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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Erinnerungen an die pcmlskirche ^3^3

hervorragende Gestalt des ersten Präsidenten, Heinrich von Gagern, der mit
seiner mächtigen Stimme die Rotunde beherrschte, obwohl deren Kuppel un¬
mittelbar über der Tribüne die Stimmen der Redner verschlang, wenn einer
nicht einen Brustkasten wie Robert Blum hatte, der als geborner Volksredner
förmlich die Luft erschütterte, Autorität genoß von vornherein General von
Radowitz, den bekanntlich der König von Preußen seiner Freundschaft würdigte.
Daneben saß Fürstbischof Diepenbrock von Breslau, ein Mann, wenn einer
aus Deutschland, würdig, als Nachfolger Petri die dreifache Krone zu tragen.
Er war zugleich versöhnlich, indem er, wie Bossuet mit Leibniz, über die
Wiedervereinigung der Konfessionen mit dem geistreichen Frankfurter
Arzt Dr. Passavant schriftlich verkehrte und zugestand: Wir haben beide gefehlt.
Er war der Vorsitzende unsrer mehr als neunzig Mitglieder zählenden katholischen
Partei im Hirschgraben, überließ aber, selber einst Offizier im Befreiungskriege,
wegen Altersgebrechen früh zum Rücktritt gezwungen, seinen Ehrenplatz an
Radowitz. Dieser verstand es, mit slawischer Schlauheit den Verein zu neu¬
tralisieren mit der beständigen Vorstellung: Wir vertreten hier rein religiöse
Interessen und behandeln keine politischen Fragen -- bis er mit einemmal
als Erbkaiserlicher mit Ausschließung Österreichs auf der Rednerbühne erschien
und sich seinen bisherigen Freunden entfremdete. Von da an präsidierte August
Reichensperger, der lebhafte Befürworter der Vollendung des Kölner Dombaus,
Kunstfreund und Tribunalrat.

Die kirchlichen Fragen wurden allerdings mit Zutun des halbgeistlichcn
Klubs entschieden, zum Teil blamierten sich auch die Gegner, z. B. wenn ein
Gritzner beantragte, mit dem römischen Stuhl wegen Abschaffung des
Cölibats der Priester in Verhandlung zu treten. Dieser naive Antrag fand
gleichwohl die Unterschrift nicht bloß von Vogt, Robert Blum, Rüge und
Parteigenossen, sondern auch von Simson, Graf Auersperg, Giskra, Jakob
Grimm, sowie von Stremayr, dem jüngsten Mitgliede der Versammlung
(geb. 1823), der darum als Sekretär den Sitz zuuüchst dem Präsidenten ein¬
nahm. Es ist der noch lebende, spätere langjährige Kultusminister. Allerdings
erschienen auch Karikaturen über die Geweihten, z. B.

Doch nahmen am 20. Juni 20 von den 120 Unterzeichneten ihren Namen
wieder zurück, darunter Simson und Stremayr. Eine weitere Kuriosität war,
daß bei der lauten Abstimmung Jesuiten, Ligoricmer und Redemptoristen für
immer vom Reiche ausgeschlossen wurden, obwohl man so viel Unterricht hätte
voraussetzen dürfen, daß die beiden letzten nur Namen für ein lind denselben
Orden sind.

Die Zeit war kriegerisch angetan, und in der Versammlung saß eine
Kraftnatur, die es vor allem auf die Stärkung der deutscheu Volkskraft
absah. Sonst wartet man hundert Jahre ab, wir nehmen aber aus der jüngst
begangnen Feier des funfzigsten Todestags Anlaß, von ihn: zu sprechen.

Nicht leicht ist ein um Deutschland hochverdienter Mann im Leben mehr


Erinnerungen an die pcmlskirche ^3^3

hervorragende Gestalt des ersten Präsidenten, Heinrich von Gagern, der mit
seiner mächtigen Stimme die Rotunde beherrschte, obwohl deren Kuppel un¬
mittelbar über der Tribüne die Stimmen der Redner verschlang, wenn einer
nicht einen Brustkasten wie Robert Blum hatte, der als geborner Volksredner
förmlich die Luft erschütterte, Autorität genoß von vornherein General von
Radowitz, den bekanntlich der König von Preußen seiner Freundschaft würdigte.
Daneben saß Fürstbischof Diepenbrock von Breslau, ein Mann, wenn einer
aus Deutschland, würdig, als Nachfolger Petri die dreifache Krone zu tragen.
Er war zugleich versöhnlich, indem er, wie Bossuet mit Leibniz, über die
Wiedervereinigung der Konfessionen mit dem geistreichen Frankfurter
Arzt Dr. Passavant schriftlich verkehrte und zugestand: Wir haben beide gefehlt.
Er war der Vorsitzende unsrer mehr als neunzig Mitglieder zählenden katholischen
Partei im Hirschgraben, überließ aber, selber einst Offizier im Befreiungskriege,
wegen Altersgebrechen früh zum Rücktritt gezwungen, seinen Ehrenplatz an
Radowitz. Dieser verstand es, mit slawischer Schlauheit den Verein zu neu¬
tralisieren mit der beständigen Vorstellung: Wir vertreten hier rein religiöse
Interessen und behandeln keine politischen Fragen — bis er mit einemmal
als Erbkaiserlicher mit Ausschließung Österreichs auf der Rednerbühne erschien
und sich seinen bisherigen Freunden entfremdete. Von da an präsidierte August
Reichensperger, der lebhafte Befürworter der Vollendung des Kölner Dombaus,
Kunstfreund und Tribunalrat.

Die kirchlichen Fragen wurden allerdings mit Zutun des halbgeistlichcn
Klubs entschieden, zum Teil blamierten sich auch die Gegner, z. B. wenn ein
Gritzner beantragte, mit dem römischen Stuhl wegen Abschaffung des
Cölibats der Priester in Verhandlung zu treten. Dieser naive Antrag fand
gleichwohl die Unterschrift nicht bloß von Vogt, Robert Blum, Rüge und
Parteigenossen, sondern auch von Simson, Graf Auersperg, Giskra, Jakob
Grimm, sowie von Stremayr, dem jüngsten Mitgliede der Versammlung
(geb. 1823), der darum als Sekretär den Sitz zuuüchst dem Präsidenten ein¬
nahm. Es ist der noch lebende, spätere langjährige Kultusminister. Allerdings
erschienen auch Karikaturen über die Geweihten, z. B.

Doch nahmen am 20. Juni 20 von den 120 Unterzeichneten ihren Namen
wieder zurück, darunter Simson und Stremayr. Eine weitere Kuriosität war,
daß bei der lauten Abstimmung Jesuiten, Ligoricmer und Redemptoristen für
immer vom Reiche ausgeschlossen wurden, obwohl man so viel Unterricht hätte
voraussetzen dürfen, daß die beiden letzten nur Namen für ein lind denselben
Orden sind.

Die Zeit war kriegerisch angetan, und in der Versammlung saß eine
Kraftnatur, die es vor allem auf die Stärkung der deutscheu Volkskraft
absah. Sonst wartet man hundert Jahre ab, wir nehmen aber aus der jüngst
begangnen Feier des funfzigsten Todestags Anlaß, von ihn: zu sprechen.

Nicht leicht ist ein um Deutschland hochverdienter Mann im Leben mehr


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[0730] Erinnerungen an die pcmlskirche ^3^3 hervorragende Gestalt des ersten Präsidenten, Heinrich von Gagern, der mit seiner mächtigen Stimme die Rotunde beherrschte, obwohl deren Kuppel un¬ mittelbar über der Tribüne die Stimmen der Redner verschlang, wenn einer nicht einen Brustkasten wie Robert Blum hatte, der als geborner Volksredner förmlich die Luft erschütterte, Autorität genoß von vornherein General von Radowitz, den bekanntlich der König von Preußen seiner Freundschaft würdigte. Daneben saß Fürstbischof Diepenbrock von Breslau, ein Mann, wenn einer aus Deutschland, würdig, als Nachfolger Petri die dreifache Krone zu tragen. Er war zugleich versöhnlich, indem er, wie Bossuet mit Leibniz, über die Wiedervereinigung der Konfessionen mit dem geistreichen Frankfurter Arzt Dr. Passavant schriftlich verkehrte und zugestand: Wir haben beide gefehlt. Er war der Vorsitzende unsrer mehr als neunzig Mitglieder zählenden katholischen Partei im Hirschgraben, überließ aber, selber einst Offizier im Befreiungskriege, wegen Altersgebrechen früh zum Rücktritt gezwungen, seinen Ehrenplatz an Radowitz. Dieser verstand es, mit slawischer Schlauheit den Verein zu neu¬ tralisieren mit der beständigen Vorstellung: Wir vertreten hier rein religiöse Interessen und behandeln keine politischen Fragen — bis er mit einemmal als Erbkaiserlicher mit Ausschließung Österreichs auf der Rednerbühne erschien und sich seinen bisherigen Freunden entfremdete. Von da an präsidierte August Reichensperger, der lebhafte Befürworter der Vollendung des Kölner Dombaus, Kunstfreund und Tribunalrat. Die kirchlichen Fragen wurden allerdings mit Zutun des halbgeistlichcn Klubs entschieden, zum Teil blamierten sich auch die Gegner, z. B. wenn ein Gritzner beantragte, mit dem römischen Stuhl wegen Abschaffung des Cölibats der Priester in Verhandlung zu treten. Dieser naive Antrag fand gleichwohl die Unterschrift nicht bloß von Vogt, Robert Blum, Rüge und Parteigenossen, sondern auch von Simson, Graf Auersperg, Giskra, Jakob Grimm, sowie von Stremayr, dem jüngsten Mitgliede der Versammlung (geb. 1823), der darum als Sekretär den Sitz zuuüchst dem Präsidenten ein¬ nahm. Es ist der noch lebende, spätere langjährige Kultusminister. Allerdings erschienen auch Karikaturen über die Geweihten, z. B. Doch nahmen am 20. Juni 20 von den 120 Unterzeichneten ihren Namen wieder zurück, darunter Simson und Stremayr. Eine weitere Kuriosität war, daß bei der lauten Abstimmung Jesuiten, Ligoricmer und Redemptoristen für immer vom Reiche ausgeschlossen wurden, obwohl man so viel Unterricht hätte voraussetzen dürfen, daß die beiden letzten nur Namen für ein lind denselben Orden sind. Die Zeit war kriegerisch angetan, und in der Versammlung saß eine Kraftnatur, die es vor allem auf die Stärkung der deutscheu Volkskraft absah. Sonst wartet man hundert Jahre ab, wir nehmen aber aus der jüngst begangnen Feier des funfzigsten Todestags Anlaß, von ihn: zu sprechen. Nicht leicht ist ein um Deutschland hochverdienter Mann im Leben mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/730>, abgerufen am 27.07.2024.