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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Versicherungsschutz und Schutz gegen Versicherung

verbieten. Kann hier der unter Umstünden allerdings recht schwierige Nach¬
weis geführt werden, daß jeder ursächliche Zusammenhang des Todes mit den
Gefahren der Seereise oder des außereuropäischen Aufenthalts ausgeschlossen
ist, so bleibt der Anspruch auf die Lebensversicherungssnmme in Kraft.

Soweit hiernach eine Verletzung der Anzeigepflicht oder eine Gefahr¬
erhöhung übrig bleibt, ist der Verhinderer von der Pflicht zur Entschädigung frei,
und zwar mit Recht, da er diese Gefahr nicht übernommen hat; außerdem
hat er ein Kündigungsrecht, das er aber nur innerhalb eines Monats nach
erlangter Kenntnis ausüben kann. Unterläßt er die Kündigung, so genehmigt
er damit die höhere Gefahr als Gegenstand des Versicherungsvertrags. Alle
diese Regeln sind mit der Kraft zwingenden Rechts ausgestattet, schließen also
alle anders lautenden Bedingungen aus.


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Bedenklich und verwerflich ist hierbei nur eins. Die Praxis des heutigen
Versicheruugswescus hat, wie die Begründung bemerkt, aus den technischen
Unterlagen, deren sie sich bedient, die sogenannte Unteilbarkeit der Prämie ab¬
geleitet, d. h. die Regel, daß die für eine gesamte Versicherungspcriodc, meist
für ein Jahr berechnete Prämie im vollen Betrage zu bezahlen ist, gleichviel
ob der Verhinderer die versicherte Gefahr während des ganzen Jahres oder nur
einen Tag lang getragen hat. Diese Regel wendet der Entwurf auf die
oben besprochnen Fälle an; es ist also jedesmal die Prämie für das ganze
laufende Versicherungsjahr zu entrichten, wenn der Verhinderer infolge unter¬
lassener Prämienzahlung, infolge einer Veräußerung der versicherten Sache oder
infolge einer Gefahrerhöhuug schon unmittelbar nach Beginn des Jahres seinen
Rücktritt vom Vertrage erklärt hat oder von der Leistung jeder Entschädigung
frei geworden ist. Diese Regelung (Verpflichtung des Versicherten zur Leistung
der vollen Prämie, Befreiung des Versicherers von der Gegenleistung) kann
weder juristisch vom Standpunkt des Schadenersatzes gerechtfertigt noch irgend¬
wie mit der Billigkeit in Einklang gebracht werden; eine andre Regelung er¬
scheint dringend geboten. Der Entwurf bietet selbst den Weg dazu: für den
Fall der Nichteinlösung der Police wird vorgeschrieben, daß der Verhinderer
nicht, wie bisher gewöhnlich bestimmt war, die volle oder gar mehrere Jahrcs-
prämien fordern kann, sondern nur eine angemessene Geschüftsgebühr erhält,
d. h. eine Entschädigung für seine Mühewaltung und für seine Kosten, deren
Höhe der Prüfung des Gerichts vorbehalten bleibt. Es ist nicht einzusehen,
weshalb dies nicht auch für die hier fraglichen Fülle gelten soll, natür¬
lich unter Zuschlag einer Risikoprämie für die tatsächlich getragne Gefahr.
Es wäre dies keineswegs, wie die Begründung zu einem dieser Fülle be¬
merkt, "eine unbillige Verkürzung der Rechte des Versicherers," sondern vom
allgemein rechtlichen und Billigkeitsstandpunkt aus handgreiflich das einzig
richtige. Mit der Berufung auf die technischen Grundlagen des Versicherungs¬
wesens läßt sich diese Erwägung nicht aus dem Felde schlagen; denn wenn
sich die Höhe der Prämie nach der erfahrungsmüßigen Gefährlichkeit des über¬
nommenen Risikos bestimmt, so muß die angeblich unteilbare Jahresprämie


Versicherungsschutz und Schutz gegen Versicherung

verbieten. Kann hier der unter Umstünden allerdings recht schwierige Nach¬
weis geführt werden, daß jeder ursächliche Zusammenhang des Todes mit den
Gefahren der Seereise oder des außereuropäischen Aufenthalts ausgeschlossen
ist, so bleibt der Anspruch auf die Lebensversicherungssnmme in Kraft.

Soweit hiernach eine Verletzung der Anzeigepflicht oder eine Gefahr¬
erhöhung übrig bleibt, ist der Verhinderer von der Pflicht zur Entschädigung frei,
und zwar mit Recht, da er diese Gefahr nicht übernommen hat; außerdem
hat er ein Kündigungsrecht, das er aber nur innerhalb eines Monats nach
erlangter Kenntnis ausüben kann. Unterläßt er die Kündigung, so genehmigt
er damit die höhere Gefahr als Gegenstand des Versicherungsvertrags. Alle
diese Regeln sind mit der Kraft zwingenden Rechts ausgestattet, schließen also
alle anders lautenden Bedingungen aus.


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Bedenklich und verwerflich ist hierbei nur eins. Die Praxis des heutigen
Versicheruugswescus hat, wie die Begründung bemerkt, aus den technischen
Unterlagen, deren sie sich bedient, die sogenannte Unteilbarkeit der Prämie ab¬
geleitet, d. h. die Regel, daß die für eine gesamte Versicherungspcriodc, meist
für ein Jahr berechnete Prämie im vollen Betrage zu bezahlen ist, gleichviel
ob der Verhinderer die versicherte Gefahr während des ganzen Jahres oder nur
einen Tag lang getragen hat. Diese Regel wendet der Entwurf auf die
oben besprochnen Fälle an; es ist also jedesmal die Prämie für das ganze
laufende Versicherungsjahr zu entrichten, wenn der Verhinderer infolge unter¬
lassener Prämienzahlung, infolge einer Veräußerung der versicherten Sache oder
infolge einer Gefahrerhöhuug schon unmittelbar nach Beginn des Jahres seinen
Rücktritt vom Vertrage erklärt hat oder von der Leistung jeder Entschädigung
frei geworden ist. Diese Regelung (Verpflichtung des Versicherten zur Leistung
der vollen Prämie, Befreiung des Versicherers von der Gegenleistung) kann
weder juristisch vom Standpunkt des Schadenersatzes gerechtfertigt noch irgend¬
wie mit der Billigkeit in Einklang gebracht werden; eine andre Regelung er¬
scheint dringend geboten. Der Entwurf bietet selbst den Weg dazu: für den
Fall der Nichteinlösung der Police wird vorgeschrieben, daß der Verhinderer
nicht, wie bisher gewöhnlich bestimmt war, die volle oder gar mehrere Jahrcs-
prämien fordern kann, sondern nur eine angemessene Geschüftsgebühr erhält,
d. h. eine Entschädigung für seine Mühewaltung und für seine Kosten, deren
Höhe der Prüfung des Gerichts vorbehalten bleibt. Es ist nicht einzusehen,
weshalb dies nicht auch für die hier fraglichen Fülle gelten soll, natür¬
lich unter Zuschlag einer Risikoprämie für die tatsächlich getragne Gefahr.
Es wäre dies keineswegs, wie die Begründung zu einem dieser Fülle be¬
merkt, „eine unbillige Verkürzung der Rechte des Versicherers," sondern vom
allgemein rechtlichen und Billigkeitsstandpunkt aus handgreiflich das einzig
richtige. Mit der Berufung auf die technischen Grundlagen des Versicherungs¬
wesens läßt sich diese Erwägung nicht aus dem Felde schlagen; denn wenn
sich die Höhe der Prämie nach der erfahrungsmüßigen Gefährlichkeit des über¬
nommenen Risikos bestimmt, so muß die angeblich unteilbare Jahresprämie


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[0738] Versicherungsschutz und Schutz gegen Versicherung verbieten. Kann hier der unter Umstünden allerdings recht schwierige Nach¬ weis geführt werden, daß jeder ursächliche Zusammenhang des Todes mit den Gefahren der Seereise oder des außereuropäischen Aufenthalts ausgeschlossen ist, so bleibt der Anspruch auf die Lebensversicherungssnmme in Kraft. Soweit hiernach eine Verletzung der Anzeigepflicht oder eine Gefahr¬ erhöhung übrig bleibt, ist der Verhinderer von der Pflicht zur Entschädigung frei, und zwar mit Recht, da er diese Gefahr nicht übernommen hat; außerdem hat er ein Kündigungsrecht, das er aber nur innerhalb eines Monats nach erlangter Kenntnis ausüben kann. Unterläßt er die Kündigung, so genehmigt er damit die höhere Gefahr als Gegenstand des Versicherungsvertrags. Alle diese Regeln sind mit der Kraft zwingenden Rechts ausgestattet, schließen also alle anders lautenden Bedingungen aus. 10 Bedenklich und verwerflich ist hierbei nur eins. Die Praxis des heutigen Versicheruugswescus hat, wie die Begründung bemerkt, aus den technischen Unterlagen, deren sie sich bedient, die sogenannte Unteilbarkeit der Prämie ab¬ geleitet, d. h. die Regel, daß die für eine gesamte Versicherungspcriodc, meist für ein Jahr berechnete Prämie im vollen Betrage zu bezahlen ist, gleichviel ob der Verhinderer die versicherte Gefahr während des ganzen Jahres oder nur einen Tag lang getragen hat. Diese Regel wendet der Entwurf auf die oben besprochnen Fälle an; es ist also jedesmal die Prämie für das ganze laufende Versicherungsjahr zu entrichten, wenn der Verhinderer infolge unter¬ lassener Prämienzahlung, infolge einer Veräußerung der versicherten Sache oder infolge einer Gefahrerhöhuug schon unmittelbar nach Beginn des Jahres seinen Rücktritt vom Vertrage erklärt hat oder von der Leistung jeder Entschädigung frei geworden ist. Diese Regelung (Verpflichtung des Versicherten zur Leistung der vollen Prämie, Befreiung des Versicherers von der Gegenleistung) kann weder juristisch vom Standpunkt des Schadenersatzes gerechtfertigt noch irgend¬ wie mit der Billigkeit in Einklang gebracht werden; eine andre Regelung er¬ scheint dringend geboten. Der Entwurf bietet selbst den Weg dazu: für den Fall der Nichteinlösung der Police wird vorgeschrieben, daß der Verhinderer nicht, wie bisher gewöhnlich bestimmt war, die volle oder gar mehrere Jahrcs- prämien fordern kann, sondern nur eine angemessene Geschüftsgebühr erhält, d. h. eine Entschädigung für seine Mühewaltung und für seine Kosten, deren Höhe der Prüfung des Gerichts vorbehalten bleibt. Es ist nicht einzusehen, weshalb dies nicht auch für die hier fraglichen Fülle gelten soll, natür¬ lich unter Zuschlag einer Risikoprämie für die tatsächlich getragne Gefahr. Es wäre dies keineswegs, wie die Begründung zu einem dieser Fülle be¬ merkt, „eine unbillige Verkürzung der Rechte des Versicherers," sondern vom allgemein rechtlichen und Billigkeitsstandpunkt aus handgreiflich das einzig richtige. Mit der Berufung auf die technischen Grundlagen des Versicherungs¬ wesens läßt sich diese Erwägung nicht aus dem Felde schlagen; denn wenn sich die Höhe der Prämie nach der erfahrungsmüßigen Gefährlichkeit des über¬ nommenen Risikos bestimmt, so muß die angeblich unteilbare Jahresprämie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/738>, abgerufen am 09.11.2024.