Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsche Rechtsciltcrtmner in unsrer heutigen deutschen Sprache

solche Dachabdeckung im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert nicht nur in
Chroniken (z. B. in einem Mainzer Amtsgericht vom Jahre 1666) erwähnt,
sondern sogar in Gesetzen (z. B. in den Blankenburger Statuten von 1594)
vorgeschrieben, ja sogar aus dem achtzehnten Jahrhundert sind uns noch Fülle
ihrer Vollziehung überliefert (so z. V. in deu Jahren 1768/69 im Fürstentum
Fulda). Schon ältere Rechtshistoriker haben sich über den Sinn dieser merk¬
würdigen Bestrafung den Kopf zerbrochen, wie der Göttinger Hofrat Justus
Friedrich Runde, der sin Pulks "Nepetitorium für das peinliche Recht, Bd. II,
Frankfurt a. M. 1790, S, 326) darüber als Vermutung aufstellt, man habe damit
entweder "eine öffentliche Anzeige... geben" wollen, "das; der Einwohner des
Hauses nicht fähig wäre, seines Weibes Haupt zu sein," oder aber man habe ihn
als "einen Mann, der sich dein häuslichen Unwetter so geduldig unterzogen, auch
dem physischen" preisgeben wollen. Für das letztere hat sich im wesentlichen
auch Jakob Grimm in seinen "Nechtsaltertümern" (4. Aufl., Bd. II, S. 321)
ausgesprochen, dem darauf neuere Schriftsteller gefolgt sind. Wie dein nun auch
sein mag, jedenfalls darf man diese eigentümliche Strafe als eine besonders aus¬
gestattete Form der sogenannten "Wüstung" betrachten, die als eine "Abspaltung
der Friedlvsigteit," und zwar nach der vermögensrechtlichen Seite hin (Nieder¬
reißen, Niederbrennen des Hanfes) schon für die älteste Zeit nachweisbar ist.

Einen Anklang an die Strafarten vergangner Tage hören wir wohl noch
jetzt heraus, wenn wir -- wie das im übertragnen Sinne ja häufig geschieht --
jemand "ächten" oder "in Acht," "Acht und Aberacht" (d. h. eigentlich
die obere, höhere, nicht die abermalige, wiederholte Acht; ahd. ovNÄlltiz neben
nbMÄllto) oder auch in "Acht und Bann" (weltliche und geistliche Strafe)
"tun" oder "erklären." Dagegen sind wir uns jetzt des ursprünglichen Wort¬
sinns von "Elend" nicht mehr bewußt bei den Verbindungen "jemand ins
Elend stoßen" ("schicken, jagen"; auch "ins Elend gehen")^ wie er z. B. noch
Goethe geläufig war ("Streifen nicht herrliche Männer von hoher Geburt
nun im Elend"), und noch deutlicher in Uhlands Worten (in der "Bidassva-
Brücke") hervortritt: "Jedem ist das Elend finster, jedem glänzt das Vater¬
land." Denn Elend (ahd. -M-all, klilönti, ahd. oUeuäo) war ursprünglich
nur das andre Land ("Im torra; vgl. anch frühmlat. ^Il-8ictu, ahd. Wi^AWo
Elsaß), das Ausland, die Fremde (im Gegensatze zu in!calli>, Heimat), dann aber
besonders auch die "Verbannung" in die Fremde (vgl. auch das Eigenschaftswort
"elend," zunächst: ausländisch, fremd, z. B. ahd. gllcmäor vom, dann auch heimat¬
los). Wenn sich nun im Laufe der Zeit das Elend zu dem Inbegriffe von
Kummer, Not, Mißgeschick oder Jammer ausgebildet hat, so liegt darin wohl
der sprechendste Beweis für die Liebe des Deutschen zu seinem Vaterlande, des¬
selben Deutschen, der freilich auch wieder seinen Respekt vor der Fremde, vor
dem Ausländischen in seiner Sprache dadurch zum Ausdrucke gebracht hat, daß
er alles Unbedeutende oder Wertlose als -- "nicht weit her" bezeichnet.
"

Mit der Ausstoßung ins "Elend, der Verbannung aus Stadt oder Land,
womit Regierungen und Gemeinden einst anch viel Mißbrauch getrieben haben,
stehn wir schon an der Schwelle des modernen Strafensystems/denn auch der
Verbannte war ja in gewisser Weise seiner persönlichen Freiheit beraubt (daher
wohl schon im Abt. Elend auch -- Gefangenschaft), wenn auch nicht in dem¬
selben Maße wie bei den heutigen Freiheitsstrafen. Eine Art Übergang zu
diesen letztern von den ältern Strafformen stellt unter anderen die eine Zeit lang,
nach französischem Vorbilde, auch bei uns üblich gewesene Verurteilung zu den
"Galeeren" dar. Daß dies, namentlich wegen der rohen, oft gerazu bestialischer
Behandlung der Sträflinge ("Galeerensklaven") durch die Aufseher tatsächlich eine
sehr schwere Strafe war, darau lebt in dem Gebrauche des Wortes "Galeere"
zur Kennzeichnung einer harte", erzwmigneu Arbeit noch heilte eine verschwommene
Erinnerung fort.


Deutsche Rechtsciltcrtmner in unsrer heutigen deutschen Sprache

solche Dachabdeckung im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert nicht nur in
Chroniken (z. B. in einem Mainzer Amtsgericht vom Jahre 1666) erwähnt,
sondern sogar in Gesetzen (z. B. in den Blankenburger Statuten von 1594)
vorgeschrieben, ja sogar aus dem achtzehnten Jahrhundert sind uns noch Fülle
ihrer Vollziehung überliefert (so z. V. in deu Jahren 1768/69 im Fürstentum
Fulda). Schon ältere Rechtshistoriker haben sich über den Sinn dieser merk¬
würdigen Bestrafung den Kopf zerbrochen, wie der Göttinger Hofrat Justus
Friedrich Runde, der sin Pulks „Nepetitorium für das peinliche Recht, Bd. II,
Frankfurt a. M. 1790, S, 326) darüber als Vermutung aufstellt, man habe damit
entweder „eine öffentliche Anzeige... geben" wollen, „das; der Einwohner des
Hauses nicht fähig wäre, seines Weibes Haupt zu sein," oder aber man habe ihn
als „einen Mann, der sich dein häuslichen Unwetter so geduldig unterzogen, auch
dem physischen" preisgeben wollen. Für das letztere hat sich im wesentlichen
auch Jakob Grimm in seinen „Nechtsaltertümern" (4. Aufl., Bd. II, S. 321)
ausgesprochen, dem darauf neuere Schriftsteller gefolgt sind. Wie dein nun auch
sein mag, jedenfalls darf man diese eigentümliche Strafe als eine besonders aus¬
gestattete Form der sogenannten „Wüstung" betrachten, die als eine „Abspaltung
der Friedlvsigteit," und zwar nach der vermögensrechtlichen Seite hin (Nieder¬
reißen, Niederbrennen des Hanfes) schon für die älteste Zeit nachweisbar ist.

Einen Anklang an die Strafarten vergangner Tage hören wir wohl noch
jetzt heraus, wenn wir — wie das im übertragnen Sinne ja häufig geschieht —
jemand „ächten" oder „in Acht," „Acht und Aberacht" (d. h. eigentlich
die obere, höhere, nicht die abermalige, wiederholte Acht; ahd. ovNÄlltiz neben
nbMÄllto) oder auch in „Acht und Bann" (weltliche und geistliche Strafe)
„tun" oder „erklären." Dagegen sind wir uns jetzt des ursprünglichen Wort¬
sinns von „Elend" nicht mehr bewußt bei den Verbindungen „jemand ins
Elend stoßen" („schicken, jagen"; auch „ins Elend gehen")^ wie er z. B. noch
Goethe geläufig war („Streifen nicht herrliche Männer von hoher Geburt
nun im Elend"), und noch deutlicher in Uhlands Worten (in der „Bidassva-
Brücke") hervortritt: „Jedem ist das Elend finster, jedem glänzt das Vater¬
land." Denn Elend (ahd. -M-all, klilönti, ahd. oUeuäo) war ursprünglich
nur das andre Land (»Im torra; vgl. anch frühmlat. ^Il-8ictu, ahd. Wi^AWo
Elsaß), das Ausland, die Fremde (im Gegensatze zu in!calli>, Heimat), dann aber
besonders auch die „Verbannung" in die Fremde (vgl. auch das Eigenschaftswort
„elend," zunächst: ausländisch, fremd, z. B. ahd. gllcmäor vom, dann auch heimat¬
los). Wenn sich nun im Laufe der Zeit das Elend zu dem Inbegriffe von
Kummer, Not, Mißgeschick oder Jammer ausgebildet hat, so liegt darin wohl
der sprechendste Beweis für die Liebe des Deutschen zu seinem Vaterlande, des¬
selben Deutschen, der freilich auch wieder seinen Respekt vor der Fremde, vor
dem Ausländischen in seiner Sprache dadurch zum Ausdrucke gebracht hat, daß
er alles Unbedeutende oder Wertlose als — „nicht weit her" bezeichnet.
"

Mit der Ausstoßung ins „Elend, der Verbannung aus Stadt oder Land,
womit Regierungen und Gemeinden einst anch viel Mißbrauch getrieben haben,
stehn wir schon an der Schwelle des modernen Strafensystems/denn auch der
Verbannte war ja in gewisser Weise seiner persönlichen Freiheit beraubt (daher
wohl schon im Abt. Elend auch — Gefangenschaft), wenn auch nicht in dem¬
selben Maße wie bei den heutigen Freiheitsstrafen. Eine Art Übergang zu
diesen letztern von den ältern Strafformen stellt unter anderen die eine Zeit lang,
nach französischem Vorbilde, auch bei uns üblich gewesene Verurteilung zu den
„Galeeren" dar. Daß dies, namentlich wegen der rohen, oft gerazu bestialischer
Behandlung der Sträflinge („Galeerensklaven") durch die Aufseher tatsächlich eine
sehr schwere Strafe war, darau lebt in dem Gebrauche des Wortes „Galeere"
zur Kennzeichnung einer harte», erzwmigneu Arbeit noch heilte eine verschwommene
Erinnerung fort.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0502" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241716"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutsche Rechtsciltcrtmner in unsrer heutigen deutschen Sprache</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1985" prev="#ID_1984"> solche Dachabdeckung im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert nicht nur in<lb/>
Chroniken (z. B. in einem Mainzer Amtsgericht vom Jahre 1666) erwähnt,<lb/>
sondern sogar in Gesetzen (z. B. in den Blankenburger Statuten von 1594)<lb/>
vorgeschrieben, ja sogar aus dem achtzehnten Jahrhundert sind uns noch Fülle<lb/>
ihrer Vollziehung überliefert (so z. V. in deu Jahren 1768/69 im Fürstentum<lb/>
Fulda). Schon ältere Rechtshistoriker haben sich über den Sinn dieser merk¬<lb/>
würdigen Bestrafung den Kopf zerbrochen, wie der Göttinger Hofrat Justus<lb/>
Friedrich Runde, der sin Pulks &#x201E;Nepetitorium für das peinliche Recht, Bd. II,<lb/>
Frankfurt a. M. 1790, S, 326) darüber als Vermutung aufstellt, man habe damit<lb/>
entweder &#x201E;eine öffentliche Anzeige... geben" wollen, &#x201E;das; der Einwohner des<lb/>
Hauses nicht fähig wäre, seines Weibes Haupt zu sein," oder aber man habe ihn<lb/>
als &#x201E;einen Mann, der sich dein häuslichen Unwetter so geduldig unterzogen, auch<lb/>
dem physischen" preisgeben wollen. Für das letztere hat sich im wesentlichen<lb/>
auch Jakob Grimm in seinen &#x201E;Nechtsaltertümern" (4. Aufl., Bd. II, S. 321)<lb/>
ausgesprochen, dem darauf neuere Schriftsteller gefolgt sind. Wie dein nun auch<lb/>
sein mag, jedenfalls darf man diese eigentümliche Strafe als eine besonders aus¬<lb/>
gestattete Form der sogenannten &#x201E;Wüstung" betrachten, die als eine &#x201E;Abspaltung<lb/>
der Friedlvsigteit," und zwar nach der vermögensrechtlichen Seite hin (Nieder¬<lb/>
reißen, Niederbrennen des Hanfes) schon für die älteste Zeit nachweisbar ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1986"> Einen Anklang an die Strafarten vergangner Tage hören wir wohl noch<lb/>
jetzt heraus, wenn wir &#x2014; wie das im übertragnen Sinne ja häufig geschieht &#x2014;<lb/>
jemand &#x201E;ächten" oder &#x201E;in Acht," &#x201E;Acht und Aberacht" (d. h. eigentlich<lb/>
die obere, höhere, nicht die abermalige, wiederholte Acht; ahd. ovNÄlltiz neben<lb/>
nbMÄllto) oder auch in &#x201E;Acht und Bann" (weltliche und geistliche Strafe)<lb/>
&#x201E;tun" oder &#x201E;erklären." Dagegen sind wir uns jetzt des ursprünglichen Wort¬<lb/>
sinns von &#x201E;Elend" nicht mehr bewußt bei den Verbindungen &#x201E;jemand ins<lb/>
Elend stoßen" (&#x201E;schicken, jagen"; auch &#x201E;ins Elend gehen")^ wie er z. B. noch<lb/>
Goethe geläufig war (&#x201E;Streifen nicht herrliche Männer von hoher Geburt<lb/>
nun im Elend"), und noch deutlicher in Uhlands Worten (in der &#x201E;Bidassva-<lb/>
Brücke") hervortritt: &#x201E;Jedem ist das Elend finster, jedem glänzt das Vater¬<lb/>
land." Denn Elend (ahd. -M-all, klilönti, ahd. oUeuäo) war ursprünglich<lb/>
nur das andre Land (»Im torra; vgl. anch frühmlat. ^Il-8ictu, ahd. Wi^AWo<lb/>
Elsaß), das Ausland, die Fremde (im Gegensatze zu in!calli&gt;, Heimat), dann aber<lb/>
besonders auch die &#x201E;Verbannung" in die Fremde (vgl. auch das Eigenschaftswort<lb/>
&#x201E;elend," zunächst: ausländisch, fremd, z. B. ahd. gllcmäor vom, dann auch heimat¬<lb/>
los). Wenn sich nun im Laufe der Zeit das Elend zu dem Inbegriffe von<lb/>
Kummer, Not, Mißgeschick oder Jammer ausgebildet hat, so liegt darin wohl<lb/>
der sprechendste Beweis für die Liebe des Deutschen zu seinem Vaterlande, des¬<lb/>
selben Deutschen, der freilich auch wieder seinen Respekt vor der Fremde, vor<lb/>
dem Ausländischen in seiner Sprache dadurch zum Ausdrucke gebracht hat, daß<lb/>
er alles Unbedeutende oder Wertlose als &#x2014; &#x201E;nicht weit her" bezeichnet.<lb/>
"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1987"> Mit der Ausstoßung ins &#x201E;Elend, der Verbannung aus Stadt oder Land,<lb/>
womit Regierungen und Gemeinden einst anch viel Mißbrauch getrieben haben,<lb/>
stehn wir schon an der Schwelle des modernen Strafensystems/denn auch der<lb/>
Verbannte war ja in gewisser Weise seiner persönlichen Freiheit beraubt (daher<lb/>
wohl schon im Abt. Elend auch &#x2014; Gefangenschaft), wenn auch nicht in dem¬<lb/>
selben Maße wie bei den heutigen Freiheitsstrafen. Eine Art Übergang zu<lb/>
diesen letztern von den ältern Strafformen stellt unter anderen die eine Zeit lang,<lb/>
nach französischem Vorbilde, auch bei uns üblich gewesene Verurteilung zu den<lb/>
&#x201E;Galeeren" dar. Daß dies, namentlich wegen der rohen, oft gerazu bestialischer<lb/>
Behandlung der Sträflinge (&#x201E;Galeerensklaven") durch die Aufseher tatsächlich eine<lb/>
sehr schwere Strafe war, darau lebt in dem Gebrauche des Wortes &#x201E;Galeere"<lb/>
zur Kennzeichnung einer harte», erzwmigneu Arbeit noch heilte eine verschwommene<lb/>
Erinnerung fort.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0502] Deutsche Rechtsciltcrtmner in unsrer heutigen deutschen Sprache solche Dachabdeckung im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert nicht nur in Chroniken (z. B. in einem Mainzer Amtsgericht vom Jahre 1666) erwähnt, sondern sogar in Gesetzen (z. B. in den Blankenburger Statuten von 1594) vorgeschrieben, ja sogar aus dem achtzehnten Jahrhundert sind uns noch Fülle ihrer Vollziehung überliefert (so z. V. in deu Jahren 1768/69 im Fürstentum Fulda). Schon ältere Rechtshistoriker haben sich über den Sinn dieser merk¬ würdigen Bestrafung den Kopf zerbrochen, wie der Göttinger Hofrat Justus Friedrich Runde, der sin Pulks „Nepetitorium für das peinliche Recht, Bd. II, Frankfurt a. M. 1790, S, 326) darüber als Vermutung aufstellt, man habe damit entweder „eine öffentliche Anzeige... geben" wollen, „das; der Einwohner des Hauses nicht fähig wäre, seines Weibes Haupt zu sein," oder aber man habe ihn als „einen Mann, der sich dein häuslichen Unwetter so geduldig unterzogen, auch dem physischen" preisgeben wollen. Für das letztere hat sich im wesentlichen auch Jakob Grimm in seinen „Nechtsaltertümern" (4. Aufl., Bd. II, S. 321) ausgesprochen, dem darauf neuere Schriftsteller gefolgt sind. Wie dein nun auch sein mag, jedenfalls darf man diese eigentümliche Strafe als eine besonders aus¬ gestattete Form der sogenannten „Wüstung" betrachten, die als eine „Abspaltung der Friedlvsigteit," und zwar nach der vermögensrechtlichen Seite hin (Nieder¬ reißen, Niederbrennen des Hanfes) schon für die älteste Zeit nachweisbar ist. Einen Anklang an die Strafarten vergangner Tage hören wir wohl noch jetzt heraus, wenn wir — wie das im übertragnen Sinne ja häufig geschieht — jemand „ächten" oder „in Acht," „Acht und Aberacht" (d. h. eigentlich die obere, höhere, nicht die abermalige, wiederholte Acht; ahd. ovNÄlltiz neben nbMÄllto) oder auch in „Acht und Bann" (weltliche und geistliche Strafe) „tun" oder „erklären." Dagegen sind wir uns jetzt des ursprünglichen Wort¬ sinns von „Elend" nicht mehr bewußt bei den Verbindungen „jemand ins Elend stoßen" („schicken, jagen"; auch „ins Elend gehen")^ wie er z. B. noch Goethe geläufig war („Streifen nicht herrliche Männer von hoher Geburt nun im Elend"), und noch deutlicher in Uhlands Worten (in der „Bidassva- Brücke") hervortritt: „Jedem ist das Elend finster, jedem glänzt das Vater¬ land." Denn Elend (ahd. -M-all, klilönti, ahd. oUeuäo) war ursprünglich nur das andre Land (»Im torra; vgl. anch frühmlat. ^Il-8ictu, ahd. Wi^AWo Elsaß), das Ausland, die Fremde (im Gegensatze zu in!calli>, Heimat), dann aber besonders auch die „Verbannung" in die Fremde (vgl. auch das Eigenschaftswort „elend," zunächst: ausländisch, fremd, z. B. ahd. gllcmäor vom, dann auch heimat¬ los). Wenn sich nun im Laufe der Zeit das Elend zu dem Inbegriffe von Kummer, Not, Mißgeschick oder Jammer ausgebildet hat, so liegt darin wohl der sprechendste Beweis für die Liebe des Deutschen zu seinem Vaterlande, des¬ selben Deutschen, der freilich auch wieder seinen Respekt vor der Fremde, vor dem Ausländischen in seiner Sprache dadurch zum Ausdrucke gebracht hat, daß er alles Unbedeutende oder Wertlose als — „nicht weit her" bezeichnet. " Mit der Ausstoßung ins „Elend, der Verbannung aus Stadt oder Land, womit Regierungen und Gemeinden einst anch viel Mißbrauch getrieben haben, stehn wir schon an der Schwelle des modernen Strafensystems/denn auch der Verbannte war ja in gewisser Weise seiner persönlichen Freiheit beraubt (daher wohl schon im Abt. Elend auch — Gefangenschaft), wenn auch nicht in dem¬ selben Maße wie bei den heutigen Freiheitsstrafen. Eine Art Übergang zu diesen letztern von den ältern Strafformen stellt unter anderen die eine Zeit lang, nach französischem Vorbilde, auch bei uns üblich gewesene Verurteilung zu den „Galeeren" dar. Daß dies, namentlich wegen der rohen, oft gerazu bestialischer Behandlung der Sträflinge („Galeerensklaven") durch die Aufseher tatsächlich eine sehr schwere Strafe war, darau lebt in dem Gebrauche des Wortes „Galeere" zur Kennzeichnung einer harte», erzwmigneu Arbeit noch heilte eine verschwommene Erinnerung fort.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/502
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/502>, abgerufen am 01.09.2024.