Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Gobineau in französischer Beleilchtnng sie schon gekannt hätte, als er seine Arbeit begann. Da das nicht der Fall Der älteste Typus dieser Weltüberwinder ist Herkules? das Bewußtsein Gobineau in französischer Beleilchtnng sie schon gekannt hätte, als er seine Arbeit begann. Da das nicht der Fall Der älteste Typus dieser Weltüberwinder ist Herkules? das Bewußtsein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0746" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241964"/> <fw type="header" place="top"> Gobineau in französischer Beleilchtnng</fw><lb/> <p xml:id="ID_3116" prev="#ID_3115"> sie schon gekannt hätte, als er seine Arbeit begann. Da das nicht der Fall<lb/> war, mußte ihm vorläufig ein andrer französischer Schwärmer aushelfen, der<lb/> 1842 verstorbne Vegetarianer Gleizes, von dessen Schrift „Thalysia oder das<lb/> Heil der Menschheit" (1873) eine deutsche Übersetzung erschienen war, Wagner<lb/> bemächtigte sich sofort der Weisheit „des sanftmütigen französischen Narren,"<lb/> und das Leichengift des Tierfleischcs leistete ihm einstweilen den Dienst, den<lb/> er brauchte. Die Juden waren ihm ohnehin schon verhaßt, jetzt wurden sie es<lb/> noch mehr aus dem Grunde, weil das Alte Testament den Fall des Menschen¬<lb/> geschlechts auf den Genuß einer Baumfrucht zurückführt, und weil Jehovah<lb/> Abels geschlachtetes Lamm dem unschuldigen Fruchtopfer Kains vorzieht. Nur<lb/> eine geologische Katastrophe, die den Meuscheu aus den seligen Gefilden des<lb/> Südens in den unwirtlichen Norden versetzte, könne ihn dahin gebracht haben,<lb/> daß er, um nicht Hungers zu sterben, die Hand an seine Tierbrüder legte.<lb/> Sollte es wahr sein, daß der Mensch in einem kalten Klima einer stickstoff¬<lb/> haltigen Nahrung bedarf, als sie die Pflanzen gewahren, so müßte eine all¬<lb/> gemeine Rückwanderung in den Süden den Tierschlächtereien ein Ende macheu,<lb/> in denen sich der Mensch für die Menschenschlächtereien des Krieges einübt.<lb/> Darauf lernt Wagner Gobineau kennen und überrascht nun in „Heroismus und<lb/> Christentum" seine Jünger mit der Mitteilung, daß er anßer dem Fleischgenuß<lb/> noch eine andre Ursache der Entartung habe kennen lernen „durch einen der<lb/> geistreichsten Menschen unsrer Zeit." (Es sei interessant, bemerkt Seilliere, daß<lb/> Wagner bei der ersten Erwähnung Gobineaus gerade diese Eigenschaft hervor¬<lb/> hebt, weil auch beider gemeinsame Freundin, Malvida von Meysenbug, nach<lb/> dem ersten Zusammentreffen mit dein Grafen nichts von ihm zu melden weiß,<lb/> als daß er viel osprit S, 1^ rra,in,^i8<z habe.) Er rekapituliert um kurz Gobiuecius<lb/> Lehre und erklärt die Mißheiraten für eine solche Jugeudtorheit aus Unerfahren-<lb/> heit, wie er sie braucht. Damit hört aber auch die Übereinstimmung schon<lb/> auf. Während Gobineau überzeugt ist, daß der einmal begangne Fehler nicht<lb/> wieder gut gemacht werden könne, hat Wagner ja die Entartung nur festgestellt<lb/> haben wollen, um dem kranken Menschengeschlecht seine Bahreuther Kunst als<lb/> Heilmittel verschreiben zu können. Zunächst nun untersucht er, worin eigentlich<lb/> der Vorzug der weißen Rasse bestehe, und lehrt mehr schopenhauerisch als<lb/> gobineauisch, daß es die Beherrschung und Lenkung des Willens durch den<lb/> Intellekt sei, was den Weißen zum höhern Menschen mache. Der Farbige, der<lb/> vom blinden Willen in der Form der Leidenschaft beherrscht werde, fühle das<lb/> Leiden weniger, weil er nicht mit vollem Bewußtsein leide. Die höhern Naturen<lb/> dagegen, wie Tristan und Elisabeth, zwingt das mit vollem Bewußtsein er¬<lb/> duldete Leiden, das Geheimnis dieser schlimmen Welt zu enträtseln und dnrch<lb/> den Tod den Sieg über sie zu erringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3117" next="#ID_3118"> Der älteste Typus dieser Weltüberwinder ist Herkules? das Bewußtsein<lb/> des eignen persönlichen Werth verleiht einem Herkules, einem Siegfried die<lb/> Überzeugung von ihrem göttlichen Ursprung- Aber als arische Helden erringen<lb/> sie ihren Sieg nicht in der Form allmählicher quictistischer Resignation, sondern<lb/> durch eine gewaltige Willensanstrengung: vom Abscheu vor dem Verderben der<lb/> Welt ergriffen schwingt sich der Heros in plötzlicher, wunderbarer Bekehrung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0746]
Gobineau in französischer Beleilchtnng
sie schon gekannt hätte, als er seine Arbeit begann. Da das nicht der Fall
war, mußte ihm vorläufig ein andrer französischer Schwärmer aushelfen, der
1842 verstorbne Vegetarianer Gleizes, von dessen Schrift „Thalysia oder das
Heil der Menschheit" (1873) eine deutsche Übersetzung erschienen war, Wagner
bemächtigte sich sofort der Weisheit „des sanftmütigen französischen Narren,"
und das Leichengift des Tierfleischcs leistete ihm einstweilen den Dienst, den
er brauchte. Die Juden waren ihm ohnehin schon verhaßt, jetzt wurden sie es
noch mehr aus dem Grunde, weil das Alte Testament den Fall des Menschen¬
geschlechts auf den Genuß einer Baumfrucht zurückführt, und weil Jehovah
Abels geschlachtetes Lamm dem unschuldigen Fruchtopfer Kains vorzieht. Nur
eine geologische Katastrophe, die den Meuscheu aus den seligen Gefilden des
Südens in den unwirtlichen Norden versetzte, könne ihn dahin gebracht haben,
daß er, um nicht Hungers zu sterben, die Hand an seine Tierbrüder legte.
Sollte es wahr sein, daß der Mensch in einem kalten Klima einer stickstoff¬
haltigen Nahrung bedarf, als sie die Pflanzen gewahren, so müßte eine all¬
gemeine Rückwanderung in den Süden den Tierschlächtereien ein Ende macheu,
in denen sich der Mensch für die Menschenschlächtereien des Krieges einübt.
Darauf lernt Wagner Gobineau kennen und überrascht nun in „Heroismus und
Christentum" seine Jünger mit der Mitteilung, daß er anßer dem Fleischgenuß
noch eine andre Ursache der Entartung habe kennen lernen „durch einen der
geistreichsten Menschen unsrer Zeit." (Es sei interessant, bemerkt Seilliere, daß
Wagner bei der ersten Erwähnung Gobineaus gerade diese Eigenschaft hervor¬
hebt, weil auch beider gemeinsame Freundin, Malvida von Meysenbug, nach
dem ersten Zusammentreffen mit dein Grafen nichts von ihm zu melden weiß,
als daß er viel osprit S, 1^ rra,in,^i8<z habe.) Er rekapituliert um kurz Gobiuecius
Lehre und erklärt die Mißheiraten für eine solche Jugeudtorheit aus Unerfahren-
heit, wie er sie braucht. Damit hört aber auch die Übereinstimmung schon
auf. Während Gobineau überzeugt ist, daß der einmal begangne Fehler nicht
wieder gut gemacht werden könne, hat Wagner ja die Entartung nur festgestellt
haben wollen, um dem kranken Menschengeschlecht seine Bahreuther Kunst als
Heilmittel verschreiben zu können. Zunächst nun untersucht er, worin eigentlich
der Vorzug der weißen Rasse bestehe, und lehrt mehr schopenhauerisch als
gobineauisch, daß es die Beherrschung und Lenkung des Willens durch den
Intellekt sei, was den Weißen zum höhern Menschen mache. Der Farbige, der
vom blinden Willen in der Form der Leidenschaft beherrscht werde, fühle das
Leiden weniger, weil er nicht mit vollem Bewußtsein leide. Die höhern Naturen
dagegen, wie Tristan und Elisabeth, zwingt das mit vollem Bewußtsein er¬
duldete Leiden, das Geheimnis dieser schlimmen Welt zu enträtseln und dnrch
den Tod den Sieg über sie zu erringen.
Der älteste Typus dieser Weltüberwinder ist Herkules? das Bewußtsein
des eignen persönlichen Werth verleiht einem Herkules, einem Siegfried die
Überzeugung von ihrem göttlichen Ursprung- Aber als arische Helden erringen
sie ihren Sieg nicht in der Form allmählicher quictistischer Resignation, sondern
durch eine gewaltige Willensanstrengung: vom Abscheu vor dem Verderben der
Welt ergriffen schwingt sich der Heros in plötzlicher, wunderbarer Bekehrung
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