Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache Witwe" ist, weil sie bloß vorübergehend von ihrem -- etwa auf die Reise ge¬ Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache Witwe" ist, weil sie bloß vorübergehend von ihrem — etwa auf die Reise ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0501" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241715"/> <fw type="header" place="top"> Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache</fw><lb/> <p xml:id="ID_1984" prev="#ID_1983" next="#ID_1985"> Witwe" ist, weil sie bloß vorübergehend von ihrem — etwa auf die Reise ge¬<lb/> gangenen — Manne verlassen ist, 'worauf dann erst in neuerer Zeit auch die,<lb/> heute aber gerade besonders beliebte Bezeichnung „Strohwitwer" für einen<lb/> Mann in dem entsprechend gleichen Verhältnis entstanden ist. Ob auch die für<lb/> gewisse Vergehungen (besonders der Frauen) zum Schimpfe vorgenommene<lb/> Kürzung des Gewandes wirklich als die Quelle für unsern Ausdruck „einem<lb/> die Ehre abschneiden" betrachtet werden darf, mag hier dahingestellt bleiben;<lb/> schon mehr hat es für sich, die Redensart „jemand ungeschoren lassen"<lb/> ans das schou in ältester Zeit als eine schimpfliche Strafe geltende Ab¬<lb/> schneiden des Haares zurückzuführen, das der freie Germane — im Gegensatze<lb/> zu den Unfreien — einst lang wallend zu tragen Pflegte, obwohl auch diese<lb/> Ableitung nicht ganz sicher ist. Zuweilen wollte man mit den symbolischen<lb/> Ehrenstrafcn nicht sowohl auf das begangne Delikt als auf den Stand des<lb/> Täters hinweisen (sogenannte symbolische Standesstrafen), Dahin gehört nach<lb/> der richtigen Ansicht z, B, das, besonders für Adliche und Vornehmere üblich<lb/> gewesene Hundetrageu, Während eine ältere Meinung dahin ging, in dieser<lb/> Strafe eine Andeutung dafür zu sehen, daß der Missetäter eigentlich wert sei,<lb/> gleich einem Hunde erschlagen oder — wie das tatsächlich zuweilen ausgeführt<lb/> worden ist — neben einem solchen aufgehängt zu werden, will man sie neuerdings<lb/> als einen symbolischen Hinweis auf den Stand des Verurteilten auffassen<lb/> (Hund — Jagdhund), ähnlich wie der Bauer ein Pslugrad, der Ritter sonst<lb/> wohl einen Sattel, ein schriftkundiger Bischof einmal eine Handschrift tragen<lb/> mußte. Ohne Zweifel aber hängt mit dieser Strafart des Mittelalters die<lb/> zur Zeit in vielen Gegenden noch volkstümliche Redensart „Hunde führen"<lb/> oder „tragen" (meist noch mit dem Zusatz einer örtlichen Grenze sGan-<lb/> grenze?s, wie namentlich bis Bautzen, bis Buschendorf sbei Nürnbergs oder<lb/> bis Eulenbach Malzs) zusammen, wodurch etwas ebenso Mühseliges wie Ent¬<lb/> ehrendes bezeichnet werden soll (z.B.: „Ehe ich das tue, will ich'lieber Hunde<lb/> fuhren jbis , .s"). Von manchen ist aber auch „den Hund vor die Füße<lb/> werfen" und das bekanntere, bezüglich seines Ursprungs freilich sehr umstrittene<lb/> "auf deu Hund kommen" noch hierher gezogen worden. Noch einen andern<lb/> merkwürdigen Vergleich aus dem Tierreiche, nämlich „den Esel zu Grabe<lb/> arten," mie es 'im Bolksmnnde genannt zu werden pflegt, wenn die Kinder<lb/> um den Füßen unter dem Tische baumeln, scheint unsre Sprache dem Gebiete<lb/> ver schunpflichen Ehrcustrafen früherer Zeiten entlehnt zu haben. Die erwähnte<lb/> Lebensart wird nämlich zurückzuführen sein ans das (nach Jeremias, Kap, 22,<lb/> ^ bis 21 benannte) Eselsbegräbnis (soxnltmn hölen), d, h. die sang- und<lb/> ^Mlose^namentlich ohne Beteiligung der Kirche stattfindende Einscharrung eines<lb/> s? auf dem Schindanger oder doch auf ungeweihtem Plane, wie sie einst<lb/> sonders (»ach den Beschlüssen eines Konzils von Rheims, 900 n, Chr.) für<lb/> ^ und kirchlich Exkommunizierte, ferner für Selbstmörder, auf frischer Tat<lb/> fil^' - Gefängnis verstorbne Verbrecher, später vorübergehend anch<lb/> bei» s«r bezeichnete die baumelnden Beine der zuschauenden Kinder als die<lb/> M ^selsbegräbnis gekanteten Glocken, Nicht selten drohen wir heute wohl<lb/> mal s'- "icht sehr gewogen sind, wir würden ihnen nächstens ein-<lb/> dcck ? ^uf das Dach steigen," ohne uus dabei zu vergegenwärtigen,<lb/> ! auch diese sonderbare Redensart (ebenso wie das gleichfalls volkstümliche<lb/> antr? den' Dache sein" oder „sitzen" für „hinter ihm her sein, ihn<lb/> stam ^" ""^ beaufsichtigen") von einer ältern symbolischen Ehrcnstrafe her-<lb/> i^mille^ ^ ^.g, man nämlich früher tatsächlich, um<lb/> sjf/.^Schimpf und Schande des darunter Wohnenden abzudecken. Namentlich<lb/> " Ehemänner, die sich von ihren Frauen hatten schlagen lassen, findet sich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0501]
Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache
Witwe" ist, weil sie bloß vorübergehend von ihrem — etwa auf die Reise ge¬
gangenen — Manne verlassen ist, 'worauf dann erst in neuerer Zeit auch die,
heute aber gerade besonders beliebte Bezeichnung „Strohwitwer" für einen
Mann in dem entsprechend gleichen Verhältnis entstanden ist. Ob auch die für
gewisse Vergehungen (besonders der Frauen) zum Schimpfe vorgenommene
Kürzung des Gewandes wirklich als die Quelle für unsern Ausdruck „einem
die Ehre abschneiden" betrachtet werden darf, mag hier dahingestellt bleiben;
schon mehr hat es für sich, die Redensart „jemand ungeschoren lassen"
ans das schou in ältester Zeit als eine schimpfliche Strafe geltende Ab¬
schneiden des Haares zurückzuführen, das der freie Germane — im Gegensatze
zu den Unfreien — einst lang wallend zu tragen Pflegte, obwohl auch diese
Ableitung nicht ganz sicher ist. Zuweilen wollte man mit den symbolischen
Ehrenstrafcn nicht sowohl auf das begangne Delikt als auf den Stand des
Täters hinweisen (sogenannte symbolische Standesstrafen), Dahin gehört nach
der richtigen Ansicht z, B, das, besonders für Adliche und Vornehmere üblich
gewesene Hundetrageu, Während eine ältere Meinung dahin ging, in dieser
Strafe eine Andeutung dafür zu sehen, daß der Missetäter eigentlich wert sei,
gleich einem Hunde erschlagen oder — wie das tatsächlich zuweilen ausgeführt
worden ist — neben einem solchen aufgehängt zu werden, will man sie neuerdings
als einen symbolischen Hinweis auf den Stand des Verurteilten auffassen
(Hund — Jagdhund), ähnlich wie der Bauer ein Pslugrad, der Ritter sonst
wohl einen Sattel, ein schriftkundiger Bischof einmal eine Handschrift tragen
mußte. Ohne Zweifel aber hängt mit dieser Strafart des Mittelalters die
zur Zeit in vielen Gegenden noch volkstümliche Redensart „Hunde führen"
oder „tragen" (meist noch mit dem Zusatz einer örtlichen Grenze sGan-
grenze?s, wie namentlich bis Bautzen, bis Buschendorf sbei Nürnbergs oder
bis Eulenbach Malzs) zusammen, wodurch etwas ebenso Mühseliges wie Ent¬
ehrendes bezeichnet werden soll (z.B.: „Ehe ich das tue, will ich'lieber Hunde
fuhren jbis , .s"). Von manchen ist aber auch „den Hund vor die Füße
werfen" und das bekanntere, bezüglich seines Ursprungs freilich sehr umstrittene
"auf deu Hund kommen" noch hierher gezogen worden. Noch einen andern
merkwürdigen Vergleich aus dem Tierreiche, nämlich „den Esel zu Grabe
arten," mie es 'im Bolksmnnde genannt zu werden pflegt, wenn die Kinder
um den Füßen unter dem Tische baumeln, scheint unsre Sprache dem Gebiete
ver schunpflichen Ehrcustrafen früherer Zeiten entlehnt zu haben. Die erwähnte
Lebensart wird nämlich zurückzuführen sein ans das (nach Jeremias, Kap, 22,
^ bis 21 benannte) Eselsbegräbnis (soxnltmn hölen), d, h. die sang- und
^Mlose^namentlich ohne Beteiligung der Kirche stattfindende Einscharrung eines
s? auf dem Schindanger oder doch auf ungeweihtem Plane, wie sie einst
sonders (»ach den Beschlüssen eines Konzils von Rheims, 900 n, Chr.) für
^ und kirchlich Exkommunizierte, ferner für Selbstmörder, auf frischer Tat
fil^' - Gefängnis verstorbne Verbrecher, später vorübergehend anch
bei» s«r bezeichnete die baumelnden Beine der zuschauenden Kinder als die
M ^selsbegräbnis gekanteten Glocken, Nicht selten drohen wir heute wohl
mal s'- "icht sehr gewogen sind, wir würden ihnen nächstens ein-
dcck ? ^uf das Dach steigen," ohne uus dabei zu vergegenwärtigen,
! auch diese sonderbare Redensart (ebenso wie das gleichfalls volkstümliche
antr? den' Dache sein" oder „sitzen" für „hinter ihm her sein, ihn
stam ^" ""^ beaufsichtigen") von einer ältern symbolischen Ehrcnstrafe her-
i^mille^ ^ ^.g, man nämlich früher tatsächlich, um
sjf/.^Schimpf und Schande des darunter Wohnenden abzudecken. Namentlich
" Ehemänner, die sich von ihren Frauen hatten schlagen lassen, findet sich
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