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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Die vorbereiwugszeit dos Freiherrn vom Stein

tober 1757, auf. Sein Vater, häusig abwesend und keine hervorragende Per¬
sönlichkeit, scheint wenig Einfluß auf die Erziehung seiner vier Söhne geübt
zu haben, um so größern die geistvolle, energische, lebensprühende und vielseitig
gebildete Mutter Karoline Langwerth von Simmern, eine der bedeutenden
Frauen dieser an solchen so reichen Zeit. Der längst stark verschuldete Familien¬
besitz des Hauses nötigte die Söhne, in fürstliche Dienste zu gehn, aber nur
einer wandte sich nach Österreich, wo so viele Herren des katholischen Reichs¬
adels einflußreiche Stellungen fanden. Der älteste, Johann Friedrich, nahm
holländische, der jüngste, Ludwig Gottfried, württembergische Kriegsdienste.
Auch der dritte, Karl, wurde für den Eintritt in den Staatsdienst, zunächst
durch eine rein häusliche Ausbildung, vorbereitet.

Er war noch nicht sechzehn Jahre alt, als er hinlänglich gereift erschien,
zu Michaelis 1773 die Universität Göttingen zu beziehn, in der Tat schon
ein in sich gefestigter Charakter, von stolzem Selbstgefühl und festem, oft
schroffem Urteil. Sogar die Handschrift des Jünglings unterscheidet sich wenig
von der des fertigen Mannes. Die von ihm gewählte Hochschule war damals
bekanntlich für Staatswissenschaften und Geschichte die erste Deutschlands, und
ihre Lehrer standen nicht auf dem Boden des Absolutismus, sondern eher des
ständischen Staats, wozu die nahe Verbindung Hannovers und dem parlamen¬
tarischen England das ihrige beitragen mochte. Für England zeigte denn
auch der junge Freiherr früh ein lebhaftes Interesse. Seine Freunde suchte
er sich unter gleichgesinnten und gleichstrebenden Jünglingen; mit dem spätern
langjährigen tatsächlichen Leiter Hannovers, Rehberg, trat er schon damals in
nahe Beziehungen, die beide lange Jahre verbanden; an den poetischen Be¬
strebungen der Hainbündler nahm er dagegen keinen Anteil. Als er zu Ostern
1777 Göttingen verließ, begab er sich nach Wetzlar und trat hier am 39. Mai,
wie Goethe fünf Jahre früher, als Praktikant am Reichskammergericht ein,
begann also die Laufbahn, die ihn in den Reichsdienst führen zu müssen schien-
Eine Reise durch Süddeutschland und durch einige Provinzen Frankreichs im
Frühjahr 1778 sollte die bisherige theoretische Bildung ergänzen. Aber als er
nach Regensburg kam, um dort den Reichstag kennen zu lernen, faßte er,
eben als Friedrich der Große im Bayrischen Erbfolgekriege wieder die Waffen
gegen den Kaiser erhoben hatte, den auffallenden Entschluß, in die Dienste
Preußens zu treten. Nach seinem eignen Geständnis war das Entscheidende
dabei die Verehrung für den König und seine konservative Gesinnung, der
Friedrich damals, indem er für die Erhaltung Bayerns eintrat, als der Ver¬
fechter des Bestehenden gegen österreichische Umwälzungspläne erschien. Die
Mutter unterstützte deu ihr zunächst nicht genehmen Wunsch des Sohnes durch
ein hohe Verehrung atmendes Schreiben an den König vom 9. Januar 1779,
auf das dieser umgehend und prinzipiell zustimmend noch von Breslau aus
antwortete; indes setzte Stein seine Reise noch weiter nach Österreich, Steier-
mark und Ungarn fort und traf erst im Februar 1780 in Berlin ein. Welche
Hoffnungen die Familie schon damals auf ihn setzte, zeigt sich darin, daß sie
ihn 1779 mit Übergehung der beiden ältern Söhne förmlich zum Haupte des
Hauses, zum "Stammhalter" erhob, nachdem der kränkelnde Vater schon 1774


Die vorbereiwugszeit dos Freiherrn vom Stein

tober 1757, auf. Sein Vater, häusig abwesend und keine hervorragende Per¬
sönlichkeit, scheint wenig Einfluß auf die Erziehung seiner vier Söhne geübt
zu haben, um so größern die geistvolle, energische, lebensprühende und vielseitig
gebildete Mutter Karoline Langwerth von Simmern, eine der bedeutenden
Frauen dieser an solchen so reichen Zeit. Der längst stark verschuldete Familien¬
besitz des Hauses nötigte die Söhne, in fürstliche Dienste zu gehn, aber nur
einer wandte sich nach Österreich, wo so viele Herren des katholischen Reichs¬
adels einflußreiche Stellungen fanden. Der älteste, Johann Friedrich, nahm
holländische, der jüngste, Ludwig Gottfried, württembergische Kriegsdienste.
Auch der dritte, Karl, wurde für den Eintritt in den Staatsdienst, zunächst
durch eine rein häusliche Ausbildung, vorbereitet.

Er war noch nicht sechzehn Jahre alt, als er hinlänglich gereift erschien,
zu Michaelis 1773 die Universität Göttingen zu beziehn, in der Tat schon
ein in sich gefestigter Charakter, von stolzem Selbstgefühl und festem, oft
schroffem Urteil. Sogar die Handschrift des Jünglings unterscheidet sich wenig
von der des fertigen Mannes. Die von ihm gewählte Hochschule war damals
bekanntlich für Staatswissenschaften und Geschichte die erste Deutschlands, und
ihre Lehrer standen nicht auf dem Boden des Absolutismus, sondern eher des
ständischen Staats, wozu die nahe Verbindung Hannovers und dem parlamen¬
tarischen England das ihrige beitragen mochte. Für England zeigte denn
auch der junge Freiherr früh ein lebhaftes Interesse. Seine Freunde suchte
er sich unter gleichgesinnten und gleichstrebenden Jünglingen; mit dem spätern
langjährigen tatsächlichen Leiter Hannovers, Rehberg, trat er schon damals in
nahe Beziehungen, die beide lange Jahre verbanden; an den poetischen Be¬
strebungen der Hainbündler nahm er dagegen keinen Anteil. Als er zu Ostern
1777 Göttingen verließ, begab er sich nach Wetzlar und trat hier am 39. Mai,
wie Goethe fünf Jahre früher, als Praktikant am Reichskammergericht ein,
begann also die Laufbahn, die ihn in den Reichsdienst führen zu müssen schien-
Eine Reise durch Süddeutschland und durch einige Provinzen Frankreichs im
Frühjahr 1778 sollte die bisherige theoretische Bildung ergänzen. Aber als er
nach Regensburg kam, um dort den Reichstag kennen zu lernen, faßte er,
eben als Friedrich der Große im Bayrischen Erbfolgekriege wieder die Waffen
gegen den Kaiser erhoben hatte, den auffallenden Entschluß, in die Dienste
Preußens zu treten. Nach seinem eignen Geständnis war das Entscheidende
dabei die Verehrung für den König und seine konservative Gesinnung, der
Friedrich damals, indem er für die Erhaltung Bayerns eintrat, als der Ver¬
fechter des Bestehenden gegen österreichische Umwälzungspläne erschien. Die
Mutter unterstützte deu ihr zunächst nicht genehmen Wunsch des Sohnes durch
ein hohe Verehrung atmendes Schreiben an den König vom 9. Januar 1779,
auf das dieser umgehend und prinzipiell zustimmend noch von Breslau aus
antwortete; indes setzte Stein seine Reise noch weiter nach Österreich, Steier-
mark und Ungarn fort und traf erst im Februar 1780 in Berlin ein. Welche
Hoffnungen die Familie schon damals auf ihn setzte, zeigt sich darin, daß sie
ihn 1779 mit Übergehung der beiden ältern Söhne förmlich zum Haupte des
Hauses, zum „Stammhalter" erhob, nachdem der kränkelnde Vater schon 1774


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/590>, abgerufen am 27.11.2024.