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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Die Vorbereitungszeit des Freiherrn vom Stein

die adlichen (seit Friedrich Wilhelm dem Ersten). Die Stunde, in Kleve-Mark
aus einer kleinen, rasch zusammenschwindenden Zahl altadlicher Geschlechter
und den Vertretern von dreizehn Städten, in Bänden und Ravensberg aus¬
schließlich ans Adlichen, in Mörs auch aus bäuerlichen Abgeordneten gebildet,
standen in voller Wirksamkeit, versammelten sich regelmäßig (die klevisch-
märkischen alljährlich), bewilligten nach dem von der Regierung vorgelegten
Steueretat die Kontribution in einer nach dem Bedarf wechselnden Höhe,
hatten Anteil an der Proviuzinlgesetzgebung und ließen in der Zwischenzert
die laufenden Geschäfte durch eine ständische Deputation besorgen. Außerdem
hatte in Kleve-Mark jedes "Amt" seinen ..Erdentag." eine Versammlung der
Ritter, der Rentmeister der Domänen und der Bauern, jedes Kirchspiel seinen
adlich-bäuerlichen "Kirchspieltag" für die Verteilung der Landessteuern und
Beratung der eignen Angelegenheiten (in Kleve namentlich der Deichbauten).
Auch den Städten hatte Friedrich der Große die ihnen von Friedrich Wilhelm
dem Ersten entzogne freie Ratswahl 1765 zurückgegeben. Alles in allem
hatten also diese Provinzen, besonders Kleve-Mark. eine durchgebildete,
lebendige Selbstverwaltung, die alle Stunde mit Gemeinsinn. Eifer, Sach¬
kenntnis und Selbstbewußtsein erfüllte. Deshalb bedeutete hier die im Osten
so wichtige Einteilung in Kreise unter Landräten aus den eingesessener
Rittergutsbesitzern wenig, sie bestand anch nur in Kleve-Mark und auch hier
erst seit 1753.

Das alles entsprach ganz und gnr dem Sinne Steins, und eben deshalb
^ seine Tätigkeit hier so fruchtbar gewesen. Er ordnete schon 1789 durch
Verträge mit den einzelnen Provinzialständen die unklaren und drückenden
Militürverhültnisse so. daß die meisten Landschaften ein bestimmtes jährliches
Kontingent geworbner Freiwilliger zum Heere stellten (Kleve 150 Mann), und
setzte die Ncubefcstiguug von Wesel durch, dessen Werke im siebenjährigen
Kriege als unhaltbar gesprengt worden waren. Er erreichte 1790 im Ein¬
vernehmen mit den Stünden eine Neuordnung der Accise in der Weise, das;
sie uns eine Mahl-, Schlacht- nud Tranksteuer beschränkt wurde, die Gewerbe-
Produkte also freiließ. Den Ausfall deckte eine direkte Gewerbe- und Klassen¬
steuer in den Städten, eine Verbrauchs- und Gewerbesteuer auf dem Lande;
in einem Drittel der Städte wurde auch jene beschränkte Accise als un¬
durchführbar aufgegeben und durch eine direkte Steuer ersetzt. Wo sie bestand.
blieb die Accise der Verwaltung der Städte überlassen. So genossen diese
Provinzen eine fast völlige Gewerbe- und Handelsfreiheit, die wirtschaftlichen
Schranken zwischen Stadt und Land waren hier gefallen. Aber recht frucht¬
bar wurde das doch erst durch die Verbesserung der Verkehrsmittel. Zugleich
mit der Erbauung der ersten preußische-? Kunststraßen von Magdeburg nach
Leipzig und von Berlin nach Potsdam begann und vollendete Stein, unter¬
stützt durch Beitrüge der Stände, königliche Dispositionsgelder und Anleihen,
den Bau zweier Chausseen in der Grafschaft Mark mit einer Gesamtlänge von
22 Meilen; die preußische Post auf diese neuen Linien zu leiten, gelang ihm
freilich noch nicht. Die warme Dankbarkeit seiner Westfalen zeigte Stein, wie
sehr das alles ihren Bedürfnissen und Anschauungen entsprach.


Grenzbmcn III 1903 74
Die Vorbereitungszeit des Freiherrn vom Stein

die adlichen (seit Friedrich Wilhelm dem Ersten). Die Stunde, in Kleve-Mark
aus einer kleinen, rasch zusammenschwindenden Zahl altadlicher Geschlechter
und den Vertretern von dreizehn Städten, in Bänden und Ravensberg aus¬
schließlich ans Adlichen, in Mörs auch aus bäuerlichen Abgeordneten gebildet,
standen in voller Wirksamkeit, versammelten sich regelmäßig (die klevisch-
märkischen alljährlich), bewilligten nach dem von der Regierung vorgelegten
Steueretat die Kontribution in einer nach dem Bedarf wechselnden Höhe,
hatten Anteil an der Proviuzinlgesetzgebung und ließen in der Zwischenzert
die laufenden Geschäfte durch eine ständische Deputation besorgen. Außerdem
hatte in Kleve-Mark jedes „Amt" seinen ..Erdentag." eine Versammlung der
Ritter, der Rentmeister der Domänen und der Bauern, jedes Kirchspiel seinen
adlich-bäuerlichen „Kirchspieltag" für die Verteilung der Landessteuern und
Beratung der eignen Angelegenheiten (in Kleve namentlich der Deichbauten).
Auch den Städten hatte Friedrich der Große die ihnen von Friedrich Wilhelm
dem Ersten entzogne freie Ratswahl 1765 zurückgegeben. Alles in allem
hatten also diese Provinzen, besonders Kleve-Mark. eine durchgebildete,
lebendige Selbstverwaltung, die alle Stunde mit Gemeinsinn. Eifer, Sach¬
kenntnis und Selbstbewußtsein erfüllte. Deshalb bedeutete hier die im Osten
so wichtige Einteilung in Kreise unter Landräten aus den eingesessener
Rittergutsbesitzern wenig, sie bestand anch nur in Kleve-Mark und auch hier
erst seit 1753.

Das alles entsprach ganz und gnr dem Sinne Steins, und eben deshalb
^ seine Tätigkeit hier so fruchtbar gewesen. Er ordnete schon 1789 durch
Verträge mit den einzelnen Provinzialständen die unklaren und drückenden
Militürverhültnisse so. daß die meisten Landschaften ein bestimmtes jährliches
Kontingent geworbner Freiwilliger zum Heere stellten (Kleve 150 Mann), und
setzte die Ncubefcstiguug von Wesel durch, dessen Werke im siebenjährigen
Kriege als unhaltbar gesprengt worden waren. Er erreichte 1790 im Ein¬
vernehmen mit den Stünden eine Neuordnung der Accise in der Weise, das;
sie uns eine Mahl-, Schlacht- nud Tranksteuer beschränkt wurde, die Gewerbe-
Produkte also freiließ. Den Ausfall deckte eine direkte Gewerbe- und Klassen¬
steuer in den Städten, eine Verbrauchs- und Gewerbesteuer auf dem Lande;
in einem Drittel der Städte wurde auch jene beschränkte Accise als un¬
durchführbar aufgegeben und durch eine direkte Steuer ersetzt. Wo sie bestand.
blieb die Accise der Verwaltung der Städte überlassen. So genossen diese
Provinzen eine fast völlige Gewerbe- und Handelsfreiheit, die wirtschaftlichen
Schranken zwischen Stadt und Land waren hier gefallen. Aber recht frucht¬
bar wurde das doch erst durch die Verbesserung der Verkehrsmittel. Zugleich
mit der Erbauung der ersten preußische-? Kunststraßen von Magdeburg nach
Leipzig und von Berlin nach Potsdam begann und vollendete Stein, unter¬
stützt durch Beitrüge der Stände, königliche Dispositionsgelder und Anleihen,
den Bau zweier Chausseen in der Grafschaft Mark mit einer Gesamtlänge von
22 Meilen; die preußische Post auf diese neuen Linien zu leiten, gelang ihm
freilich noch nicht. Die warme Dankbarkeit seiner Westfalen zeigte Stein, wie
sehr das alles ihren Bedürfnissen und Anschauungen entsprach.


Grenzbmcn III 1903 74
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/593>, abgerufen am 23.11.2024.