Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Aus der Jugendzeit alten Klosterschwestern in ihrer Ordenstracht, und mit unheimlicher Scheu erfüllte In Quedlinburg existierten Mönche und Nonnen nur noch in uralten Spuk¬ Es gab aber in meiner Jugend Leute in Quedlinburg, die ganz ernstlich an Der feurige Quebek und der blutige Mönch waren aber nicht die einzigen Ähnliche Spukorte gab es in meiner Heimat noch mehr. Die Lust am Grenzboten III 1903 ^
Aus der Jugendzeit alten Klosterschwestern in ihrer Ordenstracht, und mit unheimlicher Scheu erfüllte In Quedlinburg existierten Mönche und Nonnen nur noch in uralten Spuk¬ Es gab aber in meiner Jugend Leute in Quedlinburg, die ganz ernstlich an Der feurige Quebek und der blutige Mönch waren aber nicht die einzigen Ähnliche Spukorte gab es in meiner Heimat noch mehr. Die Lust am Grenzboten III 1903 ^
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0753" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241971"/> <fw type="header" place="top"> Aus der Jugendzeit</fw><lb/> <p xml:id="ID_3137" prev="#ID_3136"> alten Klosterschwestern in ihrer Ordenstracht, und mit unheimlicher Scheu erfüllte<lb/> es mich, daß mein Vater an sie herantrat und sich freundlich mit ihnen unterhielt.<lb/> Er tadelte nachher auf dem Rückwege das gegen Katholiken und die alten, auf den<lb/> Aussterbeetat gesetzten Klosterfrauen bestehende Vorurteil. Vorurteile und Aber¬<lb/> glauben bekämpfte er unnachsichtlich.</p><lb/> <p xml:id="ID_3138"> In Quedlinburg existierten Mönche und Nonnen nur noch in uralten Spuk¬<lb/> geschichten, deren eine ganze Menge im Schwange waren. Das meinem väterlichen<lb/> Hause gegenüberliegende Gehöft war vormals ein Kloster gewesen, und die alte<lb/> Scheune, in der wir dort spielten, zeigte noch vermauerte Fenster mit gotischem<lb/> Maßwerk. Dort sollte ein blutiger Mönch spuken gehn. Wenn ich beim Verstecken¬<lb/> spielen allein in der Scheune saß, sah ich mich doch nicht ohne Neugier um, ob<lb/> sich von dergleichen Spuk nichts zeige. Es zeigte sich aber nichts. Ich bin für<lb/> das Spukhafte, für Gespenster, Ahnungen und dergleichen niemals empfänglich<lb/> gewesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3139"> Es gab aber in meiner Jugend Leute in Quedlinburg, die ganz ernstlich an<lb/> das Spukwesen glaubten. Wenn große Wäsche in unserm Hanse war — die Seife<lb/> dazu kochte meine Mutter selbst —, dann kamen die Waschfrauen. um die Wäsche<lb/> einzufangen, schon Nachts um ein Uhr. Diese alten Weiber wohnten jenseits des<lb/> Schlosses im Westendvrfe. Jedesmal, wenn sie nach Mitternacht über den Schloß-<lb/> Platz gekommen waren, wollten sie einen feurigen Hund gesehen haben, der aus<lb/> dem jederzeit offnen Schloßtor heulend auf sie zugesprungen sei. Sie seien dann<lb/> schreiend vor dem feurigen Hunde davon gelaufen. Dieser Hund sollte der Hund<lb/> der ersten Quedlinburger Äbtissin Mathilde gewesen sein und Quebek geheißen<lb/> haben. Von ihm sollte die Stadt ihren Namen bekommen haben. Der Hund<lb/> Quebek ist geschichtlich nicht zu kontrollieren. Er hat wahrscheinlich nie existiert,<lb/> und der Name Quedlinburg ist auf ihn nicht zurückzuführen. Die Stadt Quedlinburg<lb/> führt in ihrem Wappen ein gemauertes Stadttor mit zwei Türmen und zwischen<lb/> diesen im offnen Tor einen sitzenden Hund. ein sehr hübsches Symbol treuer Wachsam¬<lb/> keit. Für den richtigen Quedlinburger war dieser Hund natürlich Quebek. Worauf<lb/> Quedels Verpflichtung zum Spuken beruhte, habe ich nie erfahren können.</p><lb/> <p xml:id="ID_3140"> Der feurige Quebek und der blutige Mönch waren aber nicht die einzigen<lb/> Spukgestalten, mit denen in meiner Jngend alte Weiber die Kinder gruselig machten.<lb/> Auch das Gymnasium war in den Räumen eines vormaligen Klosters. Natürlich<lb/> spukte es mich da. Auf dem Wege uach Halberstndt kam man in der Nähe des<lb/> Dorfes Harsleben an einer einsamen, etwas öden Feldgegend vorbei. Dort floß<lb/> ein kleiner Bach, dessen Ufer mit uralten Weidenbäumen besetzt waren. Eine echte<lb/> Erlkönigszenerie. Dort sollte oft ein kleines, graues Männchen erscheinen. Manch¬<lb/> mal, so hieß es, spielte es dem einsamen Wandrer tückische Streiche, führte ihn<lb/> durch Irrlichter vom Wege ab oder tat ihm allerlei Schabernack an. Manchmal<lb/> aber sollte es den dort Vvrüberkommenden auch Freundliches erweisen, ihnen Gold<lb/> geben und dergleichen. Durch diesen weitverbreiteten Spukaberglauben war diese<lb/> Gegend vor Harsleben förmlich verrufen. Von vielen Leuten wurde sie in der<lb/> Dunkelheit ängstlich gemieden. Ich habe sie allein und in Gesellschaft Hunderte<lb/> von malen zu Fuß passiert, bei Tage, Abends und zur Nachtzeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_3141" next="#ID_3142"> Ähnliche Spukorte gab es in meiner Heimat noch mehr. Die Lust am<lb/> Gruseligen und Geheimnisvolleu ist überall gleich. Es ist mir immer merkwürdig<lb/> gewesen, wieviel gebildete und sonst ganz verständige, kluge Menschen solche Spuk¬<lb/> geschichten mit Vorliebe erzählten und sich erzählen ließen, sogar solche, die sich<lb/> -hrer Aufklärung mit Ostentation rühmten oder den religiösen Glauben verspotteten.<lb/> Ja gerade solche haben daran oft Wohlgefallen und lassen es ganz ernsthaft dahin¬<lb/> gestellt sein, ob an diesen Dingen nicht doch etwas sei. Damit hängen mich die<lb/> mystischen und spiritistischen Neigungen zusammen. Wo ich solchen Neigungen und<lb/> Erzählungen begegnet bin, haben sie sich jedesmal als Schwindel und Phcmtasie-<lb/> kram erwiesen. Ich leugne gar nicht, daß zwischen Himmel und Erde noch manche</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1903 ^</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0753]
Aus der Jugendzeit
alten Klosterschwestern in ihrer Ordenstracht, und mit unheimlicher Scheu erfüllte
es mich, daß mein Vater an sie herantrat und sich freundlich mit ihnen unterhielt.
Er tadelte nachher auf dem Rückwege das gegen Katholiken und die alten, auf den
Aussterbeetat gesetzten Klosterfrauen bestehende Vorurteil. Vorurteile und Aber¬
glauben bekämpfte er unnachsichtlich.
In Quedlinburg existierten Mönche und Nonnen nur noch in uralten Spuk¬
geschichten, deren eine ganze Menge im Schwange waren. Das meinem väterlichen
Hause gegenüberliegende Gehöft war vormals ein Kloster gewesen, und die alte
Scheune, in der wir dort spielten, zeigte noch vermauerte Fenster mit gotischem
Maßwerk. Dort sollte ein blutiger Mönch spuken gehn. Wenn ich beim Verstecken¬
spielen allein in der Scheune saß, sah ich mich doch nicht ohne Neugier um, ob
sich von dergleichen Spuk nichts zeige. Es zeigte sich aber nichts. Ich bin für
das Spukhafte, für Gespenster, Ahnungen und dergleichen niemals empfänglich
gewesen.
Es gab aber in meiner Jugend Leute in Quedlinburg, die ganz ernstlich an
das Spukwesen glaubten. Wenn große Wäsche in unserm Hanse war — die Seife
dazu kochte meine Mutter selbst —, dann kamen die Waschfrauen. um die Wäsche
einzufangen, schon Nachts um ein Uhr. Diese alten Weiber wohnten jenseits des
Schlosses im Westendvrfe. Jedesmal, wenn sie nach Mitternacht über den Schloß-
Platz gekommen waren, wollten sie einen feurigen Hund gesehen haben, der aus
dem jederzeit offnen Schloßtor heulend auf sie zugesprungen sei. Sie seien dann
schreiend vor dem feurigen Hunde davon gelaufen. Dieser Hund sollte der Hund
der ersten Quedlinburger Äbtissin Mathilde gewesen sein und Quebek geheißen
haben. Von ihm sollte die Stadt ihren Namen bekommen haben. Der Hund
Quebek ist geschichtlich nicht zu kontrollieren. Er hat wahrscheinlich nie existiert,
und der Name Quedlinburg ist auf ihn nicht zurückzuführen. Die Stadt Quedlinburg
führt in ihrem Wappen ein gemauertes Stadttor mit zwei Türmen und zwischen
diesen im offnen Tor einen sitzenden Hund. ein sehr hübsches Symbol treuer Wachsam¬
keit. Für den richtigen Quedlinburger war dieser Hund natürlich Quebek. Worauf
Quedels Verpflichtung zum Spuken beruhte, habe ich nie erfahren können.
Der feurige Quebek und der blutige Mönch waren aber nicht die einzigen
Spukgestalten, mit denen in meiner Jngend alte Weiber die Kinder gruselig machten.
Auch das Gymnasium war in den Räumen eines vormaligen Klosters. Natürlich
spukte es mich da. Auf dem Wege uach Halberstndt kam man in der Nähe des
Dorfes Harsleben an einer einsamen, etwas öden Feldgegend vorbei. Dort floß
ein kleiner Bach, dessen Ufer mit uralten Weidenbäumen besetzt waren. Eine echte
Erlkönigszenerie. Dort sollte oft ein kleines, graues Männchen erscheinen. Manch¬
mal, so hieß es, spielte es dem einsamen Wandrer tückische Streiche, führte ihn
durch Irrlichter vom Wege ab oder tat ihm allerlei Schabernack an. Manchmal
aber sollte es den dort Vvrüberkommenden auch Freundliches erweisen, ihnen Gold
geben und dergleichen. Durch diesen weitverbreiteten Spukaberglauben war diese
Gegend vor Harsleben förmlich verrufen. Von vielen Leuten wurde sie in der
Dunkelheit ängstlich gemieden. Ich habe sie allein und in Gesellschaft Hunderte
von malen zu Fuß passiert, bei Tage, Abends und zur Nachtzeit.
Ähnliche Spukorte gab es in meiner Heimat noch mehr. Die Lust am
Gruseligen und Geheimnisvolleu ist überall gleich. Es ist mir immer merkwürdig
gewesen, wieviel gebildete und sonst ganz verständige, kluge Menschen solche Spuk¬
geschichten mit Vorliebe erzählten und sich erzählen ließen, sogar solche, die sich
-hrer Aufklärung mit Ostentation rühmten oder den religiösen Glauben verspotteten.
Ja gerade solche haben daran oft Wohlgefallen und lassen es ganz ernsthaft dahin¬
gestellt sein, ob an diesen Dingen nicht doch etwas sei. Damit hängen mich die
mystischen und spiritistischen Neigungen zusammen. Wo ich solchen Neigungen und
Erzählungen begegnet bin, haben sie sich jedesmal als Schwindel und Phcmtasie-
kram erwiesen. Ich leugne gar nicht, daß zwischen Himmel und Erde noch manche
Grenzboten III 1903 ^
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |