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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Deutsche Rechtsciltertnmer in unsrer heutigen deutschen Sprache

besondern, strafrechtlich streng geschützten Frieden, den "Dingfriedcn," verschaffte
(woher uns auch noch heute die "Umfriedigung" oder "Einfriedigung"
für Umzäunung geläufig ist), geht auch unser Zeitwort "hegen" zurück
(Grundbedeutung: "umzäunen," danach dann auch Wild, Fische, Fvrstanpflan-
zungen, Wiesen hegen ^ schonen, sorgfältig unterhalten, besonders beliebt in
der reimenden Formel "hegen und pflegen"), ja vielleicht auch die Wendung:
"einem ins Gehege kommen" (vgl. auch "Hag"). Später bevorzugte man
eine festere Umzäunung des Gerichtsplatzes durch einen hölzernen Bretterverschlag
(Geländer), die sogenannten Schranken oder Schrammen, die uns in der Wen-
dung "vor den Schranken des Gerichts erscheinen" noch heute geläufig
sind, obwohl sie ihre frühere Bedeutung längst eingebüßt haben, während es
bei den noch immer viel gebrauchten Redensarten "jemand in die Schranken
fordern," "die Schranken überschreiten (übertreten)" und "für (oder
gegen) jemand in die Schranken treten" allerdings fraglich ist, ob sie sich
schon von vornherein nur auf die Gerichts Schranken oder vielmehr auch -- wenn
nicht gar nur -- auf die Turnierschranken bezogen haben.

Während in Oberdeutschland (Bayern, Schwaben, Franken) durch das
ganze Mittelalter die "Schrammen" auch die "Gerichtsbänke" bezeichnet haben,
zunächst wahrscheinlich, weil diese gleich an den Jnnenwänden der Umzäunung
befestigt waren -- womit das noch jetzt in Süddeutschland gebräuchliche Wort
"Fleisch- oder Brotschranne" für die Bank der Fleischer oder Bäcker ans dem
Markte zu vergleichen ist --, hat der Sprachgebrauch in Niederdeutschland den Aus¬
druck "Bank" unzweideutig vor "Schranne" oder "Schranke" bevorzugt. Hier
befindet sich darum auch das Gericht "binnen den Bänken," und der Kläger
hat seiue Sache "binnen den vier Bänken" vorzutragen. Dem entsprechend wird
auch die "Bank" (d. h. die Gerichtsbank, Dingbank) "gehegt" oder "gespannt."
Innerhalb des Geheges saßen nämlich die Urteilsfinder und später die Schöffen
-- im Gegensatze zu dein während der ganzen Verhandlung ans einem Stuhle
thronenden Richter (vgl. "Richterstuhl") -- auf ursprünglich wohl steinernen,
dann hölzernen Bänken. Daher sprach man auch einst vorwiegend von der
"Schöffenbank" statt von dem Schöffenkollegium, in ähnlicher Weise wie unsre
Reichsstrafprozeßordnung noch das Wort "Geschwvrnenbank" verwendet,
während die Bezeichnung "Schöffen- oder Schöppenstuhl" erst dem spätern
Sprachgebrauch angehört. Von der Gcrichtsbank ist wohl jedenfalls auch die freilich
nicht recht klare Redensart "etwas (eine Sache) auf die lange Bank schieben"
oder (älter) "ziehen" (Lessing) hergenommen. Vielleicht darf man sie ins¬
besondre darauf zurückführen, daß die Schöffen nur das Aktenmaterial, das
gleich erledigt werden sollte, unmittelbar bei sich liegen hatten, während sie
andre Sachen, mit denen sie sich Zeit nehmen zu können glaubten, weiter zurück
legten, "auf die lange Bank schoben," die übrigens nicht selten zugleich die
Form einer Kiste zur Aufbewahrung der Akten gehabt haben mag (woraus sich
auch die ältere Form "etwas in die langen Truhen legen" erklären läßt).
Auch die bekannten ellenlangen Prozesse beim Neichsknminergerichte mögen seiner¬
zeit dazu beigetragen haben, den verallgemeinerten Sinn jenes Sprachbildes noch
mehr zu befestigen. Man ist aber noch weiter gegangen und hat auch das
einfache Zeitwort "etwas aufschieben" (vgl. "Aufgeschoben ist nicht auf¬
gehoben") als eine Ellipse betrachtet, bei der eigentlich die Worte "auf die
lange Bank" zu ergänzen wären. Mag dies aber auch eine bloße Hypothese
sein, so steht es dagegen wohl jedenfalls fest, daß -- wie einst schon der
Sachsenspiegel schlechthin von der "Bank" statt von der "Dingbank" sprechen
konnte -- auch heute noch das Volk unter der "Bank" die Gerichts-, namentlich
die Anklagebank begreift (daher "auf die Bank" oder "aufs Baillie
kommen" ^ "gerichtlich belangt werden"). Zum Zwecke der Versammlung
der Dinggenossen an der Gerichtsstätte, dann auch zum Zeichen des Beginns


Deutsche Rechtsciltertnmer in unsrer heutigen deutschen Sprache

besondern, strafrechtlich streng geschützten Frieden, den „Dingfriedcn," verschaffte
(woher uns auch noch heute die „Umfriedigung" oder „Einfriedigung"
für Umzäunung geläufig ist), geht auch unser Zeitwort „hegen" zurück
(Grundbedeutung: „umzäunen," danach dann auch Wild, Fische, Fvrstanpflan-
zungen, Wiesen hegen ^ schonen, sorgfältig unterhalten, besonders beliebt in
der reimenden Formel „hegen und pflegen"), ja vielleicht auch die Wendung:
„einem ins Gehege kommen" (vgl. auch „Hag"). Später bevorzugte man
eine festere Umzäunung des Gerichtsplatzes durch einen hölzernen Bretterverschlag
(Geländer), die sogenannten Schranken oder Schrammen, die uns in der Wen-
dung „vor den Schranken des Gerichts erscheinen" noch heute geläufig
sind, obwohl sie ihre frühere Bedeutung längst eingebüßt haben, während es
bei den noch immer viel gebrauchten Redensarten „jemand in die Schranken
fordern," „die Schranken überschreiten (übertreten)" und „für (oder
gegen) jemand in die Schranken treten" allerdings fraglich ist, ob sie sich
schon von vornherein nur auf die Gerichts Schranken oder vielmehr auch — wenn
nicht gar nur — auf die Turnierschranken bezogen haben.

Während in Oberdeutschland (Bayern, Schwaben, Franken) durch das
ganze Mittelalter die „Schrammen" auch die „Gerichtsbänke" bezeichnet haben,
zunächst wahrscheinlich, weil diese gleich an den Jnnenwänden der Umzäunung
befestigt waren — womit das noch jetzt in Süddeutschland gebräuchliche Wort
„Fleisch- oder Brotschranne" für die Bank der Fleischer oder Bäcker ans dem
Markte zu vergleichen ist —, hat der Sprachgebrauch in Niederdeutschland den Aus¬
druck „Bank" unzweideutig vor „Schranne" oder „Schranke" bevorzugt. Hier
befindet sich darum auch das Gericht „binnen den Bänken," und der Kläger
hat seiue Sache „binnen den vier Bänken" vorzutragen. Dem entsprechend wird
auch die „Bank" (d. h. die Gerichtsbank, Dingbank) „gehegt" oder „gespannt."
Innerhalb des Geheges saßen nämlich die Urteilsfinder und später die Schöffen
— im Gegensatze zu dein während der ganzen Verhandlung ans einem Stuhle
thronenden Richter (vgl. „Richterstuhl") — auf ursprünglich wohl steinernen,
dann hölzernen Bänken. Daher sprach man auch einst vorwiegend von der
„Schöffenbank" statt von dem Schöffenkollegium, in ähnlicher Weise wie unsre
Reichsstrafprozeßordnung noch das Wort „Geschwvrnenbank" verwendet,
während die Bezeichnung „Schöffen- oder Schöppenstuhl" erst dem spätern
Sprachgebrauch angehört. Von der Gcrichtsbank ist wohl jedenfalls auch die freilich
nicht recht klare Redensart „etwas (eine Sache) auf die lange Bank schieben"
oder (älter) „ziehen" (Lessing) hergenommen. Vielleicht darf man sie ins¬
besondre darauf zurückführen, daß die Schöffen nur das Aktenmaterial, das
gleich erledigt werden sollte, unmittelbar bei sich liegen hatten, während sie
andre Sachen, mit denen sie sich Zeit nehmen zu können glaubten, weiter zurück
legten, „auf die lange Bank schoben," die übrigens nicht selten zugleich die
Form einer Kiste zur Aufbewahrung der Akten gehabt haben mag (woraus sich
auch die ältere Form „etwas in die langen Truhen legen" erklären läßt).
Auch die bekannten ellenlangen Prozesse beim Neichsknminergerichte mögen seiner¬
zeit dazu beigetragen haben, den verallgemeinerten Sinn jenes Sprachbildes noch
mehr zu befestigen. Man ist aber noch weiter gegangen und hat auch das
einfache Zeitwort „etwas aufschieben" (vgl. „Aufgeschoben ist nicht auf¬
gehoben") als eine Ellipse betrachtet, bei der eigentlich die Worte „auf die
lange Bank" zu ergänzen wären. Mag dies aber auch eine bloße Hypothese
sein, so steht es dagegen wohl jedenfalls fest, daß — wie einst schon der
Sachsenspiegel schlechthin von der „Bank" statt von der „Dingbank" sprechen
konnte — auch heute noch das Volk unter der „Bank" die Gerichts-, namentlich
die Anklagebank begreift (daher „auf die Bank" oder „aufs Baillie
kommen" ^ „gerichtlich belangt werden"). Zum Zwecke der Versammlung
der Dinggenossen an der Gerichtsstätte, dann auch zum Zeichen des Beginns


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[0690] Deutsche Rechtsciltertnmer in unsrer heutigen deutschen Sprache besondern, strafrechtlich streng geschützten Frieden, den „Dingfriedcn," verschaffte (woher uns auch noch heute die „Umfriedigung" oder „Einfriedigung" für Umzäunung geläufig ist), geht auch unser Zeitwort „hegen" zurück (Grundbedeutung: „umzäunen," danach dann auch Wild, Fische, Fvrstanpflan- zungen, Wiesen hegen ^ schonen, sorgfältig unterhalten, besonders beliebt in der reimenden Formel „hegen und pflegen"), ja vielleicht auch die Wendung: „einem ins Gehege kommen" (vgl. auch „Hag"). Später bevorzugte man eine festere Umzäunung des Gerichtsplatzes durch einen hölzernen Bretterverschlag (Geländer), die sogenannten Schranken oder Schrammen, die uns in der Wen- dung „vor den Schranken des Gerichts erscheinen" noch heute geläufig sind, obwohl sie ihre frühere Bedeutung längst eingebüßt haben, während es bei den noch immer viel gebrauchten Redensarten „jemand in die Schranken fordern," „die Schranken überschreiten (übertreten)" und „für (oder gegen) jemand in die Schranken treten" allerdings fraglich ist, ob sie sich schon von vornherein nur auf die Gerichts Schranken oder vielmehr auch — wenn nicht gar nur — auf die Turnierschranken bezogen haben. Während in Oberdeutschland (Bayern, Schwaben, Franken) durch das ganze Mittelalter die „Schrammen" auch die „Gerichtsbänke" bezeichnet haben, zunächst wahrscheinlich, weil diese gleich an den Jnnenwänden der Umzäunung befestigt waren — womit das noch jetzt in Süddeutschland gebräuchliche Wort „Fleisch- oder Brotschranne" für die Bank der Fleischer oder Bäcker ans dem Markte zu vergleichen ist —, hat der Sprachgebrauch in Niederdeutschland den Aus¬ druck „Bank" unzweideutig vor „Schranne" oder „Schranke" bevorzugt. Hier befindet sich darum auch das Gericht „binnen den Bänken," und der Kläger hat seiue Sache „binnen den vier Bänken" vorzutragen. Dem entsprechend wird auch die „Bank" (d. h. die Gerichtsbank, Dingbank) „gehegt" oder „gespannt." Innerhalb des Geheges saßen nämlich die Urteilsfinder und später die Schöffen — im Gegensatze zu dein während der ganzen Verhandlung ans einem Stuhle thronenden Richter (vgl. „Richterstuhl") — auf ursprünglich wohl steinernen, dann hölzernen Bänken. Daher sprach man auch einst vorwiegend von der „Schöffenbank" statt von dem Schöffenkollegium, in ähnlicher Weise wie unsre Reichsstrafprozeßordnung noch das Wort „Geschwvrnenbank" verwendet, während die Bezeichnung „Schöffen- oder Schöppenstuhl" erst dem spätern Sprachgebrauch angehört. Von der Gcrichtsbank ist wohl jedenfalls auch die freilich nicht recht klare Redensart „etwas (eine Sache) auf die lange Bank schieben" oder (älter) „ziehen" (Lessing) hergenommen. Vielleicht darf man sie ins¬ besondre darauf zurückführen, daß die Schöffen nur das Aktenmaterial, das gleich erledigt werden sollte, unmittelbar bei sich liegen hatten, während sie andre Sachen, mit denen sie sich Zeit nehmen zu können glaubten, weiter zurück legten, „auf die lange Bank schoben," die übrigens nicht selten zugleich die Form einer Kiste zur Aufbewahrung der Akten gehabt haben mag (woraus sich auch die ältere Form „etwas in die langen Truhen legen" erklären läßt). Auch die bekannten ellenlangen Prozesse beim Neichsknminergerichte mögen seiner¬ zeit dazu beigetragen haben, den verallgemeinerten Sinn jenes Sprachbildes noch mehr zu befestigen. Man ist aber noch weiter gegangen und hat auch das einfache Zeitwort „etwas aufschieben" (vgl. „Aufgeschoben ist nicht auf¬ gehoben") als eine Ellipse betrachtet, bei der eigentlich die Worte „auf die lange Bank" zu ergänzen wären. Mag dies aber auch eine bloße Hypothese sein, so steht es dagegen wohl jedenfalls fest, daß — wie einst schon der Sachsenspiegel schlechthin von der „Bank" statt von der „Dingbank" sprechen konnte — auch heute noch das Volk unter der „Bank" die Gerichts-, namentlich die Anklagebank begreift (daher „auf die Bank" oder „aufs Baillie kommen" ^ „gerichtlich belangt werden"). Zum Zwecke der Versammlung der Dinggenossen an der Gerichtsstätte, dann auch zum Zeichen des Beginns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/690>, abgerufen am 26.11.2024.