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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Die schon im Mittelalter bestehende" Gefängnisse, in die man auch wohl
Untersuchnugsgesangne mit schon verurteilten Verbrechern aller Grade ohne
Bedenken zusammensparte, und die wegen ihrer mangelhaften Remlnhkeck die
Vrutstätteu des Kerkerfiebers und andrer Krankheiten waren, kann man auch
nicht im entferntesten mit unsern nach den neusten Anforderungen der Hygiene,
ja zum Teil mit einer Art Komfort ausgestatteten Musterstrafanstalten ver¬
gleichen. Und doch "kommt" oder "fliegt" der heutige Gauner oder Vaga¬
bund, ja selbst wohl der Soldat nach seiner Redeweise noch ebenso ins "Loch"
oder wird "eingekocht" oder "beigelocht" wie sein Vorfahr vor ungefähr
fünfhundert Jahren, wo diese Ausdrücke für die Haft in engen, finstern,
meistens unterirdischen Gelassen tatsächlich paßten, ja zum Teil sogar im gesetz¬
lichen Sprachgebrauch anerkannt waren (vgl. das "Lochgefäugnis" in Nürnberg).
Auch die schou früher (bei dem Namen "Stöcker" und dem Ausdruck "Stock¬
schilling") erwälMe Bezeichnung "Stockhaus" oder "der Stock" hat sich in dem
beim österreichische" Militär noch üblichen "Stöckl" für das Arrestlokal zu er¬
halten vermocht. Der Ursprung dieser Worte aber geht zurück auf die Sitte, die
Gefangne" zur Erschwerung ihrer .Haft, auch wohl um sie am Selbstmord zu
hindern, mit Füßen oder Händen in einen ausgehöhlten, verschließbaren Holz¬
klotz, den sogenannten "Stock" einzuzwängen ("in den Stock zu legen") oder
auch mit Ketten und Riemen daran zu befestigen. Mit Rücksicht hierauf scheint
die Vermutung, daß auch der "verstockte Sünder" dieser jetzt vergessenen
Einrichtung seine Entstehung verdankt, immerhin manches für sich zu haben.

(Fortsetzung folgt)




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders von
Dritte Reihe
^2. Rechts vom Apfelbaum -- links vom Apfelbaum

under über Wunder! Die Gemeinde Emmerlingen beschließt, aus
freiem Willen eine dritte Schule zu bauen, einigt sich über den Platz,
den Plan und über die Aufbringung der Kosten und legt der König¬
lichen Regierung die Sache fix und fertig zur Genehmigung vor.
Schnlrai Wiersdvrf, ein alter würdiger Herr -- Gott habe ihn
- selig - , Pflegte zu sagen, das; er um jede neue Schule seines Bezirks
key ^> ^eben Jahre habe dienen müssen. Hier sollte um der Dienst
le Viertelstunde dauern. Ein Federstrich, und es war alles erledigt,

ki ^ hatten aber auch triftige Grunde vorgelegen, die die Gemeinde Emmer-
ich^" "^mochten, den natürlichen Widerwillen gegen alles, was Geld kostete, zu
Toren"^" ^ ^ Rekrutenvorstellungcn in Hartenburg. vor dessen
lesen ^"""erlingen liegt, waren zwei Emmerlinger gefunden worden, die nicht
sciote " Leiden konnten. Das verursachte ein großes Aufsehen. Der Herr Oberst
dnß es"" ^""true: Sagen Sie mal, Herr Landrat, das ist ja sehr interessant,
Kulturs/k" Kreise, von dem man doch annahm, daß er auf einer hohen
dem, - Mteraten vorkommen. Sagen Sie mal, Herr Laudrat, wie istda . "behaupt möglich?

an d . ^ Landrat ärgerte sich und schnäuzte deu Schulzen von Emmerlingcn
dem P"?^"^ von Einmerlingen sank in sich zusammen und schimpfte dann hinter
sclmli s ^ Landrath auf die Königliche Regierung, deu Landrat, den Kreis-
^ "Nspetwr und alles, was mit der Schule zu tun hatte. Er sei doch kein


Die schon im Mittelalter bestehende» Gefängnisse, in die man auch wohl
Untersuchnugsgesangne mit schon verurteilten Verbrechern aller Grade ohne
Bedenken zusammensparte, und die wegen ihrer mangelhaften Remlnhkeck die
Vrutstätteu des Kerkerfiebers und andrer Krankheiten waren, kann man auch
nicht im entferntesten mit unsern nach den neusten Anforderungen der Hygiene,
ja zum Teil mit einer Art Komfort ausgestatteten Musterstrafanstalten ver¬
gleichen. Und doch „kommt" oder „fliegt" der heutige Gauner oder Vaga¬
bund, ja selbst wohl der Soldat nach seiner Redeweise noch ebenso ins „Loch"
oder wird „eingekocht" oder „beigelocht" wie sein Vorfahr vor ungefähr
fünfhundert Jahren, wo diese Ausdrücke für die Haft in engen, finstern,
meistens unterirdischen Gelassen tatsächlich paßten, ja zum Teil sogar im gesetz¬
lichen Sprachgebrauch anerkannt waren (vgl. das „Lochgefäugnis" in Nürnberg).
Auch die schou früher (bei dem Namen „Stöcker" und dem Ausdruck „Stock¬
schilling") erwälMe Bezeichnung „Stockhaus" oder „der Stock" hat sich in dem
beim österreichische» Militär noch üblichen „Stöckl" für das Arrestlokal zu er¬
halten vermocht. Der Ursprung dieser Worte aber geht zurück auf die Sitte, die
Gefangne» zur Erschwerung ihrer .Haft, auch wohl um sie am Selbstmord zu
hindern, mit Füßen oder Händen in einen ausgehöhlten, verschließbaren Holz¬
klotz, den sogenannten „Stock" einzuzwängen („in den Stock zu legen") oder
auch mit Ketten und Riemen daran zu befestigen. Mit Rücksicht hierauf scheint
die Vermutung, daß auch der „verstockte Sünder" dieser jetzt vergessenen
Einrichtung seine Entstehung verdankt, immerhin manches für sich zu haben.

(Fortsetzung folgt)




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Fritz Anders von
Dritte Reihe
^2. Rechts vom Apfelbaum — links vom Apfelbaum

under über Wunder! Die Gemeinde Emmerlingen beschließt, aus
freiem Willen eine dritte Schule zu bauen, einigt sich über den Platz,
den Plan und über die Aufbringung der Kosten und legt der König¬
lichen Regierung die Sache fix und fertig zur Genehmigung vor.
Schnlrai Wiersdvrf, ein alter würdiger Herr — Gott habe ihn
- selig - , Pflegte zu sagen, das; er um jede neue Schule seines Bezirks
key ^> ^eben Jahre habe dienen müssen. Hier sollte um der Dienst
le Viertelstunde dauern. Ein Federstrich, und es war alles erledigt,

ki ^ hatten aber auch triftige Grunde vorgelegen, die die Gemeinde Emmer-
ich^" "^mochten, den natürlichen Widerwillen gegen alles, was Geld kostete, zu
Toren"^" ^ ^ Rekrutenvorstellungcn in Hartenburg. vor dessen
lesen ^"""erlingen liegt, waren zwei Emmerlinger gefunden worden, die nicht
sciote " Leiden konnten. Das verursachte ein großes Aufsehen. Der Herr Oberst
dnß es"" ^""true: Sagen Sie mal, Herr Landrat, das ist ja sehr interessant,
Kulturs/k" Kreise, von dem man doch annahm, daß er auf einer hohen
dem, - Mteraten vorkommen. Sagen Sie mal, Herr Laudrat, wie istda . «behaupt möglich?

an d . ^ Landrat ärgerte sich und schnäuzte deu Schulzen von Emmerlingcn
dem P"?^"^ von Einmerlingen sank in sich zusammen und schimpfte dann hinter
sclmli s ^ Landrath auf die Königliche Regierung, deu Landrat, den Kreis-
^ "Nspetwr und alles, was mit der Schule zu tun hatte. Er sei doch kein


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[0503] Die schon im Mittelalter bestehende» Gefängnisse, in die man auch wohl Untersuchnugsgesangne mit schon verurteilten Verbrechern aller Grade ohne Bedenken zusammensparte, und die wegen ihrer mangelhaften Remlnhkeck die Vrutstätteu des Kerkerfiebers und andrer Krankheiten waren, kann man auch nicht im entferntesten mit unsern nach den neusten Anforderungen der Hygiene, ja zum Teil mit einer Art Komfort ausgestatteten Musterstrafanstalten ver¬ gleichen. Und doch „kommt" oder „fliegt" der heutige Gauner oder Vaga¬ bund, ja selbst wohl der Soldat nach seiner Redeweise noch ebenso ins „Loch" oder wird „eingekocht" oder „beigelocht" wie sein Vorfahr vor ungefähr fünfhundert Jahren, wo diese Ausdrücke für die Haft in engen, finstern, meistens unterirdischen Gelassen tatsächlich paßten, ja zum Teil sogar im gesetz¬ lichen Sprachgebrauch anerkannt waren (vgl. das „Lochgefäugnis" in Nürnberg). Auch die schou früher (bei dem Namen „Stöcker" und dem Ausdruck „Stock¬ schilling") erwälMe Bezeichnung „Stockhaus" oder „der Stock" hat sich in dem beim österreichische» Militär noch üblichen „Stöckl" für das Arrestlokal zu er¬ halten vermocht. Der Ursprung dieser Worte aber geht zurück auf die Sitte, die Gefangne» zur Erschwerung ihrer .Haft, auch wohl um sie am Selbstmord zu hindern, mit Füßen oder Händen in einen ausgehöhlten, verschließbaren Holz¬ klotz, den sogenannten „Stock" einzuzwängen („in den Stock zu legen") oder auch mit Ketten und Riemen daran zu befestigen. Mit Rücksicht hierauf scheint die Vermutung, daß auch der „verstockte Sünder" dieser jetzt vergessenen Einrichtung seine Entstehung verdankt, immerhin manches für sich zu haben. (Fortsetzung folgt) Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Fritz Anders von Dritte Reihe ^2. Rechts vom Apfelbaum — links vom Apfelbaum under über Wunder! Die Gemeinde Emmerlingen beschließt, aus freiem Willen eine dritte Schule zu bauen, einigt sich über den Platz, den Plan und über die Aufbringung der Kosten und legt der König¬ lichen Regierung die Sache fix und fertig zur Genehmigung vor. Schnlrai Wiersdvrf, ein alter würdiger Herr — Gott habe ihn - selig - , Pflegte zu sagen, das; er um jede neue Schule seines Bezirks key ^> ^eben Jahre habe dienen müssen. Hier sollte um der Dienst le Viertelstunde dauern. Ein Federstrich, und es war alles erledigt, ki ^ hatten aber auch triftige Grunde vorgelegen, die die Gemeinde Emmer- ich^" "^mochten, den natürlichen Widerwillen gegen alles, was Geld kostete, zu Toren"^" ^ ^ Rekrutenvorstellungcn in Hartenburg. vor dessen lesen ^"""erlingen liegt, waren zwei Emmerlinger gefunden worden, die nicht sciote " Leiden konnten. Das verursachte ein großes Aufsehen. Der Herr Oberst dnß es"" ^""true: Sagen Sie mal, Herr Landrat, das ist ja sehr interessant, Kulturs/k" Kreise, von dem man doch annahm, daß er auf einer hohen dem, - Mteraten vorkommen. Sagen Sie mal, Herr Laudrat, wie istda . «behaupt möglich? an d . ^ Landrat ärgerte sich und schnäuzte deu Schulzen von Emmerlingcn dem P"?^"^ von Einmerlingen sank in sich zusammen und schimpfte dann hinter sclmli s ^ Landrath auf die Königliche Regierung, deu Landrat, den Kreis- ^ "Nspetwr und alles, was mit der Schule zu tun hatte. Er sei doch kein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/503>, abgerufen am 24.11.2024.