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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Prozeßverschleppungen

und Nürnberg günstigere Ergebnisse als die andern Oberlaudesgerichtc dieser
Gruppe aufzeigen, hat seinen Grund darin, daß dort alle, hier weitaus die
meisten Oberlaudesgerichtsprozesse aus deu Landgerichten Braunschweig und
Nürnberg stammen und von den Anwälten schon in der ersten Instanz verhandelt
worden sind, diese sich mithin nicht in einen ihnen fremden Stoff für die
Berufungsinstanz erst einzuarbeiten brauchten. Der dadurch erreichte Gewinn
an Zeit wird freilich durch die längere Prozeßdauer an den Landgerichten
wieder ausgeglichen.

Besonders nachteilig für die rasche Prozeßerledigung ist die Größe des
Oberlandesgerichtsbezirks. So dauern bei allen Oberlandesgerichten, die mit
mehr als drei Senaten arbeiten, Naumburg (62,7 Prozent) allein ausgenommen,
die Prozesse besonders lange. Zu diesen gehören: Dresden (54,4 Prozent),
München (52.2 Prozent), Posen (44,8 Prozent), Berlin (37 Prozent), Breslau
(35,5 Prozent), Hamm (35.1 Prozent), Stettin (34,4 Prozent), Köln (18,9 Pro¬
zent). Sehr im argen liegen die Dinge in Köln. Der Grund ist keineswegs, wie
schon erwähnt worden ist, und wie der Hinweis ans Kolmar dartut, wo früher
auch rheinisches Verfahren galt, in der Art des Plädierens allein zu suchen,
sondern darin, daß in dein übergroßen Bezirk die ganze Praxis in den Händen
Weniger ruht. Infolgedessen hüufeu sich die Terminkollisionen, lind durch
diese dem Einzelnen aufgebürdete Arbeitslast wird der ganze Prozeßbetrieb
gelähmt. Übrigens scheint dieser Krankheitszustand in Köln chronisch zu sein.
Schon Otto Bahr berichtet,") daß gegen das Ende der siebziger Jahre, weil
sich bei dem Appellationsgericht Köln die ganze Praxis auf ein paar Anwälte
zusammengedrängt hatte, die Sachen erst nach Jahresfrist verhandelt werden
konnten. Ein andrer Ausweg, als die Teilung des Bezirks, die das Gericht
und die "Überbureaus" entlastet, wird kaum gefunden werden können. Die
Errichtung neuer Senate würde, wie das Beispiel von Hamm zeigt, nicht
sonderlich viel helfen, weil die Terminkvllisionen sich dadurch noch vermehren.
>in Hamm war im Berichtsjahr 1897 der Prozentsatz der erledigten Sachen
31,6, im Berichtsjahr 1899 stieg er infolgedessen nur auf 41,2. Auch in Köln ist
in der letzten Zeit ein neuer Zivilsenat eingerichtet worden. Ein statistischer
Nachweis darüber, ob dadurch ein Fortschritt herbeigeführt worden ist, ist mir
acht zur Hand, nach den Zeitungsberichten scheint dort alles beim alten ge¬
blieben zu sein. Wie erwähnt ist, wird durch die Errichtung neuer Senate
"icht viel erreicht. Ein Radikalmittel ist allein die Teilung der übergroßen
Bezirke, daran scheint man aber nicht gehn zu wollen, wenigstens soll der
Plan, in Düsseldorf ein zweites Oberlandesgericht für die Rheinprovinz zu
errichten, aufgegeben worden sein.




Fassen wir nun zum Schluß das in deu vorhergehenden Zeilen Gesagte
zusammen. Es wurde zunächst geprüft, ob zur Verhütung der Prozeßver-
ichleppungen eine Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Zivil-



') Die Prozeßenquete des Herrn Professor or. Wach. Kassel, 1888. S. 41.
Prozeßverschleppungen

und Nürnberg günstigere Ergebnisse als die andern Oberlaudesgerichtc dieser
Gruppe aufzeigen, hat seinen Grund darin, daß dort alle, hier weitaus die
meisten Oberlaudesgerichtsprozesse aus deu Landgerichten Braunschweig und
Nürnberg stammen und von den Anwälten schon in der ersten Instanz verhandelt
worden sind, diese sich mithin nicht in einen ihnen fremden Stoff für die
Berufungsinstanz erst einzuarbeiten brauchten. Der dadurch erreichte Gewinn
an Zeit wird freilich durch die längere Prozeßdauer an den Landgerichten
wieder ausgeglichen.

Besonders nachteilig für die rasche Prozeßerledigung ist die Größe des
Oberlandesgerichtsbezirks. So dauern bei allen Oberlandesgerichten, die mit
mehr als drei Senaten arbeiten, Naumburg (62,7 Prozent) allein ausgenommen,
die Prozesse besonders lange. Zu diesen gehören: Dresden (54,4 Prozent),
München (52.2 Prozent), Posen (44,8 Prozent), Berlin (37 Prozent), Breslau
(35,5 Prozent), Hamm (35.1 Prozent), Stettin (34,4 Prozent), Köln (18,9 Pro¬
zent). Sehr im argen liegen die Dinge in Köln. Der Grund ist keineswegs, wie
schon erwähnt worden ist, und wie der Hinweis ans Kolmar dartut, wo früher
auch rheinisches Verfahren galt, in der Art des Plädierens allein zu suchen,
sondern darin, daß in dein übergroßen Bezirk die ganze Praxis in den Händen
Weniger ruht. Infolgedessen hüufeu sich die Terminkollisionen, lind durch
diese dem Einzelnen aufgebürdete Arbeitslast wird der ganze Prozeßbetrieb
gelähmt. Übrigens scheint dieser Krankheitszustand in Köln chronisch zu sein.
Schon Otto Bahr berichtet,") daß gegen das Ende der siebziger Jahre, weil
sich bei dem Appellationsgericht Köln die ganze Praxis auf ein paar Anwälte
zusammengedrängt hatte, die Sachen erst nach Jahresfrist verhandelt werden
konnten. Ein andrer Ausweg, als die Teilung des Bezirks, die das Gericht
und die „Überbureaus" entlastet, wird kaum gefunden werden können. Die
Errichtung neuer Senate würde, wie das Beispiel von Hamm zeigt, nicht
sonderlich viel helfen, weil die Terminkvllisionen sich dadurch noch vermehren.
>in Hamm war im Berichtsjahr 1897 der Prozentsatz der erledigten Sachen
31,6, im Berichtsjahr 1899 stieg er infolgedessen nur auf 41,2. Auch in Köln ist
in der letzten Zeit ein neuer Zivilsenat eingerichtet worden. Ein statistischer
Nachweis darüber, ob dadurch ein Fortschritt herbeigeführt worden ist, ist mir
acht zur Hand, nach den Zeitungsberichten scheint dort alles beim alten ge¬
blieben zu sein. Wie erwähnt ist, wird durch die Errichtung neuer Senate
"icht viel erreicht. Ein Radikalmittel ist allein die Teilung der übergroßen
Bezirke, daran scheint man aber nicht gehn zu wollen, wenigstens soll der
Plan, in Düsseldorf ein zweites Oberlandesgericht für die Rheinprovinz zu
errichten, aufgegeben worden sein.




Fassen wir nun zum Schluß das in deu vorhergehenden Zeilen Gesagte
zusammen. Es wurde zunächst geprüft, ob zur Verhütung der Prozeßver-
ichleppungen eine Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Zivil-



') Die Prozeßenquete des Herrn Professor or. Wach. Kassel, 1888. S. 41.
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[0611] Prozeßverschleppungen und Nürnberg günstigere Ergebnisse als die andern Oberlaudesgerichtc dieser Gruppe aufzeigen, hat seinen Grund darin, daß dort alle, hier weitaus die meisten Oberlaudesgerichtsprozesse aus deu Landgerichten Braunschweig und Nürnberg stammen und von den Anwälten schon in der ersten Instanz verhandelt worden sind, diese sich mithin nicht in einen ihnen fremden Stoff für die Berufungsinstanz erst einzuarbeiten brauchten. Der dadurch erreichte Gewinn an Zeit wird freilich durch die längere Prozeßdauer an den Landgerichten wieder ausgeglichen. Besonders nachteilig für die rasche Prozeßerledigung ist die Größe des Oberlandesgerichtsbezirks. So dauern bei allen Oberlandesgerichten, die mit mehr als drei Senaten arbeiten, Naumburg (62,7 Prozent) allein ausgenommen, die Prozesse besonders lange. Zu diesen gehören: Dresden (54,4 Prozent), München (52.2 Prozent), Posen (44,8 Prozent), Berlin (37 Prozent), Breslau (35,5 Prozent), Hamm (35.1 Prozent), Stettin (34,4 Prozent), Köln (18,9 Pro¬ zent). Sehr im argen liegen die Dinge in Köln. Der Grund ist keineswegs, wie schon erwähnt worden ist, und wie der Hinweis ans Kolmar dartut, wo früher auch rheinisches Verfahren galt, in der Art des Plädierens allein zu suchen, sondern darin, daß in dein übergroßen Bezirk die ganze Praxis in den Händen Weniger ruht. Infolgedessen hüufeu sich die Terminkollisionen, lind durch diese dem Einzelnen aufgebürdete Arbeitslast wird der ganze Prozeßbetrieb gelähmt. Übrigens scheint dieser Krankheitszustand in Köln chronisch zu sein. Schon Otto Bahr berichtet,") daß gegen das Ende der siebziger Jahre, weil sich bei dem Appellationsgericht Köln die ganze Praxis auf ein paar Anwälte zusammengedrängt hatte, die Sachen erst nach Jahresfrist verhandelt werden konnten. Ein andrer Ausweg, als die Teilung des Bezirks, die das Gericht und die „Überbureaus" entlastet, wird kaum gefunden werden können. Die Errichtung neuer Senate würde, wie das Beispiel von Hamm zeigt, nicht sonderlich viel helfen, weil die Terminkvllisionen sich dadurch noch vermehren. >in Hamm war im Berichtsjahr 1897 der Prozentsatz der erledigten Sachen 31,6, im Berichtsjahr 1899 stieg er infolgedessen nur auf 41,2. Auch in Köln ist in der letzten Zeit ein neuer Zivilsenat eingerichtet worden. Ein statistischer Nachweis darüber, ob dadurch ein Fortschritt herbeigeführt worden ist, ist mir acht zur Hand, nach den Zeitungsberichten scheint dort alles beim alten ge¬ blieben zu sein. Wie erwähnt ist, wird durch die Errichtung neuer Senate "icht viel erreicht. Ein Radikalmittel ist allein die Teilung der übergroßen Bezirke, daran scheint man aber nicht gehn zu wollen, wenigstens soll der Plan, in Düsseldorf ein zweites Oberlandesgericht für die Rheinprovinz zu errichten, aufgegeben worden sein. Fassen wir nun zum Schluß das in deu vorhergehenden Zeilen Gesagte zusammen. Es wurde zunächst geprüft, ob zur Verhütung der Prozeßver- ichleppungen eine Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Zivil- ') Die Prozeßenquete des Herrn Professor or. Wach. Kassel, 1888. S. 41.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/611>, abgerufen am 24.11.2024.