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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Dar Kampf um den Weltmarkt

NarKs ^,ot in ihr Gegenteil um. Sie steigerte das Ansehen der Kontinental¬
industrie, sie führte zur Umgehung des englischen Zwischenhandels und zur
Anknüpfung direkter Beziehungen zwischen den ausländische" und deu konti¬
nentalen Märkten.

Ein weiteres Verlassen des vom Freihandel vorgezeichneten Weges geschah
zu Gunsten der englischen Viehwirtschaft. Es berührt fast befremdlich, daß
die englische Regierung hier zu Schutzmaßregeln griff, denn seit lange ist die
Landwirtschaft das Stiefkind der englischen Wirtschaftspolitik. Die Not muß
sehr groß gewesen sein, daß man hier einmal versuchte, einzugreifen, freilich
nur mit halben Maßregeln. Man suchte die Einfuhr lebenden Viehs zum
Schlitz, wie man sagte, des einheimischen Viehbestandes gegen die ausländische
Scuchengefahr zu beschränken. Diese Senchengesetze haben nnr ans kurze Zeit
die Zufuhr lebenden Viehs znrückdämmen können.

Der englischen Landwirtschaft haben auch diese sanitären Maßregeln wenig
zu helfen vermocht.

Von viel größerer Bedeutung dagegen ist eine wirtschaftspolitische Strö¬
mung, die sich jetzt noch in ihren Anfangen bewegt, die aber später das einst
stolze Gebäude des englischen Freihandels vernichten kann. Der Ausgangspunkt
ist hier das Verhältnis Englands zu seinen Kolonien. Den Kolonien war
Selbstverwaltung und ein weitgehendes Selbstbestimmungsrecht von England
eingeräumt worden. Die ihnen zugestandne Freiheit wußten sie zu ihrem
Vorteil auszunutzen. Handelspolitisch ergibt sich daraus folgendes: England
ist für die englischen Kolonien ein wirtschaftlich gemalt so fernstehender Staat
wie etwa Deutschland, Amerika und Frankreich. Alle Waren, die von irgend
einem dieser Staaten nach den englischen Kolonien eingehn. werden genau so
behandelt wie die von England eingehenden. England hat gegenüber andern
Staaten in seinen Kolonien keine Vorzugsstellung. Die wirtschaftspolitische
Selbständigkeit der Kolonien hat aber noch weiter zu einer Entfremdung der
englischen und der kolonialen Wirtschaftspolitik geführt. Die Kolonien ver¬
treten eine Handelspolitik, die im vollen Gegensatze zu der in England geltenden
steht. Von deu Zolltarifen, die von den Kolonien in ihren Parlamenten aus¬
gestellt wurden, sind eine ganze Reihe nicht freihändlcrisch, sondern schutz-
zöllnerisch gehalten.

Es zeigt sich also in der Wirtschaftspolitik des (FrEickc-r öritiüu el"
klaffender Widerspruch: in England, dem Zentrum, Freihandel, in den Ko¬
lonien, gewissermaßen an der Peripherie des englischen Weltreichs, Schutzzoll,
ein Widerspruch, der auf die Dauer nicht haltbar ist, und den die neuere eng¬
lische Wirtschaftspolitik zu überbrücken versucht.

Nach zwei Richtungen hin, die aber in wechselseitiger Fühlung zueinander
stehn, und die im innersten Kern demselben Ziele zustreben, macht sich diese
Strömling geltend. Für die eine Partei ist der Schlachtruf ir-g/lo. Man
behauptet, daß in den letzten zwanzig Jahren durch die Schutzzollpolitik und
die damit verknüpfte Steigerung der Zolle England in Europa wie in Amerika
mit seinem Handel arg geschädigt worden sei. Es öffne seine Häfen alleil
Nationen, dagegen würde seinen Waren immer mehr lind mehr der Eingang


Dar Kampf um den Weltmarkt

NarKs ^,ot in ihr Gegenteil um. Sie steigerte das Ansehen der Kontinental¬
industrie, sie führte zur Umgehung des englischen Zwischenhandels und zur
Anknüpfung direkter Beziehungen zwischen den ausländische» und deu konti¬
nentalen Märkten.

Ein weiteres Verlassen des vom Freihandel vorgezeichneten Weges geschah
zu Gunsten der englischen Viehwirtschaft. Es berührt fast befremdlich, daß
die englische Regierung hier zu Schutzmaßregeln griff, denn seit lange ist die
Landwirtschaft das Stiefkind der englischen Wirtschaftspolitik. Die Not muß
sehr groß gewesen sein, daß man hier einmal versuchte, einzugreifen, freilich
nur mit halben Maßregeln. Man suchte die Einfuhr lebenden Viehs zum
Schlitz, wie man sagte, des einheimischen Viehbestandes gegen die ausländische
Scuchengefahr zu beschränken. Diese Senchengesetze haben nnr ans kurze Zeit
die Zufuhr lebenden Viehs znrückdämmen können.

Der englischen Landwirtschaft haben auch diese sanitären Maßregeln wenig
zu helfen vermocht.

Von viel größerer Bedeutung dagegen ist eine wirtschaftspolitische Strö¬
mung, die sich jetzt noch in ihren Anfangen bewegt, die aber später das einst
stolze Gebäude des englischen Freihandels vernichten kann. Der Ausgangspunkt
ist hier das Verhältnis Englands zu seinen Kolonien. Den Kolonien war
Selbstverwaltung und ein weitgehendes Selbstbestimmungsrecht von England
eingeräumt worden. Die ihnen zugestandne Freiheit wußten sie zu ihrem
Vorteil auszunutzen. Handelspolitisch ergibt sich daraus folgendes: England
ist für die englischen Kolonien ein wirtschaftlich gemalt so fernstehender Staat
wie etwa Deutschland, Amerika und Frankreich. Alle Waren, die von irgend
einem dieser Staaten nach den englischen Kolonien eingehn. werden genau so
behandelt wie die von England eingehenden. England hat gegenüber andern
Staaten in seinen Kolonien keine Vorzugsstellung. Die wirtschaftspolitische
Selbständigkeit der Kolonien hat aber noch weiter zu einer Entfremdung der
englischen und der kolonialen Wirtschaftspolitik geführt. Die Kolonien ver¬
treten eine Handelspolitik, die im vollen Gegensatze zu der in England geltenden
steht. Von deu Zolltarifen, die von den Kolonien in ihren Parlamenten aus¬
gestellt wurden, sind eine ganze Reihe nicht freihändlcrisch, sondern schutz-
zöllnerisch gehalten.

Es zeigt sich also in der Wirtschaftspolitik des (FrEickc-r öritiüu el»
klaffender Widerspruch: in England, dem Zentrum, Freihandel, in den Ko¬
lonien, gewissermaßen an der Peripherie des englischen Weltreichs, Schutzzoll,
ein Widerspruch, der auf die Dauer nicht haltbar ist, und den die neuere eng¬
lische Wirtschaftspolitik zu überbrücken versucht.

Nach zwei Richtungen hin, die aber in wechselseitiger Fühlung zueinander
stehn, und die im innersten Kern demselben Ziele zustreben, macht sich diese
Strömling geltend. Für die eine Partei ist der Schlachtruf ir-g/lo. Man
behauptet, daß in den letzten zwanzig Jahren durch die Schutzzollpolitik und
die damit verknüpfte Steigerung der Zolle England in Europa wie in Amerika
mit seinem Handel arg geschädigt worden sei. Es öffne seine Häfen alleil
Nationen, dagegen würde seinen Waren immer mehr lind mehr der Eingang


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[0088] Dar Kampf um den Weltmarkt NarKs ^,ot in ihr Gegenteil um. Sie steigerte das Ansehen der Kontinental¬ industrie, sie führte zur Umgehung des englischen Zwischenhandels und zur Anknüpfung direkter Beziehungen zwischen den ausländische» und deu konti¬ nentalen Märkten. Ein weiteres Verlassen des vom Freihandel vorgezeichneten Weges geschah zu Gunsten der englischen Viehwirtschaft. Es berührt fast befremdlich, daß die englische Regierung hier zu Schutzmaßregeln griff, denn seit lange ist die Landwirtschaft das Stiefkind der englischen Wirtschaftspolitik. Die Not muß sehr groß gewesen sein, daß man hier einmal versuchte, einzugreifen, freilich nur mit halben Maßregeln. Man suchte die Einfuhr lebenden Viehs zum Schlitz, wie man sagte, des einheimischen Viehbestandes gegen die ausländische Scuchengefahr zu beschränken. Diese Senchengesetze haben nnr ans kurze Zeit die Zufuhr lebenden Viehs znrückdämmen können. Der englischen Landwirtschaft haben auch diese sanitären Maßregeln wenig zu helfen vermocht. Von viel größerer Bedeutung dagegen ist eine wirtschaftspolitische Strö¬ mung, die sich jetzt noch in ihren Anfangen bewegt, die aber später das einst stolze Gebäude des englischen Freihandels vernichten kann. Der Ausgangspunkt ist hier das Verhältnis Englands zu seinen Kolonien. Den Kolonien war Selbstverwaltung und ein weitgehendes Selbstbestimmungsrecht von England eingeräumt worden. Die ihnen zugestandne Freiheit wußten sie zu ihrem Vorteil auszunutzen. Handelspolitisch ergibt sich daraus folgendes: England ist für die englischen Kolonien ein wirtschaftlich gemalt so fernstehender Staat wie etwa Deutschland, Amerika und Frankreich. Alle Waren, die von irgend einem dieser Staaten nach den englischen Kolonien eingehn. werden genau so behandelt wie die von England eingehenden. England hat gegenüber andern Staaten in seinen Kolonien keine Vorzugsstellung. Die wirtschaftspolitische Selbständigkeit der Kolonien hat aber noch weiter zu einer Entfremdung der englischen und der kolonialen Wirtschaftspolitik geführt. Die Kolonien ver¬ treten eine Handelspolitik, die im vollen Gegensatze zu der in England geltenden steht. Von deu Zolltarifen, die von den Kolonien in ihren Parlamenten aus¬ gestellt wurden, sind eine ganze Reihe nicht freihändlcrisch, sondern schutz- zöllnerisch gehalten. Es zeigt sich also in der Wirtschaftspolitik des (FrEickc-r öritiüu el» klaffender Widerspruch: in England, dem Zentrum, Freihandel, in den Ko¬ lonien, gewissermaßen an der Peripherie des englischen Weltreichs, Schutzzoll, ein Widerspruch, der auf die Dauer nicht haltbar ist, und den die neuere eng¬ lische Wirtschaftspolitik zu überbrücken versucht. Nach zwei Richtungen hin, die aber in wechselseitiger Fühlung zueinander stehn, und die im innersten Kern demselben Ziele zustreben, macht sich diese Strömling geltend. Für die eine Partei ist der Schlachtruf ir-g/lo. Man behauptet, daß in den letzten zwanzig Jahren durch die Schutzzollpolitik und die damit verknüpfte Steigerung der Zolle England in Europa wie in Amerika mit seinem Handel arg geschädigt worden sei. Es öffne seine Häfen alleil Nationen, dagegen würde seinen Waren immer mehr lind mehr der Eingang

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/88>, abgerufen am 01.09.2024.