Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Lügen Mouton keine geschicktem Köche und Köchinnen; unter den schwierigsten Umstanden Das alles ist nun, bis auf einige Umstünde von untergeordneter Bedeutung, So teuer nun auch unserm Gewährsmann die Erinnerungen aus seiner Lügen Mouton keine geschicktem Köche und Köchinnen; unter den schwierigsten Umstanden Das alles ist nun, bis auf einige Umstünde von untergeordneter Bedeutung, So teuer nun auch unserm Gewährsmann die Erinnerungen aus seiner <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0541" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241755"/> <fw type="header" place="top"> Lügen Mouton</fw><lb/> <p xml:id="ID_2154" prev="#ID_2153"> keine geschicktem Köche und Köchinnen; unter den schwierigsten Umstanden<lb/> stellen sie in unglaublich kurzer Zeit das feinste Diner her. Dadurch werden<lb/> sie nicht allein große Wohltäter der Kreolen, sondern geradezu ihre Lebeuv-<lb/> retter, denn die 5itze erschlafft den Magen der Weißen dermaßen, daß sie bald<lb/> infolge ungenügender Ernährung sterben würden, wenn die Verdauung nicht<lb/> durch einen reichen Wechsel appetitreizender Leckerbissen immer wieder angeregt<lb/> würde. Übrigens haben die verschieden Negerstämme sehr verschiedne Eigen¬<lb/> schaften; die Sklaven von der Guineaküste zog man allen andern vor. Was<lb/> die Mulatten betrifft, so sind die Männer abscheulich, die Weiber unbezahlbar<lb/> als Nähterinnen. Dienerinnen, Kinderfrauen. Krankenpflegerinnen und —<lb/> Freundinnen der jungen Männer. Der häßliche Charakter des Mulatten rührt<lb/> von der unbegrenzten Verachtung her, mit der er behandelt wird. Er bean¬<lb/> sprucht Gleichberechtigung mit den Weißen (was der Mulattin nicht einfällt),<lb/> und diesen Anspruch wehren die Weißen mit demonstrativer Verachtung ab, die<lb/> auch jeden weißen Mann trifft, dem man mir ein Tröpflein schwarzes Blut<lb/> nachweisen kann. Die Folge ist unversöhnlicher Haß der Mulatten gegen die<lb/> Weißen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2155"> Das alles ist nun, bis auf einige Umstünde von untergeordneter Bedeutung,<lb/> nicht gerade nen, aber in einer Zeit, wo der Negerhaß der Nachkommen von<lb/> Vorkämpfern der Emanzipation in den Vereinigten Staaten und die zahllosen<lb/> Fülle von Lynchjustiz, in denen Schwarze die Opfer sind, die Aufmerksamkeit<lb/> Europas wieder einmal auf die Sklaveufrage lenken, ist jedes Zeugnis eines<lb/> Sachkenners von Wert. Freilich ist dieses Zeugnis wohl nicht ganz unparteiisch,<lb/> und man darf bei der Sachkenntnis nicht an die Wahrnehmungen denken, die<lb/> der Verfasser als vier- bis siebenjähriger Knabe gemacht hat. Wir haben oben<lb/> gesagt, wie wir seine Sachkenntnis verstehn. Zum vollen Verständnis ist sie<lb/> übrigens erst im spätern Alter ausgereift. Als Zwanzigjähriger hörte er in<lb/> der Kammer den Deputierten Jsmnbert für die Emanzipation sprechen, „deren<lb/> Hoherpriester er war." Der Redner schloß mit dem Wort eines Sklaven, der,<lb/> auf einem Meeting die Fingernagel in seine Brust einkrallend, gerufen hatte:<lb/> „Ich kann nicht einmal sagen, das ist mein Fleisch!" Mouton fühlte sich tief<lb/> erschüttert; die Sklaverei erschien ihm als das abscheulichste aller menschlichen<lb/> Verbrechen. Später sagte er sich: Wahrscheinlich ist die Negersklaverei nicht<lb/> ein Verbrechen gewesen, sondern eine große Wohltat. Sie hat viel tausend<lb/> menschliche Wesen den Bestien entrissen, die sich ihre Könige nannten, und hat<lb/> sie in zivilisierten Ländern auf Millionen anwachsen lassen; in ihrer Heimat<lb/> würden sie vielleicht Schlachtvieh für Menschenfresser gewesen sein oder Blut¬<lb/> behälter für götzendienerische und Königsfeste. Wir bleiben eben Kinder; wird<lb/> ein Gedanke ausgesprochen, der neu klingt, so bilden wir uns ein, es sei eine<lb/> Fackel angezündet worden, deren Licht uns die Wahrheit zeige. In Wirklichkeit<lb/> ist die vermeintliche neue Wahrheit nur eine Umgruppierung alter Tatsachen<lb/> gewesen. Eine weitere Drehung des Kaleidoskops — und wir sehen die Philan¬<lb/> thropen Opfer schlachten, die mit Verwünschungen Verfolgten sich in Wohltäter<lb/> verwandeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_2156" next="#ID_2157"> So teuer nun auch unserm Gewährsmann die Erinnerungen aus seiner</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0541]
Lügen Mouton
keine geschicktem Köche und Köchinnen; unter den schwierigsten Umstanden
stellen sie in unglaublich kurzer Zeit das feinste Diner her. Dadurch werden
sie nicht allein große Wohltäter der Kreolen, sondern geradezu ihre Lebeuv-
retter, denn die 5itze erschlafft den Magen der Weißen dermaßen, daß sie bald
infolge ungenügender Ernährung sterben würden, wenn die Verdauung nicht
durch einen reichen Wechsel appetitreizender Leckerbissen immer wieder angeregt
würde. Übrigens haben die verschieden Negerstämme sehr verschiedne Eigen¬
schaften; die Sklaven von der Guineaküste zog man allen andern vor. Was
die Mulatten betrifft, so sind die Männer abscheulich, die Weiber unbezahlbar
als Nähterinnen. Dienerinnen, Kinderfrauen. Krankenpflegerinnen und —
Freundinnen der jungen Männer. Der häßliche Charakter des Mulatten rührt
von der unbegrenzten Verachtung her, mit der er behandelt wird. Er bean¬
sprucht Gleichberechtigung mit den Weißen (was der Mulattin nicht einfällt),
und diesen Anspruch wehren die Weißen mit demonstrativer Verachtung ab, die
auch jeden weißen Mann trifft, dem man mir ein Tröpflein schwarzes Blut
nachweisen kann. Die Folge ist unversöhnlicher Haß der Mulatten gegen die
Weißen.
Das alles ist nun, bis auf einige Umstünde von untergeordneter Bedeutung,
nicht gerade nen, aber in einer Zeit, wo der Negerhaß der Nachkommen von
Vorkämpfern der Emanzipation in den Vereinigten Staaten und die zahllosen
Fülle von Lynchjustiz, in denen Schwarze die Opfer sind, die Aufmerksamkeit
Europas wieder einmal auf die Sklaveufrage lenken, ist jedes Zeugnis eines
Sachkenners von Wert. Freilich ist dieses Zeugnis wohl nicht ganz unparteiisch,
und man darf bei der Sachkenntnis nicht an die Wahrnehmungen denken, die
der Verfasser als vier- bis siebenjähriger Knabe gemacht hat. Wir haben oben
gesagt, wie wir seine Sachkenntnis verstehn. Zum vollen Verständnis ist sie
übrigens erst im spätern Alter ausgereift. Als Zwanzigjähriger hörte er in
der Kammer den Deputierten Jsmnbert für die Emanzipation sprechen, „deren
Hoherpriester er war." Der Redner schloß mit dem Wort eines Sklaven, der,
auf einem Meeting die Fingernagel in seine Brust einkrallend, gerufen hatte:
„Ich kann nicht einmal sagen, das ist mein Fleisch!" Mouton fühlte sich tief
erschüttert; die Sklaverei erschien ihm als das abscheulichste aller menschlichen
Verbrechen. Später sagte er sich: Wahrscheinlich ist die Negersklaverei nicht
ein Verbrechen gewesen, sondern eine große Wohltat. Sie hat viel tausend
menschliche Wesen den Bestien entrissen, die sich ihre Könige nannten, und hat
sie in zivilisierten Ländern auf Millionen anwachsen lassen; in ihrer Heimat
würden sie vielleicht Schlachtvieh für Menschenfresser gewesen sein oder Blut¬
behälter für götzendienerische und Königsfeste. Wir bleiben eben Kinder; wird
ein Gedanke ausgesprochen, der neu klingt, so bilden wir uns ein, es sei eine
Fackel angezündet worden, deren Licht uns die Wahrheit zeige. In Wirklichkeit
ist die vermeintliche neue Wahrheit nur eine Umgruppierung alter Tatsachen
gewesen. Eine weitere Drehung des Kaleidoskops — und wir sehen die Philan¬
thropen Opfer schlachten, die mit Verwünschungen Verfolgten sich in Wohltäter
verwandeln.
So teuer nun auch unserm Gewährsmann die Erinnerungen aus seiner
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