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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Die Komödie auf Rronborg

Hunde kann ich nicht leiden! Jver, Jver, ich bin ja nnr ein Kind der Finsternis:
ich weiß nicht mehr, wie eine Kirche von innen aussieht! Aber versprich mir
trotzdem, daß wenn dein alter, ehrlicher Oheim gestorben ist -- gestorben in
Armut, wie er gelebt hat --, daß du dafür sorgen willst, daß er zur Erde be¬
stattet wird, wie es sich für einen Kriegsmann geziemt: die Schüler sollen an
meiner Gruft singen -- Jens Turbo anch, denn er hat eine gute, starke
Stimme, der Schelm --, die Glocken sollen läuten, von Se. Olai wie von
Se. Marien -- eine ganze Stunde --, und mein Degen soll auf demi Sargdeckel
liegen. --

Es war allmählich dämmrig geworden in der Kammer, der spanische Wein
war längst ausgetrunken, und Herr Johann sank tiefer und tiefer in den Stuhl
hinab; hin und wieder weinte er, hin und wieder fluchte er und sang eine Strophe
aus einem unflätigen Liede -- schließlich sank der Kopf auf die Brust hinab, und
er schlief ein.

Nicht ohne Mühe gelang es Jver Krumme, ihn zu wecken; er nahm ihn unter
den Arm, lotste ihn die Treppe hinunter, über die Straße und nach Hause.

Als er zurückkam, schüttelte er den Kopf und sagte seufzend zu Will:

Ihr könnt mir glauben, es ist ein großes Kreuz mit meinem Oheim, und es
geht im Laufe des Jahres eine gute Menge Taler drauf, ihn mit Sekt und Mumme
zu füllen!

Aber seid Ihr denn gezwungen, ihn zu füllen? fragte Will.

Es ist meines seligen Vaters einziger Bruder, antwortete Jver Krumme, und
außerdem -- hier sah er sich vorsichtig um, als fürchte er, daß ihn jemand hören
könne --, außerdem hat er Mittel, obgleich er immer klagt; woher er sie hat,
weiß man nicht recht -- er hat sie wohl in Kriegszeiten erworben --, aber
Christenee und ich haben die Aussicht und das stillschweigende Versprechen, seinen
irdischen Nachlaß zu erben. Es darf auch nicht vergessen werden, daß als mein
Vater so elendiglich ums Leben kam, mein guter Oheim Johann es war, der mich
studieren ließ, zuerst hier in der Heimat und dann in Wittenberg. Aber ein großes
Kreuz ist es, ihn hier so in der Nähe wohnen zu haben. -- Ich wünsche eine
geruhige Nacht!




Es war am Johannistage.

^ Die Schüler hatten frei und tummelten sich im Grünen Garten und am Strande.
Jver Krumme ging am Vormittag und am Nachmittag aus, um Neuigkeiten ein¬
zuheimsen, niemand kam zu Besuch, weder Jens Turbo, Meister Hans noch Herr
Johann, und Will saß mißmutig am Fenster, spielte hin und wieder auf seiner
Laute und summte einen Vers aus dem alten Liede von Robim Hood, hörte aber
bald wieder auf.

Auch Christenee war eine Weile ausgegangen und kam erst gegen Nachmittag
wieder nach Hause.

Sie brachte einen großen Strauß wilder Blumen mit und verteilte sie rings-
uncher in Krüge und Becher, aber ein Paar grüne Schosse nahm sie heraus und
stellte sie auf das Bort zwischen deu Fenstern.

Warum tut Ihr das. Jungfer? fragte Will.

^ Das sind Johanniskräuter, antwortete sie. Grünen sie weiter, so lebe ich das
^ahr aus. welken sie, so bin ich bis zum nächsten Johannistag tot.

Dann werden sie sicher grünen, meinte Will.

Gegen Abend kam Jver Krumme nach Hause und berichtete nach seiner Ge¬
wohnheit getreu, was für Neuigkeiten er erfragt hatte. Da waren sichere Nach¬
richten, leider, daß eine Flotte ans den Niederlanden in See gegangen und hierher
miterwegs sei, um den Beschwerden über die Erhebung des Sundzolls größern
^achdruck zu verleihen. Ein junger Bursche hatte in der Nacht im Rausch einen
ver Stadtknechte getötet und saß nun in schweren Ketten in festem Gewahrsam.


Grenzboten 111 Is03 79
Die Komödie auf Rronborg

Hunde kann ich nicht leiden! Jver, Jver, ich bin ja nnr ein Kind der Finsternis:
ich weiß nicht mehr, wie eine Kirche von innen aussieht! Aber versprich mir
trotzdem, daß wenn dein alter, ehrlicher Oheim gestorben ist — gestorben in
Armut, wie er gelebt hat —, daß du dafür sorgen willst, daß er zur Erde be¬
stattet wird, wie es sich für einen Kriegsmann geziemt: die Schüler sollen an
meiner Gruft singen — Jens Turbo anch, denn er hat eine gute, starke
Stimme, der Schelm —, die Glocken sollen läuten, von Se. Olai wie von
Se. Marien — eine ganze Stunde —, und mein Degen soll auf demi Sargdeckel
liegen. —

Es war allmählich dämmrig geworden in der Kammer, der spanische Wein
war längst ausgetrunken, und Herr Johann sank tiefer und tiefer in den Stuhl
hinab; hin und wieder weinte er, hin und wieder fluchte er und sang eine Strophe
aus einem unflätigen Liede — schließlich sank der Kopf auf die Brust hinab, und
er schlief ein.

Nicht ohne Mühe gelang es Jver Krumme, ihn zu wecken; er nahm ihn unter
den Arm, lotste ihn die Treppe hinunter, über die Straße und nach Hause.

Als er zurückkam, schüttelte er den Kopf und sagte seufzend zu Will:

Ihr könnt mir glauben, es ist ein großes Kreuz mit meinem Oheim, und es
geht im Laufe des Jahres eine gute Menge Taler drauf, ihn mit Sekt und Mumme
zu füllen!

Aber seid Ihr denn gezwungen, ihn zu füllen? fragte Will.

Es ist meines seligen Vaters einziger Bruder, antwortete Jver Krumme, und
außerdem — hier sah er sich vorsichtig um, als fürchte er, daß ihn jemand hören
könne —, außerdem hat er Mittel, obgleich er immer klagt; woher er sie hat,
weiß man nicht recht — er hat sie wohl in Kriegszeiten erworben —, aber
Christenee und ich haben die Aussicht und das stillschweigende Versprechen, seinen
irdischen Nachlaß zu erben. Es darf auch nicht vergessen werden, daß als mein
Vater so elendiglich ums Leben kam, mein guter Oheim Johann es war, der mich
studieren ließ, zuerst hier in der Heimat und dann in Wittenberg. Aber ein großes
Kreuz ist es, ihn hier so in der Nähe wohnen zu haben. — Ich wünsche eine
geruhige Nacht!




Es war am Johannistage.

^ Die Schüler hatten frei und tummelten sich im Grünen Garten und am Strande.
Jver Krumme ging am Vormittag und am Nachmittag aus, um Neuigkeiten ein¬
zuheimsen, niemand kam zu Besuch, weder Jens Turbo, Meister Hans noch Herr
Johann, und Will saß mißmutig am Fenster, spielte hin und wieder auf seiner
Laute und summte einen Vers aus dem alten Liede von Robim Hood, hörte aber
bald wieder auf.

Auch Christenee war eine Weile ausgegangen und kam erst gegen Nachmittag
wieder nach Hause.

Sie brachte einen großen Strauß wilder Blumen mit und verteilte sie rings-
uncher in Krüge und Becher, aber ein Paar grüne Schosse nahm sie heraus und
stellte sie auf das Bort zwischen deu Fenstern.

Warum tut Ihr das. Jungfer? fragte Will.

^ Das sind Johanniskräuter, antwortete sie. Grünen sie weiter, so lebe ich das
^ahr aus. welken sie, so bin ich bis zum nächsten Johannistag tot.

Dann werden sie sicher grünen, meinte Will.

Gegen Abend kam Jver Krumme nach Hause und berichtete nach seiner Ge¬
wohnheit getreu, was für Neuigkeiten er erfragt hatte. Da waren sichere Nach¬
richten, leider, daß eine Flotte ans den Niederlanden in See gegangen und hierher
miterwegs sei, um den Beschwerden über die Erhebung des Sundzolls größern
^achdruck zu verleihen. Ein junger Bursche hatte in der Nacht im Rausch einen
ver Stadtknechte getötet und saß nun in schweren Ketten in festem Gewahrsam.


Grenzboten 111 Is03 79
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[0633] Die Komödie auf Rronborg Hunde kann ich nicht leiden! Jver, Jver, ich bin ja nnr ein Kind der Finsternis: ich weiß nicht mehr, wie eine Kirche von innen aussieht! Aber versprich mir trotzdem, daß wenn dein alter, ehrlicher Oheim gestorben ist — gestorben in Armut, wie er gelebt hat —, daß du dafür sorgen willst, daß er zur Erde be¬ stattet wird, wie es sich für einen Kriegsmann geziemt: die Schüler sollen an meiner Gruft singen — Jens Turbo anch, denn er hat eine gute, starke Stimme, der Schelm —, die Glocken sollen läuten, von Se. Olai wie von Se. Marien — eine ganze Stunde —, und mein Degen soll auf demi Sargdeckel liegen. — Es war allmählich dämmrig geworden in der Kammer, der spanische Wein war längst ausgetrunken, und Herr Johann sank tiefer und tiefer in den Stuhl hinab; hin und wieder weinte er, hin und wieder fluchte er und sang eine Strophe aus einem unflätigen Liede — schließlich sank der Kopf auf die Brust hinab, und er schlief ein. Nicht ohne Mühe gelang es Jver Krumme, ihn zu wecken; er nahm ihn unter den Arm, lotste ihn die Treppe hinunter, über die Straße und nach Hause. Als er zurückkam, schüttelte er den Kopf und sagte seufzend zu Will: Ihr könnt mir glauben, es ist ein großes Kreuz mit meinem Oheim, und es geht im Laufe des Jahres eine gute Menge Taler drauf, ihn mit Sekt und Mumme zu füllen! Aber seid Ihr denn gezwungen, ihn zu füllen? fragte Will. Es ist meines seligen Vaters einziger Bruder, antwortete Jver Krumme, und außerdem — hier sah er sich vorsichtig um, als fürchte er, daß ihn jemand hören könne —, außerdem hat er Mittel, obgleich er immer klagt; woher er sie hat, weiß man nicht recht — er hat sie wohl in Kriegszeiten erworben —, aber Christenee und ich haben die Aussicht und das stillschweigende Versprechen, seinen irdischen Nachlaß zu erben. Es darf auch nicht vergessen werden, daß als mein Vater so elendiglich ums Leben kam, mein guter Oheim Johann es war, der mich studieren ließ, zuerst hier in der Heimat und dann in Wittenberg. Aber ein großes Kreuz ist es, ihn hier so in der Nähe wohnen zu haben. — Ich wünsche eine geruhige Nacht! Es war am Johannistage. ^ Die Schüler hatten frei und tummelten sich im Grünen Garten und am Strande. Jver Krumme ging am Vormittag und am Nachmittag aus, um Neuigkeiten ein¬ zuheimsen, niemand kam zu Besuch, weder Jens Turbo, Meister Hans noch Herr Johann, und Will saß mißmutig am Fenster, spielte hin und wieder auf seiner Laute und summte einen Vers aus dem alten Liede von Robim Hood, hörte aber bald wieder auf. Auch Christenee war eine Weile ausgegangen und kam erst gegen Nachmittag wieder nach Hause. Sie brachte einen großen Strauß wilder Blumen mit und verteilte sie rings- uncher in Krüge und Becher, aber ein Paar grüne Schosse nahm sie heraus und stellte sie auf das Bort zwischen deu Fenstern. Warum tut Ihr das. Jungfer? fragte Will. ^ Das sind Johanniskräuter, antwortete sie. Grünen sie weiter, so lebe ich das ^ahr aus. welken sie, so bin ich bis zum nächsten Johannistag tot. Dann werden sie sicher grünen, meinte Will. Gegen Abend kam Jver Krumme nach Hause und berichtete nach seiner Ge¬ wohnheit getreu, was für Neuigkeiten er erfragt hatte. Da waren sichere Nach¬ richten, leider, daß eine Flotte ans den Niederlanden in See gegangen und hierher miterwegs sei, um den Beschwerden über die Erhebung des Sundzolls größern ^achdruck zu verleihen. Ein junger Bursche hatte in der Nacht im Rausch einen ver Stadtknechte getötet und saß nun in schweren Ketten in festem Gewahrsam. Grenzboten 111 Is03 79

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/633>, abgerufen am 23.11.2024.