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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

ausschließt und eine gemeinsame Verrechnung der Betriebskosten glich et g
auch die Jntunft rufe^s deutschen Eisenbahnwesens, a auf dem ^ et e^s V
kehrs die Schaffnna großer Bezirke und die Zunahme der Zentralisation innrer
notwendiger Werden i ut kleine Verkehrsbezirke immer schwerer i.in ^ Leben -
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Mzi chen Ballen anch Wer die Grenzpfähle Bayerns hinaus^ Em Sorgen
wirtschaftlicher finanzieller und tarifpolitischer Art werden diese Bah" u s r B y,,
inn.er sein. Getrennt von dem rechtsrheinischen Bayern und "wschlos en von d
Bahnen andrer Eisenbahnverwaltungen werden sie immer auf den Kontakt um
diesen Bahnverwaltungen angewiesen sein, wenn sie nicht der Gefahr von
leltnngen ausgesetzt sein wollen. Wir meinen aber, wenn wir diese "u.erbayr he
Frage noch einmal streifen, daß Bayern bei der ständigen Betonung seiner Reservat-
rechte auf dem Gebiete des Verkehrswesens dringende Veranlassung hätte, die Ver¬
staatlichung der Pfälzischen Eisenbahnen baldigst in Angriff zu nehmen. H-ergegen
scheint aber die Finanzlage, die in Bayern alles andre als rostg ist. ein gewichtiges
Wort zu spreche".


Das Neueste vou Eduard von Hartmann über den Darwinismus

Als
besondres Heft hat Eduard von Hartmann seine in Ostwalds A.malen der Natur¬
philosophie veröffentlichte Abhandlung: Die Abstammungslehre seit Darwin
(Leipzig. Veit K Komp.) herausgegeben. Sie ist eine musterhaft klare mit kurze,
völlig objektive Darstellung der Lehren aller deutschen Zoologen. Botaniker. Bio¬
logen und Paläontologen, die sich in den letzten dreißig Jahren um die H-ort-
vildung der Deszendenztheorie und um die Kritik des Darwinismus Verdient ge¬
macht haben. Wir drucken zwei Stellen ab. in denen die Leser eme Bestätigung
vieler unsrer eignen Ausführungen finden werden. Die erste enthält eine Cha¬
rakteristik Häckels. "Seine Verdienste sind groß genug, daß wir seine wissenschaft¬
lichen und menschlichen Schwächen ertragen können. Daß er Spinoza und Kant,
Goethe und Schelling nicht richtig auffaßte, die christliche Dogmatik mit unzuläng¬
lichen Verständnis kritisierte, darüber wäre man schweigend hinweggegangen, wenn
sich nicht zu viele auf ihn als Autorität verlassen hätten. Sein Hauptmangel ist, daß
er die Naturphilosophie mit der Naturwissenschaft identifizieren und die zweite zur
ersten aufbauschen will, anstatt beide deutlich zu unterscheiden. Daher stammt einerseits
seine antiteleologische, mechanistische Weltanschauung und andrerseits sein Unvermögen,
das Tatsächliche vom Hypothetischen zu unterscheiden. Die Unzuverlässigkeit seiner
selbstgefertigten Zeichnungen, die Vermischung von Beobachtung und Phantasie darin,
hat von den Fachgenossen herben Tadel erfahren, um so herber", als die Ab¬
weichungen der Phantasie von der Wirklichkeit immer uach der Seite der zu be¬
weisenden Behauptung hin lagen. Er hat Dinge abgebildet, die bis heute uoch
kein Naturforscher unter das Mikroskop bekommen hat, zum Beispiel menschliche
Embrhonen aus deu ersten zwei Wochen. Mehr noch durch die Art, wie Häckel
auf solche Vorwürfe reagiert hat, als durch die Sache selbst, hat er seinen Kredit
als exakter Beobachter und Forscher beeinträchtigt, ohne seinen Kredit als Natur-
Philosoph zu erhöhen. In seinen wissenschaftlichen Arbeiten gesteht er theoretischdas Hypothetische seiner Auffassungen ein, im Text seiner populären Schriften be-
. handelt er praktisch seine Hypothesen als sichre Ergebnisse der exakten Wissenschaft,' wo nicht gar als "historische Tatsachen", und wirkt dadurch irreführend ans den
Laien." Der Schluß vou Hartmanns Abhandlung lautet: ..Es ist der gewöhnliche
Lauf der Dinge, daß jemand, der mit seineu Ansichten gegen die Zeitströmung
schwimmt, verhältnismäßig unbeachtet bleibt u"d keinen Einfluß auf die Ansichten
der Zeitgenossen gewinnt, und niemand darf sich beklagen, der diese alte Erfahrung
?" sich selbst wiederholt findet. Dagegen ist es ein ganz außergewöhnlicher Glücks-
fall, wenn jemand eine solche Umwandlung der Zeitströmung erlebt, daß die von
")in in seiner Jngend erfolglos verfochtnen Ansichten ein Menschenalter später zur


Grenzboten 1903 III
Maßgebliches und Unmaßgebliches

ausschließt und eine gemeinsame Verrechnung der Betriebskosten glich et g
auch die Jntunft rufe^s deutschen Eisenbahnwesens, a auf dem ^ et e^s V
kehrs die Schaffnna großer Bezirke und die Zunahme der Zentralisation innrer
notwendiger Werden i ut kleine Verkehrsbezirke immer schwerer i.in ^ Leben -
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Mzi chen Ballen anch Wer die Grenzpfähle Bayerns hinaus^ Em Sorgen
wirtschaftlicher finanzieller und tarifpolitischer Art werden diese Bah« u s r B y,,
inn.er sein. Getrennt von dem rechtsrheinischen Bayern und "wschlos en von d
Bahnen andrer Eisenbahnverwaltungen werden sie immer auf den Kontakt um
diesen Bahnverwaltungen angewiesen sein, wenn sie nicht der Gefahr von
leltnngen ausgesetzt sein wollen. Wir meinen aber, wenn wir diese "u.erbayr he
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rechte auf dem Gebiete des Verkehrswesens dringende Veranlassung hätte, die Ver¬
staatlichung der Pfälzischen Eisenbahnen baldigst in Angriff zu nehmen. H-ergegen
scheint aber die Finanzlage, die in Bayern alles andre als rostg ist. ein gewichtiges
Wort zu spreche».


Das Neueste vou Eduard von Hartmann über den Darwinismus

Als
besondres Heft hat Eduard von Hartmann seine in Ostwalds A.malen der Natur¬
philosophie veröffentlichte Abhandlung: Die Abstammungslehre seit Darwin
(Leipzig. Veit K Komp.) herausgegeben. Sie ist eine musterhaft klare mit kurze,
völlig objektive Darstellung der Lehren aller deutschen Zoologen. Botaniker. Bio¬
logen und Paläontologen, die sich in den letzten dreißig Jahren um die H-ort-
vildung der Deszendenztheorie und um die Kritik des Darwinismus Verdient ge¬
macht haben. Wir drucken zwei Stellen ab. in denen die Leser eme Bestätigung
vieler unsrer eignen Ausführungen finden werden. Die erste enthält eine Cha¬
rakteristik Häckels. „Seine Verdienste sind groß genug, daß wir seine wissenschaft¬
lichen und menschlichen Schwächen ertragen können. Daß er Spinoza und Kant,
Goethe und Schelling nicht richtig auffaßte, die christliche Dogmatik mit unzuläng¬
lichen Verständnis kritisierte, darüber wäre man schweigend hinweggegangen, wenn
sich nicht zu viele auf ihn als Autorität verlassen hätten. Sein Hauptmangel ist, daß
er die Naturphilosophie mit der Naturwissenschaft identifizieren und die zweite zur
ersten aufbauschen will, anstatt beide deutlich zu unterscheiden. Daher stammt einerseits
seine antiteleologische, mechanistische Weltanschauung und andrerseits sein Unvermögen,
das Tatsächliche vom Hypothetischen zu unterscheiden. Die Unzuverlässigkeit seiner
selbstgefertigten Zeichnungen, die Vermischung von Beobachtung und Phantasie darin,
hat von den Fachgenossen herben Tadel erfahren, um so herber», als die Ab¬
weichungen der Phantasie von der Wirklichkeit immer uach der Seite der zu be¬
weisenden Behauptung hin lagen. Er hat Dinge abgebildet, die bis heute uoch
kein Naturforscher unter das Mikroskop bekommen hat, zum Beispiel menschliche
Embrhonen aus deu ersten zwei Wochen. Mehr noch durch die Art, wie Häckel
auf solche Vorwürfe reagiert hat, als durch die Sache selbst, hat er seinen Kredit
als exakter Beobachter und Forscher beeinträchtigt, ohne seinen Kredit als Natur-
Philosoph zu erhöhen. In seinen wissenschaftlichen Arbeiten gesteht er theoretischdas Hypothetische seiner Auffassungen ein, im Text seiner populären Schriften be-
. handelt er praktisch seine Hypothesen als sichre Ergebnisse der exakten Wissenschaft,' wo nicht gar als »historische Tatsachen«, und wirkt dadurch irreführend ans den
Laien." Der Schluß vou Hartmanns Abhandlung lautet: ..Es ist der gewöhnliche
Lauf der Dinge, daß jemand, der mit seineu Ansichten gegen die Zeitströmung
schwimmt, verhältnismäßig unbeachtet bleibt u»d keinen Einfluß auf die Ansichten
der Zeitgenossen gewinnt, und niemand darf sich beklagen, der diese alte Erfahrung
?" sich selbst wiederholt findet. Dagegen ist es ein ganz außergewöhnlicher Glücks-
fall, wenn jemand eine solche Umwandlung der Zeitströmung erlebt, daß die von
")in in seiner Jngend erfolglos verfochtnen Ansichten ein Menschenalter später zur


Grenzboten 1903 III
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[0513] Maßgebliches und Unmaßgebliches ausschließt und eine gemeinsame Verrechnung der Betriebskosten glich et g auch die Jntunft rufe^s deutschen Eisenbahnwesens, a auf dem ^ et e^s V kehrs die Schaffnna großer Bezirke und die Zunahme der Zentralisation innrer notwendiger Werden i ut kleine Verkehrsbezirke immer schwerer i.in ^ Leben - berechtign»» zu kämpfen haben. Und daran interessiert die Verstaatluhnng d r Mzi chen Ballen anch Wer die Grenzpfähle Bayerns hinaus^ Em Sorgen wirtschaftlicher finanzieller und tarifpolitischer Art werden diese Bah« u s r B y,, inn.er sein. Getrennt von dem rechtsrheinischen Bayern und "wschlos en von d Bahnen andrer Eisenbahnverwaltungen werden sie immer auf den Kontakt um diesen Bahnverwaltungen angewiesen sein, wenn sie nicht der Gefahr von leltnngen ausgesetzt sein wollen. Wir meinen aber, wenn wir diese "u.erbayr he Frage noch einmal streifen, daß Bayern bei der ständigen Betonung seiner Reservat- rechte auf dem Gebiete des Verkehrswesens dringende Veranlassung hätte, die Ver¬ staatlichung der Pfälzischen Eisenbahnen baldigst in Angriff zu nehmen. H-ergegen scheint aber die Finanzlage, die in Bayern alles andre als rostg ist. ein gewichtiges Wort zu spreche». Das Neueste vou Eduard von Hartmann über den Darwinismus Als besondres Heft hat Eduard von Hartmann seine in Ostwalds A.malen der Natur¬ philosophie veröffentlichte Abhandlung: Die Abstammungslehre seit Darwin (Leipzig. Veit K Komp.) herausgegeben. Sie ist eine musterhaft klare mit kurze, völlig objektive Darstellung der Lehren aller deutschen Zoologen. Botaniker. Bio¬ logen und Paläontologen, die sich in den letzten dreißig Jahren um die H-ort- vildung der Deszendenztheorie und um die Kritik des Darwinismus Verdient ge¬ macht haben. Wir drucken zwei Stellen ab. in denen die Leser eme Bestätigung vieler unsrer eignen Ausführungen finden werden. Die erste enthält eine Cha¬ rakteristik Häckels. „Seine Verdienste sind groß genug, daß wir seine wissenschaft¬ lichen und menschlichen Schwächen ertragen können. Daß er Spinoza und Kant, Goethe und Schelling nicht richtig auffaßte, die christliche Dogmatik mit unzuläng¬ lichen Verständnis kritisierte, darüber wäre man schweigend hinweggegangen, wenn sich nicht zu viele auf ihn als Autorität verlassen hätten. Sein Hauptmangel ist, daß er die Naturphilosophie mit der Naturwissenschaft identifizieren und die zweite zur ersten aufbauschen will, anstatt beide deutlich zu unterscheiden. Daher stammt einerseits seine antiteleologische, mechanistische Weltanschauung und andrerseits sein Unvermögen, das Tatsächliche vom Hypothetischen zu unterscheiden. Die Unzuverlässigkeit seiner selbstgefertigten Zeichnungen, die Vermischung von Beobachtung und Phantasie darin, hat von den Fachgenossen herben Tadel erfahren, um so herber», als die Ab¬ weichungen der Phantasie von der Wirklichkeit immer uach der Seite der zu be¬ weisenden Behauptung hin lagen. Er hat Dinge abgebildet, die bis heute uoch kein Naturforscher unter das Mikroskop bekommen hat, zum Beispiel menschliche Embrhonen aus deu ersten zwei Wochen. Mehr noch durch die Art, wie Häckel auf solche Vorwürfe reagiert hat, als durch die Sache selbst, hat er seinen Kredit als exakter Beobachter und Forscher beeinträchtigt, ohne seinen Kredit als Natur- Philosoph zu erhöhen. In seinen wissenschaftlichen Arbeiten gesteht er theoretischdas Hypothetische seiner Auffassungen ein, im Text seiner populären Schriften be- . handelt er praktisch seine Hypothesen als sichre Ergebnisse der exakten Wissenschaft,' wo nicht gar als »historische Tatsachen«, und wirkt dadurch irreführend ans den Laien." Der Schluß vou Hartmanns Abhandlung lautet: ..Es ist der gewöhnliche Lauf der Dinge, daß jemand, der mit seineu Ansichten gegen die Zeitströmung schwimmt, verhältnismäßig unbeachtet bleibt u»d keinen Einfluß auf die Ansichten der Zeitgenossen gewinnt, und niemand darf sich beklagen, der diese alte Erfahrung ?" sich selbst wiederholt findet. Dagegen ist es ein ganz außergewöhnlicher Glücks- fall, wenn jemand eine solche Umwandlung der Zeitströmung erlebt, daß die von ")in in seiner Jngend erfolglos verfochtnen Ansichten ein Menschenalter später zur Grenzboten 1903 III

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/513>, abgerufen am 23.11.2024.