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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Aus der Jugendzeit

der Klippschule und später als Glied des Gymnas.alchors ^f den hohen Or^^Von dor sangen die 5Aippschüler einen Teil der Re ponsonen bei d Lo.rgie
An Festtage., aber führte der Chor des Gymnasiums dort mit Beg ng d .
städtischen Mnsikchors eine for.nuche Kantate "uf oder sang ""es an g wisf^tagen eine Motette, Dazu hatte sich dann der Mus.kdirektor des Gy sinus^ der
die Kirchenmusik leitete, noch die frischen Stimmen einiger Madchen ans der höheren
Töchterschule gesichert. Diese mit ihren neuen Weihnachtsmanteln und Hüten, wi
Jungen in unsern neuen Anzügen/ die Musiker mit ihren Instrumenten fa de
sich dann am Weihnachtsmorgen pünktlich ans dem Orgelchor zusammen Metze
kletterte regelmäßig der städtische Musikdirektor David Rose em ungewöhnlich d er
Mann und ebenso ungewöhnlich guter Musikus. keuchend dre steZe Chore^hinauf und begrüßte uns oben aufatmend mit eme.n freundlichen Guten Morgen
-"'genehme Maikü le heute, zwölf Grad unter Null. Rean.nnr^ ^egen d Nahe
des Harzes pflegt es im W meer ohnehin in meiner Vaterstadt recht kalt zu sem.
und Zu Weihnachten haben wir oben auf dem Orgelchor oft weidlich gefroren
Aber der Feststim mung tat das keinen Eintrag, und von K'reden he.z^noch keine Rede. Wenn wir dann mit der vollzählig versammelten eint "n
der gewaltigen Begleitung der schönen Orgel oder abwechse ut .... er P armen^begleitung der Stadt.nnsik sangen: Dies ist der Tag. den Gott gemacht, sen w d
w aller Welt gedacht, so hatten wir einen großen Eindrnck von Weihnachten auch
dann, wenn die Predigt uns nicht gerade am Herzen packte. Daß sie das getan
hätte, kann mau ..icht behaupte... Vor unfern. Herrn Snpperdenten Mer w '
nichtsdestmveniger g walt gen Respekt. Auf die Predigt mußten wir scharf auf¬
passen. Zuhause s/agte mein Vater, mochte er selbst in der Kirche gewesen em
oder nicht, regelmäßig nach Text und Thema. Schon früh habe ich mich deshalb
daran gewohnt, mir die Disposition der gehörten Predigt zu merken und aufzu¬
schreiben. Mein Vater hielt von den Predigten unsers würdigen Superintendenten
sehr viel. Er pflegte ihn zuhause ,.deu Meister" zu nennen und meinte, neben
ihm seien die andern Prediger der Stadt höchstens ..Gesellen." Wenn mem Vater
aus der Kirche kam, und die Mutter ihn fragte: Nun, wie hat der Herr Super¬
intendent gepredigt? war seine regelmäßige Antwort: Ausgezeichnet, wie immer.
Niemand hat unter acht Groschen in den Klingcbentel gegeben. Er wußte recht
gut. daß der Ertrag des Klingebeutels nicht dem Geistlichen zufloß, ja er war
sogar ein geschworner Feind des Klingebeutels und kämpfte für dessen Abschaffung
und Ersetzung durch eine Beckensammlung an der Kirchtür, solange er lebte. Das
hinderte ihn aber nicht, seine Wertschätzung der Predigt regelmäßig durch die lau¬
nige Wendnnq auszudrücken: "Keiner unter acht Groschen."

Die Vormittagskirche danerte bis halb elf Uhr. Um zwölf Uhr wurde zu
Mittag gegessen und um ein Uhr mußten wir Kinder wieder in die Nach.mttags-
kirche. die uns manchmal recht sauer wurde. Nach der Kirche gab es zuhause um
drei Uhr Kaffee und Kuchen, und zwar an den Festtagen Mandelkuchen, der Mir
nie und nirgends wieder fo gut geschmeckt hat wie im Vaterhause. Nachher
wurden die Vettern und Freunde besucht und deren Weihnachtsbescherungen an¬
gesehen. Abends nach Tisch wurden die Lichter des Weihnachtsbaumes nochmals
angezündet.

Am zweiten Festtage Nachmittags brauchten wir nicht zur Kirche zu geh...
Dieser vierte Festgottesdieust galt als ausschließlich für solche bestimmt, die vorher
für den Kirchgang keine Zeit gefunden hatten. Wir fuhren regelmäßig am Nach¬
mittage des zweiten Feiertags nach Ballenstedt, je nach Wetter und Weg entweder
Zu Wagen, oder was natürlich der Höhepunkt des Vergnügens war, zu Schlitten.
Dann fuhren wir nicht den einsamen Feldweg über den Zchling, den ich bei meinen
Fußwanderungen nach Ballenstedt einzuschlagen Pflegte, sondern auf der von zahl¬
reichen Schlitten belebten Chaussee sausten wir über das anhaltische Dorf Niedermit lauten. Schellengeläute -- je lauter, desto bester -- in wenig mehr als einer


Grenzboten III 1903 69
Aus der Jugendzeit

der Klippschule und später als Glied des Gymnas.alchors ^f den hohen Or^^Von dor sangen die 5Aippschüler einen Teil der Re ponsonen bei d Lo.rgie
An Festtage., aber führte der Chor des Gymnasiums dort mit Beg ng d .
städtischen Mnsikchors eine for.nuche Kantate »uf oder sang ""es an g wisf^tagen eine Motette, Dazu hatte sich dann der Mus.kdirektor des Gy sinus^ der
die Kirchenmusik leitete, noch die frischen Stimmen einiger Madchen ans der höheren
Töchterschule gesichert. Diese mit ihren neuen Weihnachtsmanteln und Hüten, wi
Jungen in unsern neuen Anzügen/ die Musiker mit ihren Instrumenten fa de
sich dann am Weihnachtsmorgen pünktlich ans dem Orgelchor zusammen Metze
kletterte regelmäßig der städtische Musikdirektor David Rose em ungewöhnlich d er
Mann und ebenso ungewöhnlich guter Musikus. keuchend dre steZe Chore^hinauf und begrüßte uns oben aufatmend mit eme.n freundlichen Guten Morgen
-"'genehme Maikü le heute, zwölf Grad unter Null. Rean.nnr^ ^egen d Nahe
des Harzes pflegt es im W meer ohnehin in meiner Vaterstadt recht kalt zu sem.
und Zu Weihnachten haben wir oben auf dem Orgelchor oft weidlich gefroren
Aber der Feststim mung tat das keinen Eintrag, und von K'reden he.z^noch keine Rede. Wenn wir dann mit der vollzählig versammelten eint "n
der gewaltigen Begleitung der schönen Orgel oder abwechse ut .... er P armen^begleitung der Stadt.nnsik sangen: Dies ist der Tag. den Gott gemacht, sen w d
w aller Welt gedacht, so hatten wir einen großen Eindrnck von Weihnachten auch
dann, wenn die Predigt uns nicht gerade am Herzen packte. Daß sie das getan
hätte, kann mau ..icht behaupte... Vor unfern. Herrn Snpperdenten Mer w '
nichtsdestmveniger g walt gen Respekt. Auf die Predigt mußten wir scharf auf¬
passen. Zuhause s/agte mein Vater, mochte er selbst in der Kirche gewesen em
oder nicht, regelmäßig nach Text und Thema. Schon früh habe ich mich deshalb
daran gewohnt, mir die Disposition der gehörten Predigt zu merken und aufzu¬
schreiben. Mein Vater hielt von den Predigten unsers würdigen Superintendenten
sehr viel. Er pflegte ihn zuhause ,.deu Meister" zu nennen und meinte, neben
ihm seien die andern Prediger der Stadt höchstens ..Gesellen." Wenn mem Vater
aus der Kirche kam, und die Mutter ihn fragte: Nun, wie hat der Herr Super¬
intendent gepredigt? war seine regelmäßige Antwort: Ausgezeichnet, wie immer.
Niemand hat unter acht Groschen in den Klingcbentel gegeben. Er wußte recht
gut. daß der Ertrag des Klingebeutels nicht dem Geistlichen zufloß, ja er war
sogar ein geschworner Feind des Klingebeutels und kämpfte für dessen Abschaffung
und Ersetzung durch eine Beckensammlung an der Kirchtür, solange er lebte. Das
hinderte ihn aber nicht, seine Wertschätzung der Predigt regelmäßig durch die lau¬
nige Wendnnq auszudrücken: „Keiner unter acht Groschen."

Die Vormittagskirche danerte bis halb elf Uhr. Um zwölf Uhr wurde zu
Mittag gegessen und um ein Uhr mußten wir Kinder wieder in die Nach.mttags-
kirche. die uns manchmal recht sauer wurde. Nach der Kirche gab es zuhause um
drei Uhr Kaffee und Kuchen, und zwar an den Festtagen Mandelkuchen, der Mir
nie und nirgends wieder fo gut geschmeckt hat wie im Vaterhause. Nachher
wurden die Vettern und Freunde besucht und deren Weihnachtsbescherungen an¬
gesehen. Abends nach Tisch wurden die Lichter des Weihnachtsbaumes nochmals
angezündet.

Am zweiten Festtage Nachmittags brauchten wir nicht zur Kirche zu geh...
Dieser vierte Festgottesdieust galt als ausschließlich für solche bestimmt, die vorher
für den Kirchgang keine Zeit gefunden hatten. Wir fuhren regelmäßig am Nach¬
mittage des zweiten Feiertags nach Ballenstedt, je nach Wetter und Weg entweder
Zu Wagen, oder was natürlich der Höhepunkt des Vergnügens war, zu Schlitten.
Dann fuhren wir nicht den einsamen Feldweg über den Zchling, den ich bei meinen
Fußwanderungen nach Ballenstedt einzuschlagen Pflegte, sondern auf der von zahl¬
reichen Schlitten belebten Chaussee sausten wir über das anhaltische Dorf Niedermit lauten. Schellengeläute — je lauter, desto bester — in wenig mehr als einer


Grenzboten III 1903 69
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[0553] Aus der Jugendzeit der Klippschule und später als Glied des Gymnas.alchors ^f den hohen Or^^Von dor sangen die 5Aippschüler einen Teil der Re ponsonen bei d Lo.rgie An Festtage., aber führte der Chor des Gymnasiums dort mit Beg ng d . städtischen Mnsikchors eine for.nuche Kantate »uf oder sang ""es an g wisf^tagen eine Motette, Dazu hatte sich dann der Mus.kdirektor des Gy sinus^ der die Kirchenmusik leitete, noch die frischen Stimmen einiger Madchen ans der höheren Töchterschule gesichert. Diese mit ihren neuen Weihnachtsmanteln und Hüten, wi Jungen in unsern neuen Anzügen/ die Musiker mit ihren Instrumenten fa de sich dann am Weihnachtsmorgen pünktlich ans dem Orgelchor zusammen Metze kletterte regelmäßig der städtische Musikdirektor David Rose em ungewöhnlich d er Mann und ebenso ungewöhnlich guter Musikus. keuchend dre steZe Chore^hinauf und begrüßte uns oben aufatmend mit eme.n freundlichen Guten Morgen -"'genehme Maikü le heute, zwölf Grad unter Null. Rean.nnr^ ^egen d Nahe des Harzes pflegt es im W meer ohnehin in meiner Vaterstadt recht kalt zu sem. und Zu Weihnachten haben wir oben auf dem Orgelchor oft weidlich gefroren Aber der Feststim mung tat das keinen Eintrag, und von K'reden he.z^noch keine Rede. Wenn wir dann mit der vollzählig versammelten eint "n der gewaltigen Begleitung der schönen Orgel oder abwechse ut .... er P armen^begleitung der Stadt.nnsik sangen: Dies ist der Tag. den Gott gemacht, sen w d w aller Welt gedacht, so hatten wir einen großen Eindrnck von Weihnachten auch dann, wenn die Predigt uns nicht gerade am Herzen packte. Daß sie das getan hätte, kann mau ..icht behaupte... Vor unfern. Herrn Snpperdenten Mer w ' nichtsdestmveniger g walt gen Respekt. Auf die Predigt mußten wir scharf auf¬ passen. Zuhause s/agte mein Vater, mochte er selbst in der Kirche gewesen em oder nicht, regelmäßig nach Text und Thema. Schon früh habe ich mich deshalb daran gewohnt, mir die Disposition der gehörten Predigt zu merken und aufzu¬ schreiben. Mein Vater hielt von den Predigten unsers würdigen Superintendenten sehr viel. Er pflegte ihn zuhause ,.deu Meister" zu nennen und meinte, neben ihm seien die andern Prediger der Stadt höchstens ..Gesellen." Wenn mem Vater aus der Kirche kam, und die Mutter ihn fragte: Nun, wie hat der Herr Super¬ intendent gepredigt? war seine regelmäßige Antwort: Ausgezeichnet, wie immer. Niemand hat unter acht Groschen in den Klingcbentel gegeben. Er wußte recht gut. daß der Ertrag des Klingebeutels nicht dem Geistlichen zufloß, ja er war sogar ein geschworner Feind des Klingebeutels und kämpfte für dessen Abschaffung und Ersetzung durch eine Beckensammlung an der Kirchtür, solange er lebte. Das hinderte ihn aber nicht, seine Wertschätzung der Predigt regelmäßig durch die lau¬ nige Wendnnq auszudrücken: „Keiner unter acht Groschen." Die Vormittagskirche danerte bis halb elf Uhr. Um zwölf Uhr wurde zu Mittag gegessen und um ein Uhr mußten wir Kinder wieder in die Nach.mttags- kirche. die uns manchmal recht sauer wurde. Nach der Kirche gab es zuhause um drei Uhr Kaffee und Kuchen, und zwar an den Festtagen Mandelkuchen, der Mir nie und nirgends wieder fo gut geschmeckt hat wie im Vaterhause. Nachher wurden die Vettern und Freunde besucht und deren Weihnachtsbescherungen an¬ gesehen. Abends nach Tisch wurden die Lichter des Weihnachtsbaumes nochmals angezündet. Am zweiten Festtage Nachmittags brauchten wir nicht zur Kirche zu geh... Dieser vierte Festgottesdieust galt als ausschließlich für solche bestimmt, die vorher für den Kirchgang keine Zeit gefunden hatten. Wir fuhren regelmäßig am Nach¬ mittage des zweiten Feiertags nach Ballenstedt, je nach Wetter und Weg entweder Zu Wagen, oder was natürlich der Höhepunkt des Vergnügens war, zu Schlitten. Dann fuhren wir nicht den einsamen Feldweg über den Zchling, den ich bei meinen Fußwanderungen nach Ballenstedt einzuschlagen Pflegte, sondern auf der von zahl¬ reichen Schlitten belebten Chaussee sausten wir über das anhaltische Dorf Niedermit lauten. Schellengeläute — je lauter, desto bester — in wenig mehr als einer Grenzboten III 1903 69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/553>, abgerufen am 01.09.2024.