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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Die Aomödie auf Aronborg

Oder wie ein Meerweib, meinte Jver Krumme.

Glaubt Ihr an die? fragte Will.

Und dann erzählte Jver Kramme von dem Meerweib auf Snmsö, das dem
Bauern erschienen war und ihm befohlen hatte, zum König zu gehn und ihm zu
melden, daß ihm ein Sohn geboren werden würde. Was auch geschah, fügte Jver
Krannne hinzu, und selbiger junge Prinz ist der erwählte Thronfolger, vor dem
Meister Hieronymus Justesens Komödie in Viborg agiert wurde, wie Ihr wißt.

Die Sonne war jetzt schon lange zu Rüste gegangen, der Mond war aufge¬
stiegen und goß eiuen silbernen Schimmer über das Meer; Kronborg ragte ans
wie ein schwarzer Koloß, aber aus seinem Dunkel glühten die erleuchteten Fenster
wie spähende Drnchenaugen, und von Zeit zu Zeit vernahm man einen Ton von
Pauken und Trompete".

Macht mir eine Freude, Jungfrau Christence, bat Will. Jungfrau Elisabeth,
fügte er leise hinzu. singt das alte Lied von den Runen, die der einen zuge¬
worfen wurden, aber der andern in den Schoß fielen -- das ist ein hohes Lied
von der Allmacht der Dichtkunst!

Und Christenee sang -- alle Verse --, nie hatte ihre Stimme so schön ge¬
klungen.

Aber Jver Kramme gähnte und fing an, es langweilig am Strande zu finden. --
Laßt uns heimgehn I sagte er, und sie brachen auf.

Vor dem Kloster trafen sie Herrn Johann.

Er stand mit gespreizten Beinen mutter ans der Straße vor seiner Tür, hatte
den Degen gezogen, obwohl niemand in der Nähe war, und schlug damit auf das
Pflaster, daß die Funken stoben. -- Weg und dir, du toller Hund! rief er. Weg
von meiner Tür, oder ich schlage dich tot.

Jver Kramme schüttelte den Kopf. Mein guter Oheim ist berauscht, sagte er,
dann sieht er immer tolle Hunde. -- Nun ist er Wohl wieder bei Dorthe auf dem
Schloß gewesen! -- Ja, so laßt uns nnr hineingehn!




Montag Abend -- jetzt sollte "Agnthou und Kakophron" den Musikanten
im Ratskeller vorgelesen werden.

Als die Uhr sieben schlug, hatte Jver Kramme daheim keine Ruhe mehr, und
es half nichts, daß ihm Will erklärte, seine Kameraden könnten nicht vor acht Uhr
vom Schlosse kommen: er wollte fort, und Will mußte mit.

So kamen sie ins Rathaus und stiegen die steile ausgetretene Steintreppe
hinab, über der Tag und Nacht eine schläfrige Hornlaterne brannte. Weindunst
und Bierdunst -- eine feuchte, widerlich süße und zugleich säuerliche Luft schlug
ihnen entgegen: lautes Reden, Lachen und Rufe" drang von unten herauf.

Im Keller war es schon voll von Menschen, das Getränk floß über die Tische,
und mau hörte alle Sprachen.

Hans Bartscheer und der Apotheker saßen in einer Ecke und spielten Fünfkart
init flämischen Karten; der Apotheker, der ein vorsichtiger Mann war, hatte eine
leere Kanne zwischen sich und seinen Mitspieler gesetzt, denn Hans Bartscheer kam
gerade von einem Patienten mit ansteckenden Fieber, und obwohl der brave
Medikus versicherte, er sei "mit ^junixsio geschwängert wie ein geräucherter Hering,"
so konnte der Apotheker es doch nicht leiden, ihn so nahe auf dem Leibe zu haben.

Ein paar von des Königs Leuten hielten sich gesondert an einem kleinen
Tische und waren mit Brettspiel und Würfeln beschäftigt, aber um den großen,
runden Tisch unter der Mitte der Wölbung saßen in buntem Durcheinander Schiffer
der verschiedensten Nationen -- Holländisch und Englisch, Deutsch und Spanisch
tönten durcheinander. Der eine verstand in der Regel den andern nicht, aber em
dicker Niederländer mit runder Pelzmütze und ein magerer Engländer mit spitz-
köpfigen Hut waren in Unterhaltung miteinander gekommen, und so gut verstanden


Die Aomödie auf Aronborg

Oder wie ein Meerweib, meinte Jver Krumme.

Glaubt Ihr an die? fragte Will.

Und dann erzählte Jver Kramme von dem Meerweib auf Snmsö, das dem
Bauern erschienen war und ihm befohlen hatte, zum König zu gehn und ihm zu
melden, daß ihm ein Sohn geboren werden würde. Was auch geschah, fügte Jver
Krannne hinzu, und selbiger junge Prinz ist der erwählte Thronfolger, vor dem
Meister Hieronymus Justesens Komödie in Viborg agiert wurde, wie Ihr wißt.

Die Sonne war jetzt schon lange zu Rüste gegangen, der Mond war aufge¬
stiegen und goß eiuen silbernen Schimmer über das Meer; Kronborg ragte ans
wie ein schwarzer Koloß, aber aus seinem Dunkel glühten die erleuchteten Fenster
wie spähende Drnchenaugen, und von Zeit zu Zeit vernahm man einen Ton von
Pauken und Trompete«.

Macht mir eine Freude, Jungfrau Christence, bat Will. Jungfrau Elisabeth,
fügte er leise hinzu. singt das alte Lied von den Runen, die der einen zuge¬
worfen wurden, aber der andern in den Schoß fielen — das ist ein hohes Lied
von der Allmacht der Dichtkunst!

Und Christenee sang — alle Verse —, nie hatte ihre Stimme so schön ge¬
klungen.

Aber Jver Kramme gähnte und fing an, es langweilig am Strande zu finden. —
Laßt uns heimgehn I sagte er, und sie brachen auf.

Vor dem Kloster trafen sie Herrn Johann.

Er stand mit gespreizten Beinen mutter ans der Straße vor seiner Tür, hatte
den Degen gezogen, obwohl niemand in der Nähe war, und schlug damit auf das
Pflaster, daß die Funken stoben. — Weg und dir, du toller Hund! rief er. Weg
von meiner Tür, oder ich schlage dich tot.

Jver Kramme schüttelte den Kopf. Mein guter Oheim ist berauscht, sagte er,
dann sieht er immer tolle Hunde. — Nun ist er Wohl wieder bei Dorthe auf dem
Schloß gewesen! — Ja, so laßt uns nnr hineingehn!




Montag Abend — jetzt sollte „Agnthou und Kakophron" den Musikanten
im Ratskeller vorgelesen werden.

Als die Uhr sieben schlug, hatte Jver Kramme daheim keine Ruhe mehr, und
es half nichts, daß ihm Will erklärte, seine Kameraden könnten nicht vor acht Uhr
vom Schlosse kommen: er wollte fort, und Will mußte mit.

So kamen sie ins Rathaus und stiegen die steile ausgetretene Steintreppe
hinab, über der Tag und Nacht eine schläfrige Hornlaterne brannte. Weindunst
und Bierdunst — eine feuchte, widerlich süße und zugleich säuerliche Luft schlug
ihnen entgegen: lautes Reden, Lachen und Rufe» drang von unten herauf.

Im Keller war es schon voll von Menschen, das Getränk floß über die Tische,
und mau hörte alle Sprachen.

Hans Bartscheer und der Apotheker saßen in einer Ecke und spielten Fünfkart
init flämischen Karten; der Apotheker, der ein vorsichtiger Mann war, hatte eine
leere Kanne zwischen sich und seinen Mitspieler gesetzt, denn Hans Bartscheer kam
gerade von einem Patienten mit ansteckenden Fieber, und obwohl der brave
Medikus versicherte, er sei „mit ^junixsio geschwängert wie ein geräucherter Hering,"
so konnte der Apotheker es doch nicht leiden, ihn so nahe auf dem Leibe zu haben.

Ein paar von des Königs Leuten hielten sich gesondert an einem kleinen
Tische und waren mit Brettspiel und Würfeln beschäftigt, aber um den großen,
runden Tisch unter der Mitte der Wölbung saßen in buntem Durcheinander Schiffer
der verschiedensten Nationen — Holländisch und Englisch, Deutsch und Spanisch
tönten durcheinander. Der eine verstand in der Regel den andern nicht, aber em
dicker Niederländer mit runder Pelzmütze und ein magerer Engländer mit spitz-
köpfigen Hut waren in Unterhaltung miteinander gekommen, und so gut verstanden


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[0758] Die Aomödie auf Aronborg Oder wie ein Meerweib, meinte Jver Krumme. Glaubt Ihr an die? fragte Will. Und dann erzählte Jver Kramme von dem Meerweib auf Snmsö, das dem Bauern erschienen war und ihm befohlen hatte, zum König zu gehn und ihm zu melden, daß ihm ein Sohn geboren werden würde. Was auch geschah, fügte Jver Krannne hinzu, und selbiger junge Prinz ist der erwählte Thronfolger, vor dem Meister Hieronymus Justesens Komödie in Viborg agiert wurde, wie Ihr wißt. Die Sonne war jetzt schon lange zu Rüste gegangen, der Mond war aufge¬ stiegen und goß eiuen silbernen Schimmer über das Meer; Kronborg ragte ans wie ein schwarzer Koloß, aber aus seinem Dunkel glühten die erleuchteten Fenster wie spähende Drnchenaugen, und von Zeit zu Zeit vernahm man einen Ton von Pauken und Trompete«. Macht mir eine Freude, Jungfrau Christence, bat Will. Jungfrau Elisabeth, fügte er leise hinzu. singt das alte Lied von den Runen, die der einen zuge¬ worfen wurden, aber der andern in den Schoß fielen — das ist ein hohes Lied von der Allmacht der Dichtkunst! Und Christenee sang — alle Verse —, nie hatte ihre Stimme so schön ge¬ klungen. Aber Jver Kramme gähnte und fing an, es langweilig am Strande zu finden. — Laßt uns heimgehn I sagte er, und sie brachen auf. Vor dem Kloster trafen sie Herrn Johann. Er stand mit gespreizten Beinen mutter ans der Straße vor seiner Tür, hatte den Degen gezogen, obwohl niemand in der Nähe war, und schlug damit auf das Pflaster, daß die Funken stoben. — Weg und dir, du toller Hund! rief er. Weg von meiner Tür, oder ich schlage dich tot. Jver Kramme schüttelte den Kopf. Mein guter Oheim ist berauscht, sagte er, dann sieht er immer tolle Hunde. — Nun ist er Wohl wieder bei Dorthe auf dem Schloß gewesen! — Ja, so laßt uns nnr hineingehn! Montag Abend — jetzt sollte „Agnthou und Kakophron" den Musikanten im Ratskeller vorgelesen werden. Als die Uhr sieben schlug, hatte Jver Kramme daheim keine Ruhe mehr, und es half nichts, daß ihm Will erklärte, seine Kameraden könnten nicht vor acht Uhr vom Schlosse kommen: er wollte fort, und Will mußte mit. So kamen sie ins Rathaus und stiegen die steile ausgetretene Steintreppe hinab, über der Tag und Nacht eine schläfrige Hornlaterne brannte. Weindunst und Bierdunst — eine feuchte, widerlich süße und zugleich säuerliche Luft schlug ihnen entgegen: lautes Reden, Lachen und Rufe» drang von unten herauf. Im Keller war es schon voll von Menschen, das Getränk floß über die Tische, und mau hörte alle Sprachen. Hans Bartscheer und der Apotheker saßen in einer Ecke und spielten Fünfkart init flämischen Karten; der Apotheker, der ein vorsichtiger Mann war, hatte eine leere Kanne zwischen sich und seinen Mitspieler gesetzt, denn Hans Bartscheer kam gerade von einem Patienten mit ansteckenden Fieber, und obwohl der brave Medikus versicherte, er sei „mit ^junixsio geschwängert wie ein geräucherter Hering," so konnte der Apotheker es doch nicht leiden, ihn so nahe auf dem Leibe zu haben. Ein paar von des Königs Leuten hielten sich gesondert an einem kleinen Tische und waren mit Brettspiel und Würfeln beschäftigt, aber um den großen, runden Tisch unter der Mitte der Wölbung saßen in buntem Durcheinander Schiffer der verschiedensten Nationen — Holländisch und Englisch, Deutsch und Spanisch tönten durcheinander. Der eine verstand in der Regel den andern nicht, aber em dicker Niederländer mit runder Pelzmütze und ein magerer Engländer mit spitz- köpfigen Hut waren in Unterhaltung miteinander gekommen, und so gut verstanden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/758>, abgerufen am 26.11.2024.