a die Rassentheorie die Germanen auf Kosten der andern Völker erhebt, hat ihr Hauptvertreter natürlicherweise in Deutschland weit mehr Anklang gefunden als in seinem Vaterlande, und das An¬ wachsen der Gobineau- und Wagnerliteratur -- erst durch Richard Wagners Freundschaft ist Gobineau bei uns bekannt geworden -- hat jenseits des Rheins die Vernachlässigung des gelehrten Diplomaten in einen Unwillen verkehrt, der sich in einem dicken Buche Luft macht: I^ez eoircks als (zsol)mot>.u ot 1'^r/g,ni"in<z Ili8t<>riqu<z ^>ar lernest Loilliurk. ?s,ri3, lidrairik 1903. Das Buch kündigt sich als ersten Band eines Werkes an, das der Philosophie des Imperialismus gewidmet sein soll. Man begreift, daß Gobineau besonders in diesen unsern Tagen den Franzosen verhaßt und unbe¬ quem sein muß, wo sie nicht allein' Demokraten, sondern beinahe Sozial- demokraten geworden sind -- in Staatsverfnssuug und Phrase --; wie weit im sozialen Gebiet und in der Vermögenslage die Gleichheit und die Brüder¬ lichkeit verwirklicht worden sind, das wird sich Wohl bei Gelegenheit einmal zeigen. In einer geistreichen und gediegne wissenschaftliche Bildung bekundenden Einleitung behauptet Seilliere, daß die Geschichte immer mehr Geschichts¬ philosophie als exakte Wissenschaft, ja die Dienerin der Leidenschaften derer, die sie schreiben, gewesen sei, und zeigt, wie man in Frankreich, je nach der politischen Strömung, bald die Gallier zu Germanen, bald die Germanen zu Kelten ge¬ macht, die fränkischen Eroberer abwechselnd verherrlicht und beschimpft hat, wie die Geschichtsphilosophie in der mittelalterlichen Universalkirche universalistisch gewesen und mit deren Zerfall national geworden ist, wie endlich die Opposition des französischen Adels gegen das absolute Königtum die Verherrlichung der fränkischen Eroberer veranlaßt und dadurch die moderne Form des Universalismus: den angelsächsischen und den deutschen Imperialismus angebahnt hat. Der Inhalt des Buches ist eine scharfsinnige und spöttisch kritisierende Analyse aller Werke und Schriften Gobineaus. Da der Verfasser dabei historisch ver¬ fährt und die Lebensnmstünde angibt, unter denen jede der Schriften ent¬ standen ist, ersetzt das Buch beinahe eine Biographie. Mit Seillieres Kritik der Nassentheorie brauchen wir uns nicht auseinanderzusetzen, weil wir unsre Ansicht über diese Theorie bei vielen Gelegenheiten ausführlich dargelegt haben, unter anderm in den Aufsätzen über Gobineaus Hauptwerk (Jahrgang 1898 Heft 36, 1899 Heft 10 und 11, 1900 Heft 42). Dagegen wollen wir doch wenigstens den Umriß des Bildes nachzuzeichnen versuchen, das der Verfasser von den übrigen Werken und von der Person des Grafen entwirft. Kritisieren könnten wir dieses Bild nur, wenn wir sämtliche Werke Gobineaus gelesen
Gobineau in französischer Beleuchtung
a die Rassentheorie die Germanen auf Kosten der andern Völker erhebt, hat ihr Hauptvertreter natürlicherweise in Deutschland weit mehr Anklang gefunden als in seinem Vaterlande, und das An¬ wachsen der Gobineau- und Wagnerliteratur — erst durch Richard Wagners Freundschaft ist Gobineau bei uns bekannt geworden — hat jenseits des Rheins die Vernachlässigung des gelehrten Diplomaten in einen Unwillen verkehrt, der sich in einem dicken Buche Luft macht: I^ez eoircks als (zsol)mot>.u ot 1'^r/g,ni«in<z Ili8t<>riqu<z ^>ar lernest Loilliurk. ?s,ri3, lidrairik 1903. Das Buch kündigt sich als ersten Band eines Werkes an, das der Philosophie des Imperialismus gewidmet sein soll. Man begreift, daß Gobineau besonders in diesen unsern Tagen den Franzosen verhaßt und unbe¬ quem sein muß, wo sie nicht allein' Demokraten, sondern beinahe Sozial- demokraten geworden sind — in Staatsverfnssuug und Phrase —; wie weit im sozialen Gebiet und in der Vermögenslage die Gleichheit und die Brüder¬ lichkeit verwirklicht worden sind, das wird sich Wohl bei Gelegenheit einmal zeigen. In einer geistreichen und gediegne wissenschaftliche Bildung bekundenden Einleitung behauptet Seilliere, daß die Geschichte immer mehr Geschichts¬ philosophie als exakte Wissenschaft, ja die Dienerin der Leidenschaften derer, die sie schreiben, gewesen sei, und zeigt, wie man in Frankreich, je nach der politischen Strömung, bald die Gallier zu Germanen, bald die Germanen zu Kelten ge¬ macht, die fränkischen Eroberer abwechselnd verherrlicht und beschimpft hat, wie die Geschichtsphilosophie in der mittelalterlichen Universalkirche universalistisch gewesen und mit deren Zerfall national geworden ist, wie endlich die Opposition des französischen Adels gegen das absolute Königtum die Verherrlichung der fränkischen Eroberer veranlaßt und dadurch die moderne Form des Universalismus: den angelsächsischen und den deutschen Imperialismus angebahnt hat. Der Inhalt des Buches ist eine scharfsinnige und spöttisch kritisierende Analyse aller Werke und Schriften Gobineaus. Da der Verfasser dabei historisch ver¬ fährt und die Lebensnmstünde angibt, unter denen jede der Schriften ent¬ standen ist, ersetzt das Buch beinahe eine Biographie. Mit Seillieres Kritik der Nassentheorie brauchen wir uns nicht auseinanderzusetzen, weil wir unsre Ansicht über diese Theorie bei vielen Gelegenheiten ausführlich dargelegt haben, unter anderm in den Aufsätzen über Gobineaus Hauptwerk (Jahrgang 1898 Heft 36, 1899 Heft 10 und 11, 1900 Heft 42). Dagegen wollen wir doch wenigstens den Umriß des Bildes nachzuzeichnen versuchen, das der Verfasser von den übrigen Werken und von der Person des Grafen entwirft. Kritisieren könnten wir dieses Bild nur, wenn wir sämtliche Werke Gobineaus gelesen
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[Abbildung]
Gobineau in französischer Beleuchtung
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erhebt, hat ihr Hauptvertreter natürlicherweise in Deutschland weit
mehr Anklang gefunden als in seinem Vaterlande, und das An¬
wachsen der Gobineau- und Wagnerliteratur — erst durch Richard
Wagners Freundschaft ist Gobineau bei uns bekannt geworden —
hat jenseits des Rheins die Vernachlässigung des gelehrten Diplomaten in einen
Unwillen verkehrt, der sich in einem dicken Buche Luft macht: I^ez eoircks als
(zsol)mot>.u ot 1'^r/g,ni«in<z Ili8t<>riqu<z ^>ar lernest Loilliurk. ?s,ri3, lidrairik
1903. Das Buch kündigt sich als ersten Band eines Werkes an, das
der Philosophie des Imperialismus gewidmet sein soll. Man begreift, daß
Gobineau besonders in diesen unsern Tagen den Franzosen verhaßt und unbe¬
quem sein muß, wo sie nicht allein' Demokraten, sondern beinahe Sozial-
demokraten geworden sind — in Staatsverfnssuug und Phrase —; wie weit
im sozialen Gebiet und in der Vermögenslage die Gleichheit und die Brüder¬
lichkeit verwirklicht worden sind, das wird sich Wohl bei Gelegenheit einmal
zeigen. In einer geistreichen und gediegne wissenschaftliche Bildung bekundenden
Einleitung behauptet Seilliere, daß die Geschichte immer mehr Geschichts¬
philosophie als exakte Wissenschaft, ja die Dienerin der Leidenschaften derer, die
sie schreiben, gewesen sei, und zeigt, wie man in Frankreich, je nach der politischen
Strömung, bald die Gallier zu Germanen, bald die Germanen zu Kelten ge¬
macht, die fränkischen Eroberer abwechselnd verherrlicht und beschimpft hat, wie
die Geschichtsphilosophie in der mittelalterlichen Universalkirche universalistisch
gewesen und mit deren Zerfall national geworden ist, wie endlich die Opposition
des französischen Adels gegen das absolute Königtum die Verherrlichung der
fränkischen Eroberer veranlaßt und dadurch die moderne Form des Universalismus:
den angelsächsischen und den deutschen Imperialismus angebahnt hat. Der
Inhalt des Buches ist eine scharfsinnige und spöttisch kritisierende Analyse
aller Werke und Schriften Gobineaus. Da der Verfasser dabei historisch ver¬
fährt und die Lebensnmstünde angibt, unter denen jede der Schriften ent¬
standen ist, ersetzt das Buch beinahe eine Biographie. Mit Seillieres Kritik
der Nassentheorie brauchen wir uns nicht auseinanderzusetzen, weil wir unsre
Ansicht über diese Theorie bei vielen Gelegenheiten ausführlich dargelegt haben,
unter anderm in den Aufsätzen über Gobineaus Hauptwerk (Jahrgang 1898
Heft 36, 1899 Heft 10 und 11, 1900 Heft 42). Dagegen wollen wir doch
wenigstens den Umriß des Bildes nachzuzeichnen versuchen, das der Verfasser
von den übrigen Werken und von der Person des Grafen entwirft. Kritisieren
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/676>, abgerufen am 22.11.2024.
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