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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Die Komödie auf Aronborg

Jungfer! rief Will. Jungfer Elisabeth! wagte er zu sagen, und Christence kam.

Er bot ihr von den Früchten um, sie setzte sich auch, wenngleich zögernd, und
nahm ein paar Kirschen.

Die habe ich gepflückt! sagte Will.

Ihr?

Ja ich habe sie eigentlich nicht selber gepflückt, aber ich habe einen unsicht¬
baren Kobold, der mir zur Hand geht und mir alles bringt, was ich wünsche.
-- Eßt nur, Jungfer, das wenigstens weiß ich, vergiftet sind die Kirschen nicht!

Nicht so wie die, die Düveke geschickt wurden, und von denen sie den Tod
hatte? fragte Christence mit leichtem Lächeln.

Düveke?

Ja, König Christians Geliebte. Es heißt, daß sie hier begraben sei, ent¬
weder unter dem grauen Stein in dem nördlichen Kreuzgang oder in einer Ecke
des Klosterhofs, aber niemand weiß es genau.

Was verursachte denn ihren Tod?

Ihr hört es ja: es waren vergiftete Kirschen.

Was aber war die Ursache, daß man sie ihr sandte?

Wohl ihre Liebeshandel, wie man sagt.

Ja, die Liebe ist entweder das größte Glück oder das größte Unglück, das
einem Menschen begegnen kaun, sagte Will. -- Oder wohl im Grunde etwas von
beiden, fügte er hinzu. Und die Liebe ist immer jung, niemals alt genug, daß
sie weiß, was Gewissen ist, nud wenn ein junger Mann erst gebunden ist, so --

Seid Ihr gebunden? fragte Christenee.

Ja, Jungfer -- ich bin gebunden!

Christenee sah nieder -- sie wagte nicht aufzusehen --, und ihre Hand zitterte
ein wenig, als sie sie wieder nach einer Kirsche ausstreckte -- es war die letzte,
die übrig war.

Ohne etwas dabei zu denken nahm sie den Stengel in den Mund, hielt ihn
zwischen den Zahnen fest und ließ die Kirsche ein paarmal auf und niederwippen.

Als Will das sah, sagte er:

Elisabeth! Jetzt kommt meine Lippe als demütiger Pilgrim und bittet um
Ablaß für ihre Sünden. Meine Lippe hat gesündigt, nicht meine Augen, denn das
Auge muß sehen, was ihm Schönes begegnet -- vergeht also meiner kühnen Lippe!

Und Will pflückte die letzte Kirsche von Christeneens Lippen, ihre Münde
begegneten sich, und man kann nicht gut wissen, was noch weiter geschehn wäre,
wenn sich nicht Jver Kramme zu sehr günstiger und sehr ungelegner Stunde in
diesem Augenblick ans der Treppe hätte hören lassen.




Als Will, Jver Kramme und Christenee am nächsten Morgen bei ihrem Bier
und Brot saßen, kam Herr Johann hereingestvlpert, ohne Hut, ohne Degen und
ganz verwirrt.

Es währte eine Weile, ehe jemand recht begriff, was er auf dem Herzen
hatte, endlich aber kam es heraus, daß als er nnsgeschlafen hatte und nun nach¬
sehen wollte, ob in dem weichen Erdboden unter dem Kirschbnum Spuren von
Dieben zu sehen wären, es sich herausgestellt hätte, daß die Spuren -- denn
Spuren waren da -- seine eignen sein mußten, seine und keines andern. Jeder
Zweifel war ausgeschlossen, denn niemand in ganz Helsingör paßten seine Schuhe
Und nun war er ganz außer sich vor Furcht und Angst, denn da er ganz genau
wußte, daß er keinen Fuß in den Garten gesetzt hätte, nachdem er um den Baum
herumgeharkt hatte, mußte er ja entweder im Schlafe gewandelt sein -- und das
hatte er noch niemals getan --, oder was noch schlimmer war: es mußte sei"
Doppelgänger gewesen sein, einer, mit dem der Satan sein Spiel in jemands eigner
Gestalt trieb, so wie er es da unter in den Ländern am Mittelländischen Meer
gehört hatte.


Die Komödie auf Aronborg

Jungfer! rief Will. Jungfer Elisabeth! wagte er zu sagen, und Christence kam.

Er bot ihr von den Früchten um, sie setzte sich auch, wenngleich zögernd, und
nahm ein paar Kirschen.

Die habe ich gepflückt! sagte Will.

Ihr?

Ja ich habe sie eigentlich nicht selber gepflückt, aber ich habe einen unsicht¬
baren Kobold, der mir zur Hand geht und mir alles bringt, was ich wünsche.
— Eßt nur, Jungfer, das wenigstens weiß ich, vergiftet sind die Kirschen nicht!

Nicht so wie die, die Düveke geschickt wurden, und von denen sie den Tod
hatte? fragte Christence mit leichtem Lächeln.

Düveke?

Ja, König Christians Geliebte. Es heißt, daß sie hier begraben sei, ent¬
weder unter dem grauen Stein in dem nördlichen Kreuzgang oder in einer Ecke
des Klosterhofs, aber niemand weiß es genau.

Was verursachte denn ihren Tod?

Ihr hört es ja: es waren vergiftete Kirschen.

Was aber war die Ursache, daß man sie ihr sandte?

Wohl ihre Liebeshandel, wie man sagt.

Ja, die Liebe ist entweder das größte Glück oder das größte Unglück, das
einem Menschen begegnen kaun, sagte Will. — Oder wohl im Grunde etwas von
beiden, fügte er hinzu. Und die Liebe ist immer jung, niemals alt genug, daß
sie weiß, was Gewissen ist, nud wenn ein junger Mann erst gebunden ist, so —

Seid Ihr gebunden? fragte Christenee.

Ja, Jungfer — ich bin gebunden!

Christenee sah nieder — sie wagte nicht aufzusehen —, und ihre Hand zitterte
ein wenig, als sie sie wieder nach einer Kirsche ausstreckte — es war die letzte,
die übrig war.

Ohne etwas dabei zu denken nahm sie den Stengel in den Mund, hielt ihn
zwischen den Zahnen fest und ließ die Kirsche ein paarmal auf und niederwippen.

Als Will das sah, sagte er:

Elisabeth! Jetzt kommt meine Lippe als demütiger Pilgrim und bittet um
Ablaß für ihre Sünden. Meine Lippe hat gesündigt, nicht meine Augen, denn das
Auge muß sehen, was ihm Schönes begegnet — vergeht also meiner kühnen Lippe!

Und Will pflückte die letzte Kirsche von Christeneens Lippen, ihre Münde
begegneten sich, und man kann nicht gut wissen, was noch weiter geschehn wäre,
wenn sich nicht Jver Kramme zu sehr günstiger und sehr ungelegner Stunde in
diesem Augenblick ans der Treppe hätte hören lassen.




Als Will, Jver Kramme und Christenee am nächsten Morgen bei ihrem Bier
und Brot saßen, kam Herr Johann hereingestvlpert, ohne Hut, ohne Degen und
ganz verwirrt.

Es währte eine Weile, ehe jemand recht begriff, was er auf dem Herzen
hatte, endlich aber kam es heraus, daß als er nnsgeschlafen hatte und nun nach¬
sehen wollte, ob in dem weichen Erdboden unter dem Kirschbnum Spuren von
Dieben zu sehen wären, es sich herausgestellt hätte, daß die Spuren — denn
Spuren waren da — seine eignen sein mußten, seine und keines andern. Jeder
Zweifel war ausgeschlossen, denn niemand in ganz Helsingör paßten seine Schuhe
Und nun war er ganz außer sich vor Furcht und Angst, denn da er ganz genau
wußte, daß er keinen Fuß in den Garten gesetzt hätte, nachdem er um den Baum
herumgeharkt hatte, mußte er ja entweder im Schlafe gewandelt sein — und das
hatte er noch niemals getan —, oder was noch schlimmer war: es mußte sei»
Doppelgänger gewesen sein, einer, mit dem der Satan sein Spiel in jemands eigner
Gestalt trieb, so wie er es da unter in den Ländern am Mittelländischen Meer
gehört hatte.


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[0698] Die Komödie auf Aronborg Jungfer! rief Will. Jungfer Elisabeth! wagte er zu sagen, und Christence kam. Er bot ihr von den Früchten um, sie setzte sich auch, wenngleich zögernd, und nahm ein paar Kirschen. Die habe ich gepflückt! sagte Will. Ihr? Ja ich habe sie eigentlich nicht selber gepflückt, aber ich habe einen unsicht¬ baren Kobold, der mir zur Hand geht und mir alles bringt, was ich wünsche. — Eßt nur, Jungfer, das wenigstens weiß ich, vergiftet sind die Kirschen nicht! Nicht so wie die, die Düveke geschickt wurden, und von denen sie den Tod hatte? fragte Christence mit leichtem Lächeln. Düveke? Ja, König Christians Geliebte. Es heißt, daß sie hier begraben sei, ent¬ weder unter dem grauen Stein in dem nördlichen Kreuzgang oder in einer Ecke des Klosterhofs, aber niemand weiß es genau. Was verursachte denn ihren Tod? Ihr hört es ja: es waren vergiftete Kirschen. Was aber war die Ursache, daß man sie ihr sandte? Wohl ihre Liebeshandel, wie man sagt. Ja, die Liebe ist entweder das größte Glück oder das größte Unglück, das einem Menschen begegnen kaun, sagte Will. — Oder wohl im Grunde etwas von beiden, fügte er hinzu. Und die Liebe ist immer jung, niemals alt genug, daß sie weiß, was Gewissen ist, nud wenn ein junger Mann erst gebunden ist, so — Seid Ihr gebunden? fragte Christenee. Ja, Jungfer — ich bin gebunden! Christenee sah nieder — sie wagte nicht aufzusehen —, und ihre Hand zitterte ein wenig, als sie sie wieder nach einer Kirsche ausstreckte — es war die letzte, die übrig war. Ohne etwas dabei zu denken nahm sie den Stengel in den Mund, hielt ihn zwischen den Zahnen fest und ließ die Kirsche ein paarmal auf und niederwippen. Als Will das sah, sagte er: Elisabeth! Jetzt kommt meine Lippe als demütiger Pilgrim und bittet um Ablaß für ihre Sünden. Meine Lippe hat gesündigt, nicht meine Augen, denn das Auge muß sehen, was ihm Schönes begegnet — vergeht also meiner kühnen Lippe! Und Will pflückte die letzte Kirsche von Christeneens Lippen, ihre Münde begegneten sich, und man kann nicht gut wissen, was noch weiter geschehn wäre, wenn sich nicht Jver Kramme zu sehr günstiger und sehr ungelegner Stunde in diesem Augenblick ans der Treppe hätte hören lassen. Als Will, Jver Kramme und Christenee am nächsten Morgen bei ihrem Bier und Brot saßen, kam Herr Johann hereingestvlpert, ohne Hut, ohne Degen und ganz verwirrt. Es währte eine Weile, ehe jemand recht begriff, was er auf dem Herzen hatte, endlich aber kam es heraus, daß als er nnsgeschlafen hatte und nun nach¬ sehen wollte, ob in dem weichen Erdboden unter dem Kirschbnum Spuren von Dieben zu sehen wären, es sich herausgestellt hätte, daß die Spuren — denn Spuren waren da — seine eignen sein mußten, seine und keines andern. Jeder Zweifel war ausgeschlossen, denn niemand in ganz Helsingör paßten seine Schuhe Und nun war er ganz außer sich vor Furcht und Angst, denn da er ganz genau wußte, daß er keinen Fuß in den Garten gesetzt hätte, nachdem er um den Baum herumgeharkt hatte, mußte er ja entweder im Schlafe gewandelt sein — und das hatte er noch niemals getan —, oder was noch schlimmer war: es mußte sei» Doppelgänger gewesen sein, einer, mit dem der Satan sein Spiel in jemands eigner Gestalt trieb, so wie er es da unter in den Ländern am Mittelländischen Meer gehört hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/698>, abgerufen am 25.11.2024.