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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache

oder "anzuziehen"), wenn wir sie mit Gewalt zu etwas treiben oder etwas aus
ihnen herauspressen wollen, ebenso wie wir sie auch noch "schrauben" oder
..aufziehen" können, wenn wir sie in wirklicher oder vermeintlicher geistiger
Überlegenheit zum Gegenstande des Spottes ("Schraubereien") machen. Bei
den beiden letzten Phrasen denken wir allerdings wohl kaum noch weder an die
ominösen, einst überaus beliebten Fvlterwcrkzenge, die Danmschrcmben oder
Daumenstöcke, von denen es seinerzeit die mannigfachsten Arten gab, noch an
die ebenfalls weitverbreitet gewesene Tvrtnrart des "Zuges" oder der "Elevcitivn"
oder "Expansion" in ihren verschiednen Formen (wie der "gespickte Hase" usw.).
Nur unklare Vorstellungen haben heute wohl auch manche von den "spanischen
Stiefeln" ("Beinschranben"). durch die einst das Schienbein und die Waden
platt gedrückt wurden, obwohl der Vergleich des ..Einschnüreus" in diese
Folterwerkzeuge für die Unterbindung jeglicher freien und selbständigen Ent¬
wicklung in unsrer Sprache längst heimisch und in der Literatur namentlich seit
Goethes Worten im "Faust" über das "vollkAuim in>M<zam": "Da wird
der Geist euch Wohl dressiert, in spanische Stiefel eingeschnürt" recht
beliebt geworden ist. Wenn wir heute auch von bösen Wucherern ("Hals- oder
Kehlabschneidern") sagen, daß sie ihre Opfer "schnüren" (-- übervorteilen), so
ist vielleicht auch dies von dem Zuschnüren der spanischen Stiefel, richtiger aber
wohl von einer selbständigen Folterart herzuleiten, von der z. V. schon Chr.
Heinr. Grupen in seiner Dissertation "1)"z anpliog-lions rönnenwrrmi, vo."
(Hannover 1754, S. 98--161) eine sehr ausführliche Beschreibung gegeben hat.
Endlich kann man noch die Vermutung aufstellen, daß auch unser bildliches
"einem heiß machen" sich von der u. a. noch in dem österreichischen Straf-
gcsetzbuche von 1768, der sog. "Thcresiana." erwähnten Folterung durch Feuer-
brände herleitet, wenn man nicht vorzieht, auch hierbei an die Feucrordcilicn
zu denken.

Aus dem Worte "Ordal" ist, wie schließlich noch bemerkt sei, auch unser
"Urteil" entstanden, das wir jetzt besonders für die den Prozeß abschließende
gerichtliche Entscheidung (Endurteil) gebrauchen, während das der ältern Sprache
dafür geläufige <tun (ahd. und ahd. tuom, altnord. clcmir), das sich in den
nordischen Sprachen und in England (cloom) im ursprünglichen Sinne zu erhalten
vermochte, uns als selbständiges Wort abhanden gekommen ist und nur noch
als sogenanntes Suffix (^ tum) in Verbindungen wie Königtum, Fürstentum
und dergleichen mehr fortlebt. Diese Wandlung aber dürfte dadurch entstanden
sein, daß das Urteil in älterer Zeit "bei den Westgermanen, wenn der Beklagte
geleugnet hatte. . ., ein zweizüngiges Urteil" war, "nämlich einerseits Beweis¬
urteil, sofern es die Beweisfrage regelte, andrerseits zugleich Endurteil, sofern
es bestimmte, was je nach dem Ausgang des Bewcisverfahrens zu geschehn habe"
(Brunner). Da nun bei der Veweisfrage wieder das Ordal immer eine Haupt¬
rolle spielte, so erklärt es sich nicht allzu schwer, daß bei den meisten west¬
germanischen Stämmen das Wort "Ordal" oder "Urteil" sowohl das suclioium
alvi -- worauf es bei den Angelsachsen beschränkt geblieben ist -- als auch
das definitive Gerichtsurteil bezeichnete, bis dann mit dem Verschwinden der
Gottesurteile nur noch die letzte Bedeutung übrig blieb.

Bei der Fällung des Urteils hatte der altdeutsche Richter nicht dieselbe
unabhängige Stellung wie heute, wo er unter freier Würdigung der erbrachten
Beweise selbst entscheidet, er war vielmehr -- wie schon zu Eingang dieses
Aufsatzes erwähnt worden ist -- in ältester Zeit an die Mitwirkung der Gemeinde,
später an die eines Gemeindeausschusses gebunden. So wurde z. B. bei den
Franken das Urteil zunächst durch die sogenannten Rachimburgen ("Natsbürgen,"
"Ratgeber"), einen ..höchstwahrscheinlich vom Richter ernannten Ausschuß der
Gerichtsgemeinde" (Brunner) "gefunden," wie man sagte, woran noch heute
unser "für Recht befinden" anklingt. Seit Karl dem Großen aber waren


Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache

oder „anzuziehen"), wenn wir sie mit Gewalt zu etwas treiben oder etwas aus
ihnen herauspressen wollen, ebenso wie wir sie auch noch „schrauben" oder
..aufziehen" können, wenn wir sie in wirklicher oder vermeintlicher geistiger
Überlegenheit zum Gegenstande des Spottes („Schraubereien") machen. Bei
den beiden letzten Phrasen denken wir allerdings wohl kaum noch weder an die
ominösen, einst überaus beliebten Fvlterwcrkzenge, die Danmschrcmben oder
Daumenstöcke, von denen es seinerzeit die mannigfachsten Arten gab, noch an
die ebenfalls weitverbreitet gewesene Tvrtnrart des „Zuges" oder der „Elevcitivn"
oder „Expansion" in ihren verschiednen Formen (wie der „gespickte Hase" usw.).
Nur unklare Vorstellungen haben heute wohl auch manche von den „spanischen
Stiefeln" („Beinschranben"). durch die einst das Schienbein und die Waden
platt gedrückt wurden, obwohl der Vergleich des ..Einschnüreus" in diese
Folterwerkzeuge für die Unterbindung jeglicher freien und selbständigen Ent¬
wicklung in unsrer Sprache längst heimisch und in der Literatur namentlich seit
Goethes Worten im „Faust" über das „vollkAuim in>M<zam": „Da wird
der Geist euch Wohl dressiert, in spanische Stiefel eingeschnürt" recht
beliebt geworden ist. Wenn wir heute auch von bösen Wucherern („Hals- oder
Kehlabschneidern") sagen, daß sie ihre Opfer „schnüren" (— übervorteilen), so
ist vielleicht auch dies von dem Zuschnüren der spanischen Stiefel, richtiger aber
wohl von einer selbständigen Folterart herzuleiten, von der z. V. schon Chr.
Heinr. Grupen in seiner Dissertation „1)«z anpliog-lions rönnenwrrmi, vo."
(Hannover 1754, S. 98—161) eine sehr ausführliche Beschreibung gegeben hat.
Endlich kann man noch die Vermutung aufstellen, daß auch unser bildliches
„einem heiß machen" sich von der u. a. noch in dem österreichischen Straf-
gcsetzbuche von 1768, der sog. „Thcresiana." erwähnten Folterung durch Feuer-
brände herleitet, wenn man nicht vorzieht, auch hierbei an die Feucrordcilicn
zu denken.

Aus dem Worte „Ordal" ist, wie schließlich noch bemerkt sei, auch unser
„Urteil" entstanden, das wir jetzt besonders für die den Prozeß abschließende
gerichtliche Entscheidung (Endurteil) gebrauchen, während das der ältern Sprache
dafür geläufige <tun (ahd. und ahd. tuom, altnord. clcmir), das sich in den
nordischen Sprachen und in England (cloom) im ursprünglichen Sinne zu erhalten
vermochte, uns als selbständiges Wort abhanden gekommen ist und nur noch
als sogenanntes Suffix (^ tum) in Verbindungen wie Königtum, Fürstentum
und dergleichen mehr fortlebt. Diese Wandlung aber dürfte dadurch entstanden
sein, daß das Urteil in älterer Zeit „bei den Westgermanen, wenn der Beklagte
geleugnet hatte. . ., ein zweizüngiges Urteil" war, „nämlich einerseits Beweis¬
urteil, sofern es die Beweisfrage regelte, andrerseits zugleich Endurteil, sofern
es bestimmte, was je nach dem Ausgang des Bewcisverfahrens zu geschehn habe"
(Brunner). Da nun bei der Veweisfrage wieder das Ordal immer eine Haupt¬
rolle spielte, so erklärt es sich nicht allzu schwer, daß bei den meisten west¬
germanischen Stämmen das Wort „Ordal" oder „Urteil" sowohl das suclioium
alvi — worauf es bei den Angelsachsen beschränkt geblieben ist — als auch
das definitive Gerichtsurteil bezeichnete, bis dann mit dem Verschwinden der
Gottesurteile nur noch die letzte Bedeutung übrig blieb.

Bei der Fällung des Urteils hatte der altdeutsche Richter nicht dieselbe
unabhängige Stellung wie heute, wo er unter freier Würdigung der erbrachten
Beweise selbst entscheidet, er war vielmehr — wie schon zu Eingang dieses
Aufsatzes erwähnt worden ist — in ältester Zeit an die Mitwirkung der Gemeinde,
später an die eines Gemeindeausschusses gebunden. So wurde z. B. bei den
Franken das Urteil zunächst durch die sogenannten Rachimburgen („Natsbürgen,"
„Ratgeber"), einen ..höchstwahrscheinlich vom Richter ernannten Ausschuß der
Gerichtsgemeinde" (Brunner) „gefunden," wie man sagte, woran noch heute
unser „für Recht befinden" anklingt. Seit Karl dem Großen aber waren


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[0822] Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache oder „anzuziehen"), wenn wir sie mit Gewalt zu etwas treiben oder etwas aus ihnen herauspressen wollen, ebenso wie wir sie auch noch „schrauben" oder ..aufziehen" können, wenn wir sie in wirklicher oder vermeintlicher geistiger Überlegenheit zum Gegenstande des Spottes („Schraubereien") machen. Bei den beiden letzten Phrasen denken wir allerdings wohl kaum noch weder an die ominösen, einst überaus beliebten Fvlterwcrkzenge, die Danmschrcmben oder Daumenstöcke, von denen es seinerzeit die mannigfachsten Arten gab, noch an die ebenfalls weitverbreitet gewesene Tvrtnrart des „Zuges" oder der „Elevcitivn" oder „Expansion" in ihren verschiednen Formen (wie der „gespickte Hase" usw.). Nur unklare Vorstellungen haben heute wohl auch manche von den „spanischen Stiefeln" („Beinschranben"). durch die einst das Schienbein und die Waden platt gedrückt wurden, obwohl der Vergleich des ..Einschnüreus" in diese Folterwerkzeuge für die Unterbindung jeglicher freien und selbständigen Ent¬ wicklung in unsrer Sprache längst heimisch und in der Literatur namentlich seit Goethes Worten im „Faust" über das „vollkAuim in>M<zam": „Da wird der Geist euch Wohl dressiert, in spanische Stiefel eingeschnürt" recht beliebt geworden ist. Wenn wir heute auch von bösen Wucherern („Hals- oder Kehlabschneidern") sagen, daß sie ihre Opfer „schnüren" (— übervorteilen), so ist vielleicht auch dies von dem Zuschnüren der spanischen Stiefel, richtiger aber wohl von einer selbständigen Folterart herzuleiten, von der z. V. schon Chr. Heinr. Grupen in seiner Dissertation „1)«z anpliog-lions rönnenwrrmi, vo." (Hannover 1754, S. 98—161) eine sehr ausführliche Beschreibung gegeben hat. Endlich kann man noch die Vermutung aufstellen, daß auch unser bildliches „einem heiß machen" sich von der u. a. noch in dem österreichischen Straf- gcsetzbuche von 1768, der sog. „Thcresiana." erwähnten Folterung durch Feuer- brände herleitet, wenn man nicht vorzieht, auch hierbei an die Feucrordcilicn zu denken. Aus dem Worte „Ordal" ist, wie schließlich noch bemerkt sei, auch unser „Urteil" entstanden, das wir jetzt besonders für die den Prozeß abschließende gerichtliche Entscheidung (Endurteil) gebrauchen, während das der ältern Sprache dafür geläufige <tun (ahd. und ahd. tuom, altnord. clcmir), das sich in den nordischen Sprachen und in England (cloom) im ursprünglichen Sinne zu erhalten vermochte, uns als selbständiges Wort abhanden gekommen ist und nur noch als sogenanntes Suffix (^ tum) in Verbindungen wie Königtum, Fürstentum und dergleichen mehr fortlebt. Diese Wandlung aber dürfte dadurch entstanden sein, daß das Urteil in älterer Zeit „bei den Westgermanen, wenn der Beklagte geleugnet hatte. . ., ein zweizüngiges Urteil" war, „nämlich einerseits Beweis¬ urteil, sofern es die Beweisfrage regelte, andrerseits zugleich Endurteil, sofern es bestimmte, was je nach dem Ausgang des Bewcisverfahrens zu geschehn habe" (Brunner). Da nun bei der Veweisfrage wieder das Ordal immer eine Haupt¬ rolle spielte, so erklärt es sich nicht allzu schwer, daß bei den meisten west¬ germanischen Stämmen das Wort „Ordal" oder „Urteil" sowohl das suclioium alvi — worauf es bei den Angelsachsen beschränkt geblieben ist — als auch das definitive Gerichtsurteil bezeichnete, bis dann mit dem Verschwinden der Gottesurteile nur noch die letzte Bedeutung übrig blieb. Bei der Fällung des Urteils hatte der altdeutsche Richter nicht dieselbe unabhängige Stellung wie heute, wo er unter freier Würdigung der erbrachten Beweise selbst entscheidet, er war vielmehr — wie schon zu Eingang dieses Aufsatzes erwähnt worden ist — in ältester Zeit an die Mitwirkung der Gemeinde, später an die eines Gemeindeausschusses gebunden. So wurde z. B. bei den Franken das Urteil zunächst durch die sogenannten Rachimburgen („Natsbürgen," „Ratgeber"), einen ..höchstwahrscheinlich vom Richter ernannten Ausschuß der Gerichtsgemeinde" (Brunner) „gefunden," wie man sagte, woran noch heute unser „für Recht befinden" anklingt. Seit Karl dem Großen aber waren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/822>, abgerufen am 26.11.2024.