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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Erinnerungen an die Paulskirche l.3^3

strömten durch die Tore von Frankfurt und wagten sogar einen Sturm auf die
Tore der Paulskirche. Der tüchtige Staatsmann und politische Schriftsteller
Ernst Gagern hatte drei Söhne, von denen Heinrich als Präsident und Max
später im österreichischen Ministerium wirkten, während der ältere, Friedrich
Gagern, schon den Russenkrieg mitgemacht und im Befreiungskriege bei Dresden,
Kulm und Leipzig gefochten, auch im niederländischen Militärdienst bei Quatrebas
Wunden davon getragen hatte, dann erst Stabschef und Generaladjutant des
Königs geworden war und 1844 bis 1846 seine Militärkenntnisse in Ostindien
verwertete. Um aber dem Vaterlande bei der Neugestaltung seine Kraft zu
leihen, übernahm er in Baden das Kommando wider die Aufstündischen unter
dem extremen Revolutionär Hecker. An ehrlichen Krieg gewöhnt, ließ er sich
unter dein Friedensvorgeben von den Rebellen am 20. April 1848 unvorsichtig
vor die Front laden und wurde sofort niedergeschossen.

Dieser Kriegsmann, nun Opfer heimtückischer Treulosigkeit, war zum
General einer Parlamentsarmee ersehen. Noch gedenke ich des Klageworts
aus dem Munde des Präsidenten Gagern auf der Fahrt nach Köln: "Fritz
sollte uicht gefallen sein!" Er war unersetzlich gerade in den Verhängnisvolleu
Septembertagen. Ich erinnere mich auch lebhaft noch der Begegnung mit
Friedrich Ludwig Jahu, wie er mich unter den Arm nahm und durch die
Straßen Frankfurts nach dem Goethehaus marschierte, während er laut
perorierend wiederholte: "Die Turner, meine eignen Leute, haben mich
totschlagen wollen, als ob ich wegen der Abstimmung der deutschen Sache
untreu geworden wäre. Aber zum Glück haben die geübten Arme noch die
Kraft behalten, daß ich siebzigjähriger Mann mich über die Mauer schwingen
konnte."

Jetzt lebt wohl keiner sonst mehr, der mit dem 1778 gebornen Turnvater
Jahr noch persönlich verkehrt hat: er ist am 15. Oktober 1852 in Freiburg
gestorben. Zum Glück liegt die Zeit lange hinter uns, wo deutsche Gesinnung
verpönt, und der Mann mit Gefangenschaft oder Verbannung bestraft wurde, wie
Jahu. Kaum hat ein Mann kräftiger auf die physische Entwicklung der Nation
eingewirkt; die ganze Armee lernt turnen, und einer der ersten Turnlehrer, der
Germanist Maßmann, hat auch in München auf dem Marsfelde die Anstalt
eingerichtet. Vor allem sind die Turner in sich gegaugen, und zwar war es
ein einmütiger Entschluß, daß von den zahlreichen Anstalten jede einen Würfel
zum Denkmal Jcchns beisteuern sollte. Nämlich am funfzigsten Jahrestag seines
Todes spendeten ihm alle Deutschen von Herzen Dank. Ende Oktober 1902
wurde zu Mölln in Lauenburg im Walde als Denkmal ein Findlingsblock
über zwei Meter hoch mit einer Erzplatte und der Inschrift enthüllt:

"Hier kämpfte am 4. und 5. September 1813 das Lützowsche Freikorps
unter Major von Lützow und Turnvater Jahr."

(Schluß folgt)




Erinnerungen an die Paulskirche l.3^3

strömten durch die Tore von Frankfurt und wagten sogar einen Sturm auf die
Tore der Paulskirche. Der tüchtige Staatsmann und politische Schriftsteller
Ernst Gagern hatte drei Söhne, von denen Heinrich als Präsident und Max
später im österreichischen Ministerium wirkten, während der ältere, Friedrich
Gagern, schon den Russenkrieg mitgemacht und im Befreiungskriege bei Dresden,
Kulm und Leipzig gefochten, auch im niederländischen Militärdienst bei Quatrebas
Wunden davon getragen hatte, dann erst Stabschef und Generaladjutant des
Königs geworden war und 1844 bis 1846 seine Militärkenntnisse in Ostindien
verwertete. Um aber dem Vaterlande bei der Neugestaltung seine Kraft zu
leihen, übernahm er in Baden das Kommando wider die Aufstündischen unter
dem extremen Revolutionär Hecker. An ehrlichen Krieg gewöhnt, ließ er sich
unter dein Friedensvorgeben von den Rebellen am 20. April 1848 unvorsichtig
vor die Front laden und wurde sofort niedergeschossen.

Dieser Kriegsmann, nun Opfer heimtückischer Treulosigkeit, war zum
General einer Parlamentsarmee ersehen. Noch gedenke ich des Klageworts
aus dem Munde des Präsidenten Gagern auf der Fahrt nach Köln: „Fritz
sollte uicht gefallen sein!" Er war unersetzlich gerade in den Verhängnisvolleu
Septembertagen. Ich erinnere mich auch lebhaft noch der Begegnung mit
Friedrich Ludwig Jahu, wie er mich unter den Arm nahm und durch die
Straßen Frankfurts nach dem Goethehaus marschierte, während er laut
perorierend wiederholte: „Die Turner, meine eignen Leute, haben mich
totschlagen wollen, als ob ich wegen der Abstimmung der deutschen Sache
untreu geworden wäre. Aber zum Glück haben die geübten Arme noch die
Kraft behalten, daß ich siebzigjähriger Mann mich über die Mauer schwingen
konnte."

Jetzt lebt wohl keiner sonst mehr, der mit dem 1778 gebornen Turnvater
Jahr noch persönlich verkehrt hat: er ist am 15. Oktober 1852 in Freiburg
gestorben. Zum Glück liegt die Zeit lange hinter uns, wo deutsche Gesinnung
verpönt, und der Mann mit Gefangenschaft oder Verbannung bestraft wurde, wie
Jahu. Kaum hat ein Mann kräftiger auf die physische Entwicklung der Nation
eingewirkt; die ganze Armee lernt turnen, und einer der ersten Turnlehrer, der
Germanist Maßmann, hat auch in München auf dem Marsfelde die Anstalt
eingerichtet. Vor allem sind die Turner in sich gegaugen, und zwar war es
ein einmütiger Entschluß, daß von den zahlreichen Anstalten jede einen Würfel
zum Denkmal Jcchns beisteuern sollte. Nämlich am funfzigsten Jahrestag seines
Todes spendeten ihm alle Deutschen von Herzen Dank. Ende Oktober 1902
wurde zu Mölln in Lauenburg im Walde als Denkmal ein Findlingsblock
über zwei Meter hoch mit einer Erzplatte und der Inschrift enthüllt:

„Hier kämpfte am 4. und 5. September 1813 das Lützowsche Freikorps
unter Major von Lützow und Turnvater Jahr."

(Schluß folgt)




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[0732] Erinnerungen an die Paulskirche l.3^3 strömten durch die Tore von Frankfurt und wagten sogar einen Sturm auf die Tore der Paulskirche. Der tüchtige Staatsmann und politische Schriftsteller Ernst Gagern hatte drei Söhne, von denen Heinrich als Präsident und Max später im österreichischen Ministerium wirkten, während der ältere, Friedrich Gagern, schon den Russenkrieg mitgemacht und im Befreiungskriege bei Dresden, Kulm und Leipzig gefochten, auch im niederländischen Militärdienst bei Quatrebas Wunden davon getragen hatte, dann erst Stabschef und Generaladjutant des Königs geworden war und 1844 bis 1846 seine Militärkenntnisse in Ostindien verwertete. Um aber dem Vaterlande bei der Neugestaltung seine Kraft zu leihen, übernahm er in Baden das Kommando wider die Aufstündischen unter dem extremen Revolutionär Hecker. An ehrlichen Krieg gewöhnt, ließ er sich unter dein Friedensvorgeben von den Rebellen am 20. April 1848 unvorsichtig vor die Front laden und wurde sofort niedergeschossen. Dieser Kriegsmann, nun Opfer heimtückischer Treulosigkeit, war zum General einer Parlamentsarmee ersehen. Noch gedenke ich des Klageworts aus dem Munde des Präsidenten Gagern auf der Fahrt nach Köln: „Fritz sollte uicht gefallen sein!" Er war unersetzlich gerade in den Verhängnisvolleu Septembertagen. Ich erinnere mich auch lebhaft noch der Begegnung mit Friedrich Ludwig Jahu, wie er mich unter den Arm nahm und durch die Straßen Frankfurts nach dem Goethehaus marschierte, während er laut perorierend wiederholte: „Die Turner, meine eignen Leute, haben mich totschlagen wollen, als ob ich wegen der Abstimmung der deutschen Sache untreu geworden wäre. Aber zum Glück haben die geübten Arme noch die Kraft behalten, daß ich siebzigjähriger Mann mich über die Mauer schwingen konnte." Jetzt lebt wohl keiner sonst mehr, der mit dem 1778 gebornen Turnvater Jahr noch persönlich verkehrt hat: er ist am 15. Oktober 1852 in Freiburg gestorben. Zum Glück liegt die Zeit lange hinter uns, wo deutsche Gesinnung verpönt, und der Mann mit Gefangenschaft oder Verbannung bestraft wurde, wie Jahu. Kaum hat ein Mann kräftiger auf die physische Entwicklung der Nation eingewirkt; die ganze Armee lernt turnen, und einer der ersten Turnlehrer, der Germanist Maßmann, hat auch in München auf dem Marsfelde die Anstalt eingerichtet. Vor allem sind die Turner in sich gegaugen, und zwar war es ein einmütiger Entschluß, daß von den zahlreichen Anstalten jede einen Würfel zum Denkmal Jcchns beisteuern sollte. Nämlich am funfzigsten Jahrestag seines Todes spendeten ihm alle Deutschen von Herzen Dank. Ende Oktober 1902 wurde zu Mölln in Lauenburg im Walde als Denkmal ein Findlingsblock über zwei Meter hoch mit einer Erzplatte und der Inschrift enthüllt: „Hier kämpfte am 4. und 5. September 1813 das Lützowsche Freikorps unter Major von Lützow und Turnvater Jahr." (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/732>, abgerufen am 27.07.2024.