Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache "durchs Feuer gehn" oder diese -- ebenso wie zuweilen sich selbst -- "weiß Auch dem gerichtlichen Zweikampfe, der letzten Wurzel unsers heutigen Duells, Auch der Beweis durch Zeugen ist schon dem ältern deutschen Gerichts¬ Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache „durchs Feuer gehn" oder diese — ebenso wie zuweilen sich selbst — „weiß Auch dem gerichtlichen Zweikampfe, der letzten Wurzel unsers heutigen Duells, Auch der Beweis durch Zeugen ist schon dem ältern deutschen Gerichts¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0820" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242040"/> <fw type="header" place="top"> Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache</fw><lb/> <p xml:id="ID_3448" prev="#ID_3447"> „durchs Feuer gehn" oder diese — ebenso wie zuweilen sich selbst — „weiß<lb/> zu brennen" versuchen, wobei sie sich freilich nicht gerne „die Finger ver¬<lb/> brennen" mögen. Von der Probe des geweihten Bissens (Prvbcbisseu, juäi-<lb/> eirmr oktÄs jpmri8 ot <zö,L<zij, augels. vorsn-Nä), wonach der Beweisführer für<lb/> schuldlos galt, wenn er den Imbiß — ein Stück trocknen Gerstenbrotes oder<lb/> dünnen Käses von bestimmtem Gewicht — ohne Anstand hinunterschlucken<lb/> konnte, dagegen für schuldig, wenn er ihm im Halse stecken blieb, scheint sich<lb/> die Redensart herzuleiten: „Da soll mir (doch) gleich der Bissen (Brot) im<lb/> Halse (in der Kehle, im Munde) stecken bleiben," oder „ich will mir den<lb/> Tod an diesem Bissen essen," desgleichen der Wunsch daß jemand „daran<lb/> ersticken" möge. Hierher rann schließlich auch noch die Wendung „Gift auf<lb/> etwas nehmen" gerechnet werden — wie ja Giftordalien bei den Natur¬<lb/> völkern noch heute weit verbreitet sind -—, während das sinnverwandte „das<lb/> Abendmahl auf etwas nehmen" seine Entstehung wohl der sogenannten<lb/> Abendmahlsprobe verdankt, einem Beweismittel kirchlichen Ursprungs, dessen<lb/> Natur als echtes Gottesurteil übrigeus bestritten ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_3449"> Auch dem gerichtlichen Zweikampfe, der letzten Wurzel unsers heutigen Duells,<lb/> worin sich die altgermanische Auffassung des Prozesses als eines Kampfes<lb/> („Rechtsstreits") besonders deutlich widerspiegelt, hat der deutsche Sprachschatz<lb/> mehrfache Bereicherung zu verdanken. Hierher gehört z. B. der — in die neu¬<lb/> hochdeutsche Schriftsprache übrigens erst am Ende des achtzehnten Jahrhunderts<lb/> eingedrungne — Ausdruck „Kämpe," den wir heute namentlich für einen<lb/> kriegerischen Helden, dann auch wohl in einem mehr übertragnen Sinne für<lb/> Vorkämpfer, Verfechter (etwa: der Freiheit oder irgend einer Idee) gebrauchen.<lb/> Einst war dies aber die spezielle technische Bezeichnung für die zur Klasse der<lb/> „unehrlichen Leute" gehörenden, gemieteten Lohnkämpfer im gerichtlichen Zwei¬<lb/> kampfe (ahd. ellsroplio, iWmt'o, Kkinxlrjo, altniederd. Kswpio, cmgels. eGuirm,<lb/> ahd. Icvnrpv, Kom>ni>. Kvmxlie, altnord. Ksnrxa, alae. carapio, franz. und engl.<lb/> Lliiimplon), die — wie dies schon frühzeitig gestattet wurde — an Stelle der<lb/> Parteien selbst den „Kampf," d.h. zunächst gerade den Zweikampf vor Gericht,<lb/> untereinander ausfochten, also für ihre Auftraggeber im wahrsten Sinne des<lb/> Wortes „in die Schranken traten." Daraus, daß der in solchem Kampfe Über-<lb/> wnndne fällt, der Sieger aber stehn bleibt, erhalten wohl Wendungen wie<lb/> „sich sein Recht erstehn," „auf seinem Rechte bestehn" und „gut be¬<lb/> standen haben" (z.B. heute auch ein Examen) ihre richtige Beleuchtung. In<lb/> denselben Zusammenhang scheint aber auch die Redensart „einem die Stange<lb/> halten" zu gehören. Sofern sie nämlich noch in dem (früher gebräuchlichern)<lb/> Sinne „einem (in schwieriger Lage) zur Seite stehn" oder „seine Partei<lb/> ergreifen" gebraucht wird, darf man sie wohl beziehen auf die Tätigkeit des<lb/> vom Richter bestellten Aufsehers („Staugers, Stänglers"), des — später dann auch<lb/> in den Turnieren auftretenden — „Würtels" oder „Grieswarten" (ahd. Miosvsrto,<lb/> frieh. ArstvkrÄlM, abzuleiten von Gries, ahd. grie^, d. h. dem Sande oder<lb/> Kiese, auf dem der Kampf stattfand), der als „sekundäre" die .Kämpfenden<lb/> nötigenfalls mit einer Stange zu trenne», namentlich aber eine solche zum<lb/> Schutze über den zu halten hatte, der zu Falle gekommen war. Wenn sich der<lb/> Gefallene wieder aufraffte, um den Zweikampf von neuem zu beginnen, so hatte<lb/> er nach altem Sprachgebrauche „sich erholt" — eine Bezeichnung, die dann<lb/> von diesem Vorgange beim gerichtlichen Waffe n Streite zunächst auf den gericht¬<lb/> lichen Wortstreit, z. B. beim Versprechen in der Rede, übertragen worden ist<lb/> und erst von hier aus schließlich den heutigen, noch allgemeinern Sinn an¬<lb/> genommen hat (vgl. noch das ältere „sich Rats erholen").</p><lb/> <p xml:id="ID_3450" next="#ID_3451"> Auch der Beweis durch Zeugen ist schon dem ältern deutschen Gerichts¬<lb/> verfahren keineswegs ganz unbekannt gewesen und hat namentlich im Volksrechte<lb/> der hallischen Franken eine bevorzugte Stellung eingenommen. Nur war der Begnfs</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0820]
Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache
„durchs Feuer gehn" oder diese — ebenso wie zuweilen sich selbst — „weiß
zu brennen" versuchen, wobei sie sich freilich nicht gerne „die Finger ver¬
brennen" mögen. Von der Probe des geweihten Bissens (Prvbcbisseu, juäi-
eirmr oktÄs jpmri8 ot <zö,L<zij, augels. vorsn-Nä), wonach der Beweisführer für
schuldlos galt, wenn er den Imbiß — ein Stück trocknen Gerstenbrotes oder
dünnen Käses von bestimmtem Gewicht — ohne Anstand hinunterschlucken
konnte, dagegen für schuldig, wenn er ihm im Halse stecken blieb, scheint sich
die Redensart herzuleiten: „Da soll mir (doch) gleich der Bissen (Brot) im
Halse (in der Kehle, im Munde) stecken bleiben," oder „ich will mir den
Tod an diesem Bissen essen," desgleichen der Wunsch daß jemand „daran
ersticken" möge. Hierher rann schließlich auch noch die Wendung „Gift auf
etwas nehmen" gerechnet werden — wie ja Giftordalien bei den Natur¬
völkern noch heute weit verbreitet sind -—, während das sinnverwandte „das
Abendmahl auf etwas nehmen" seine Entstehung wohl der sogenannten
Abendmahlsprobe verdankt, einem Beweismittel kirchlichen Ursprungs, dessen
Natur als echtes Gottesurteil übrigeus bestritten ist.
Auch dem gerichtlichen Zweikampfe, der letzten Wurzel unsers heutigen Duells,
worin sich die altgermanische Auffassung des Prozesses als eines Kampfes
(„Rechtsstreits") besonders deutlich widerspiegelt, hat der deutsche Sprachschatz
mehrfache Bereicherung zu verdanken. Hierher gehört z. B. der — in die neu¬
hochdeutsche Schriftsprache übrigens erst am Ende des achtzehnten Jahrhunderts
eingedrungne — Ausdruck „Kämpe," den wir heute namentlich für einen
kriegerischen Helden, dann auch wohl in einem mehr übertragnen Sinne für
Vorkämpfer, Verfechter (etwa: der Freiheit oder irgend einer Idee) gebrauchen.
Einst war dies aber die spezielle technische Bezeichnung für die zur Klasse der
„unehrlichen Leute" gehörenden, gemieteten Lohnkämpfer im gerichtlichen Zwei¬
kampfe (ahd. ellsroplio, iWmt'o, Kkinxlrjo, altniederd. Kswpio, cmgels. eGuirm,
ahd. Icvnrpv, Kom>ni>. Kvmxlie, altnord. Ksnrxa, alae. carapio, franz. und engl.
Lliiimplon), die — wie dies schon frühzeitig gestattet wurde — an Stelle der
Parteien selbst den „Kampf," d.h. zunächst gerade den Zweikampf vor Gericht,
untereinander ausfochten, also für ihre Auftraggeber im wahrsten Sinne des
Wortes „in die Schranken traten." Daraus, daß der in solchem Kampfe Über-
wnndne fällt, der Sieger aber stehn bleibt, erhalten wohl Wendungen wie
„sich sein Recht erstehn," „auf seinem Rechte bestehn" und „gut be¬
standen haben" (z.B. heute auch ein Examen) ihre richtige Beleuchtung. In
denselben Zusammenhang scheint aber auch die Redensart „einem die Stange
halten" zu gehören. Sofern sie nämlich noch in dem (früher gebräuchlichern)
Sinne „einem (in schwieriger Lage) zur Seite stehn" oder „seine Partei
ergreifen" gebraucht wird, darf man sie wohl beziehen auf die Tätigkeit des
vom Richter bestellten Aufsehers („Staugers, Stänglers"), des — später dann auch
in den Turnieren auftretenden — „Würtels" oder „Grieswarten" (ahd. Miosvsrto,
frieh. ArstvkrÄlM, abzuleiten von Gries, ahd. grie^, d. h. dem Sande oder
Kiese, auf dem der Kampf stattfand), der als „sekundäre" die .Kämpfenden
nötigenfalls mit einer Stange zu trenne», namentlich aber eine solche zum
Schutze über den zu halten hatte, der zu Falle gekommen war. Wenn sich der
Gefallene wieder aufraffte, um den Zweikampf von neuem zu beginnen, so hatte
er nach altem Sprachgebrauche „sich erholt" — eine Bezeichnung, die dann
von diesem Vorgange beim gerichtlichen Waffe n Streite zunächst auf den gericht¬
lichen Wortstreit, z. B. beim Versprechen in der Rede, übertragen worden ist
und erst von hier aus schließlich den heutigen, noch allgemeinern Sinn an¬
genommen hat (vgl. noch das ältere „sich Rats erholen").
Auch der Beweis durch Zeugen ist schon dem ältern deutschen Gerichts¬
verfahren keineswegs ganz unbekannt gewesen und hat namentlich im Volksrechte
der hallischen Franken eine bevorzugte Stellung eingenommen. Nur war der Begnfs
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