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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Erinnerungen an die Paulskirche 1.3^8

Reichseinheit unter einem gemeinsamen Oberhaupte blieb der Hauptgedanke,
Das römische Kaiserreich deutscher Nation nahm mit der Entsagung Österreichs
und der Stiftung des Rheinbundes 1806 ein Ende, jn bei der Eigenmächtigkeit
und dem Widerstande der Reichsfürsten war die Zentralgewalt so kläglich, daß
die Einkünfte des gekrönten Oberherrn schließlich im Jahre noch 13000 Gulden
betrugen! Das Interregnum hatte inzwischen 42 Jahre gedauert, unterbrochen
durch wiederholte Aufstände von Deutschtümlern, zur Sprengung des reaktionären
Buudestcigs selbst in Frankfurt am 3. April 1833, Aufstünde^ die empfindliche
Verfolgung nach sich zogen. Es waren Wehen, die keine Geburt zutage
förderten. Da kam der Anstoß von Paris, der eine allgemeine Aufregung
verursachte, die einzelne Vnndesstaaten mit der Auflösung bedrohte.

Die politischen Bestrebungen traten stürmisch bei deu Liberalen zutage,
obwohl von Nationalvereinen noch nicht die Rede war. Das tum noch am
meisten in den erwählten Persönlichkeiten ans Licht, ja der Bundestag selber
sah sich ans kurze Zeit in diesem Sinne reformiert, indem darin z. B. der
mehr als freisinnige Welcker als badischer Gesandter bevollmächtigt war, sofort
aber im Vorparlament seine Stimme als Volksredner erhob. Der Fünfziger¬
ausschuß hielt seine Sitzungen im Kaisersaal des Römers. Der frühere badische
Minister, Freiherr von Blittersdorf, nach dein die bekannten Anlagen in Frank¬
furt heißen, brachte laut genug in Vorschlag, das vom Volke bestellte Parla¬
ment möge sich als Plenum des Bundestags konstituieren, sodaß es als Volks¬
haus den: Fürstenhause gegenüberstünde.

Grundsätzlich wurden in das langersehnte Parlament gewählt alle poli¬
tischen Märtyrer, so Arndt, Jahr, Sylvester, Jordan, der geborne Tiroler,
und von bayrischer Seite Dr. Behr und Eisenmann, die wegen demagogischer
Umtriebe im Polizeistaate gerichtlich zu sechzehnjähriger Festungshaft verurteilt,
1848 aber begnadigt und durch einmütiges Votum beider Kammern je mit
10000 Gnldeii entschädigt wurden. Daß besonders Eisenmann sofort lebhaft
für die konstitutionelle Monarchie eintrat, läßt sie als gewiegte Patrioten und
keineswegs als Männer des Umsturzes erscheinen. Ihnen reihte die Wahlurne
die Göttinger Sieben, einen Dahlmann, Jakob Grimm, Gewinns u. a. an, die
wegen ihres Protestes gegen den hmmoverschen Vcrfassungsbruch abgesetzt worden
waren, sowie die Münchner Professoren, die der ärgerlichen Lota Montez 1847
zum Opfer gefallen waren: aber Lasaulx, Phillips, Sepp, Döllinger nahmen
gemeinsam ihre Plätze auf der Rechten oder im linken Zentrum ein. Daran
reihten sich die letzten Teilnehmer des Wartburgfestes am Jahrestag der
Schlacht von Leipzig, zugleich zur dritten Sükularfeier der Reformation 1817,
vor allen: Jenaer Professoren und Studenten, Burschenschafter, die mit den
Schriften nndentscher Autoren ein Autodafe angerichtet hatten, Zopf und
Schnürbrust dazu ins Feiler warfen, aber auch für Abschaffung der Duelle
eiferten und zuletzt in Eisenach zum Abendmahl gingen. Solche galten für
Huiunelsstürmer. Zu ihnen gehörte auch Heinrich von Gagern, vorher Mit¬
kämpfer in der Schlacht bei Waterloo. Bei den Rednern am Hambacher Feste
1832 galt es schon, sich nicht bloß gegen die Bureaukratie, sondern für eine
deutsche Republik zu ereifern. Sie büßten dafür mit Haft, wie Venedey, der


Erinnerungen an die Paulskirche 1.3^8

Reichseinheit unter einem gemeinsamen Oberhaupte blieb der Hauptgedanke,
Das römische Kaiserreich deutscher Nation nahm mit der Entsagung Österreichs
und der Stiftung des Rheinbundes 1806 ein Ende, jn bei der Eigenmächtigkeit
und dem Widerstande der Reichsfürsten war die Zentralgewalt so kläglich, daß
die Einkünfte des gekrönten Oberherrn schließlich im Jahre noch 13000 Gulden
betrugen! Das Interregnum hatte inzwischen 42 Jahre gedauert, unterbrochen
durch wiederholte Aufstände von Deutschtümlern, zur Sprengung des reaktionären
Buudestcigs selbst in Frankfurt am 3. April 1833, Aufstünde^ die empfindliche
Verfolgung nach sich zogen. Es waren Wehen, die keine Geburt zutage
förderten. Da kam der Anstoß von Paris, der eine allgemeine Aufregung
verursachte, die einzelne Vnndesstaaten mit der Auflösung bedrohte.

Die politischen Bestrebungen traten stürmisch bei deu Liberalen zutage,
obwohl von Nationalvereinen noch nicht die Rede war. Das tum noch am
meisten in den erwählten Persönlichkeiten ans Licht, ja der Bundestag selber
sah sich ans kurze Zeit in diesem Sinne reformiert, indem darin z. B. der
mehr als freisinnige Welcker als badischer Gesandter bevollmächtigt war, sofort
aber im Vorparlament seine Stimme als Volksredner erhob. Der Fünfziger¬
ausschuß hielt seine Sitzungen im Kaisersaal des Römers. Der frühere badische
Minister, Freiherr von Blittersdorf, nach dein die bekannten Anlagen in Frank¬
furt heißen, brachte laut genug in Vorschlag, das vom Volke bestellte Parla¬
ment möge sich als Plenum des Bundestags konstituieren, sodaß es als Volks¬
haus den: Fürstenhause gegenüberstünde.

Grundsätzlich wurden in das langersehnte Parlament gewählt alle poli¬
tischen Märtyrer, so Arndt, Jahr, Sylvester, Jordan, der geborne Tiroler,
und von bayrischer Seite Dr. Behr und Eisenmann, die wegen demagogischer
Umtriebe im Polizeistaate gerichtlich zu sechzehnjähriger Festungshaft verurteilt,
1848 aber begnadigt und durch einmütiges Votum beider Kammern je mit
10000 Gnldeii entschädigt wurden. Daß besonders Eisenmann sofort lebhaft
für die konstitutionelle Monarchie eintrat, läßt sie als gewiegte Patrioten und
keineswegs als Männer des Umsturzes erscheinen. Ihnen reihte die Wahlurne
die Göttinger Sieben, einen Dahlmann, Jakob Grimm, Gewinns u. a. an, die
wegen ihres Protestes gegen den hmmoverschen Vcrfassungsbruch abgesetzt worden
waren, sowie die Münchner Professoren, die der ärgerlichen Lota Montez 1847
zum Opfer gefallen waren: aber Lasaulx, Phillips, Sepp, Döllinger nahmen
gemeinsam ihre Plätze auf der Rechten oder im linken Zentrum ein. Daran
reihten sich die letzten Teilnehmer des Wartburgfestes am Jahrestag der
Schlacht von Leipzig, zugleich zur dritten Sükularfeier der Reformation 1817,
vor allen: Jenaer Professoren und Studenten, Burschenschafter, die mit den
Schriften nndentscher Autoren ein Autodafe angerichtet hatten, Zopf und
Schnürbrust dazu ins Feiler warfen, aber auch für Abschaffung der Duelle
eiferten und zuletzt in Eisenach zum Abendmahl gingen. Solche galten für
Huiunelsstürmer. Zu ihnen gehörte auch Heinrich von Gagern, vorher Mit¬
kämpfer in der Schlacht bei Waterloo. Bei den Rednern am Hambacher Feste
1832 galt es schon, sich nicht bloß gegen die Bureaukratie, sondern für eine
deutsche Republik zu ereifern. Sie büßten dafür mit Haft, wie Venedey, der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/725>, abgerufen am 25.11.2024.