s liegt viel Wahres darin, wenn Kaiser Joseph der Zweite in seinem Reskripte vorn 11. Mai 1784 sagt: "Welcher Nutzen daraus für das ganze Reich erwachsen würde, wenn in demselben nur in einer Sprache gesprochen wird, wird jedermann leicht einsehen." Am einfachsten wird dieses Ziel erreicht im einheit¬ lichen Nationalstaate; wo sich Staat und Volk decken, da hat die Staatsmaschinerie die geringsten Reibungswiderstände zu überwinden, und daun findet auch das Volk die geringsten Widerstände seiner Entwicklung, denn jede Nation wie jedes Individuum haben das natürliche Recht, sich in ihrer Eigentümlichkeit entwickeln zu dürfen, in Sprache und Sitte ungehindert leben zu können. Das; dieses natürliche Recht einer Unzahl von Beschränkungen unterliegt, versteht sich von selbst. Zunächst stellt der Staat eine Reihe von Anforderungen, denen man sich in Politik und Sprache zu fügen verpflichtet ist, und darum ist es eben zweckmäßig und einfach, wenn sich Staat und Volk decken. Das ist aber nur in wenig Staaten vollkommen der Fall und war es früher überhaupt nicht. Vor der Erfindung der Buchdruckerkunst waren die in unsern: Sinne national einheitlich beschaffneu Staaten so durch Dialekte zerrissen, daß in der Regel der Nordländer den Südländer nicht verstand, und erst die rasche Ver¬ breitung der meist von einem Aufschwung der nationalen Literatur begleiteten Schriftsprache besiegelte im heutigen Sinne die nationale Einheit des Staates. So ist es in Frankreich und auch in Deutschland gegangen. Noch bis in das späte Mittelalter hinein war die Staatssprache des deutscheu Reichs die Sprache der Kirche, das Lateinische, und erst seit der Zeit Rudolfs von Habsburg finden sich deutsche Urkunden in nennenswerter Anzahl. Der Staat schuf sich also in einem verbreiteten Verständigungsmittel eine Amtssprache so lange, bis die entwickelte Sprache des Volkes diese Aufgabe zu erfüllen vermochte. Ist die Volkssprache zugleich die Handels- und die Verkehrssprache, so macht sich dieser Übergang von selbst. Für die Habsburgische Monarchie ließen sich schon nach diesem geschichtlichen Beispiel Schlüsse ziehen. Es liegt auf der Hand, daß dort das allgemeine Verständigungsmittel, das allein als Amtssprache des Staates in Betracht kommen kann, die deutsche Sprache ist, und so weit diese Angelegenheit überhaupt gesetzlich oder durch deu Gebrauch geregelt wurde, ist
Grenzboten 1903 III 89
Die sprachen- und Beamtenfrage in Böhmen
s liegt viel Wahres darin, wenn Kaiser Joseph der Zweite in seinem Reskripte vorn 11. Mai 1784 sagt: „Welcher Nutzen daraus für das ganze Reich erwachsen würde, wenn in demselben nur in einer Sprache gesprochen wird, wird jedermann leicht einsehen." Am einfachsten wird dieses Ziel erreicht im einheit¬ lichen Nationalstaate; wo sich Staat und Volk decken, da hat die Staatsmaschinerie die geringsten Reibungswiderstände zu überwinden, und daun findet auch das Volk die geringsten Widerstände seiner Entwicklung, denn jede Nation wie jedes Individuum haben das natürliche Recht, sich in ihrer Eigentümlichkeit entwickeln zu dürfen, in Sprache und Sitte ungehindert leben zu können. Das; dieses natürliche Recht einer Unzahl von Beschränkungen unterliegt, versteht sich von selbst. Zunächst stellt der Staat eine Reihe von Anforderungen, denen man sich in Politik und Sprache zu fügen verpflichtet ist, und darum ist es eben zweckmäßig und einfach, wenn sich Staat und Volk decken. Das ist aber nur in wenig Staaten vollkommen der Fall und war es früher überhaupt nicht. Vor der Erfindung der Buchdruckerkunst waren die in unsern: Sinne national einheitlich beschaffneu Staaten so durch Dialekte zerrissen, daß in der Regel der Nordländer den Südländer nicht verstand, und erst die rasche Ver¬ breitung der meist von einem Aufschwung der nationalen Literatur begleiteten Schriftsprache besiegelte im heutigen Sinne die nationale Einheit des Staates. So ist es in Frankreich und auch in Deutschland gegangen. Noch bis in das späte Mittelalter hinein war die Staatssprache des deutscheu Reichs die Sprache der Kirche, das Lateinische, und erst seit der Zeit Rudolfs von Habsburg finden sich deutsche Urkunden in nennenswerter Anzahl. Der Staat schuf sich also in einem verbreiteten Verständigungsmittel eine Amtssprache so lange, bis die entwickelte Sprache des Volkes diese Aufgabe zu erfüllen vermochte. Ist die Volkssprache zugleich die Handels- und die Verkehrssprache, so macht sich dieser Übergang von selbst. Für die Habsburgische Monarchie ließen sich schon nach diesem geschichtlichen Beispiel Schlüsse ziehen. Es liegt auf der Hand, daß dort das allgemeine Verständigungsmittel, das allein als Amtssprache des Staates in Betracht kommen kann, die deutsche Sprache ist, und so weit diese Angelegenheit überhaupt gesetzlich oder durch deu Gebrauch geregelt wurde, ist
Grenzboten 1903 III 89
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Die sprachen- und Beamtenfrage in Böhmen
s liegt viel Wahres darin, wenn Kaiser Joseph der Zweite in
seinem Reskripte vorn 11. Mai 1784 sagt: „Welcher Nutzen
daraus für das ganze Reich erwachsen würde, wenn in demselben
nur in einer Sprache gesprochen wird, wird jedermann leicht
einsehen." Am einfachsten wird dieses Ziel erreicht im einheit¬
lichen Nationalstaate; wo sich Staat und Volk decken, da hat die Staatsmaschinerie
die geringsten Reibungswiderstände zu überwinden, und daun findet auch das
Volk die geringsten Widerstände seiner Entwicklung, denn jede Nation wie
jedes Individuum haben das natürliche Recht, sich in ihrer Eigentümlichkeit
entwickeln zu dürfen, in Sprache und Sitte ungehindert leben zu können. Das;
dieses natürliche Recht einer Unzahl von Beschränkungen unterliegt, versteht
sich von selbst. Zunächst stellt der Staat eine Reihe von Anforderungen, denen
man sich in Politik und Sprache zu fügen verpflichtet ist, und darum ist es
eben zweckmäßig und einfach, wenn sich Staat und Volk decken. Das ist aber
nur in wenig Staaten vollkommen der Fall und war es früher überhaupt
nicht. Vor der Erfindung der Buchdruckerkunst waren die in unsern: Sinne
national einheitlich beschaffneu Staaten so durch Dialekte zerrissen, daß in der
Regel der Nordländer den Südländer nicht verstand, und erst die rasche Ver¬
breitung der meist von einem Aufschwung der nationalen Literatur begleiteten
Schriftsprache besiegelte im heutigen Sinne die nationale Einheit des Staates.
So ist es in Frankreich und auch in Deutschland gegangen. Noch bis in das
späte Mittelalter hinein war die Staatssprache des deutscheu Reichs die Sprache
der Kirche, das Lateinische, und erst seit der Zeit Rudolfs von Habsburg
finden sich deutsche Urkunden in nennenswerter Anzahl. Der Staat schuf sich
also in einem verbreiteten Verständigungsmittel eine Amtssprache so lange, bis
die entwickelte Sprache des Volkes diese Aufgabe zu erfüllen vermochte. Ist
die Volkssprache zugleich die Handels- und die Verkehrssprache, so macht sich
dieser Übergang von selbst. Für die Habsburgische Monarchie ließen sich schon
nach diesem geschichtlichen Beispiel Schlüsse ziehen. Es liegt auf der Hand,
daß dort das allgemeine Verständigungsmittel, das allein als Amtssprache des
Staates in Betracht kommen kann, die deutsche Sprache ist, und so weit diese
Angelegenheit überhaupt gesetzlich oder durch deu Gebrauch geregelt wurde, ist
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/713>, abgerufen am 22.11.2024.
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