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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Der Marquis von Marigny

New, dieses ist das beste, das ich besitze.

Gut, so nehmen Sie das! Und wann können Sie mit dem Bilde beginnen?

Wann es Ihnen beliebt. Ich habe heute zufällig Zeit, und wenn Sie mir
jetzt gleich die erste Sitzung gewähren würden, so könnten wir ohne Verzug an¬
fangen.

Mit Vergnügen. Ich bin bereit. Kann ich so sitzen bleiben?

Lassen Sie mich einmal sehe"! Villeroi betrachtete Marigny, als sei es das
allererste mal, das; er den alten Herrn zu Gesicht bekommen habe. Er trat bald
etwas vor, bald zurück, fixierte ihn von vorn und von der Seite, benutzte die hohle
Hand als Perspektiv und sagte endlich: Sie können diese Stellung beibehalten.
Ihr Kopf macht sich im Profil um besten.

Während Villeroi einen Bogen grobes Papier auf ein Reißbrett spannte und
seine Stifte spitzte -- er Pflegte jedesmal zuerst eine Aufnahme in Lebensgröße zu
machen und diese flüchtige aber meist sehr charakteristische Skizze dem Miniatur-
gemälde zu Grunde zu legen --, hatte der Marquis Zeit, sich in dem kleinen Ge¬
mache ein wenig umzusehen. Die Einrichtung war die allereinfachste. Ein Tisch,
ein paar Mannheimer Stühle, ein Eckschränkchen, das Henris Malgerät barg, und
darauf ein Korb mit Nähzeug -- das war so ziemlich alles. An der Wand hing
ein Bild, ein großes ungerahmtes Blatt, mit vier Nägeln an die blau getünchte
Mauer befestigt: eine Ansicht des Schlosses zu Aigremont, wie sie Villeroi aus der
Erinnerung entworfen haben mochte.

Dem alten Herrn wurde es beim Anblick dieses Bildes seltsam genug zu
Mute, und mehr als einmal, wenn er in Gedanken verloren den Blick hinüber¬
schweifen ließ, mußte Henri, der, das Reißbrett ans den Knieen, vor ihm saß, die
Worte an ihn richten: Bitte, den Kopf ein klein wenig mehr nach rechts!

Die erste Sitzung war bei der Schnelligkeit, mit der Villeroi den Stift hand¬
habte, bald beendet, und Maler und Modell trennten sich mit derselben kühlen
Förmlichkeit, die sie während ihres Beisammenseins beobachtet hatten. Marigny
versprach, sich am übernächsten Tage wieder einzufinden.

Und pünktlich zur verabredeten Stunde stieg er wieder die sandbestrente
Stiege empor. Hatte er bei seinem ersten Besuch in der Weisergafse die Hoffnung
gehegt, er werde seine Tochter zu Gesicht bekommen, so rechnete er jetzt, da er zum
zweitenmal an die Tür pochte, mit Bestimmtheit darauf, Marguerite werde ihm
selbst offnem Sie mußte ja wissen, wer es war, der jetzt mit gleichmütigem Antlitz
und klopfendem Herzen an der Schwelle ihres Heims stand, und der -- ach, wie
gern! -- ein paar Jahre seines Lebens dafür hingegeben hätte, wenn er sie,
seine Verlorne und verleugnete Tochter -- aber trotz allem seine Tochter! -- noch
ein einzigesmal hätte sehen dürfen. Drinnen ließen sich schlürfende Schritte ver¬
nehmen. Nein, das war nicht Margnerites leichter Fuß! Oder lasteten etwa Sorge
und Not so schwer auf ihren jungen Schultern, daß sie sich müde und gebrochen
und jener Anmut bar, die das väterliche Auge so oft entzückt hatte und in der
Erinnerung noch heute entzückte, dahinschleppen mußte?

Eine grobknochige Frau von unbestimmbaren Alter tat ihn, auf. Sie trug
eine Schürze, die ihre Vorderseite vom Halse bis zu den Füßen vollständig ver¬
hüllte, und auf dem Kopfe eine gewaltige Flügelhaube, die einem Schmetterlinge
glich, der soeben seine Puppenhülle verlassen hat und nun die ersten ungeschickten
Versuche macht, seine Schwingen zu gebrauchen. Überraschender noch als die Er¬
scheinung dieser Frau war der Duft, der von ihr ausging: ein seltsames Gemisch
von Kampfer, Lavendel und Kannten. Sie sah den Herrn an der Tür durch die
runden Gläser ihrer Hornbrille prüfend an und stellte in einer Mundart, die er
nicht verstand, eine Frage an ihn. Als er in deutscher Sprache, so gut er es ver¬
mochte, erklärte, er wünsche zu Herrn von Villeroi geführt zu werden, schien der
Schmetterling aufstiege" zu wollen, so energisch wurde der Kops geschüttelt, der
ihm zum Sitze diente.


Grenzboten III 1ö03 7
Der Marquis von Marigny

New, dieses ist das beste, das ich besitze.

Gut, so nehmen Sie das! Und wann können Sie mit dem Bilde beginnen?

Wann es Ihnen beliebt. Ich habe heute zufällig Zeit, und wenn Sie mir
jetzt gleich die erste Sitzung gewähren würden, so könnten wir ohne Verzug an¬
fangen.

Mit Vergnügen. Ich bin bereit. Kann ich so sitzen bleiben?

Lassen Sie mich einmal sehe»! Villeroi betrachtete Marigny, als sei es das
allererste mal, das; er den alten Herrn zu Gesicht bekommen habe. Er trat bald
etwas vor, bald zurück, fixierte ihn von vorn und von der Seite, benutzte die hohle
Hand als Perspektiv und sagte endlich: Sie können diese Stellung beibehalten.
Ihr Kopf macht sich im Profil um besten.

Während Villeroi einen Bogen grobes Papier auf ein Reißbrett spannte und
seine Stifte spitzte — er Pflegte jedesmal zuerst eine Aufnahme in Lebensgröße zu
machen und diese flüchtige aber meist sehr charakteristische Skizze dem Miniatur-
gemälde zu Grunde zu legen —, hatte der Marquis Zeit, sich in dem kleinen Ge¬
mache ein wenig umzusehen. Die Einrichtung war die allereinfachste. Ein Tisch,
ein paar Mannheimer Stühle, ein Eckschränkchen, das Henris Malgerät barg, und
darauf ein Korb mit Nähzeug — das war so ziemlich alles. An der Wand hing
ein Bild, ein großes ungerahmtes Blatt, mit vier Nägeln an die blau getünchte
Mauer befestigt: eine Ansicht des Schlosses zu Aigremont, wie sie Villeroi aus der
Erinnerung entworfen haben mochte.

Dem alten Herrn wurde es beim Anblick dieses Bildes seltsam genug zu
Mute, und mehr als einmal, wenn er in Gedanken verloren den Blick hinüber¬
schweifen ließ, mußte Henri, der, das Reißbrett ans den Knieen, vor ihm saß, die
Worte an ihn richten: Bitte, den Kopf ein klein wenig mehr nach rechts!

Die erste Sitzung war bei der Schnelligkeit, mit der Villeroi den Stift hand¬
habte, bald beendet, und Maler und Modell trennten sich mit derselben kühlen
Förmlichkeit, die sie während ihres Beisammenseins beobachtet hatten. Marigny
versprach, sich am übernächsten Tage wieder einzufinden.

Und pünktlich zur verabredeten Stunde stieg er wieder die sandbestrente
Stiege empor. Hatte er bei seinem ersten Besuch in der Weisergafse die Hoffnung
gehegt, er werde seine Tochter zu Gesicht bekommen, so rechnete er jetzt, da er zum
zweitenmal an die Tür pochte, mit Bestimmtheit darauf, Marguerite werde ihm
selbst offnem Sie mußte ja wissen, wer es war, der jetzt mit gleichmütigem Antlitz
und klopfendem Herzen an der Schwelle ihres Heims stand, und der — ach, wie
gern! — ein paar Jahre seines Lebens dafür hingegeben hätte, wenn er sie,
seine Verlorne und verleugnete Tochter — aber trotz allem seine Tochter! — noch
ein einzigesmal hätte sehen dürfen. Drinnen ließen sich schlürfende Schritte ver¬
nehmen. Nein, das war nicht Margnerites leichter Fuß! Oder lasteten etwa Sorge
und Not so schwer auf ihren jungen Schultern, daß sie sich müde und gebrochen
und jener Anmut bar, die das väterliche Auge so oft entzückt hatte und in der
Erinnerung noch heute entzückte, dahinschleppen mußte?

Eine grobknochige Frau von unbestimmbaren Alter tat ihn, auf. Sie trug
eine Schürze, die ihre Vorderseite vom Halse bis zu den Füßen vollständig ver¬
hüllte, und auf dem Kopfe eine gewaltige Flügelhaube, die einem Schmetterlinge
glich, der soeben seine Puppenhülle verlassen hat und nun die ersten ungeschickten
Versuche macht, seine Schwingen zu gebrauchen. Überraschender noch als die Er¬
scheinung dieser Frau war der Duft, der von ihr ausging: ein seltsames Gemisch
von Kampfer, Lavendel und Kannten. Sie sah den Herrn an der Tür durch die
runden Gläser ihrer Hornbrille prüfend an und stellte in einer Mundart, die er
nicht verstand, eine Frage an ihn. Als er in deutscher Sprache, so gut er es ver¬
mochte, erklärte, er wünsche zu Herrn von Villeroi geführt zu werden, schien der
Schmetterling aufstiege» zu wollen, so energisch wurde der Kops geschüttelt, der
ihm zum Sitze diente.


Grenzboten III 1ö03 7
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[0057] Der Marquis von Marigny New, dieses ist das beste, das ich besitze. Gut, so nehmen Sie das! Und wann können Sie mit dem Bilde beginnen? Wann es Ihnen beliebt. Ich habe heute zufällig Zeit, und wenn Sie mir jetzt gleich die erste Sitzung gewähren würden, so könnten wir ohne Verzug an¬ fangen. Mit Vergnügen. Ich bin bereit. Kann ich so sitzen bleiben? Lassen Sie mich einmal sehe»! Villeroi betrachtete Marigny, als sei es das allererste mal, das; er den alten Herrn zu Gesicht bekommen habe. Er trat bald etwas vor, bald zurück, fixierte ihn von vorn und von der Seite, benutzte die hohle Hand als Perspektiv und sagte endlich: Sie können diese Stellung beibehalten. Ihr Kopf macht sich im Profil um besten. Während Villeroi einen Bogen grobes Papier auf ein Reißbrett spannte und seine Stifte spitzte — er Pflegte jedesmal zuerst eine Aufnahme in Lebensgröße zu machen und diese flüchtige aber meist sehr charakteristische Skizze dem Miniatur- gemälde zu Grunde zu legen —, hatte der Marquis Zeit, sich in dem kleinen Ge¬ mache ein wenig umzusehen. Die Einrichtung war die allereinfachste. Ein Tisch, ein paar Mannheimer Stühle, ein Eckschränkchen, das Henris Malgerät barg, und darauf ein Korb mit Nähzeug — das war so ziemlich alles. An der Wand hing ein Bild, ein großes ungerahmtes Blatt, mit vier Nägeln an die blau getünchte Mauer befestigt: eine Ansicht des Schlosses zu Aigremont, wie sie Villeroi aus der Erinnerung entworfen haben mochte. Dem alten Herrn wurde es beim Anblick dieses Bildes seltsam genug zu Mute, und mehr als einmal, wenn er in Gedanken verloren den Blick hinüber¬ schweifen ließ, mußte Henri, der, das Reißbrett ans den Knieen, vor ihm saß, die Worte an ihn richten: Bitte, den Kopf ein klein wenig mehr nach rechts! Die erste Sitzung war bei der Schnelligkeit, mit der Villeroi den Stift hand¬ habte, bald beendet, und Maler und Modell trennten sich mit derselben kühlen Förmlichkeit, die sie während ihres Beisammenseins beobachtet hatten. Marigny versprach, sich am übernächsten Tage wieder einzufinden. Und pünktlich zur verabredeten Stunde stieg er wieder die sandbestrente Stiege empor. Hatte er bei seinem ersten Besuch in der Weisergafse die Hoffnung gehegt, er werde seine Tochter zu Gesicht bekommen, so rechnete er jetzt, da er zum zweitenmal an die Tür pochte, mit Bestimmtheit darauf, Marguerite werde ihm selbst offnem Sie mußte ja wissen, wer es war, der jetzt mit gleichmütigem Antlitz und klopfendem Herzen an der Schwelle ihres Heims stand, und der — ach, wie gern! — ein paar Jahre seines Lebens dafür hingegeben hätte, wenn er sie, seine Verlorne und verleugnete Tochter — aber trotz allem seine Tochter! — noch ein einzigesmal hätte sehen dürfen. Drinnen ließen sich schlürfende Schritte ver¬ nehmen. Nein, das war nicht Margnerites leichter Fuß! Oder lasteten etwa Sorge und Not so schwer auf ihren jungen Schultern, daß sie sich müde und gebrochen und jener Anmut bar, die das väterliche Auge so oft entzückt hatte und in der Erinnerung noch heute entzückte, dahinschleppen mußte? Eine grobknochige Frau von unbestimmbaren Alter tat ihn, auf. Sie trug eine Schürze, die ihre Vorderseite vom Halse bis zu den Füßen vollständig ver¬ hüllte, und auf dem Kopfe eine gewaltige Flügelhaube, die einem Schmetterlinge glich, der soeben seine Puppenhülle verlassen hat und nun die ersten ungeschickten Versuche macht, seine Schwingen zu gebrauchen. Überraschender noch als die Er¬ scheinung dieser Frau war der Duft, der von ihr ausging: ein seltsames Gemisch von Kampfer, Lavendel und Kannten. Sie sah den Herrn an der Tür durch die runden Gläser ihrer Hornbrille prüfend an und stellte in einer Mundart, die er nicht verstand, eine Frage an ihn. Als er in deutscher Sprache, so gut er es ver¬ mochte, erklärte, er wünsche zu Herrn von Villeroi geführt zu werden, schien der Schmetterling aufstiege» zu wollen, so energisch wurde der Kops geschüttelt, der ihm zum Sitze diente. Grenzboten III 1ö03 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/57>, abgerufen am 01.09.2024.