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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Die Vorbereitungszeit des Freiherrn vom Stein

einander verbanden und abrundeten, als Oberpräsidenten mit dem Sitz in
Münster übertragen wurde. Seine sachkundige, feste, dabei wohlwollende Art
empfahl ihn ganz besonders für die schwierige Aufgabe, neue widerwillige
Untertanen in die preußischen Verhältnisse einzugewöhnen. Er tat deshalb
auch alles Mögliche, um die landständische Verfassung dieser Territorien zu
erhalten, aber gerade in dem wichtigsten, in Münster, vermochte er das nicht
durchzusetzen; der dortige Landtag wurde schon im September 1802 geschlossen,
im November 1802 aufgehoben, auch die von Stein empfohlne Bildung einer
ritterschaftlichen Korporation nicht genehmigt. Im übrigen blieb gar nicht die
Zeit, die neuen Verhältnisse zu konsolidieren. Stein mußte es erleben, daß
die unverzeihliche Schwäche seines Königs, Friedrich Wilhelms des Dritten, den
Franzosen erlaubte, sich 1803 in Hannover festzusetzen, dicht an der Nord¬
grenze seines eignen Verwaltungsbezirks, und daß der Herzog von Nassau-
Usingen die in seinem Machtbereich liegenden Steinscheu Güter als gute
Beute ansah. An ihn richtete er den berühmten Brief vom 13. Januar 1804,
der das Todesurteil über die deutschen Kleinstaaten aussprach und in der
Einigung und Verstärkung Preußens und Österreichs die Rettung Deutsch¬
lands, des einzigen Vaterlandes, das der stolze Reichsritter anerkannte, sehen zu
müssen erklärte.

Bald sollte er selbst berufen sein, an entsprechender Stelle für die Zukunft
Preußens und Deutschlands zu arbeiten. Seine Oberpräsidentschaft in Münster
war nur eine kurze Übergangszeit. Schon am 27. Oktober 1804 ernannte ihn
der König zum Minister des Fabriken- und Aecisedepcirtements im General¬
direktorium, modern gesprochen etwa zum Handels- und Finanzminister. So
siedelte er nach Berlin über, in die Mitte der altpreußischen Provinzen.
Schon früher war er mit ihnen persönlich in enge Verbindung getreten, denn
indem er aus Abneigung gegen die französische Herrschaft seine Güter auf den:
linken Rheinufer und aus Besorgnis vor neuen Kriegsunruhen auch einen
Teil seiner rechtsrheinischen Besitzungen verkaufte, erwarb er zu Anfang des
Jahres 1802 die große Herrschaft Birnbaum bei Meseritz an der Wcirthe, trat
also in den Grundadel der Ostprovinzen ein.

Mit der Übernahme des neuen Amts beginnt seine Neformtätigkeit für
den Gesamtstaat; die Jahre nach der Katastrophe von 1800, die Jahre seiner
Miuisterpräsidentschaft 1807/8 haben sie nur fortgesetzt, erweitert und vertieft
auf der Grundlage der Erfahrungen, die er sich seit 1783 in den westlichen
Provinzen erworben hatte. Die Aufhebung der bäuerlichen Erbuntertänigkcit
1807, die Städteordnung 1808, die Reform des ostpreußischen Provinziallandtags
mit Zuziehung von Vertretern der Bauernschaft und der Plan eines allgemeinen
Landtags, endlich die Reform der Zentralverwaltung und das, was nach
Steins Rücktritt seine Nachfolger durchgeführt haben, das hatte sein Vor¬
bild in dem, was Stein in den westlichen Provinzen gesehen, gedacht und
durchgesetzt hatte. Ein Grundzug der deutschen Geschichte, daß die Volksteile
und Landschaften empfangend und gebend einander ergänzen, tritt gerade hier
besonders deutlich hervor. Auch für einen zweiten ist Steins Entwicklung
sinnbildlich. Der kaiserlich gesinnte Ncichsritter, der nur in Deutschland sein


Die Vorbereitungszeit des Freiherrn vom Stein

einander verbanden und abrundeten, als Oberpräsidenten mit dem Sitz in
Münster übertragen wurde. Seine sachkundige, feste, dabei wohlwollende Art
empfahl ihn ganz besonders für die schwierige Aufgabe, neue widerwillige
Untertanen in die preußischen Verhältnisse einzugewöhnen. Er tat deshalb
auch alles Mögliche, um die landständische Verfassung dieser Territorien zu
erhalten, aber gerade in dem wichtigsten, in Münster, vermochte er das nicht
durchzusetzen; der dortige Landtag wurde schon im September 1802 geschlossen,
im November 1802 aufgehoben, auch die von Stein empfohlne Bildung einer
ritterschaftlichen Korporation nicht genehmigt. Im übrigen blieb gar nicht die
Zeit, die neuen Verhältnisse zu konsolidieren. Stein mußte es erleben, daß
die unverzeihliche Schwäche seines Königs, Friedrich Wilhelms des Dritten, den
Franzosen erlaubte, sich 1803 in Hannover festzusetzen, dicht an der Nord¬
grenze seines eignen Verwaltungsbezirks, und daß der Herzog von Nassau-
Usingen die in seinem Machtbereich liegenden Steinscheu Güter als gute
Beute ansah. An ihn richtete er den berühmten Brief vom 13. Januar 1804,
der das Todesurteil über die deutschen Kleinstaaten aussprach und in der
Einigung und Verstärkung Preußens und Österreichs die Rettung Deutsch¬
lands, des einzigen Vaterlandes, das der stolze Reichsritter anerkannte, sehen zu
müssen erklärte.

Bald sollte er selbst berufen sein, an entsprechender Stelle für die Zukunft
Preußens und Deutschlands zu arbeiten. Seine Oberpräsidentschaft in Münster
war nur eine kurze Übergangszeit. Schon am 27. Oktober 1804 ernannte ihn
der König zum Minister des Fabriken- und Aecisedepcirtements im General¬
direktorium, modern gesprochen etwa zum Handels- und Finanzminister. So
siedelte er nach Berlin über, in die Mitte der altpreußischen Provinzen.
Schon früher war er mit ihnen persönlich in enge Verbindung getreten, denn
indem er aus Abneigung gegen die französische Herrschaft seine Güter auf den:
linken Rheinufer und aus Besorgnis vor neuen Kriegsunruhen auch einen
Teil seiner rechtsrheinischen Besitzungen verkaufte, erwarb er zu Anfang des
Jahres 1802 die große Herrschaft Birnbaum bei Meseritz an der Wcirthe, trat
also in den Grundadel der Ostprovinzen ein.

Mit der Übernahme des neuen Amts beginnt seine Neformtätigkeit für
den Gesamtstaat; die Jahre nach der Katastrophe von 1800, die Jahre seiner
Miuisterpräsidentschaft 1807/8 haben sie nur fortgesetzt, erweitert und vertieft
auf der Grundlage der Erfahrungen, die er sich seit 1783 in den westlichen
Provinzen erworben hatte. Die Aufhebung der bäuerlichen Erbuntertänigkcit
1807, die Städteordnung 1808, die Reform des ostpreußischen Provinziallandtags
mit Zuziehung von Vertretern der Bauernschaft und der Plan eines allgemeinen
Landtags, endlich die Reform der Zentralverwaltung und das, was nach
Steins Rücktritt seine Nachfolger durchgeführt haben, das hatte sein Vor¬
bild in dem, was Stein in den westlichen Provinzen gesehen, gedacht und
durchgesetzt hatte. Ein Grundzug der deutschen Geschichte, daß die Volksteile
und Landschaften empfangend und gebend einander ergänzen, tritt gerade hier
besonders deutlich hervor. Auch für einen zweiten ist Steins Entwicklung
sinnbildlich. Der kaiserlich gesinnte Ncichsritter, der nur in Deutschland sein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/596>, abgerufen am 25.11.2024.