Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Golnncciu in französischer Beleuchtung im beefsteakliebendcn Engländer die Anlage dazu findet; Sonderlingswesen und Zwischen seiner ersten und seiner zweiten persischen Gesandtschaft war er Golnncciu in französischer Beleuchtung im beefsteakliebendcn Engländer die Anlage dazu findet; Sonderlingswesen und Zwischen seiner ersten und seiner zweiten persischen Gesandtschaft war er <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0740" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241958"/> <fw type="header" place="top"> Golnncciu in französischer Beleuchtung</fw><lb/> <p xml:id="ID_3104" prev="#ID_3103"> im beefsteakliebendcn Engländer die Anlage dazu findet; Sonderlingswesen und<lb/> hochmütige Absonderung erscheinen ihm als Askese. Er begegnet Engländern,<lb/> die als Einsiedler leben, in Amerika wie im griechischen Archipel, Männern<lb/> und auch Frauen, in denen die Verfeinerung und die Gewöhnung an üppigen<lb/> Komfort zuletzt „das Bedürfnis einer Einfachheit erzeugt haben, die an Bar¬<lb/> barei streift, aber niemals gemein wird." Sein Asketismns ist eben ein hoch¬<lb/> mütiger Stoizismus, der jedoch mitunter dem leidenschaftlichen Mystizismus der<lb/> Tropenbewohner zuneigt. Daß er aber sein neues Ideal gerade bei Engländern<lb/> verwirklicht sieht, ist eine Wirkung des Krieges. Dieser mußte die Deutschen<lb/> in seiner Achtung heben, und so vergißt er denn, daß er sie im „Versuch" für<lb/> Kelten erklärt hat. Und da er doch auch zu sehr Patriot war, als daß er sie<lb/> nun sogleich hätte verherrlichen können, wendet er seine Vorliebe zunächst ihren<lb/> Vettern, den Engländern, zu. Den Patriotismus mag er nicht gänzlich ver¬<lb/> leugnen, obwohl er ihm sauer wird. „Wie kann man Patriot sein, wenn das<lb/> Wort Vaterland weiter nichts mehr bedeutet als Gambetta, Grevh, Orleanisten,<lb/> Imperialisten und allgemeine Geldgier!" Auch von den Engländern hatte er<lb/> früher behauptet, sie seien nahezu keltisiert und romanisiert. Jetzt erfüllen ihn<lb/> die deutschen Siege und die Ausbreitung der englischen Macht mit der<lb/> Hoffnung, daß diese beiden arischen Rationen den Fortschritt der Entartung, zu<lb/> der nun einmal das Menschengeschlecht verurteilt sei, längere Zeit aufhalten<lb/> würden.</p><lb/> <p xml:id="ID_3105" next="#ID_3106"> Zwischen seiner ersten und seiner zweiten persischen Gesandtschaft war er<lb/> nach Neufundland geschickt worden. Die Eindrücke, die er dort empfangen hat,<lb/> sind in seinen „Reiseerinnerungen" niedergelegt. Sie waren äußerst ungünstig.<lb/> Der angelsächsische Militarismus stößt ihn ab. Auch die Farmer sind Speku¬<lb/> lanten. Ihre langen dunkeln Röcke von schlechtesten Schnitt, ihre blassen,<lb/> runzligen Gesichter, ihre trockne, strenge Rede „sind die richtige Uniform für<lb/> Menschen, deren Credo darin besteht, daß sie alle Welt verdammen und sich<lb/> selbst ein wenig mit." Es füllt ihn: aus, daß sie den Gruß nicht erwidern und<lb/> ohne jeden Anlaß eine drohende und aggressive Haltung annehmen; er kann<lb/> nicht begreife», wozu Leute, die eiuen so friedlichen Beruf haben, solches Getue<lb/> brauchen. Ein Buch öffnen nach Gobineau diese puritanischen Kolonisten nie¬<lb/> mals, weil sie sich selbst für die Inhaber anerschaffner Weisheit halten. Ihre<lb/> Schulen — er hat dem Unterricht in einer Normalschnle beigewohnt — töten<lb/> alle Fähigkeiten des Herzens und des Geistes, die nicht für den Schacher ver¬<lb/> wandt werden können, und machen aus dem jungen Menschenkinde eine Rechen¬<lb/> maschine. An die berühmte Sittsamkeit der angelsächsischen Mädchen und Frauen<lb/> glaubt er nicht. Kurzum, er sieht das Urteil bestätigt, das er im „Versuch"<lb/> über die Nordamerikaner gefällt hat: „Remer Ländern, in die sich ein schmutziger<lb/> Völkerstrom ergießt, dessen Wildheit keine wirkliche Lebenskraft ist, den fehlen<lb/> die Ideen, die ein großes Volk zu schaffen vermögen." Daß er die französischen<lb/> Schisse und Matrosen viel besser findet als die englischen, erklärt sich schon aus<lb/> dem Patriotismus, den damals, in der Glanzzeit des zweiten Kaiserreichs, die<lb/> Erfolge der französischen Waffen in der Krim und in Oberitalien schwellten.<lb/> Zehn Jahre darauf schreibt er eine Novelle: „Die Jagd aus den Caribou"</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0740]
Golnncciu in französischer Beleuchtung
im beefsteakliebendcn Engländer die Anlage dazu findet; Sonderlingswesen und
hochmütige Absonderung erscheinen ihm als Askese. Er begegnet Engländern,
die als Einsiedler leben, in Amerika wie im griechischen Archipel, Männern
und auch Frauen, in denen die Verfeinerung und die Gewöhnung an üppigen
Komfort zuletzt „das Bedürfnis einer Einfachheit erzeugt haben, die an Bar¬
barei streift, aber niemals gemein wird." Sein Asketismns ist eben ein hoch¬
mütiger Stoizismus, der jedoch mitunter dem leidenschaftlichen Mystizismus der
Tropenbewohner zuneigt. Daß er aber sein neues Ideal gerade bei Engländern
verwirklicht sieht, ist eine Wirkung des Krieges. Dieser mußte die Deutschen
in seiner Achtung heben, und so vergißt er denn, daß er sie im „Versuch" für
Kelten erklärt hat. Und da er doch auch zu sehr Patriot war, als daß er sie
nun sogleich hätte verherrlichen können, wendet er seine Vorliebe zunächst ihren
Vettern, den Engländern, zu. Den Patriotismus mag er nicht gänzlich ver¬
leugnen, obwohl er ihm sauer wird. „Wie kann man Patriot sein, wenn das
Wort Vaterland weiter nichts mehr bedeutet als Gambetta, Grevh, Orleanisten,
Imperialisten und allgemeine Geldgier!" Auch von den Engländern hatte er
früher behauptet, sie seien nahezu keltisiert und romanisiert. Jetzt erfüllen ihn
die deutschen Siege und die Ausbreitung der englischen Macht mit der
Hoffnung, daß diese beiden arischen Rationen den Fortschritt der Entartung, zu
der nun einmal das Menschengeschlecht verurteilt sei, längere Zeit aufhalten
würden.
Zwischen seiner ersten und seiner zweiten persischen Gesandtschaft war er
nach Neufundland geschickt worden. Die Eindrücke, die er dort empfangen hat,
sind in seinen „Reiseerinnerungen" niedergelegt. Sie waren äußerst ungünstig.
Der angelsächsische Militarismus stößt ihn ab. Auch die Farmer sind Speku¬
lanten. Ihre langen dunkeln Röcke von schlechtesten Schnitt, ihre blassen,
runzligen Gesichter, ihre trockne, strenge Rede „sind die richtige Uniform für
Menschen, deren Credo darin besteht, daß sie alle Welt verdammen und sich
selbst ein wenig mit." Es füllt ihn: aus, daß sie den Gruß nicht erwidern und
ohne jeden Anlaß eine drohende und aggressive Haltung annehmen; er kann
nicht begreife», wozu Leute, die eiuen so friedlichen Beruf haben, solches Getue
brauchen. Ein Buch öffnen nach Gobineau diese puritanischen Kolonisten nie¬
mals, weil sie sich selbst für die Inhaber anerschaffner Weisheit halten. Ihre
Schulen — er hat dem Unterricht in einer Normalschnle beigewohnt — töten
alle Fähigkeiten des Herzens und des Geistes, die nicht für den Schacher ver¬
wandt werden können, und machen aus dem jungen Menschenkinde eine Rechen¬
maschine. An die berühmte Sittsamkeit der angelsächsischen Mädchen und Frauen
glaubt er nicht. Kurzum, er sieht das Urteil bestätigt, das er im „Versuch"
über die Nordamerikaner gefällt hat: „Remer Ländern, in die sich ein schmutziger
Völkerstrom ergießt, dessen Wildheit keine wirkliche Lebenskraft ist, den fehlen
die Ideen, die ein großes Volk zu schaffen vermögen." Daß er die französischen
Schisse und Matrosen viel besser findet als die englischen, erklärt sich schon aus
dem Patriotismus, den damals, in der Glanzzeit des zweiten Kaiserreichs, die
Erfolge der französischen Waffen in der Krim und in Oberitalien schwellten.
Zehn Jahre darauf schreibt er eine Novelle: „Die Jagd aus den Caribou"
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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
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