Intrigue, wie sie bei der Schwägerin oder Schwester des
Herzogs augenscheinlich vorhanden sind, möglichst estamotierten, sodciß in der Haupt¬
sache nur eine vornehme Frau übrig blieb, die in schöner klangvoller Sprache
wunderbar zu diskutieren verstand, und der man die Abwege in ihrem Verkehr
mit Max und Thekla nicht zu streng anrechnete, weil sie sich nach Möglichkeit
unter dem scherzenden Schliffe der guten Gesellschaft verbargen. Einzelne dieser
Gräfinnen Terzky konnten einem gercidezu shmpathisch sein. Für den fünften Auf¬
zug von "Wallensteins Tod" ist das sehr wesentlich, da weder der dritte Auftritt
sHeiß mich nicht gehen, o laß mich um dich bleiben!) noch der zwölfte (Sie denken
würdiger von mir, als daß Sie glaubten, ich überlebte meines Hanfes Fall) zur
rechten Wirkung kommen können, wenn man durch die Darstellerin dazu gebracht
worden ist, die Gräfin als eine etwas gewöhnliche und sehr gewissenlose Intrigantin
anzusehen. Hier in Leipzig ist die Rolle in den Händen einer Dame, die einen,
Gott weiß wie, ganz nach Böhmen versetzt. Wenn sie doch dem hiesigen Wallen-
siein von diesem exotischen Bodenbeigeschmack (Avüt <Zu torrvii) etwas abgeben
könnte! Es war auch alles gut und schön, nur daß ich, meinen persönlichen Ein¬
druck offen zu gestehen, ihr die letzte Unterredung mit Wallenstein nicht recht
gönnte und über das Gift, das sie genommen hatte, nicht recht betrübt war,
während mich eine andre Gräfin Terzky, deren schönste Rolle seinerzeit Goethes
Iphigenie gewesen war, jedesmal so rührte, daß ich, um der seelischen Bewegung
aus dem Wege zu gehn, ihret- nicht Wallensteins wegen den fünften Akt nicht ab¬
zuwarten Pflegte. Ein falsches kaltes Lächeln entfremdet einem, wenn damit Mi߬
brauch getrieben wird, sowohl die Darstellerin als die Rolle so, daß man, was
ganz gewiß nicht in Schillers Absicht gelegen hat, beiden beinahe feindlich gegen¬
über steht. Es gibt auf der Bühne nur sympathische und antipathische Erscheinungen:
der Darsteller muß sich entscheiden, ob er als das eine oder das andre wirken
will: ein mixtum eomvosiwm gibt es hierbei nicht. Und wenn man rin übrigens
durchaus künstlerischen Mitteln und in künstlerischer Absicht eine Persönlichkeit, die
sich der Dichter als eine sympathische vorgestellt hat, zu einer antipathischen macht,
so greift man in zweifacher Weise fehl: man schadet dem Stücke, und man läßt
sich eine Gelegenheit, persönlich zu gefallen, entgeh". Allerdings wirkt die be¬
sondre weibliche Hoheit, die jede wirklich vornehme Frau mit Goethes Iphigenie
gemein hat, wie eine Art Verklärung ganz von selbst, und wem sie nicht eigen ist,
der kann sie sich nicht im Fluge aneignen. Aber daß auf ihr neben der Schönheit
der unwiderstehlichste Reiz beruht, den eine Schauspielerin ans ein feingebildetes
Publikum ausüben kann, ist unbestritten, und wenn es eine Leistung zu würdigen
gibt, wird man das Fehlen oder das Vorhandensein dieses höchsten Reizes kaum
unerwähnt lassen können. Die Leipziger Gräfin Terzky würde durch einen leichten
Schimmer solcher Verklärung sehr gewonnen haben.

Graf Jsolani, der Kroatengeneral und etwas oberflächliche Bonvivant, macht
an den Darsteller keine großen Ansprüche. Er kommt für die Handlung kaum in


Leipziger Dramaturgie

wieder zu Wallensteins Schwester zu macheu, wie es ursprünglich in des Dichters
Absicht gelegen hatte. Der Familicnehrgciz, der ihr Denken und Handeln bestimmt,
erscheint bei einem Mitgliede der Wallensteinschen Familie begreiflicher als bei einer
Schwägerin, die sich schon wegen ihrer Abkunft von einer so alten und angesehenen
Familie wie der der Harrachs für die ehrgeizigen Pläne eines ihr verschwägerten
Emporkömmlings kaum begeistern konnte. Schiller hat der Gräfin eine doppelte
Natur gegeben, und es ist für die richtige Wirkung der Rolle wünschenswert,
daß die etwas widerliche Unredlichkeit, deren sie sich Max und ihrer Nichte gegen¬
über schuldig macht, möglichst in den Hintergrund gedrängt und dagegen ihr un¬
eigennütziges Aufgehn in die Pläne des Herzogs, der Anteil, den sie an seiner
Zukunft und seinen politischen Erfolgen nimmt, möglichst betont werden.

Von den vielen Gräfinnen Terzkh, die ich gesehen habe, haben mir die am
meisten im Sinne des Dichters zu handeln geschienen, die einem die Hinterlist und
das Behagen an der Intrigue, wie sie bei der Schwägerin oder Schwester des
Herzogs augenscheinlich vorhanden sind, möglichst estamotierten, sodciß in der Haupt¬
sache nur eine vornehme Frau übrig blieb, die in schöner klangvoller Sprache
wunderbar zu diskutieren verstand, und der man die Abwege in ihrem Verkehr
mit Max und Thekla nicht zu streng anrechnete, weil sie sich nach Möglichkeit
unter dem scherzenden Schliffe der guten Gesellschaft verbargen. Einzelne dieser
Gräfinnen Terzky konnten einem gercidezu shmpathisch sein. Für den fünften Auf¬
zug von „Wallensteins Tod" ist das sehr wesentlich, da weder der dritte Auftritt
sHeiß mich nicht gehen, o laß mich um dich bleiben!) noch der zwölfte (Sie denken
würdiger von mir, als daß Sie glaubten, ich überlebte meines Hanfes Fall) zur
rechten Wirkung kommen können, wenn man durch die Darstellerin dazu gebracht
worden ist, die Gräfin als eine etwas gewöhnliche und sehr gewissenlose Intrigantin
anzusehen. Hier in Leipzig ist die Rolle in den Händen einer Dame, die einen,
Gott weiß wie, ganz nach Böhmen versetzt. Wenn sie doch dem hiesigen Wallen-
siein von diesem exotischen Bodenbeigeschmack (Avüt <Zu torrvii) etwas abgeben
könnte! Es war auch alles gut und schön, nur daß ich, meinen persönlichen Ein¬
druck offen zu gestehen, ihr die letzte Unterredung mit Wallenstein nicht recht
gönnte und über das Gift, das sie genommen hatte, nicht recht betrübt war,
während mich eine andre Gräfin Terzky, deren schönste Rolle seinerzeit Goethes
Iphigenie gewesen war, jedesmal so rührte, daß ich, um der seelischen Bewegung
aus dem Wege zu gehn, ihret- nicht Wallensteins wegen den fünften Akt nicht ab¬
zuwarten Pflegte. Ein falsches kaltes Lächeln entfremdet einem, wenn damit Mi߬
brauch getrieben wird, sowohl die Darstellerin als die Rolle so, daß man, was
ganz gewiß nicht in Schillers Absicht gelegen hat, beiden beinahe feindlich gegen¬
über steht. Es gibt auf der Bühne nur sympathische und antipathische Erscheinungen:
der Darsteller muß sich entscheiden, ob er als das eine oder das andre wirken
will: ein mixtum eomvosiwm gibt es hierbei nicht. Und wenn man rin übrigens
durchaus künstlerischen Mitteln und in künstlerischer Absicht eine Persönlichkeit, die
sich der Dichter als eine sympathische vorgestellt hat, zu einer antipathischen macht,
so greift man in zweifacher Weise fehl: man schadet dem Stücke, und man läßt
sich eine Gelegenheit, persönlich zu gefallen, entgeh». Allerdings wirkt die be¬
sondre weibliche Hoheit, die jede wirklich vornehme Frau mit Goethes Iphigenie
gemein hat, wie eine Art Verklärung ganz von selbst, und wem sie nicht eigen ist,
der kann sie sich nicht im Fluge aneignen. Aber daß auf ihr neben der Schönheit
der unwiderstehlichste Reiz beruht, den eine Schauspielerin ans ein feingebildetes
Publikum ausüben kann, ist unbestritten, und wenn es eine Leistung zu würdigen
gibt, wird man das Fehlen oder das Vorhandensein dieses höchsten Reizes kaum
unerwähnt lassen können. Die Leipziger Gräfin Terzky würde durch einen leichten
Schimmer solcher Verklärung sehr gewonnen haben.

Graf Jsolani, der Kroatengeneral und etwas oberflächliche Bonvivant, macht
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[0124] Leipziger Dramaturgie wieder zu Wallensteins Schwester zu macheu, wie es ursprünglich in des Dichters Absicht gelegen hatte. Der Familicnehrgciz, der ihr Denken und Handeln bestimmt, erscheint bei einem Mitgliede der Wallensteinschen Familie begreiflicher als bei einer Schwägerin, die sich schon wegen ihrer Abkunft von einer so alten und angesehenen Familie wie der der Harrachs für die ehrgeizigen Pläne eines ihr verschwägerten Emporkömmlings kaum begeistern konnte. Schiller hat der Gräfin eine doppelte Natur gegeben, und es ist für die richtige Wirkung der Rolle wünschenswert, daß die etwas widerliche Unredlichkeit, deren sie sich Max und ihrer Nichte gegen¬ über schuldig macht, möglichst in den Hintergrund gedrängt und dagegen ihr un¬ eigennütziges Aufgehn in die Pläne des Herzogs, der Anteil, den sie an seiner Zukunft und seinen politischen Erfolgen nimmt, möglichst betont werden. Von den vielen Gräfinnen Terzkh, die ich gesehen habe, haben mir die am meisten im Sinne des Dichters zu handeln geschienen, die einem die Hinterlist und das Behagen an der Intrigue, wie sie bei der Schwägerin oder Schwester des Herzogs augenscheinlich vorhanden sind, möglichst estamotierten, sodciß in der Haupt¬ sache nur eine vornehme Frau übrig blieb, die in schöner klangvoller Sprache wunderbar zu diskutieren verstand, und der man die Abwege in ihrem Verkehr mit Max und Thekla nicht zu streng anrechnete, weil sie sich nach Möglichkeit unter dem scherzenden Schliffe der guten Gesellschaft verbargen. Einzelne dieser Gräfinnen Terzky konnten einem gercidezu shmpathisch sein. Für den fünften Auf¬ zug von „Wallensteins Tod" ist das sehr wesentlich, da weder der dritte Auftritt sHeiß mich nicht gehen, o laß mich um dich bleiben!) noch der zwölfte (Sie denken würdiger von mir, als daß Sie glaubten, ich überlebte meines Hanfes Fall) zur rechten Wirkung kommen können, wenn man durch die Darstellerin dazu gebracht worden ist, die Gräfin als eine etwas gewöhnliche und sehr gewissenlose Intrigantin anzusehen. Hier in Leipzig ist die Rolle in den Händen einer Dame, die einen, Gott weiß wie, ganz nach Böhmen versetzt. Wenn sie doch dem hiesigen Wallen- siein von diesem exotischen Bodenbeigeschmack (Avüt <Zu torrvii) etwas abgeben könnte! Es war auch alles gut und schön, nur daß ich, meinen persönlichen Ein¬ druck offen zu gestehen, ihr die letzte Unterredung mit Wallenstein nicht recht gönnte und über das Gift, das sie genommen hatte, nicht recht betrübt war, während mich eine andre Gräfin Terzky, deren schönste Rolle seinerzeit Goethes Iphigenie gewesen war, jedesmal so rührte, daß ich, um der seelischen Bewegung aus dem Wege zu gehn, ihret- nicht Wallensteins wegen den fünften Akt nicht ab¬ zuwarten Pflegte. Ein falsches kaltes Lächeln entfremdet einem, wenn damit Mi߬ brauch getrieben wird, sowohl die Darstellerin als die Rolle so, daß man, was ganz gewiß nicht in Schillers Absicht gelegen hat, beiden beinahe feindlich gegen¬ über steht. Es gibt auf der Bühne nur sympathische und antipathische Erscheinungen: der Darsteller muß sich entscheiden, ob er als das eine oder das andre wirken will: ein mixtum eomvosiwm gibt es hierbei nicht. Und wenn man rin übrigens durchaus künstlerischen Mitteln und in künstlerischer Absicht eine Persönlichkeit, die sich der Dichter als eine sympathische vorgestellt hat, zu einer antipathischen macht, so greift man in zweifacher Weise fehl: man schadet dem Stücke, und man läßt sich eine Gelegenheit, persönlich zu gefallen, entgeh». Allerdings wirkt die be¬ sondre weibliche Hoheit, die jede wirklich vornehme Frau mit Goethes Iphigenie gemein hat, wie eine Art Verklärung ganz von selbst, und wem sie nicht eigen ist, der kann sie sich nicht im Fluge aneignen. Aber daß auf ihr neben der Schönheit der unwiderstehlichste Reiz beruht, den eine Schauspielerin ans ein feingebildetes Publikum ausüben kann, ist unbestritten, und wenn es eine Leistung zu würdigen gibt, wird man das Fehlen oder das Vorhandensein dieses höchsten Reizes kaum unerwähnt lassen können. Die Leipziger Gräfin Terzky würde durch einen leichten Schimmer solcher Verklärung sehr gewonnen haben. Graf Jsolani, der Kroatengeneral und etwas oberflächliche Bonvivant, macht an den Darsteller keine großen Ansprüche. Er kommt für die Handlung kaum in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/124>, abgerufen am 24.08.2024.