Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Golnnecm in französischer Beleuchtung Mufflon), worin die Charakterzüge, die er bei seinem Aufenthalt in Nord¬ Im Jahre 1872 bezog Gobineau seinen letzten Gesandtschaftsposten, den Golnnecm in französischer Beleuchtung Mufflon), worin die Charakterzüge, die er bei seinem Aufenthalt in Nord¬ Im Jahre 1872 bezog Gobineau seinen letzten Gesandtschaftsposten, den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0741" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241959"/> <fw type="header" place="top"> Golnnecm in französischer Beleuchtung</fw><lb/> <p xml:id="ID_3106" prev="#ID_3105"> Mufflon), worin die Charakterzüge, die er bei seinem Aufenthalt in Nord¬<lb/> amerika an den Angelsachsen beobachtet hatte, zwar wieder erscheinen, aber zum<lb/> guten gekehrt und idealisiert. In einer andern Novelle: ^.Kriviv<lb/> ponlo, ist der Held ein Jdealcngländer, ein junger schöner „Asket" von der<lb/> oben beschrielmen Art, der auf Naxos ein Mädchen fränkischer Abstammung<lb/> heiratet, das ganz das Leben einer homerischen Frau lebt.</p><lb/> <p xml:id="ID_3107" next="#ID_3108"> Im Jahre 1872 bezog Gobineau seinen letzten Gesandtschaftsposten, den<lb/> er fünf Jahre inne hatte, in Stockholm. Hier war es, wo ihn Philipp von<lb/> Hertefcld (nach einem deutschen Biographen, Dr. Kretzer, Philipp von Eulen¬<lb/> burg) kennen lernte, der ihm befreundet blieb und seine Erinnerungen an ihn<lb/> in den Bayreuther Blättern veröffentlicht hat. Hertefcld fand seine Wohnung<lb/> orientalisch eingerichtet, einen syrischen Diener und allerlei Gevögel dciriu, den<lb/> Hausherrn mit Literatur und Skulptur beschäftigt; sogar einen Buddha „Nir-<lb/> wana zuschreitend" hat er damals modelliert. Zu dem andern, das ihn „asketisch"<lb/> stimmte, kam noch der Verdruß über die geringe Beachtung, die seine Werke<lb/> fanden, ein Verdruß, der ihn verleitete, eine literarische Verschwörung zu arg¬<lb/> wöhnen. Die erste Frucht seines Stockholmer Aufenthalts war der Roman<lb/> „Die Plejaden." Seilliere findet darin Abschnitte, die man als Litemtnr-<lb/> erzeugnissc höchsten Ranges anerkennen müsse, das Ganze aber ungleichmäßig<lb/> und unvollständig, sodaß man den Roman ein Drittel von einem Meisterwerk<lb/> nennen könne. Gobineau sei eben nicht der Mann gewesen, der planmäßig an¬<lb/> gelegte Werke hübsch ordentlich fertig macht, sondern ein Prophet, der unter<lb/> dem Einfluß unwiderstehlicher Inspirationen in Stnrmnächten von Blitzen be¬<lb/> leuchtete Bruchstücke schaut und wiedergibt. In diesem Roman nun entwickelt<lb/> er eine neue Form des „AryaniSmus." Am Lago Maggiore treffen drei<lb/> Reisende zusammen, ein Engländer, ein Franzose und ein Deutscher. In einem<lb/> Philosophischen Gespräch wirft der Engländer die Bemerkung hin: Wir sind drei<lb/> Derwische, Königssöhne, und erklärt sich darüber folgendermaßen: „Der arabische<lb/> Märchenerzähler pflegt mit den Worten zu beginnen: »Ich bin ein Königs-<lb/> sohn.« Und er, der schmutzige, zerlumpte, hungernde, nicht selten verstümmelte<lb/> Bettler meint damit nicht bloß seinen Helden, sondern auch sich selbst. Er will<lb/> damit nicht sagen, daß sein Vater ein König gewesen sei; nach dem Vater,<lb/> der ein Kesselschmied oder sonst was gewesen sein mag, fragt kein Mensch in<lb/> seiner Zuhörerschaft, sondern er stellt mit dieser kurzen Angabe, die ihn der<lb/> Notwendigkeit ausführlicher Erklärungen überhebt, nur fest, daß er ein Mensch<lb/> von ausgezeichneten Anlagen und etwas vornehmeres als der große Haufe ist.<lb/> Das Wort auf mich angewendet, fährt der Engländer fort, bedeutet also: Ich<lb/> bin kühn und hochherzig, gemeinen Regungen unzugänglich. Mein Geschmack<lb/> ist nicht der Modegeschmack; ich urteile selbständig, liebe und hasse nicht nach<lb/> der Borschrift der Zeitungen. Meine geistige Unabhängigkeit, meine unbeschränkte<lb/> Freiheit im Meinen sind unantastbare Vorrechte meines edeln Ursprungs; der<lb/> Himmel hat sie mir in die Wiege gelegt. Woher anders sollten mir Vorzüge,<lb/> die mich von meiner Umgebung absondern und mir ihre Abneigung zuziehn,<lb/> wohl kommen, als von meiner königlichen Abstammung? Diese ist es doch,<lb/> die den Menschen mehr als irgend etwas andres von der Masse absondert und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0741]
Golnnecm in französischer Beleuchtung
Mufflon), worin die Charakterzüge, die er bei seinem Aufenthalt in Nord¬
amerika an den Angelsachsen beobachtet hatte, zwar wieder erscheinen, aber zum
guten gekehrt und idealisiert. In einer andern Novelle: ^.Kriviv
ponlo, ist der Held ein Jdealcngländer, ein junger schöner „Asket" von der
oben beschrielmen Art, der auf Naxos ein Mädchen fränkischer Abstammung
heiratet, das ganz das Leben einer homerischen Frau lebt.
Im Jahre 1872 bezog Gobineau seinen letzten Gesandtschaftsposten, den
er fünf Jahre inne hatte, in Stockholm. Hier war es, wo ihn Philipp von
Hertefcld (nach einem deutschen Biographen, Dr. Kretzer, Philipp von Eulen¬
burg) kennen lernte, der ihm befreundet blieb und seine Erinnerungen an ihn
in den Bayreuther Blättern veröffentlicht hat. Hertefcld fand seine Wohnung
orientalisch eingerichtet, einen syrischen Diener und allerlei Gevögel dciriu, den
Hausherrn mit Literatur und Skulptur beschäftigt; sogar einen Buddha „Nir-
wana zuschreitend" hat er damals modelliert. Zu dem andern, das ihn „asketisch"
stimmte, kam noch der Verdruß über die geringe Beachtung, die seine Werke
fanden, ein Verdruß, der ihn verleitete, eine literarische Verschwörung zu arg¬
wöhnen. Die erste Frucht seines Stockholmer Aufenthalts war der Roman
„Die Plejaden." Seilliere findet darin Abschnitte, die man als Litemtnr-
erzeugnissc höchsten Ranges anerkennen müsse, das Ganze aber ungleichmäßig
und unvollständig, sodaß man den Roman ein Drittel von einem Meisterwerk
nennen könne. Gobineau sei eben nicht der Mann gewesen, der planmäßig an¬
gelegte Werke hübsch ordentlich fertig macht, sondern ein Prophet, der unter
dem Einfluß unwiderstehlicher Inspirationen in Stnrmnächten von Blitzen be¬
leuchtete Bruchstücke schaut und wiedergibt. In diesem Roman nun entwickelt
er eine neue Form des „AryaniSmus." Am Lago Maggiore treffen drei
Reisende zusammen, ein Engländer, ein Franzose und ein Deutscher. In einem
Philosophischen Gespräch wirft der Engländer die Bemerkung hin: Wir sind drei
Derwische, Königssöhne, und erklärt sich darüber folgendermaßen: „Der arabische
Märchenerzähler pflegt mit den Worten zu beginnen: »Ich bin ein Königs-
sohn.« Und er, der schmutzige, zerlumpte, hungernde, nicht selten verstümmelte
Bettler meint damit nicht bloß seinen Helden, sondern auch sich selbst. Er will
damit nicht sagen, daß sein Vater ein König gewesen sei; nach dem Vater,
der ein Kesselschmied oder sonst was gewesen sein mag, fragt kein Mensch in
seiner Zuhörerschaft, sondern er stellt mit dieser kurzen Angabe, die ihn der
Notwendigkeit ausführlicher Erklärungen überhebt, nur fest, daß er ein Mensch
von ausgezeichneten Anlagen und etwas vornehmeres als der große Haufe ist.
Das Wort auf mich angewendet, fährt der Engländer fort, bedeutet also: Ich
bin kühn und hochherzig, gemeinen Regungen unzugänglich. Mein Geschmack
ist nicht der Modegeschmack; ich urteile selbständig, liebe und hasse nicht nach
der Borschrift der Zeitungen. Meine geistige Unabhängigkeit, meine unbeschränkte
Freiheit im Meinen sind unantastbare Vorrechte meines edeln Ursprungs; der
Himmel hat sie mir in die Wiege gelegt. Woher anders sollten mir Vorzüge,
die mich von meiner Umgebung absondern und mir ihre Abneigung zuziehn,
wohl kommen, als von meiner königlichen Abstammung? Diese ist es doch,
die den Menschen mehr als irgend etwas andres von der Masse absondert und
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