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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Lügen Mouton

zu lebenslänglichem Bagno zog nämlich den bürgerlichen Tod nach sich. Nach¬
dem der Unglückliche fünfzehn oder zwanzig Jahre verbüßt hatte, wurde er be¬
gnadigt, und den Brüdern wurde die Pflicht auferlegt, ihm jährlich 800 Franken
zu zahlen. Das war ihnen zu viel, und sie schickten einen Geistlichen zu Mouton,
der ihn bat, das Jahrgeld herabzusetzen. Mouton antwortete: "Herr Abbe, ich
kenne die Lage des Mannes und weiß, was ihn hineingebracht hat. Leider
kann ich ihm sein Vermögen nicht wiedergeben, das ihm seine Familie mit Hilfe
eines seitdem mit Recht abgeschafften Gesetzes entrissen hat. Sie schließen ohne
Zweifel schon aus diesen Worten, daß ich für diese Familie nicht zu haben bin.
Da Sie noch sehr jung sind, darf ich annehmen, daß Sie den Fall nicht kennen;
sonst müßte ich Ihnen mit lebhaftem Bedauern sagen: ich begreife nicht, wie ein
Priester einen solchen Auftrag übernehmen kann."

Auch eine Klosternffäre von der heute in Frankreich, Spanien und Ga-
lizien wohlbekannten Sorte mußte er durchfechten. Ein Mädchen ans wohl¬
habender Familie war von einer Betschwester ins Kloster entführt worden.
Vater und Bruder wollten sie wieder haben. Mouton bearbeitete zweimal
stundenlang die Oberen und setzte die Entlassung der Person durch, die übrigens
selbst ihrer Befreiung widerstrebte und nicht im mindesten erfreut darüber war.
Die Sache war sehr schwierig, weil die Nonnen durch ein verhängtes Gitter
mit ihm verhandelten, sodaß er nicht einmal die Identität der Personen fest¬
stellen konnte, ferner weil der geringste Ausbruch von Heftigkeit ihn vor wahr¬
scheinlich versteckten Aufpassern kompromittieren und ihm das Spiel verderben
konnte, und weil die Person, die sich Oberin nannte, mit unerschöpflicher
Beredsamkeit und großer Geschicklichkeit disputierte und deklamierte, während
andre klagende, weinende, Ohnmachten ankündigende Stimmen den nervenan¬
greifenden Chorus spielten; aber seine "mit Sammet gepolsterte Eisenfaust"
hielt das Schlenke Geschlüpfer fest und zwang es endlich, sich zu ergeben. Da¬
gegen war er ebenso entrüstet wie alle andern Zeugen des Vorfalls, als in
einer Gesellschaft beim Präfekten in Niort ein Herr de Larochejacquelein (ohne
Zweifel ein Sohn des berühmten Royalistenführers) dem ihm gegenübersitzenden
Pfarrer Beschimpfungen des Klerus ins Gesicht rief und das Lied anstimmte:

Beamte vom Schlage Mondorf würden mit Kongregationen und wider¬
spenstigen Bischöfen schon fertig werden, ohne die Religion zu zerstören, wenn sie
ein kluger Staatsmann führte, dem die Monarchie oder eine befestigte Aristokratie
Rückhalt gewährte und eine planvolle Wirksamkeit von längerer Dauer sicherte.
Aber die Kammerjakobiner und eine Negierung, die auf dem unzuverlässigen
Boden wechselnder Majoritäten steht und von Geldmännern abhängig ist, die
können die schwierige Angelegenheit nicht ins reine bringen; die Dinge werden
in Zukunft verlaufen wie bisher: tolle Ausschreitungen des Religionshasses
werden mit ebenso tollen Reaktionen einer fanatischen Bigotterie wechseln.

Die Vendee, die Mouton auf mehreren Stationen kennen lernte, schildert


Lügen Mouton

zu lebenslänglichem Bagno zog nämlich den bürgerlichen Tod nach sich. Nach¬
dem der Unglückliche fünfzehn oder zwanzig Jahre verbüßt hatte, wurde er be¬
gnadigt, und den Brüdern wurde die Pflicht auferlegt, ihm jährlich 800 Franken
zu zahlen. Das war ihnen zu viel, und sie schickten einen Geistlichen zu Mouton,
der ihn bat, das Jahrgeld herabzusetzen. Mouton antwortete: „Herr Abbe, ich
kenne die Lage des Mannes und weiß, was ihn hineingebracht hat. Leider
kann ich ihm sein Vermögen nicht wiedergeben, das ihm seine Familie mit Hilfe
eines seitdem mit Recht abgeschafften Gesetzes entrissen hat. Sie schließen ohne
Zweifel schon aus diesen Worten, daß ich für diese Familie nicht zu haben bin.
Da Sie noch sehr jung sind, darf ich annehmen, daß Sie den Fall nicht kennen;
sonst müßte ich Ihnen mit lebhaftem Bedauern sagen: ich begreife nicht, wie ein
Priester einen solchen Auftrag übernehmen kann."

Auch eine Klosternffäre von der heute in Frankreich, Spanien und Ga-
lizien wohlbekannten Sorte mußte er durchfechten. Ein Mädchen ans wohl¬
habender Familie war von einer Betschwester ins Kloster entführt worden.
Vater und Bruder wollten sie wieder haben. Mouton bearbeitete zweimal
stundenlang die Oberen und setzte die Entlassung der Person durch, die übrigens
selbst ihrer Befreiung widerstrebte und nicht im mindesten erfreut darüber war.
Die Sache war sehr schwierig, weil die Nonnen durch ein verhängtes Gitter
mit ihm verhandelten, sodaß er nicht einmal die Identität der Personen fest¬
stellen konnte, ferner weil der geringste Ausbruch von Heftigkeit ihn vor wahr¬
scheinlich versteckten Aufpassern kompromittieren und ihm das Spiel verderben
konnte, und weil die Person, die sich Oberin nannte, mit unerschöpflicher
Beredsamkeit und großer Geschicklichkeit disputierte und deklamierte, während
andre klagende, weinende, Ohnmachten ankündigende Stimmen den nervenan¬
greifenden Chorus spielten; aber seine „mit Sammet gepolsterte Eisenfaust"
hielt das Schlenke Geschlüpfer fest und zwang es endlich, sich zu ergeben. Da¬
gegen war er ebenso entrüstet wie alle andern Zeugen des Vorfalls, als in
einer Gesellschaft beim Präfekten in Niort ein Herr de Larochejacquelein (ohne
Zweifel ein Sohn des berühmten Royalistenführers) dem ihm gegenübersitzenden
Pfarrer Beschimpfungen des Klerus ins Gesicht rief und das Lied anstimmte:

Beamte vom Schlage Mondorf würden mit Kongregationen und wider¬
spenstigen Bischöfen schon fertig werden, ohne die Religion zu zerstören, wenn sie
ein kluger Staatsmann führte, dem die Monarchie oder eine befestigte Aristokratie
Rückhalt gewährte und eine planvolle Wirksamkeit von längerer Dauer sicherte.
Aber die Kammerjakobiner und eine Negierung, die auf dem unzuverlässigen
Boden wechselnder Majoritäten steht und von Geldmännern abhängig ist, die
können die schwierige Angelegenheit nicht ins reine bringen; die Dinge werden
in Zukunft verlaufen wie bisher: tolle Ausschreitungen des Religionshasses
werden mit ebenso tollen Reaktionen einer fanatischen Bigotterie wechseln.

Die Vendee, die Mouton auf mehreren Stationen kennen lernte, schildert


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[0616] Lügen Mouton zu lebenslänglichem Bagno zog nämlich den bürgerlichen Tod nach sich. Nach¬ dem der Unglückliche fünfzehn oder zwanzig Jahre verbüßt hatte, wurde er be¬ gnadigt, und den Brüdern wurde die Pflicht auferlegt, ihm jährlich 800 Franken zu zahlen. Das war ihnen zu viel, und sie schickten einen Geistlichen zu Mouton, der ihn bat, das Jahrgeld herabzusetzen. Mouton antwortete: „Herr Abbe, ich kenne die Lage des Mannes und weiß, was ihn hineingebracht hat. Leider kann ich ihm sein Vermögen nicht wiedergeben, das ihm seine Familie mit Hilfe eines seitdem mit Recht abgeschafften Gesetzes entrissen hat. Sie schließen ohne Zweifel schon aus diesen Worten, daß ich für diese Familie nicht zu haben bin. Da Sie noch sehr jung sind, darf ich annehmen, daß Sie den Fall nicht kennen; sonst müßte ich Ihnen mit lebhaftem Bedauern sagen: ich begreife nicht, wie ein Priester einen solchen Auftrag übernehmen kann." Auch eine Klosternffäre von der heute in Frankreich, Spanien und Ga- lizien wohlbekannten Sorte mußte er durchfechten. Ein Mädchen ans wohl¬ habender Familie war von einer Betschwester ins Kloster entführt worden. Vater und Bruder wollten sie wieder haben. Mouton bearbeitete zweimal stundenlang die Oberen und setzte die Entlassung der Person durch, die übrigens selbst ihrer Befreiung widerstrebte und nicht im mindesten erfreut darüber war. Die Sache war sehr schwierig, weil die Nonnen durch ein verhängtes Gitter mit ihm verhandelten, sodaß er nicht einmal die Identität der Personen fest¬ stellen konnte, ferner weil der geringste Ausbruch von Heftigkeit ihn vor wahr¬ scheinlich versteckten Aufpassern kompromittieren und ihm das Spiel verderben konnte, und weil die Person, die sich Oberin nannte, mit unerschöpflicher Beredsamkeit und großer Geschicklichkeit disputierte und deklamierte, während andre klagende, weinende, Ohnmachten ankündigende Stimmen den nervenan¬ greifenden Chorus spielten; aber seine „mit Sammet gepolsterte Eisenfaust" hielt das Schlenke Geschlüpfer fest und zwang es endlich, sich zu ergeben. Da¬ gegen war er ebenso entrüstet wie alle andern Zeugen des Vorfalls, als in einer Gesellschaft beim Präfekten in Niort ein Herr de Larochejacquelein (ohne Zweifel ein Sohn des berühmten Royalistenführers) dem ihm gegenübersitzenden Pfarrer Beschimpfungen des Klerus ins Gesicht rief und das Lied anstimmte: Beamte vom Schlage Mondorf würden mit Kongregationen und wider¬ spenstigen Bischöfen schon fertig werden, ohne die Religion zu zerstören, wenn sie ein kluger Staatsmann führte, dem die Monarchie oder eine befestigte Aristokratie Rückhalt gewährte und eine planvolle Wirksamkeit von längerer Dauer sicherte. Aber die Kammerjakobiner und eine Negierung, die auf dem unzuverlässigen Boden wechselnder Majoritäten steht und von Geldmännern abhängig ist, die können die schwierige Angelegenheit nicht ins reine bringen; die Dinge werden in Zukunft verlaufen wie bisher: tolle Ausschreitungen des Religionshasses werden mit ebenso tollen Reaktionen einer fanatischen Bigotterie wechseln. Die Vendee, die Mouton auf mehreren Stationen kennen lernte, schildert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/616>, abgerufen am 22.11.2024.