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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Rußland in Vorderasien

Um die kaukasischen Bahnen von den Transporten nach Turkestan zu
entlasten, ist eine Bahn längs der Wolga von Kamyschün nach Astrachan im
Bau. Endlich ist eine Vervollständigung des kaukasischen Bcchnnetzes durch
die Führung einer Bahn am Ostufer des Schwarzen Meeres von Jekaterinodar
nach Poli geplant. Nach Vollendung dieser Bahnbauten wird Rußlands
Stellung für eiuen Feldzug gegenüber dem heutigen Zustand außerordentlich
verbessert sein. Schon im Jahre 1905 nach dem Bau der Bahn Oreuburg-
Taschkent steht für den transkaukasischem wie für den turkestanischen Aufmarsch
eine selbständige Bahnverbindung zur Verfügung, die wenig Jahre später nach
Vollendung der Schwarze-Meer-Uferbahu und der Wolgabahn eine abermalige
Verdopplung erfahren wird.

Während die Russen in dieser Weise rastlos an der Ausgestaltung ihres
Eisenbahnnetzes nach rückwärts arbeiten, ist es über die russische Grenze hinaus
bis jetzt nur in Persien vorgeschoben worden. In der Türkei haben sich die
Russen die Bcchnkouzession in Anntolien vorbehalten, in Afghanistan spielt ein
Bahnball bisher überhaupt noch keine Rolle. Ein energischer Versuch Englands
oder Rußlands, hier mit Eisenbahnen vvrzugehu, Hütte bei der scharfen Zu¬
spitzung der Gegensätze in Afghanistan für den andern einen Grund zum Kriege
sein müssen. Dieser Gegensatz hat sich in Persien in der jüngsten Vergangenheit
sehr scharf zugespitzt, seit England in dein Bau seiner Bahn vou Quella über
Nuschti durch Beludschistan ein beschleunigtes Tempo eingeschlagen hat.

Die Engländer beabsichtigen, von Quettci an der afghauistan-beludschista-
nischen Grenze entlang über Kirman, Jsfahan nach dem Schad-el-Arad zu
bauen; von hier ab soll die Bahn quer durch die syrisch-arabische Wüste nach
dem Suezkanal gehn. Haben die Engländer diese Bahn fertig, so beherrschen
sie im ganzen südlichen Persien deu Handel und den politische" Einfluß; ein
Fortschreiten Rußlands zum Indischen Meer wäre dann unmöglich. Das
müssen die Russen verhindern, und deshalb bauen sie jetzt eine Gegenbahn, die
sich in Aschabad an die transkaspische Bahn anschließt und längs der persischen
Grenze nach Süden, zunächst in die Landschaft Seistau, führen soll. Diese
Bahn ist bestimmt, neben der Stärkung des politischen Einflusses in Persien
den Russen eine neue Operationslinie für einen zukünftigen Feldzug gegen
Jndien zu verschaffen. Sitzen sie in Seistau fest, so haben sie im Hilmendtcile
eine sehr günstige Vormarschstraße gegen Kandahar, wo den Engländern nicht,
wie weiter im Norden, bei einem russischen Vormarsch über Kabul die Gunst
des Geländes zur Verteidigung ihrer Grenzen zur Seite steht. Der Schwer¬
punkt der Entwicklung liegt also darin, welcher vou den beiden Konkurrenten
mit seiner Bahn zuerst Seistau erreicht, und während in Afghanistan und in
der Türkei die Dinge einen langsamen Verlauf zu nehmen scheinen, kaun es
wohl sein, daß sie hier in Persien zu eiuer raschen Entscheidung dräugen.




Rußland in Vorderasien

Um die kaukasischen Bahnen von den Transporten nach Turkestan zu
entlasten, ist eine Bahn längs der Wolga von Kamyschün nach Astrachan im
Bau. Endlich ist eine Vervollständigung des kaukasischen Bcchnnetzes durch
die Führung einer Bahn am Ostufer des Schwarzen Meeres von Jekaterinodar
nach Poli geplant. Nach Vollendung dieser Bahnbauten wird Rußlands
Stellung für eiuen Feldzug gegenüber dem heutigen Zustand außerordentlich
verbessert sein. Schon im Jahre 1905 nach dem Bau der Bahn Oreuburg-
Taschkent steht für den transkaukasischem wie für den turkestanischen Aufmarsch
eine selbständige Bahnverbindung zur Verfügung, die wenig Jahre später nach
Vollendung der Schwarze-Meer-Uferbahu und der Wolgabahn eine abermalige
Verdopplung erfahren wird.

Während die Russen in dieser Weise rastlos an der Ausgestaltung ihres
Eisenbahnnetzes nach rückwärts arbeiten, ist es über die russische Grenze hinaus
bis jetzt nur in Persien vorgeschoben worden. In der Türkei haben sich die
Russen die Bcchnkouzession in Anntolien vorbehalten, in Afghanistan spielt ein
Bahnball bisher überhaupt noch keine Rolle. Ein energischer Versuch Englands
oder Rußlands, hier mit Eisenbahnen vvrzugehu, Hütte bei der scharfen Zu¬
spitzung der Gegensätze in Afghanistan für den andern einen Grund zum Kriege
sein müssen. Dieser Gegensatz hat sich in Persien in der jüngsten Vergangenheit
sehr scharf zugespitzt, seit England in dein Bau seiner Bahn vou Quella über
Nuschti durch Beludschistan ein beschleunigtes Tempo eingeschlagen hat.

Die Engländer beabsichtigen, von Quettci an der afghauistan-beludschista-
nischen Grenze entlang über Kirman, Jsfahan nach dem Schad-el-Arad zu
bauen; von hier ab soll die Bahn quer durch die syrisch-arabische Wüste nach
dem Suezkanal gehn. Haben die Engländer diese Bahn fertig, so beherrschen
sie im ganzen südlichen Persien deu Handel und den politische« Einfluß; ein
Fortschreiten Rußlands zum Indischen Meer wäre dann unmöglich. Das
müssen die Russen verhindern, und deshalb bauen sie jetzt eine Gegenbahn, die
sich in Aschabad an die transkaspische Bahn anschließt und längs der persischen
Grenze nach Süden, zunächst in die Landschaft Seistau, führen soll. Diese
Bahn ist bestimmt, neben der Stärkung des politischen Einflusses in Persien
den Russen eine neue Operationslinie für einen zukünftigen Feldzug gegen
Jndien zu verschaffen. Sitzen sie in Seistau fest, so haben sie im Hilmendtcile
eine sehr günstige Vormarschstraße gegen Kandahar, wo den Engländern nicht,
wie weiter im Norden, bei einem russischen Vormarsch über Kabul die Gunst
des Geländes zur Verteidigung ihrer Grenzen zur Seite steht. Der Schwer¬
punkt der Entwicklung liegt also darin, welcher vou den beiden Konkurrenten
mit seiner Bahn zuerst Seistau erreicht, und während in Afghanistan und in
der Türkei die Dinge einen langsamen Verlauf zu nehmen scheinen, kaun es
wohl sein, daß sie hier in Persien zu eiuer raschen Entscheidung dräugen.




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[0604] Rußland in Vorderasien Um die kaukasischen Bahnen von den Transporten nach Turkestan zu entlasten, ist eine Bahn längs der Wolga von Kamyschün nach Astrachan im Bau. Endlich ist eine Vervollständigung des kaukasischen Bcchnnetzes durch die Führung einer Bahn am Ostufer des Schwarzen Meeres von Jekaterinodar nach Poli geplant. Nach Vollendung dieser Bahnbauten wird Rußlands Stellung für eiuen Feldzug gegenüber dem heutigen Zustand außerordentlich verbessert sein. Schon im Jahre 1905 nach dem Bau der Bahn Oreuburg- Taschkent steht für den transkaukasischem wie für den turkestanischen Aufmarsch eine selbständige Bahnverbindung zur Verfügung, die wenig Jahre später nach Vollendung der Schwarze-Meer-Uferbahu und der Wolgabahn eine abermalige Verdopplung erfahren wird. Während die Russen in dieser Weise rastlos an der Ausgestaltung ihres Eisenbahnnetzes nach rückwärts arbeiten, ist es über die russische Grenze hinaus bis jetzt nur in Persien vorgeschoben worden. In der Türkei haben sich die Russen die Bcchnkouzession in Anntolien vorbehalten, in Afghanistan spielt ein Bahnball bisher überhaupt noch keine Rolle. Ein energischer Versuch Englands oder Rußlands, hier mit Eisenbahnen vvrzugehu, Hütte bei der scharfen Zu¬ spitzung der Gegensätze in Afghanistan für den andern einen Grund zum Kriege sein müssen. Dieser Gegensatz hat sich in Persien in der jüngsten Vergangenheit sehr scharf zugespitzt, seit England in dein Bau seiner Bahn vou Quella über Nuschti durch Beludschistan ein beschleunigtes Tempo eingeschlagen hat. Die Engländer beabsichtigen, von Quettci an der afghauistan-beludschista- nischen Grenze entlang über Kirman, Jsfahan nach dem Schad-el-Arad zu bauen; von hier ab soll die Bahn quer durch die syrisch-arabische Wüste nach dem Suezkanal gehn. Haben die Engländer diese Bahn fertig, so beherrschen sie im ganzen südlichen Persien deu Handel und den politische« Einfluß; ein Fortschreiten Rußlands zum Indischen Meer wäre dann unmöglich. Das müssen die Russen verhindern, und deshalb bauen sie jetzt eine Gegenbahn, die sich in Aschabad an die transkaspische Bahn anschließt und längs der persischen Grenze nach Süden, zunächst in die Landschaft Seistau, führen soll. Diese Bahn ist bestimmt, neben der Stärkung des politischen Einflusses in Persien den Russen eine neue Operationslinie für einen zukünftigen Feldzug gegen Jndien zu verschaffen. Sitzen sie in Seistau fest, so haben sie im Hilmendtcile eine sehr günstige Vormarschstraße gegen Kandahar, wo den Engländern nicht, wie weiter im Norden, bei einem russischen Vormarsch über Kabul die Gunst des Geländes zur Verteidigung ihrer Grenzen zur Seite steht. Der Schwer¬ punkt der Entwicklung liegt also darin, welcher vou den beiden Konkurrenten mit seiner Bahn zuerst Seistau erreicht, und während in Afghanistan und in der Türkei die Dinge einen langsamen Verlauf zu nehmen scheinen, kaun es wohl sein, daß sie hier in Persien zu eiuer raschen Entscheidung dräugen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/604>, abgerufen am 27.07.2024.