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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Lügen Montan

indien; die ganze Kreolcngescllschaft habe eine einzige große Familie gebildet;
erst die Revolutionen hätten die Sitten auch dieses Kreises verdorben. (Im
Lob und Tadel der Zeiten widerspricht er sich vielfach, wie schon hervorgehoben
wurde. Einmal bemerkt er, die fortschreitende Versittlichung werde die Trink¬
lieder beseitigen, wie sie in neuerer Zeit schon die Pornographie ausgerottet
habe.) Leider habe kein Krcolenjüngliug eine der schönen Tänzerinnen geheiratet,
für die er schwärmte, weil keiner vermögend genug für soviel Schönheit war,
und die Schönheiten auch nichts hatten; diese haben außerhalb ihres Kreises
geheiratet und mit Ausnahme von zweien nicht einmal gute Partien gemacht,
sondern dunkle Ehrenmänner bekommen. Wer sei schuld daran, daß es so schief
gegangen sei? Zunächst die jungen Damen selbst, da jeder Hut und jedes
Kleid eine besondre Rente erfordere, dann die zu erwartenden Kinder, dn man
auf die Erziehung jedes Sohnes 20000 Franken rechnen müsse. "Wenn ein
anständiger Mann lange und glücklich leben will, muß er Ideale frühstücken
und was Reelles zu Mittag speisen." Noch einmal auf die Schule zu kommen,
so war zwar die Einrichtung abscheulich, der Unterricht aber im ganzen gut.
Des Lehrers der Literaturgeschichte, Naynaud, gedenkt Mouton, weil ihm dieser
majestätische Mann als der Typus des universitsiro jener Zeit erscheint.
Dieser Professor behandelte die Dichterwerke mit Feierlichkeit, "er dozierte nicht,
er pontifizierte." Und er wußte seine Würde auch in kritischen Momenten zu
wahren. Einmal schlug der Blitz gerade hinter dem Fenster ein, vor dem er
saß. Er verließ seinen Sitz und sah hinaus, die Schüler aber benutzten natürlich
die Gelegenheit, sich ein wenig zu rühren. Da nahm er seinen Platz wieder
ein und sagte: "Meine Herren, möge die Unordnung der Elemente nicht ein
Element der Unordnung werden!" Damals steckte Viktor Hugo bis in die
Schulen hinein alles an mit seinem verrückten Wahlspruch: 1o b<za,u, c-'sse 16
>g,ick. Von diesem Unsinn verführt, schrieb Eugen in einem französischen Aufsatz:
"Rötliches Moos bedeckte wie ein Ausschlag den Felsen." Naynaud war wütend
darüber und machte ihm die heftigsten Vorwürfe. Später ist er diesem Lehrer
dafür dankbar gewesen wie allen andern, die ihn von dem heilten, was man
damals in Frankreich Romantik (ronn>Qti8in<z) nannte. Den ersten Stoß ver¬
setzte es seiner Hugolatrie, daß einer seiner Mitschüler in der Ode, die Viktor
Hugo dem Tage der Einbringung der Asche Napoleons, dem 15. Dezember 1840
widmete, die Antithese geschmacklos fand:


>Ioni' bsau, voulus Zloire,
?roi>t oommg Is t,omkög,u.

Seinen Mitschüler Alexander Dumas, den Sohn, machte Naynaud zum Dik¬
tator, d. h. er ließ ihn die Aufgaben diktieren, weil er so schön und so deutlich
vorlas und vortrug. Das war seine einzige gute Schillereigenschaft, in allein
andern war der junge Mensch, der als Mann einen so bedeutenden Einfluß
üben sollte, äußerst schwach. Schluß folgt)




Lügen Montan

indien; die ganze Kreolcngescllschaft habe eine einzige große Familie gebildet;
erst die Revolutionen hätten die Sitten auch dieses Kreises verdorben. (Im
Lob und Tadel der Zeiten widerspricht er sich vielfach, wie schon hervorgehoben
wurde. Einmal bemerkt er, die fortschreitende Versittlichung werde die Trink¬
lieder beseitigen, wie sie in neuerer Zeit schon die Pornographie ausgerottet
habe.) Leider habe kein Krcolenjüngliug eine der schönen Tänzerinnen geheiratet,
für die er schwärmte, weil keiner vermögend genug für soviel Schönheit war,
und die Schönheiten auch nichts hatten; diese haben außerhalb ihres Kreises
geheiratet und mit Ausnahme von zweien nicht einmal gute Partien gemacht,
sondern dunkle Ehrenmänner bekommen. Wer sei schuld daran, daß es so schief
gegangen sei? Zunächst die jungen Damen selbst, da jeder Hut und jedes
Kleid eine besondre Rente erfordere, dann die zu erwartenden Kinder, dn man
auf die Erziehung jedes Sohnes 20000 Franken rechnen müsse. „Wenn ein
anständiger Mann lange und glücklich leben will, muß er Ideale frühstücken
und was Reelles zu Mittag speisen." Noch einmal auf die Schule zu kommen,
so war zwar die Einrichtung abscheulich, der Unterricht aber im ganzen gut.
Des Lehrers der Literaturgeschichte, Naynaud, gedenkt Mouton, weil ihm dieser
majestätische Mann als der Typus des universitsiro jener Zeit erscheint.
Dieser Professor behandelte die Dichterwerke mit Feierlichkeit, „er dozierte nicht,
er pontifizierte." Und er wußte seine Würde auch in kritischen Momenten zu
wahren. Einmal schlug der Blitz gerade hinter dem Fenster ein, vor dem er
saß. Er verließ seinen Sitz und sah hinaus, die Schüler aber benutzten natürlich
die Gelegenheit, sich ein wenig zu rühren. Da nahm er seinen Platz wieder
ein und sagte: „Meine Herren, möge die Unordnung der Elemente nicht ein
Element der Unordnung werden!" Damals steckte Viktor Hugo bis in die
Schulen hinein alles an mit seinem verrückten Wahlspruch: 1o b<za,u, c-'sse 16
>g,ick. Von diesem Unsinn verführt, schrieb Eugen in einem französischen Aufsatz:
„Rötliches Moos bedeckte wie ein Ausschlag den Felsen." Naynaud war wütend
darüber und machte ihm die heftigsten Vorwürfe. Später ist er diesem Lehrer
dafür dankbar gewesen wie allen andern, die ihn von dem heilten, was man
damals in Frankreich Romantik (ronn>Qti8in<z) nannte. Den ersten Stoß ver¬
setzte es seiner Hugolatrie, daß einer seiner Mitschüler in der Ode, die Viktor
Hugo dem Tage der Einbringung der Asche Napoleons, dem 15. Dezember 1840
widmete, die Antithese geschmacklos fand:


>Ioni' bsau, voulus Zloire,
?roi>t oommg Is t,omkög,u.

Seinen Mitschüler Alexander Dumas, den Sohn, machte Naynaud zum Dik¬
tator, d. h. er ließ ihn die Aufgaben diktieren, weil er so schön und so deutlich
vorlas und vortrug. Das war seine einzige gute Schillereigenschaft, in allein
andern war der junge Mensch, der als Mann einen so bedeutenden Einfluß
üben sollte, äußerst schwach. Schluß folgt)




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[0544] Lügen Montan indien; die ganze Kreolcngescllschaft habe eine einzige große Familie gebildet; erst die Revolutionen hätten die Sitten auch dieses Kreises verdorben. (Im Lob und Tadel der Zeiten widerspricht er sich vielfach, wie schon hervorgehoben wurde. Einmal bemerkt er, die fortschreitende Versittlichung werde die Trink¬ lieder beseitigen, wie sie in neuerer Zeit schon die Pornographie ausgerottet habe.) Leider habe kein Krcolenjüngliug eine der schönen Tänzerinnen geheiratet, für die er schwärmte, weil keiner vermögend genug für soviel Schönheit war, und die Schönheiten auch nichts hatten; diese haben außerhalb ihres Kreises geheiratet und mit Ausnahme von zweien nicht einmal gute Partien gemacht, sondern dunkle Ehrenmänner bekommen. Wer sei schuld daran, daß es so schief gegangen sei? Zunächst die jungen Damen selbst, da jeder Hut und jedes Kleid eine besondre Rente erfordere, dann die zu erwartenden Kinder, dn man auf die Erziehung jedes Sohnes 20000 Franken rechnen müsse. „Wenn ein anständiger Mann lange und glücklich leben will, muß er Ideale frühstücken und was Reelles zu Mittag speisen." Noch einmal auf die Schule zu kommen, so war zwar die Einrichtung abscheulich, der Unterricht aber im ganzen gut. Des Lehrers der Literaturgeschichte, Naynaud, gedenkt Mouton, weil ihm dieser majestätische Mann als der Typus des universitsiro jener Zeit erscheint. Dieser Professor behandelte die Dichterwerke mit Feierlichkeit, „er dozierte nicht, er pontifizierte." Und er wußte seine Würde auch in kritischen Momenten zu wahren. Einmal schlug der Blitz gerade hinter dem Fenster ein, vor dem er saß. Er verließ seinen Sitz und sah hinaus, die Schüler aber benutzten natürlich die Gelegenheit, sich ein wenig zu rühren. Da nahm er seinen Platz wieder ein und sagte: „Meine Herren, möge die Unordnung der Elemente nicht ein Element der Unordnung werden!" Damals steckte Viktor Hugo bis in die Schulen hinein alles an mit seinem verrückten Wahlspruch: 1o b<za,u, c-'sse 16 >g,ick. Von diesem Unsinn verführt, schrieb Eugen in einem französischen Aufsatz: „Rötliches Moos bedeckte wie ein Ausschlag den Felsen." Naynaud war wütend darüber und machte ihm die heftigsten Vorwürfe. Später ist er diesem Lehrer dafür dankbar gewesen wie allen andern, die ihn von dem heilten, was man damals in Frankreich Romantik (ronn>Qti8in<z) nannte. Den ersten Stoß ver¬ setzte es seiner Hugolatrie, daß einer seiner Mitschüler in der Ode, die Viktor Hugo dem Tage der Einbringung der Asche Napoleons, dem 15. Dezember 1840 widmete, die Antithese geschmacklos fand: >Ioni' bsau, voulus Zloire, ?roi>t oommg Is t,omkög,u. Seinen Mitschüler Alexander Dumas, den Sohn, machte Naynaud zum Dik¬ tator, d. h. er ließ ihn die Aufgaben diktieren, weil er so schön und so deutlich vorlas und vortrug. Das war seine einzige gute Schillereigenschaft, in allein andern war der junge Mensch, der als Mann einen so bedeutenden Einfluß üben sollte, äußerst schwach. Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/544>, abgerufen am 24.11.2024.